Urteil des FG Köln vom 20.09.2007

FG Köln: rückstellung, prüfer, archivierung, daten, aufbewahrung, einspruch, fehlerhaftigkeit, aufwand, sorgfalt, kaufmann

Finanzgericht Köln, 13 K 3156/05
Datum:
20.09.2007
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 3156/05
Tenor:
Unter Änderung der Bescheide über Körperschaftsteuer und
Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 KStG für das Jahr 2000 vom
00.00.0000 in Gestalt der Einspruchsent-scheidung vom 00.00.0000
werden die Körperschaftsteuer in der Weise festgesetzt, dass der
Steuerbilanzgewinn vor Korrektur der Gewebesteuerrückstellungen um
... DM gemindert wird, und die Einkommensbeträge entsprechend
festgestellt.
Die Berechnung der Körperschaftsteuer und der Feststellungsbeträge
wird dem Be-klagten übertragen ( § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung
durch die Klägerin in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der
Klägerin vorläufig vollstreck-bar.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit einer Bilanzänderung gem. § 4 Abs. 2 Satz 2
Einkommensteuergesetz – EStG – aufgrund einer erst nach dem Aufstellungszeitpunkt
eingetretenen Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
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Auf der Grundlage des von der Klägerin am 00.00.2001 aufgestellten
Jahresabschlusses zum 31.12.2000 erging am 00.00.0000 unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung der Bescheid über Körperschaftsteuer und Feststellungen gem. § 47 Abs.
2 Körperschaftsteuergesetz – KStG – für das Jahr 2000, der bis auf die Kürzung der
abziehbaren Spenden um ... DM der abgegebenen Steuererklärung entsprach. Der
Steuerbilanzgewinn betrug demnach ... DM.
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Im Rahmen einer am 00.00.0000 begonnenen Betriebsprüfung für die Jahre 2000 bis
2002 durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung D. (Bericht vom
00.00.0000) ermittelte der Prüfer eine Erhöhung des Steuerbilanzgewinns um ... DM und
eine Erhöhung des zu versteuernden Einkommens um ... DM. Die Veränderung des
Steuerbilanzgewinnes beruhte auf einer Minderung der Pauschalwertberichtigung für
Kundenforderungen um ... DM, einer höheren Bewertung der Wertpapiere in Höhe von
... DM, einer Minderung der Verbindlichkeit aus ... in Höhe von ... DM, einer Erhöhung
der Umsatzsteuerverbindlichkeit für ... in Höhe von ... DM sowie einer Erhöhung der
Steuerrückstellungen um ... DM.
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Bereits mit Schreiben vom 00.00.2004 hatte die Klägerin den Prüfer auf einen
zusätzlichen Rückstellungsbedarf im Jahr 2000 für Archivierungsaufwendungen in
Höhe von ... DM hingewiesen, der zu ihren Gunsten berücksichtigt werden müsse.
Dieser Rückstellungsbetrag setzte sich wie folgt zusammen:
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Position
Betrag
1 Raumaufwendungen für 10 Jahre aufbewahrungspflichtiges Archivgut
... DM
2 Raumaufwendungen für 6 Jahre aufbewahrungspflichtiges Archivgut
... DM
3 Anteiliger Personal- und Sachaufwand für den Betrieb der Archive und die
Vernichtung des Archivguts
... DM
4 Elektronische Archivierung ...Daten - Bestandsspeicherung
...DM
5 Elektronische Archivierung ...Daten - Wartung
... DM
Summe nach Rundung
... DM
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 00.00.0000 nebst Anlagen
(BP-Handakte II, Trennblatt 19) und den Schriftsatz der Klägerin vom 00.00.0000 Bezug
genommen.
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Diese Rückstellung wurde von dem Prüfer entsprechend seiner telefonischen
Ankündigung vom 00.00.0000 bei der Ermittlung des Steuerbilanzgewinns nicht
angesetzt. Zur Begründung wies er darauf hin, dass eine Rückstellung für
Aufbewahrungskosten in der Handelsbilanz nicht passiviert worden sei.
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Bei der Auswertung der im Übrigen unstreitigen Feststellungen der Betriebsprüfung mit
dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO - ergangenen Änderungsbescheid für
das Jahr 2000 über Körperschaftsteuer und Feststellungen gem. § 47 Abs. 2 KStG vom
00.00.0000 ließ auch der Beklagte die begehrte Rückstellung für
Archivierungsaufwendungen außer Ansatz.
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Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch wies die Klägerin darauf hin, dass nach dem
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.08.2002 VIII R 30/01 (BStBl II 2003, 131) für
die zukünftigen Kosten der Aufbewahrung von bereits entstandenen Geschäftsbelegen,
zu der das Unternehmen handelsrechtlich gem. § 257 des Handelsgesetzbuches - HGB
- und steuerrechtlich nach § 147 AO verpflichtet sei, eine Rückstellung gebildet werden
müsse. Es handele sich dabei um eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im
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Sinne des § 249 Abs. 1 Satz 2 HGB in Gestalt öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen, an
deren Verletzung Sanktionen geknüpft seien. Nachdem dem hierauf zielenden Antrag
nicht Rechnung getragen worden sei, werde eine entsprechende Änderung des
Bescheides beantragt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 00.00.0000 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück. Zur Begründung teilte er mit, dass eine Passivierung der
Rückstellung im Wege der Bilanzberichtigung nicht zulässig sei. Da das die
Verpflichtung zur Bildung einer derartigen Rückstellung bejahende Urteil des BFH erst
am 19.08.2002 ergangen sei, sei die Bilanz zum 31.12.2000 im Zeitpunkt ihrer
Erstellung am 00.00.2001 mangels Erkennbarkeit eines Bilanzierungsfehlers nicht
fehlerhaft gewesen. Im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung habe der Bilanzansatz vielmehr
der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen. Er werde erst in der Bilanz falsch,
in der die Änderung der Rechtssprechung erstmals berücksichtigt werden könne. Dies
setze neben der objektiven Fehlerhaftigkeit des Bilanzansatzes voraus, dass ein
gewissenhafter Kaufmann diesen Ansatz zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ohne
Verletzung seiner Sorgfaltspflichten und bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung
der Verhältnisse am Bilanzstichtag gewählt hätte. Die nachträgliche Änderung der
Rechtsprechung des BFH mit dem Urteil vom 19.08.2002 sei nicht geeignet, eine
derartige Fehlerhaftigkeit rückwirkend herbeizuführen.
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Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, dass die Rückstellung für
Archivierungskosten im Wege der Bilanzänderung im Jahresabschluss 2000 angesetzt
werden könne. Denn im Rahmen der aufgrund des Betriebsprüfungsberichts
vorgenommenen Korrekturen des Bilanzgewinns wäre es möglich gewesen, die
Rückstellung für Archivierungskosten gegenläufig nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Satz 2
EStG zu berücksichtigen. Die Rückstellung für Archivierungskosten sei auch schon vor
der Verkündung des Urteils des BFH vom 19.08.2002 zulässig gewesen. Denn damit
habe der BFH keine neue Rechtslage geschaffen, sondern vielmehr nur die bestehende
Rechtslage interpretiert. Dem BFH-Urteil komme daher keine rechtssetzende Natur zu.
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Der Aufwand für die Vernichtung des Archivguts werde auf ... DM geschätzt. Um diesen
Betrag vermindere sich daher die begehrte Rückstellung.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer und Feststellung gemäß § 47 Abs.
2 KStG vom 00.00.0000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 00.00.0000
dergestalt zu ändern, dass die Archivierungsaufwendungen in Höhe von ... DM
steuerlich berücksichtigt werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Er meint, dass eine Bilanzänderung gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht in Betracht
komme. Denn die Klägerin habe bei der Bilanzerstellung vor dem Ergehen des Urteils
vom 19.08.2002 kein Wahlrecht bezüglich der Bildung der Rückstellung gehabt. Da die
Bilanz zu diesem Zeitpunkt insoweit keinen Fehler aufgewiesen habe, wäre ein dort
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erfolgter Ansatz der Rückstellung nach Verwaltungsauffassung als falsch anzusehen
gewesen. Diese auf den subjektiven Fehlerbegriff des BFH zurückgehende Sichtweise
sei auch bei der Bilanzänderung zu beachten.
Der Schätzung des Aufwands für die Vernichtung des Archivguts mit ... DM werde
schließlich als sachgerecht angesehen.
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Wegen weiterer Einzelheiten zum Ablauf der Verhandlung wird auf das Protokoll vom
00.00.0000 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Die nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB i. V. m. §§ 8 Abs. 1 KStG, 5 Abs. 1 Satz 1 EStG
gebotene Rückstellung für Archivierungsaufwendungen ist im Wege der
Bilanzänderung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG bei der Bemessung des der
Körperschaftsteuerveranlagung 2000 zugrunde zu legenden Steuerbilanzgewinns
gewinnmindernd zu berücksichtigen.
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Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 ist außerhalb
des Anwendungsbereichs der sog. Bilanzberichtigung i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG,
also der Korrektur einer unrichtigen Bilanz, eine Bilanzänderung dann zulässig, wenn
sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer
Bilanzberichtigung steht und soweit deren Auswirkung auf den Gewinn reicht.
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Eine derartige Bilanzberichtigung mit der Klägerin nachteiliger Gewinnauswirkung ist im
Streitfall mit den angegriffenen Änderungsbescheiden vom 00.00.0000 vorgenommen
worden, denen eine Erhöhung des Steuerbilanzgewinns um .... DM aufgrund der
Änderung der Ansätze für Forderungen, Wertpapiere und Verbindlichkeiten zugrunde
liegt. Diese Erhöhung des Bilanzgewinns übersteigt den Betrag der begehrten
Rückstellung. Der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen
Bilanzberichtigung und Bilanzänderung ist zu bejahen, da sich beide Maßnahmen auf
dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz bereits bei Ankündigung der
Bilanzberichtigung durch die Betriebsprüfung begehrt wurde. Nachdem der Beklagte die
begehrte Bilanzänderung abgelehnt hatte, war die wegen dieses Begehrens auf den
Rechtsweg verwiesene Klägerin auch nicht verpflichtet, schon mit der Beantragung der
Bilanzänderung eine geänderte bzw. berichtigte Bilanz einzureichen. Denn soweit der
Senat die begehrte Bilanzänderung für zulässig erachtet, ist die Klägerin mit dem Eintritt
der Rechtskraft der Entscheidung verpflichtet, die Berichtigung der Bilanz entsprechend
durchzuführen. Gleiches gilt für die Bilanzänderung (Urteile des BFH vom 27.09.2006 IV
R 7/06, BFHE 215, 172, BFH/NV 2007, 326, und vom 31.05.2007 IV R 54/05, BFH/NV
2007, 1973, m. w. N.).
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Eine Bilanzänderung besteht ihrem Wesen nach darin, dass ein richtiger Bilanzansatz
durch einen anderen ebenso richtigen Bilanzansatz ersetzt wird. Sie setzt mithin voraus,
dass das Handels- und Steuerrecht dem Steuerpflichtigen einen Spielraum für den
Bilanzansatz gewährt, wie es z. B. bei einem Ansatz- oder Bewertungswahlrecht der
Fall ist.
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Ein Bilanzansatz ist richtig, wenn er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den der
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Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter
Prüfung haben konnte. Maßstab ist dabei die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
(Urteile des BFH vom 05.04.2006 I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688; vom
05.09.2001 I R 107/00, BFHE 196, 515, BStBl II 2002, 134; sog. subjektiver
Fehlerbegriff). Das gilt auch dann, wenn in der Folgezeit Erkenntnisse gewonnen
werden konnten, welche die Bilanzierung nunmehr in rechtlicher oder tatsächlicher
Hinsicht als objektiv fehlerhaft erscheinen lassen. Daraus folgt zum einen, dass eine
Rechtsprechungsänderung nicht zur Unrichtigkeit eines Bilanzansatzes führt, der der
zur Zeit der Bilanzaufstellung vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung
entspricht (Urteil des BFH vom 12.11.1992 IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II 1993,
392). Zum anderen muss, wenn in jenem Zeitpunkt noch keine Rechtsprechung zu der
in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, jede der kaufmännischen Sorgfalt
entsprechende Bilanzierung als richtig angesehen werden (Urteile des BFH vom
05.04.2006, a. a. O., und vom 05.06.2007 I R 47/06, BFH/NV 2007, 2168). Dies
entspricht auch der Auffassung des erkennenden Senats (Urteil vom 21.03.2007 13 K
4358/06, EFG 2007, 1472) und der überwiegenden Auffassung der Kommentarliteratur
(vgl. dazu die Nachweise an vorstehend zitierter Stelle).
Im Streitfall war daher die ursprüngliche Bilanz der Klägerin hinsichtlich des
Nichtansatzes der Archivierungskosten subjektiv richtig, da zum Zeitpunkt der
Aufstellung des Jahresabschlusses am 00.00.2001 die Verneinung einer
entsprechenden Passivierungsverpflichtung durchaus im Rahmen des
Beurteilungsspielraums eines sorgfältig abwägenden Kaufmanns lag. Denn vor der
erstmaligen höchstrichterlichen Klärung dieser Rechtsfrage durch das Urteil des BFH
vom 19.08.2002 VIII R 30/01 (BStBl II 2003, 131) war eine Rückstellungsverpflichtung
für die aus §§ 257 HGB, 147 AO folgenden Aufbewahrungspflichten weder in der
Rechtsprechung noch in der Kommentarliteratur befürwortet worden (vgl. dazu
Senatsurteil vom 21.03.2007, a. a. O.). In Anerkenntnis dessen hat die Klägerin ihr
ursprüngliches Begehren einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG in
diesem Punkt nicht weiterverfolgt.
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In gleicher Weise stellt sich aber auch die gegenteilige Bilanzierungsentscheidung,
nämlich der Ansatz einer Rückstellung für Archivierungskosten, als richtig dar. Dies
kann auch aus der Sicht des Zeitpunkts der Bilanzaufstellung keinen Bedenken
begegnen, da die Wahl des nach der bestehenden Rechtslage objektiv richtigen
Ansatzes auch in subjektiver Hinsicht möglich und vertretbar war. Der erkennende
Senat hält insoweit bereits die nur hypothetische Möglichkeit der zutreffenden
Rechtserkenntnis für ausreichend. Diese bestand für die Klägerin – in gleicher Weise
wie für den BFH anlässlich seines im Jahr 2002 ergangenen Urteils – in Gestalt der
Anwendung der in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Zulässigkeit
von Rückstellungen für öffentliche Verpflichtungen auf den Einzelfall der Verpflichtung
zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen. Stehen aber die den Schluss auf die
Rückstellungsverpflichtung erlaubenden Erkenntnisgrundlagen jedem Rechtsteilnehmer
offen, so kann die – einer Bilanzberichtigung entgegenstehende - zeitgebundene
subjektive Richtigkeit einer gegenteiligen Handhabung die alternative subjektive
Richtigkeit einer der wirklichen Rechtslage entsprechenden Bilanzierung nicht
ausschließen (so im Ergebnis auch: Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff,
Kommentar zum EStG, § 4 EStG, Tz. C 188; Crezelius in: Kirchhof, EStG
Kompaktkommentar, 6. Aufl., § 4 EStG, Tz. 247; Knobbe-Keuk, Bilanz- und
Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., § 3 Tz. V. 4.; Ellrott/M. Ring in: Beck´scher
Bilanzkommentar, 6. Aufl., § 253, Tz 831; Flume DB 1981, 2505, 2506 f.; Ortmann-
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Babel/Bolik DStR 2007, 1139, 1142).
Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von Fällen, bei denen die geänderte
Beurteilung auf nachträglich eingetretenen oder bekannt gewordenen tatsächlichen
Umständen beruht, deren Berücksichtigung bei Aufstellung der ursprünglichen Bilanz
nicht möglich gewesen wäre. Bei solcher Sachlage soll nach verbreiteter Auffassung
aus der allein maßgeblichen Sicht bei der Aufstellung der Bilanz jeder andere
Bilanzansatz falsch sein und deshalb eine Bilanzänderung ausgeschlossen sein
(Urteile des BFH vom 11.10.1960 I 56/60 U, BFHE 72, 8, BStBl III 1961,3 , und vom
14.08.1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88; Stapperfend in:
Herrmann/Heuer/ Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer,
§ 4 EStG, Tz. 462; Wied in: Blümich, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG und
Nebengesetzen, § 4 EStG, Tz. 1028). Ob dieser Einschränkung zu folgen ist, bedarf
daher vorliegend keiner Entscheidung.
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Gegen eine restriktive Interpretation der Voraussetzungen der Bilanzänderung spricht
schließlich auch die Gleichbehandlung des bilanzierenden Steuerpflichtigen mit einem
Überschussrechner bei der Fehlersaldierung i. S. d. § 177 AO anlässlich einer
Änderung der Steuerfestsetzung zu seinem Nachteil. Denn der von der Rechtsprechung
entwickelte subjektive Fehlerbegriff stellt nach dem Verständnis des Senats in erster
Linie eine Schutzregelung zu Gunsten des bilanzierenden Steuerpflichtigen dar, der
seine Prüfungspflichten im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ordnungsgemäß erfüllt hat.
Nachträgliche Entwicklungen sollen daher die Richtigkeit der Bilanz nicht berühren.
Dieser Zweck rechtfertigt es aber nicht, dem bilanzierenden Steuerpflichtigen
zusätzliche Einschränkungen aufzuerlegen, die bei einer nur den Regeln der AO
folgenden Fehlerkorrektur nicht zu beachten wären. Im ausschließlichen
Anwendungsbereich dieser Regeln würde die bei einer Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2
Satz 2 EStG i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 notwendigerweise
vorauszusetzende Situation einer korrespondierenden Bilanzberichtigung vielmehr stets
die Saldierung mit gegenläufigen materiellen Fehlern gebieten. Im Lichte des Art. 3 GG
ist daher einer die Bilanzänderung ermöglichenden Auslegung der Vorrang
einzuräumen (so auch in Bezug auf die Voraussetzungen der korrespondierenden
Bilanzberichtigung: Urteil des BFH vom 31.05.2007 IV R 54/05, a. a. O.).
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Die Höhe der begehrten Rückstellung begegnet keinen Bedenken. Umfang und
Zusammensetzung der anfallenden Archivierungskosten sind von der Klägerin
nachvollziehbar dargelegt worden und zwischen den Beteiligten unstreitig. Soweit der
ursprünglich bezifferte Betrag von ... DM auch Kosten für die Vernichtung des Archivguts
enthielt, haben die Beteiligten diesen nicht rückstellungsfähigen Aufwand im Wege
einer tatsächlichen Verständigung auf ... DM geschätzt. Hiergegen sind keine
Einwendungen zu erheben. Eine Abzinsung der Rückstellung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a
Buchst. e EStG ist nicht geboten, da die Klägerin im Streitjahr bereits mit der
Archivierung begonnen hatte und daher ein Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung
dieser Sachleistungsverpflichtung im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift nicht mehr
verbleibt (vgl. dazu Erlass des FinMin NRW vom 2.11. und 21.12.2004 S 2175 – 15 –
VB 1). Auch dies entspricht der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten.
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Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage der Geltung
und Reichweite des subjektiven Fehlerbegriffs bei der Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2
Satz 2 EStG zuzulassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 FGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3 FGO, 709
ZPO.
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