Urteil des FG Köln vom 09.08.2007

FG Köln: abgabe, steuererklärung, verlustabzug, steuerfestsetzung, rechtssicherheit, einkünfte, unterlassen, einspruch, verlustvortrag, auskunft

Finanzgericht Köln, 10 K 3347/04
Datum:
09.08.2007
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 3347/04
Tenor:
Die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 noch aufgrund eines im Dezember 2003
gestellten Antrags möglich war.
2
Der ledige Kläger absolvierte im Jahre 1998 eine Ausbildung zum Piloten. Einkünfte
erzielte er in 1998 nicht; eine Einkommensteuererklärung bzw. einen Antrag auf
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gab er zunächst ebenfalls nicht ab.
Erstmals für das Jahr 1999 wurde der Kläger zur Einkommensteuer veranlagt.
3
Nachdem der VI. Senat des BFH mit Urteilen vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202,
314, BStBl II 2004, 884 und vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl
II 2003, 403 u. a. für einen Piloten entschieden hatte, dass auch bei einer erstmaligen
Berufsausbildung vorab entstandene Werbungskosten vorliegen können, beantragte der
Kläger mit einem am 6. Dezember 2003 eingegangenen Erklärungsformular die
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 aufgrund der
ihm vorab entstandenen Aufwendungen für seine Piloten-Ausbildung (zunächst rd.
16.000 DM Fahrtkosten sowie 90.000 DM sonstige Kosten). Der Beklagte lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 2. März 2004 unter Hinweis auf den Ablauf der Antragsfrist ab.
4
Mit seinem Einspruch berief sich der Kläger auf das BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R
26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681). Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur
Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2004 aus:
Nach Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr könnten erstmals
geltend gemachte Verluste auch nicht gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 berücksichtigt
werden.
5
Der Kläger trägt vor, die Verlustfeststellung unterliege lediglich der Festsetzungsfrist
gemäß § 169 AO 1977. Diese ende zwar am 31. Dezember 2002, nachdem BFH-Urteil
vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 könne die Verlustfeststellung gemäß § 181 Abs. 5 AO
1977 jedoch auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen, wenn die
Verlustfeststellung von mittelbarer oder unmittelbarer Bedeutung für die Folgejahre sei.
Davon sei auch im Streitfall auszugehen, weil eine Berücksichtigung des Verlusts im
Jahr 2001 noch möglich gewesen sei. Darüber hinaus sei die begehrte
Verlustfeststellung auch für künftige Jahre von Bedeutung, da er die Verluste in
Folgejahren mit positiven Einkünften aus seiner Piloten-Tätigkeit verrechnen wolle.
Durch die Technik der separaten Feststellung vom Besteuerungsgrundlagen dürften ihm
als Steuerpflichtigen keine Nachteile entstehen. Deshalb könne es nicht von Bedeutung
sein, dass der Verlust nicht zuvor im Rahmen einer Veranlagung zur Einkommensteuer
ermittelt worden sei. Es könne von einem Steuerpflichtigen, der in einem
Veranlagungszeitraum nur Verluste erzielt habe, nicht verlangt werden, gleichwohl eine
Steuerfestsetzung zu betreiben, obwohl diese rechtlich für ihn ohne Bedeutung sei. Die
BFH-Urteile vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und
vom 9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817) seien im Streitfall nicht
einschlägig. Denn sie hätten Fälle betroffen, in denen der Verlust jedenfalls teilweise
durch das zu versteuernde Einkommen verbraucht worden sei und dadurch zu einer
Steuerfestsetzung auf 0 DM geführt habe. Danach sei der vom Beklagten der Höhe nach
nicht bestrittene Verlust antragsgemäß festzustellen. Ergänzend erklärt der Kläger in der
mündlichen Verhandlung, das bei der Berechnung der zu berücksichtigenden Kosten
ein Fehler unterlaufen und insgesamt nur 99.230 DM zu berücksichtigen seien.
6
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung
vom 2. März 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2004 zu verpflichten,
die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 in Höhe
von 99.230 DM durchzuführen, hilfsweise die Zulassung der Revision (v.u.g.).
7
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
8
Der Beklagte hält die Ansicht des Kläger für unzutreffend, weil andernfalls eine
Verlustfeststellung faktisch ohne jegliche zeitliche Begrenzung vorgenommen werden
könne. Dadurch werde das Prinzip der Rechtssicherheit ausgehöhlt. Der Kläger habe
nur deshalb nachträglich die Verlustfeststellung beantragt, weil der VI. Senat seine
Rechtsprechung geändert habe. Würde die Ansicht des Klägers zutreffen, ergebe sich
für ihn ein nicht zu rechtfertigender Vorteil gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen, die
auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung bereits zur Einkommensteuer veranlagt
worden seien.
9
Entscheidungsgründe
10
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Feststellung
des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 zu Recht abgelehnt, weil
insoweit mit Ablauf des Jahres 2002 Feststellungsverjährung eingetreten war.
11
1. Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1998 geltenden Fassung ist
der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug i.S. des § 10d
Abs. 3 Satz 2 EStG gesondert festzustellen.
12
2. Im Streitfall konnte jedoch keine Feststellung des auf den 31. Dezember 1998
verbleibenden Verlustabzugs mehr erfolgen, weil der Antrag auf Verlustfeststellung erst
im Dezember 2003 und damit nach Ablauf der Feststellungsfrist zum 31. Dezember
2002 gestellt worden ist.
13
a) Die Feststellungsfrist für die im Jahr 1998 entstandenen Verluste, die weder
ausgeglichen noch gemäß § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen werden konnten, beträgt
nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 ff. AO 1977 vier Jahre. Die Feststellungsfrist
beginnt gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich mit
Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verlust entstanden ist. Abweichend hiervon
beginnt die Feststellungsfrist jedoch nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in den
Fällen, in denen aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine Steuererklärung einzureichen ist,
mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird,
spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt,
in dem die Steuer entstanden ist. Steuererklärung i.S. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist
gemäß § 181 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die Erklärung zur gesonderten Feststellung.
14
b) Im Streitfall bestand keine Verpflichtung zur Abgabe einer entsprechenden
Feststellungserklärung, sodass die Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 nicht
eingreifen konnte. Denn eine Pflicht zur Abgabe einer Erklärung betreffend die
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ergibt sich weder aus § 181 Abs. 2 AO
1977 noch aus den §§ 25, 46 EStG noch aus § 56 EStDV. So sieht auch § 56 Satz 2
EStDV die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nur dann vor, wenn - anders
als im Streitfall - zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein
verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist. Auch ist der Kläger im Streitfall nicht
zur Abgabe einer solchen Erklärung aufgefordert wurden (vgl. BFH-Urteil vom 13.
Oktober 1998 VIII R 35/95, BFH/NV 1999, 445). Die Feststellungsfrist begann daher mit
Ablauf des Kalenderjahres 1998, in welchem der Verlust entstanden ist.
15
c) Die eingetretene Feststellungsverjährung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des
§ 181 Abs. 5 AO 1977 bedeutungslos.
16
aa) Nach dieser Vorschrift kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für
sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für
eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der
gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist.
17
bb) Vor dem Hintergrund der BFH-Rechtsprechung in den Urteilen vom 1. März 2006 XI
R 33/04 (BFHE 212, 497, BFH/NV 2006, 1204) und vom 2. August 2006 XI R 65/05
(BFH/NV 2006, 2345) hat der Gesetzgeber jedoch § 10d Abs. 4 EStG durch das
Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 um einen Satz 6 ergänzt. Danach
endet die Feststellungsfrist nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den
Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende
Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Abs. 5 AO 1977 ist nur anzuwenden,
wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig
unterlassen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine klärende Einschränkung des § 181
Abs. 5 AO 1977 dahin vorgenommen, dass der Ablauf der Feststellungsfrist nur dann
unbeachtlich sein soll, wenn ein pflichtwidriges Unterlassen der Finanzbehörde vorliegt.
Für eine solche pflichtwidrig unterlassene Verlustfeststellung innerhalb der
Feststellungsfrist bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte, weil der Kläger dem
Beklagten die Verlustentstehung erst im Dezember 2003 unterbreitet hat (vgl.
18
Niedersächsisches FG, Urteil vom 4. Januar 2007 16 K 354/05).
cc) Etwas anderes würde sich auch dann nicht ergeben, wenn man die Vorschrift des §
10d Abs. 4 Satz 6 EStG im Streitfall wegen des bereits eingetretenen Ablaufs der
Feststellungsfrist nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG nicht für anwendbar hielte.
19
aaa) Zwar ist die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31.
Dezember 1998 von Bedeutung i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 (vgl. dazu BFH-Urteil
vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) für die - nach nicht
bestrittener telefonischer Auskunft des Beklagten allerdings bestandskräftige -
Festsetzung der Einkommensteuer des Jahres 1999 und möglicherweise auch für die
ebenfalls bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der folgenden Jahre. Der
Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung macht jedoch eine einschränkende
Auslegung des Wortlauts erforderlich, wenn das FA nicht - etwa durch Abgabe einer
entsprechenden Erklärung - innerhalb der Feststellungsfrist Kenntnis von einem
verbleibenden Verlustabzug erhält (a.A. FG Düsseldorf, Urteil v. 22. Mai 2007 3 K
1200/04 F, EFG 2007, 1220). Denn nur bei entsprechender Kenntnis des FA vom
Verlust kann mit dem BFH von einer amtswegigen Pflicht zur Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs gesprochen werden. Anders als in den vom BFH mit
Urteilen vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) und vom 6.
Juli 2005 XI R 27/04 (BFH/NV 2006, 16) entschiedenen Fällen hatte der Beklagte
jedoch im Streitfall innerhalb der Feststellungsfrist gerade keine Kenntnis von dem
entstandenen Verlust, während in den angeführten Entscheidungen für das jeweilige
Verlustentstehungsjahr innerhalb der Festsetzungsfrist Veranlagungen zur
Einkommensteuer durchgeführt worden waren; in diesen Fällen sollte der
Steuerpflichtige vor dem Hintergrund der amtswegigen Verpflichtung der
Finanzbehörden zur Verlustfeststellung gemäß § 10d Abs. 3 bzw. 4 EStG nicht von den
Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung getroffen werden. Da eine solche
pflichtwidrige Unterlassung im Streitfall jedoch nicht erkennbar ist, ist dieser entgegen
der Ansicht des Klägers nicht mit den Sachverhalten der genannten Urteile vergleichbar.
20
bbb) Wäre die Ansicht des Klägers zutreffend, könnte eine Verlustfeststellung faktisch
ohne jegliche zeitliche Begrenzung vorgenommen werden. Denn es sind durchaus
Sachverhaltskonstellationen denkbar, wo sich der Verlust nicht bereits in dem auf das
Verlustentstehungsjahr folgenden Jahr auswirkt, sondern u. U. erst viele Jahre später,
wenn in den auf das Verlustentstehungsjahr unmittelbar folgenden Jahren keine
entsprechenden positiven Einkünfte erzielt werden. In einem solchen Fall müsste dann
im Rahmen des Feststellungsverfahrens über die tatsächlichen Voraussetzungen eines
bereits vor vielen Jahren entstandenen Verlusts entschieden werden. Dies ist
unpraktikabel und würde die notwendige Rechtssicherheit erheblich einschränken, was
der erkennende Senat für nicht hinnehmbar hält.
21
Ferner ergäbe sich in Fällen wie dem Streitfall ein nicht zu rechtfertigender Vorteil
gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen, die auf der Grundlage früherer
Rechtsprechung im Verlustentstehungsjahr bereits zur Einkommensteuer veranlagt
worden sind. So hat der BFH in dem vom Kläger angeführten Urteil vom 12. Juni 2002
XI R 26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) ausdrücklich ausgeführt, dass durch die
verfahrensmäßige Verselbständigung der Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs dem Steuerpflichtigen zwar keine Nachteile, aber auch keine Vorteile
entstehen dürfen. Diesen Gedanken entnimmt der erkennende Senat auch den BFH-
Urteilen vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und vom
22
9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817), auch wenn die diesen
Entscheidungen zugrunde liegenden Fälle mit dem Streitfall ebenfalls nicht vergleichbar
sind, weil es dort um einen Antrag auf Verlustfeststellung für ein Verlustentstehungsjahr
ging, welches bereits bestandskräftig veranlagt war. Für diese Fälle hat der BFH die
beantragte Verlustfeststellung abgelehnt, weil der jeweils bereits bestandskräftige
Steuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr nicht mehr geändert werden konnte.
ccc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den BFH-Urteilen vom 2. August 2006 XI
R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) und vom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFHE 212, 497,
BFH/NV 2006, 1204). So ist das BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI R 65/05 (BFH/NV
2006, 2345) vorliegend deshalb nicht einschlägig, weil dort anders als im Streitfall für
die dem Streitjahr vorangegangenen Zeiträume erhebliche, noch zu verrechnende
Verluste festgestellt worden waren. Das BFH-Urteil vom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFHE
212, 497, BFH/NV 2006, 1204) ist mit dem Streitfall schon deshalb nicht vergleichbar,
weil dort die Verlustfeststellung für das Jahr 1998 noch im Jahr 2002, also noch
innerhalb der Feststellungsfrist beantragt worden war.
23
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
24
4. Der Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und der
Senat mit seiner Entscheidung möglicherweise vom BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI
R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) abweicht.
25