Urteil des FG Köln vom 10.05.2007
FG Köln: jstg, ausländer, eltern, brd, aufenthaltserlaubnis, besitz, veröffentlichung, erstreckung, ausschluss, sicherheitsleistung
Finanzgericht Köln, 10 K 2593/02
Datum:
10.05.2007
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2593/02
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom
9.1.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 16.4.2002 verpflichtet,
der Klägerin Kindergeld in der gesetzlichen Höhe für die Kinder M und K
für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2001 zu
gewähren.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die
Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Kindergeld für ihre Kinder M (geb.
9.3.1991) und K (31.8.1994) zusteht. Die Kinder lebten im Streitzeitraum unstreitig im
inländischen Haushalt der Klägerin.
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Die Klägerin ist ukrainische Staatsbürgerin. Seit 1993 ist sie in Deutschland. Im
Streitzeitraum verfügte sie lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis.
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Die Klägerin beantragte am 3.12.2001 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen
Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 9.1.2002 ab. Dabei handelte es sich um
die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten
Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 22.10.2002 zurück.
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Mit der Klage beantragt die Klägerin,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 9.1.2002 und der
Einspruchsentscheidung vom 16.4.2002 zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihre zwei
Kinder für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2001 zu gewähren,
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da die
Klägerin bis einschließlich September 2001 keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei,
seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des §
62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des
klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die
Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld zu,
weil ihre Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem
Jahr berechtigt in der BRD aufhält.
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I. Die Kindergeldberechtigung der Klägerin ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des
JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL
4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114)
entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss
von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern
gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit
mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.
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1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil
vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007)
lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom
13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die
Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich
unzulässig hält.
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a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung
von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.
Dezember 2006 (AuslAnsprG - BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik
der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG - BGBl I 2004,
1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht
freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach §
23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a,
24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon
ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im
Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig
sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder
Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).
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b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber
darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld - wie auch im Streitfall -
noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen
der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den
AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des
Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte
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Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem
AuslG richteten, müsste nach dieser Regelung für Altfälle jeweils geklärt werden,
inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG
genannten Aufenthaltstiteln entsprechen (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur
Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007 für einen geduldeten
Aufenthalt in der BRD seit 1992 betreffend Kindergeld für die Monate von Juli 1997 bis
Juli 1999). Ein Aufenthalt aufgrund einer Duldung berechtigte danach nicht zum Bezug
von Kindergeld; bei einer bloßen Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen hinge
die Kindergeldberechtigung in aller Regel davon ab, ob sich der Ausländer seit
mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet
aufgehalten hat und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig war bzw.
laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezogen oder
Elternzeit in Anspruch genommen hat.
c) Danach müsste die Kindergeldberechtigung im Streitfall versagt und die Klage
abgewiesen werden. Der erkennende Senat wendet die Neufassung des § 62 Abs. 2
EStG vom
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13. Dezember 2006 jedoch nicht auf den Streitfall an.
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aa) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97
(BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entschieden, dass § 1 Abs. 3 Satz 1
BKGG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-
und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353),
durch den Ausländer von Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz
einer Aufenthaltsbefugnis waren, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Insbesondere vor
dem Hintergrund, dass Ausländer ihren ausländerrechtlichen Status nicht beeinflussen
könnten, befand das BVerfG, dass eine an der Art des Aufenthaltstitels ausgerichtete
Differenzierung zwischen ausländischen Eltern nicht durch Gründe von hinreichendem
Gewicht gerechtfertigt sei. Denn der Gesetzgeber dürfe bei der Bestimmung der Art und
Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine
Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1
GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung
ausschließen, die anderen gewährt werde. Bei Ausländern, die legal in Deutschland
lebten, sei unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels zu berücksichtigen, dass sie -
wie auch Deutsche - in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen
Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien. Soweit es Ziel der gesetzlichen
Neuregelung gewesen sei, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich
auf Dauer in Deutschland aufhalten, sei die Regelung ungeeignet, dieses Ziel zu
erreichen, weil einerseits diejenigen, die über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, sich
nicht typischerweise nur kurzfristig in Deutschland aufhielten, andererseits eine
Aufenthaltserlaubnis auch befristet bei kurzfristigem Aufenthalt erteilt werde. Ebenso hat
der EuGHMR mit Urteil vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00 (DStR 2006, 1404,
BFH/NV 2006, Beilage 3, 357) entschieden, dass der Ausschluss von im Inland
lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vom deutschen Kindergeld gegen
das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.
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bb) Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in seinem o. a. Beschluss vom 6. Juli 2004 eine
Frist bis zum 1. Januar 2006 gesetzt, die verfassungswidrige Norm durch eine
Neuregelung zu ersetzen. Andernfalls sollte auf alle noch nicht rechts- oder
bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende
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Recht anzuwenden sein, d.h., das BKGG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung
des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I 1990, 1354). Nach dieser Regelung
haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der BRD aufhalten, einen
Kindergeldanspruch, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit
nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem
gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.
cc) Vor diesem Hintergrund teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des III.
Senats des BFH, der sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die
Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG über die rückwirkende
Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005
verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (BFH-
Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).
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aaa) Die Anordnung einer derartigen Rückwirkung auch auf Altfälle ist weder
verfassungsgemäß noch entspricht sie dem Grundsatz der gegenseitigen Achtung von
Verfassungsorganen. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 6.
Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage
2, 114) einen klaren, bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag erteilt und die
Nichterfüllung dieses Auftrags mit der Anordnung der Anwendbarkeit des bis zum 31.
Dezember 1993 gültigen Rechts sanktioniert. Daraus ergibt sich, dass sämtliche offenen
Altfälle ab Januar 2006 entscheidungsreif waren, da der Gesetzgeber den
verfassungsgerichtlichen Regelungsauftrag ignoriert hat. In einer Vielzahl der offenen
Fälle hätte deshalb das Kindergeld auf der Grundlage des bis 1993 gültigen Rechts
gewährt werden müssen, wenn die Gerichte dem verfassungsrechtlichen
Beschleunigungsgebot entsprochen hätten. Der erkennende Senat hat - wie viele
andere Finanzgerichte und der BFH - von einer Entscheidung der Fälle nur deshalb
abgesehen, weil die beklagte Behörde immer wieder um ein Zuwarten mit der
Entscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Neuregelung gebeten hatte. Wenn der
Gesetzgeber es in einer solchen Situation in der Hand hätte, durch eine rückwirkende
Anwendungsregelung eines verspätet erlassenen Gesetzes den klaren
Sanktionsausspruch des Verfassungsgerichts zu umgehen, hätte dies zur Konsequenz,
dass Kindergeld in allen Fällen hätte gewährt werden müssen, in denen die Gerichte
sogleich unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes entschieden hätten, während
es in allen anderen Fällen, in denen die Gerichte im Vertrauen auf die zu erwartende
Neuregelung gewartet hätten, nicht zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche
Behandlung gleicher Tatbestände hält der erkennende Senat für verfassungsrechtlich
nicht hinnehmbar.
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bbb) Darüber hinaus hält der erkennende Senat auch die Neuregelung selbst für nicht
verfassungsgemäß. Insoweit wird Bezug genommen auf die zur Veröffentlichung
bestimmten Vorlagebeschlüsse betreffend das Kindergeld für die Monate ab Januar
2005 in den Sachen 10 K 1689/07 und 10 K 1690/07 vom heutigen Tage.
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ccc) Die rückwirkende Anwendung der Neuregelung ist auch nicht aufgrund der
Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäß Art. 100 GG geboten. Ein unterinstanzliches
Gericht kann einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm in eigener Zuständigkeit die
Anwendung versagen, wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer
vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R
35/04, BStBl II 2005, 26; Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04,
EFG 2006, 751). Dies muss auch gelten, wenn der Gesetzgeber eine
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verfassungsgerichtliche Regelungsfrist dadurch umgeht, dass er den
Anwendungsbereich einer Neuregelung auf bereits abgeschlossene Sachverhalte
vorverlagert.
2. Aus diesem Grund richtet sich die Kindergeldberechtigung der Klägerin im Streitfall
für die Monate bis einschließlich September 2001 nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des
JStG 1996. Nach dieser Vorschrift hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld
davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder
Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29
AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56
AuslG 1990) reichte nicht aus. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Vorschrift allerdings
einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der
Kindergeldberechtigung für nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf
unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1
Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten (Anschluss an das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).
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a) Die Erwägungen, aus denen das BVerfG § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG i. d. F. des 1.
SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den wegen der
Anknüpfung an den Aufenthaltstitel Ausländer vom Kindergeld ausgeschlossen wurden,
die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, für verfassungswidrig erklärt hat
(Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160,
BFH/NV 2005, Beilage 2, 114; s.o. 1. c aa), treffen wegen der Identität der
Tatbestandsmerkmale in gleicher Weise auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i. d. F. des JStG
1996 zu (ebenso die Gesetzesbegründung der Neuregelung vom 13. Dezember 2006,
BT-Drucks. 16/1368, S. 8; ferner BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).
Deshalb ist es unerheblich, dass die Regelung aufgrund der Systemänderung durch das
JStG 1996 nunmehr in § 62 EStG eingebettet wurde. § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG
1996 verstößt ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG wie § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der
Fassung vom 21. Dezember 1993. Aus diesem Grund ist § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des
JStG 1996 entsprechend dem Entscheidungsausspruch des BVerfG entgegen seinem
Wohnort einschränkend dahin auszulegen, dass ausländischen Eltern, die sich ohne
den erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten, Kindergeld zu gewähren
ist, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben
werden können, dies allerdings frühestens für die Zeit nach einem gestatteten oder
geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr (so bereits Niedersächsisches
FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).
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b) Wie bereits das Niedersächsische FG a.a.O. ist auch der erkennende Senat der
Auffassung, keine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG darüber
einzuholen zu müssen, ob die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen Art. 3 Abs.
1 GG verstößt. Denn wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer
vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (im Streitfall zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG),
kann das unterinstanzliche Gericht diese Entscheidung in eigener
Entscheidungszuständigkeit auf die andere Rechtsnorm übertragen (vgl. BFH-Urteil
vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26).
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3. Danach war das Kindergeld im Streitfall wie beantragt zu gewähren, weil die
Klägerin, die sich seit 1993 bis auf den heutigen Tag ununterbrochen in der BRD
aufhält, unstreitig jedenfalls faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden
konnte und ihr Aufenthalt im Jahr 1997 bereits über mehrere Jahre andauerte. Für
26
Monate vor dem 1.7.1997 ist der Kindergeldanspruch verjährt.
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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IV. Die Revision wird sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung als auch wegen
Abweichung von dem BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (a.a.O.) zugelassen.
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