Urteil des FG Köln vom 20.08.2008
FG Köln: steuergeheimnis, akte, gefährdung, glaubhaftmachung, wahrscheinlichkeit, auskunftserteilung, steuerbehörde, vogel, amtshilfe, steuerverwaltung
Finanzgericht Köln, 2 V 1948/08
Datum:
20.08.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 V 1948/08
Tenor:
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird dem Antragsgegner bis zum
rechtskräfti-gen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens untersagt, der
türkischen Steuerverwal-tung Auskünfte über Zahlungen der
Antragstellerin an die Fa. A (Türkei) sowie an die Fa. B (Türkei) zu
erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
1
I.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beabsichtigte Weiterleitung von zwei
Spontanauskünften des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X durch
den Antragsgegner an die türkische Steuerverwaltung zulässig ist.
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Im Jahre 2000 schloss die Antragstellerin mit einem öffentlichen Auftraggeber in der
Türkei einen Vertrag zur Errichtung einer militärtechnischen Anlage in D. In diesem
Zusammenhang arbeitete die Antragstellerin mit zwei türkischen
Beratungsunternehmen, der Fa. A sowie der Fa. B zusammen. Für ihre
Beratungsleistungen zahlte die Antragstellerin diesen beiden Unternehmen Anfang
2001 das geschuldete Entgelt i.H.v. 385.976 DM sowie 500.000 DM. Die Überweisung
dieser Beträge erfolgte auf Wunsch der beiden Unternehmen jeweils auf deren
Schweizer Konten. Die Antragstellerin machte die Zahlungen als Betriebsausgaben
geltend.
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Im Rahmen einer bei der Antragstellerin durchgeführten Außenprüfung durch das
Finanzamt für Groß- und Konzernprüfung X kündigte diese an, der türkischen
Steuerverwaltung Auskünfte und Unterlagen bezüglich der beiden Zahlungen
übermitteln zu wollen und leitete den Vorgang über die Oberfinanzdirektion Y an den
Antragsgegner weiter, der der Antragstellerin mitteilte, dass entsprechende
Spontanauskünfte an die türkische Steuerbehörde beabsichtigt seien.
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Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen den Beteiligten stellte die Antragstellerin
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den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Zu dessen Begründung trägt die Antragstellerin vor, dass sie einen
Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 30 AO habe. Denn
mit den geplanten Spontanauskünften würde der Antragsgegner den türkischen
Behörden Daten übermitteln, die dem Steuergeheimnis unterfielen. Es bestünde keine
Duldungspflicht ihrerseits, insbesondere nicht aus § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V.m. § 117
Abs. 2 AO und Art. 26 DBA-Türkei.
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Die geplante Übermittlung der Spontanauskunft sei insbesondere rechtswidrig, weil es
an einer Absicherung des Steuergeheimnisses in der Türkei mangele.
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Zwar sei die Türkei aufgrund des internationalen Steuergeheimnisses (vgl. Art. 26 Abs.
1 Satz 2 DBA-Türkei) verpflichtet, die ihr übermittelten Informationen geheim zu halten.
Es bestünden jedoch ernsthafte Zweifel daran, dass in der Türkei das Steuergeheimnis
in einem ausreichenden Umfang praktiziert werde. Die Verwaltungsstrukturen ließen
eine effektive Wahrung des Steuergeheimnisses nach derzeitigem Stand nicht zu. Es
könne nicht ausgeschlossen werden, dass die in die Türkei übermittelten Informationen
außerhalb der Finanzverwaltung bekannt würden. Sogar eine Veröffentlichung
einzelner Daten scheine möglich.
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In diesem Zusammenhang bezieht sich die Antragstellerin auf ein Privatgutachten von
Prof. FC vom 4. Juni 2007, das am 15. Februar 2008 ergänzt wurde. Hierin wird u.a.
ausgeführt, dass die exemplarisch im einzelnen näher aufgeführten Pressemitteilungen
und Aussagen von Steuerberatern, Verbänden, Journalisten und Anwälten belegen
würden, dass es einfach sei, bei entsprechenden Kontakten an alle denkbaren
Informationen zu gelangen. Es fehle die Hemmschwelle beim einzelnen Beamten. Sie
stelle sich gegenüber mittel- und langfristigen Überlegungen oder Gefühlen des
Einzelnen als zu niedrig heraus. Die Rangstelle des Steuergeheimnisses habe keinen
Wert an sich, der seitens des einzelnen Beamten für verteidigungswürdig gehalten
werden könnte. Die Rechtslage sei nur bedingt interessant, so lange sowohl potente
Steuerzahler als auch säumige Steuerzahldurch die Finanzverwaltung selbst der
Öffentlichkeit preisgegeben werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das
Gutachten nebst Ergänzungsfassung verwiesen (Bl. 81 ff. und 123 ff. der FG-Akte).
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Die Antragstellerin trägt weiterhin vor, dass massive Lücken im Steuergeheimnis der
Türkei auch insoweit bestünden, als Besteuerungsgrundlagen und Steuerbeträge von
natürlichen und juristischen Personen durch die zuständige Steuerbehörde zur
Sicherstellung der Steuern öffentlich bekannt gegeben würden.
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Vor diesem Hintergrund schließe auch das Schreiben des türkischen
Finanzministeriums vom 14. April 2008, wonach aus Deutschland übermittelte
Informationen in der Türkei geheim gehalten würden, da sich aus Art. 26 Abs. 1 DBA-
Türkei eine entsprechende Pflicht zur Geheimhaltung ergebe (Bl. 143 der FG-Akte),
zumindest eine Gefährdung der Vertraulichkeit nicht aus. Die rechtstatsächliche
Stellungnahme von Prof. FC unterstreiche, dass aus der bloßen Existenz einer Pflicht
zur Vertraulichkeit nicht auf deren Einhaltung geschlossen werden könne. Außerdem
sei von vorneherein nicht mit einer anderen Antwort zu rechnen gewesen. Denn ein
potentieller Empfängerstaat werde - selbst in Kenntnis bestehender Risiken - wohl kaum
auf eine entsprechende Bestätigung verzichten und die Unzulänglichkeit der eigenen
Verwaltungspraxis einräumen.
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Soweit – wie vorliegend – Anhaltspunkte dafür bestünden, dass das Steuergeheimnis
im Empfängerstaat nicht gewahrt werde, bestehe ein absolutes Auskunftsverbot. Eine
konkrete Gefährdung des Steuergeheimnisses im Einzelfall sei nicht erforderlich. Dies
werde durch das EG-Amtshilfe-Gesetz bestätigt, wonach ein Auskunftsverbot bestehe,
wenn "ein angemessener Datenschutz im Empfängerstaat nicht gewährleistet" sei (§ 3
Abs. 1 Nr. 3a EGAHiG). Die Gefährdung im konkreten Einzelfall werde nicht gefordert.
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Desweiteren sei die geplante Übermittlung der Spontanauskünfte auch wegen des
Ermessensnichtgebrauch durch den Antragsgegner rechtswidrig. Das von § 117 Abs. 2
AO eingeräumte Ermessen sei vom Antragsgegner nicht ausgeübt worden, obwohl er
insoweit die zuständige Behörde sei. Der Antragsgegner habe sich unzulässigerweise
auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Urhebers der
Spontanauskunft – des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X –
beschränkt.
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Im übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 10. Juni
2008 (Bl. 1 ff. der FG-Akte) und vom 7. Juli 2008 (Bl. 195 ff. der FG-Akte).
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Die Antragstellerin beantragt,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen
Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu untersagen, der türkischen
Steuerverwaltung Auskünfte über Zahlungen der Antragstellerin an die Fa. A
(Türkei) sowie an die Fa. B (Türkei) zu erteilen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Der Antragsgegner trägt vor, dass kein Anordnungsanspruch gegeben sei. Die
Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 30 AO, die als
Anspruchsgrundlage für die Unterlassung der Weitergabe der Spontanauskünfte in
Betracht kämen, seien nicht erfüllt. Denn § 30 Abs. 4 Nr. 2, § 117 Abs. 2 AO i.V.m. Art.
26 Abs. 1 DBA-Türkei zur Weiterleitung der Informationen an die türkischen
Steuerbehörden seien gegeben. Art. 26 DBA-Türkei enthalte eine sog. "große
Auskunftsklausel", die die Spontanauskunft umfasse. Das Merkmal der Erforderlichkeit
sei erfüllt, da aufgrund der Zahlungsüberweisungen aus schweizerische Konten die
ernstliche Möglichkeit bestehe, dass die türkischen Behörden ohne die Auskunft von
den Zahlungen keine Kenntnis erlangen würden.
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Die Wahrung des Steuergeheimnisses sei nicht gefährdet. Die Antragstellerin habe
lediglich Material vorgelegt, in dem allgemeine Aussagen über den in der Türkei
herrschenden Umgang mit dem Steuergeheimnis getroffen würden. Sie habe nicht
substantiiert dargelegt, dass gerade in ihrem Fall mit einer zweckwidrigen Verwendung
der Auskünfte zu rechnen sei. Auch habe das FG Köln in seinem Beschluss vom 9. Mai
2007 (2 V 1243/07) festgestellt, dass dem Senat keine Umstände bekannt seien, die die
Besorgnis rechtfertigen würden, dass die türkischen Behörden der
Geheimhaltungspflicht nicht nachkommen könnten.
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Des weiteren habe er, der Antragsgegner, explizit bei der zuständigen türkischen
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Behörde angefragt und sich die Geheimhaltung bestätigen lassen. Insoweit werde auf
das Schreiben des türkischen Finanzministeriums vom 14. April 2008 (Bl. 143 der FG-
Akte) verwiesen.
Die deutsche Finanzverwaltung habe über Jahre des Auskunftsaustauschs mit der
Türkei keinen konkreten Hinweis bekommen oder sonst Kenntnis darüber erlangt, dass
Informationen, die aus Deutschland in die Türkei weitergeleitet worden seien, entgegen
dieser Regelungen offenbart worden seien.
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Durch die Erteilung der Spontanauskunft werde nicht unverhältnismäßig in die Rechte
der Antragstellerin eingegriffen. Davon wäre nur auszugehen, wenn die Antragstellerin
glaubhaft machen würde, dass gerade in ihrem Fall die Informationen zweckwidrig
verwendet würden und entgegen der gesetzlichen Regelung an andere Stellen
gelangen und der Antragstellerin daraus ins Gewicht fallende Nachteile erwachsen
könnten. Dies sei im Streitfall nicht gegeben.
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Die beabsichtigte Erteilung der Spontanauskünfte sei ermessensgerecht. Die Auskunft
dürfte im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Die Ermessensentscheidung sei
damit im Regelfall dahingehend vorgeprägt, dass er, der Antragsgegner, zur
Auskunftserteilung zumindest berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet sei. Das danach
verbleibende Ermessen sei auch durch ihn, den Antragsgegner, zutreffend ausgeübt
worden.
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Neben dem Anordnungsanspruch mangele es auch an einem Anordnungsgrund. Denn
die Antragstellerin habe nicht glaubhaft dargelegt, dass ihr wesentliche Nachteile i.S.d.
§ 114 FGO entstünden. Die Gefahr der Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen zu
einem ausländischen Geschäftspartner sei kein solcher Grund. Dies gelte auch für die
Gefährdung eines Nachfolgeauftrages. Trotz des Vortrags der Antragstellerin zu den
türkischen Verhältnissen im Umgang mit dem Steuergeheimnis habe die Antragstellerin
nicht substantiiert dargelegt, dass ihre wirtschaftliche und persönliche Existenz konkret
unmittelbar bedroht sei.
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Im übrigen wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 24. Juni 2008 Bezug
genommen (Bl. 160 ff. der FG-Akte), sowie auf dessen Schriftsatz vom 11. Januar 2008
und Aktenvermerk vom 25. März 2008 (beides befindlich in der Verwaltungsakte des
Antragsgegners).
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund i.S.d. § 114 FGO
liegen vor.
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1. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass
durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts
des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte
(Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen
auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden
Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder
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drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass
einer einstweiligen Anordnung ist in jedem Fall, dass der im Hauptverfahren geltend
gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung
(Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m.
§ 920 Abs. 1, 2 ZPO). Bezeichnung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs
bedeuten, dass der Antragsteller den Anspruch rechtlich schlüssig darlegen und dessen
tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft machen muss (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO).
2. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Regelungsanordnung, denn durch die
gerichtliche Anordnung möchte sie verhindern, dass der Antragsgegner ihn betreffende
steuerliche Verhältnisse einer ausländischen Steuerbehörde mitteilt. Sie möchte damit
die Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
erreichen.
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3. Die entsprechenden Voraussetzungen sind erfüllt. Der für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch ist gegeben. Die
Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner, die beabsichtigte
Auskunftserteilung zu unterlassen.
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a. Die Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bildet § 1004
Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 30 AO (vgl. BFHBeschluss vom 29. April 1992 I B
12/92, BFHE 167, 11; BStBl II 1992, 645). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind
erfüllt. Durch die Weiterleitung der Spontanauskünfte werden steuerliche Verhältnisse
der Antragstellerin, nämlich die Zahlungen an die beiden türkischen
Beratungsunternehmen, unbefugt offenbart, so dass die Antragstellerin einen
Unterlassungsanspruch hat.
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b. Eine Duldungspflicht der Antragstellerin besteht nicht. Insbesondere hat sie es nicht
analog § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden, dass der Antragsgegner die Informationen an die
türkische Steuerbehörde weiterleitet. Die Antragstellerin ist insoweit durch das
Steuergeheimnis nach § 30 AO geschützt.
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aa. Dem Schutz durch das Steuergeheimnis steht nicht § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO entgegen,
da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Hiernach ist die Offenbarung steuerlicher
Verhältnisse, die dem Steuergeheimnis nach § 30 Abs. 2 AO unterliegen,
ausnahmsweise zulässig, wenn sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Hieran
mangelt es im Streitfall.
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bb. Die einzige im Streitfall in Betracht kommende ausdrückliche gesetzliche Zulassung
in diesem Sinne enthält § 117 Abs. 2 AO, wonach die Finanzbehörden u.a. auf Grund
innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen sowie des EG-Amtshilfe-
Gesetzes Amtshilfe leisten können. Durch eine Maßnahme, die sich in diesem Rahmen
hält, wird deshalb das Steuergeheimnis nicht verletzt (BFHBeschluss vom 29. April
1992 I B 12/92, a.a.O.).
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Im Streitfall hat die Antragstellerin jedoch glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen
für die Anwendung einer solchen völkerrechtlichen Vereinbarung nicht gegeben sind.
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(1) Als innerstaatlich anwendbare völkerrechtliche Vereinbarung im Sinne des § 117
Abs. 2 AO, die zu Erteilung der beabsichtigten Spontanauskunft befugen könnte, kommt
allein Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei in Betracht. Danach tauschen die zuständigen
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Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung dieses
Abkommens und des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten betreffend die unter
das Abkommen fallenden Steuern erforderlich sind, somit die diesem Recht
entsprechende Besteuerung mit dem Abkommen in Einklang steht. Hierbei handelt es
sich um eine sogenannte große Auskunftsklausel (vgl. Engelschalk in Vogel/Leaner,
DBA, Art. 26 Rz. 47). Diese Auskunftsklausel lässt auch eine Spontanauskunft
grundsätzlich zu. Denn der Wortlaut des Art. 26 Abs. 1 S. 1 DBA – Türkei enthält keine
Einschränkung in den Auskunftsverkehr etwa dahin, dass Auskünfte nur auf Ersuchen
erteilt werden dürfen (vgl. Engelschalk, a.a.O., Art. 26 Rz. 40).
Die Voraussetzung des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Türkei liegen hinsichtlich der
streitigen – beabsichtigten – Auskünfte vor. Es besteht die ernste Möglichkeit, dass der
andere Vertragsstaat – die Türkei – abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht hat und
ohne die Spontanauskunft von dem Gegenstand dieses Besteuerungsrecht keine
Kenntnis erlangen würde (FG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 2006 2 V 4096/06,
EFG 2007, 736). Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Deshalb erübrigt sich eine
weitere Begründung.
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Allerdings sieht Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Türkei vor, dass alle nach Art. 26 Abs. 1 Satz
1 DBA-Türkei ausgetauschten Informationen geheimzuhalten sind und nicht der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen; sie dürfen nur den Personen oder
Behörden, die mit der Veranlagung oder Erhebung der unter das Abkommen fallenden
Steuern und den diesbezüglichen Rechtsbehelfen befasst sind, sowie den
Justizbehörden und Gerichten für Strafverfahren zugänglich gemacht werden, die sich
auf die obengenannten Steuern beziehen.
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Dabei entspricht Art. 26 DBA-Türkei dem OECD-MA 1963. Hiernach gewährleistet die
Pflicht der Vertragsstaaten, die nach Art. 26 erhaltenen Informationen ihrerseits geheim
zu halten, einen absoluten Schutz und begründet so ein eigenständiges internationales
Steuergeheimnis (s. Engelschalk, in Vogel/Lehner, DBA, Art. 26 Rn. 78). Eine
Aufweichung oder Durchbrechung des Steuergeheimnisses nach den Vorschriften des
nationalen Rechts ist in keinem Fall zulässig (Engelschalk, a.a.O., Art. 26 Rn. 87). Dass
das MA seit 1977 nur noch einen relativen Schutz, bezogen auf das innerstaatliche
Recht des die Information empfangenden Vertragsstaats, gewährleistet, ist im Streitfall
insoweit also ohne Bedeutung, da Art. 26 DBA-Türkei nicht entsprechend angepasst
wurde. Ungeachtet dessen dürfen die Informationen ohnehin nur den in Art. 26 Abs. 1
Satz 2, 2. Halbsatz DBA-Türkei genannten Personen oder Behörden zugänglich
gemacht werden.
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(2) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass eine solche Geheimhaltung der an
die türkischen Behörden weiter zu leitenden Informationen nicht gewährleistet ist. Eine
Glaubhaftmachung soll dem Richter nicht die volle Überzeugung vermitteln. Es genügt
vielmehr, dass ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit bzw. eine
überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsachen spricht (Koch in
Gräber, FGO, § 114 Rz. 57 m.w.N.).
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Im Streitfall spricht ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die
Vertraulichkeit der beabsichtigten Informationen in der Türkei nicht gewährleistet ist.
Dies ergibt sich aus dem vorgelegten Privatgutachten von Prof. FC.
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(a) Dieses Gutachten legt die begründete Vermutung nahe, dass in der Türkei die
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Wahrung des Steuergeheimnisses faktisch nicht hinreichend gewährleistet ist. Dabei
stützt sich das Gutachten auf eigene Erkenntnisse des Verfassers aus der Einholung
von Auskünften von Steuerberatern, Verbänden, Journalisten und Anwälten sowie auch
Pressemittelungen über die Verletzung des Steuergeheimnisses. So wird u. a. in einem
Artikel dem türkischen Finanzministerium vorgeworfen, dass seine Steuerprüfer in der
letzten Zeit gehäuft gezielte Informationen in die Medienöffentlichkeit streuen, die dem
Steuergeheimnis unterliegen (S. 8 des Gutachtens). Außerdem wird auf die durchaus
legale Ausnahme vom Steuergeheimnis aufmerksam gemacht, nämlich die Möglichkeit,
die säumigen Steuerzahler (so auch Beratungsfirmen, sollten sie Zahlungen nicht
angegeben haben) öffentlich bloß zu stellen. Dies würde sich auch auf denjenigen
auswirken, der die Zahlungen veranlasst habe. Das Gutachten kommt – in sich
schlüssig begründet – zu dem Ergebnis, dass ein nicht unerhebliches
Gefährdungspotenzial für den Fall bestehe, dass türkischen Behörden Angaben über
Zahlungen der Antragstellerin an die türkischen Berater gemacht würden.
Erzeugt werde das Gefährdungspotenzial auch durch den Umstand, dass die
Antragstellerin zu einer in der Türkei sehr renommierten und marktstarken Firmengruppe
gehöre (S. 13 des Gutachtens).
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(b) Im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutz nur eingeschränkten
Prüfungsumfangs – summarische Prüfung – hat der Senat keine Veranlassung, an der
Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gutachters zu zweifeln. Die
Schlussfolgerungen des Gutachters, dass angesichts der getroffenen Feststellungen ein
nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung der Vertraulichkeit
der übermittelten Auskunft bestehen würde, erscheint dem Senat plausibel und
schlüssig. Dabei ist für den Senat auch von Bedeutung, dass die Antragstellerin einer
international tätigen und bekannten Unternehmensgruppe angehört und deshalb ein
besonderes Medieninteresse nicht von der Hand zu weisen ist.
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Dieser Würdigung steht der Beschluss des Senats vom 9.Mai 2007 (2 V 1243/07,
DStRE 2008, 841 ) nicht entgegen. In diesem Verfahren war die unzureichende
Wahrung des Steuergeheimnisses in der Türkei nicht vorgetragen und glaubhaft
gemacht worden. Der Senat hat diesen Gesichtspunkt lediglich von Amts wegen nach
Aktenlage geprüft.
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(3) Dass die Antragstellerin sich auf die Glaubhaftmachung der mangelnden
Gewährleistung des Steuergeheimnisses in der Türkei im allgemeinen beschränkt hat,
reicht im vorliegenden Fall für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im
einstweiligen Rechtsschutz aus. Denn aus der unzureichenden Gewährleistung des
allgemeinen Steuergeheimnisses kann darauf geschlossen werden, dass die im
Einzelfall gemäß Art. 26 Abs. 1 S. 2 DBA – Türkei zu wahrende Vertraulichkeit in nicht
nur geringem Maße gefährdet ist. Dem steht nicht die von dem Antragsgegener
angeforderte Zusicherung der Vertraulichkeit im Schreiben vom 14.4.2008 ( Bl. 143 FG-
Akte ) entgegen. Dieses Schreiben erschöpft sich mehr oder weniger in der Wiedergabe
des Wortlauts des Art. 26 Abs.1 Satz 2 DBA-Türkei und lässt nicht erkennen, wie die
Vertraulichkeit faktisch gewahrt werden soll. In diesem Zusammenhang muss bei der
Abwägung, ob ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht ist, auch
berücksichtigt werden, dass die Auskunftserteilung einen schwer wiegenden Eingriff in
das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt.
Aufgrund der überragenden Bedeutung des Steuergeheimnisses für den
zwischenstaatlichen Informationsaustausch (vgl. Engelschalk in Vogel/Leaner, DBA,
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Art. 26 Rz. 38) dürfen an die Glaubhaftmachung keine all zu hohen Anforderungen
gestellt werden. Andernfalls bestünde die Gefahr irreparabler Schäden für die
Antragstellerin.
Eine abschließende Würdigung, ob tatsächlich die in Art. 26 Abs. 1 S. 2 DBA-Türkei
festgelegte Vertraulichkeit in der Türkei gewahrt ist, und deshalb die Voraussetzungen
des Art. 26 Abs. 1 für die Auskunftserteilung gegeben sind, bleibt einer Entscheidung in
einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem Verfahren wird – ggf.
durch ein Sachverständigengutachten – zu klären sein, wie in der Türkei trotz einer
legalen Auflockerung des Steuergeheimnisses die Vertraulichkeit erhaltener
Informationen im Einzelfall gesichert ist.
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c. Vor diesem Hintergrund kann es der Senat dahingestellt lassen, ob der
Anordnungsanspruch auch unter anderen Gesichtspunkten, z.B. der vermeintlich
fehlenden Gegenseitigkeit oder eines vermeintlichen Ermessensnichtgebrauch durch
den Antragsgegner, begründet wäre.
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Es sei jedoch angemerkt, dass nach derzeitiger Aktenlage einiges dafür sprechen
könnte, dass der Antragsgegner das Ermessen zur Erteilung der Spontanauskunft
selber ausüben muss und dass eine Ermessensausübung durch den Antragsgegner
fraglich erscheint. Zwar könnte der Schriftsatz des Antragsgegners an die Antragstellerin
vom 11. Januar 2008 (befindlich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners) als
Ermessensausübung gewertet werden, jedoch ergeben sich Zweifel insoweit, als der
Antragsgegner am Ende dieses Schriftsatzes ausführt, dass er die Entscheidung des
Finanzamtes für ermessensgerecht hält. Der Aktenvermerk des Antragsgegners vom 25.
März 2008 (befindlich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners) bestätigt diese
Zweifel. Denn dort wird angeführt, dass die Entscheidung über die Weitergabe der
Spontanauskunft beim Finanzamt liege. Dies könnte dafür sprechen, dass sich der
Antragsgegner auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt und die eigentliche
Ermessensentscheidung dem Finanzamt überlassen hat. Soweit der Antragsgegner im
vorliegenden Verfahren wegen Erlasses einer einstweiligen Anordnung in seinem
Schriftsatz vom 24. Juni 2008 eigenes Ermessen ausgeübt haben mag, dürfte dies –
bezogen auf das vorliegende Verfahren - verspätet sein, da es insoweit auf den
Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.
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4. Ein Anordnungsgrund i.S.d. § 114 FGO ist ebenfalls gegeben. Denn im Streitfall droht
eine Verletzung des subjektiven Rechts der Antragstellerin auf Wahrung des
Steuergeheimnisses durch eine nicht durch eine Rechtsgrundlage abgedeckte
Auskunft; diese Verletzung könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden und kann nur
durch den Erlass der einstweiligen Anordnung aufgehalten werden (vgl. BFH-Beschluss
vom 15. Februar 2006 I B 87/05, BStBl II 2006, 616, BFHE 212, 4). In diesem Fall folgt
der Anordnungsgrund aus dem Anordnungsanspruch.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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6. Der Senat lässt nicht die Beschwerde gegen die getroffene Entscheidung gemäß
§ 128 Abs. 3 FGO zu, da die Entscheidung aufgrund einer Würdigung des vorgelegten
Privatgutachtens und des Vorbringens der Beteiligten getroffen wurde, es sich also um
eine Einzelfallentscheidung handelt. Damit kommt dem Rechtsstreit keine
grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
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