Urteil des FG Köln vom 11.06.2008
FG Köln: einspruch, grundstück, klagefrist, ermessen, datum, zukunft, rechtsschutz, aussetzung, vollziehung, beschränkung
Finanzgericht Köln, 4 K 3560/07
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 3560/07
Rechtskraft:
Bundesfinanzhof: VIII B 139/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, auf einen Antrag des
Klägers auf "schlichte" Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung
(AO), den Feststellungsbescheid 2000 vom 22.02.2007 zu ändern.
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Der Kläger, der in C wohnt, betrieb im Streitjahr bis zur Einstellung seiner freiberuflichen
Tätigkeit am 31.12.2003 ein Konstruktionsbüro in gemieteten Räumen in A. Für das
Streitjahr wurde er mit Feststellungsbescheid vom 17.09.2002 unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung veranlagt. In der Gewinnermittlung 2000 erklärte der Kläger aus dem
Verkauf des Objektes F, B-Straße, einen Veräußerungsverlust in Höhe von ... DM und
verbuchte einen entsprechenden Abgang des Grundstücks im Anlagevermögen.
Aufgrund Prüfungsanordnung vom 24.03.2005 führte das Finanzamt ... eine
Betriebsprüfung für das Ingenieurbüro des Klägers für die Jahre 2000 bis 2002 durch,
die zunächst mit Prüfungsbericht vom 15.06.2005 endete. Mit Datum vom 02.01.2006
erließ der Beklagte nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Feststellungsbescheide für die
Jahre 2000 bis 2002, wobei er für das Jahr 2000 einen Gewinn in Höhe von ... DM
feststellte. Darin enthalten war ein Erlös aus der Veräußerung des – zwangsverwalteten
- Grundstücks F, B-Straße in Höhe von ... DM (60 % - Anteil der betrieblichen Nutzung -
des gesamten Erlöses in Höhe von ... DM). Gegen diese Gewinnfeststellungsbescheide
legte der Kläger mit Schreiben vom 03.01.2006 Einsprüche ein und begehrte für das
Streitjahr 2000 insbesondere die Nichterfassung des Veräußerungsgewinns mit der
Begründung, dass dieses Grundstück bereits vor 1997 entnommen worden sei, indem
der Kläger das Grundstück in der erstmals von ihm selbst erstellten Bilanz und
Gewinnermittlung 1997 nicht mehr aufgeführt habe. Den Einsprüchen hinsichtlich der
gesonderten Gewinnfestsstellungen der Jahre 2001 und 2002 gab der Beklagte mit
Abhilfebescheiden vom 22.02.2007 in vollem Umfang statt. Hinsichtlich des
Gewinnfeststellungsbescheides 2000 gab der Beklagte mit Einspruchsentscheidung
vom 22.02.2007, in der er auch den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob, nur teilweise
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statt; insbesondere behielt er die grundsätzliche Erfassung des Veräußerungsgewinns
bei, änderte allerdings die zugrunde liegende Berechnung, so dass er einen geänderten
Gewinn in Höhe von ... DM unter Berücksichtigung eines darin enthaltenen
Veräußerungsgewinnes aus dem Verkauf des Grundstücks in Höhe von ... DM
feststellte. Zur Begründung führte er aus, dass eine eindeutige Entnahmeerklärung nicht
vorliege.
Mit Schreiben vom 15.03.2007, beim Beklagten eingegangen am 16.03.2007 - also
noch innerhalb der laufenden Klagefrist -, stellte der Kläger einen Änderungsantrag
nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO und begehrte erneut die vollständige Nichterfassung
des Veräußerungsgewinns, hilfsweise einen zu erfassenden Veräußerungsvorgang als
steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung nach §§ 16, 34 EStG zu behandeln. Diesen
Antrag lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 20.03.2007 ab und stellte dem Kläger
anheim, Klage zu erheben. Zur Begründung verwies er bezüglich der begehrten
vollständigen Nichterfassung auf die Einspruchsentscheidung vom 22.02.2007.
Bezüglich des Antrages, die Veräußerung des Grundstücks als steuerbegünstigte
Teilbetriebsveräußerung i.S.v. §§ 16, 34 EStG zu erfassen, war er der Ansicht, dass es
sich nicht um eine Veräußerung, sondern lediglich eine Verlegung des Betriebes
handele. Gegen diese Ablehnung der Änderung nach § 172 AO legte der Kläger am
20.04.2007 Einspruch ein, den er am 19.06.2007 begründete. Das Finanzamt wies den
Einspruch vom 20.04.2007 mit Einspruchsentscheidung vom 17.08.2007 als
unbegründet zurück. Gegen diese Einspruchsentscheidung wendet sich der Kläger mit
der vorliegenden Klage.
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Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dass ein Veräußerungsgewinn aus dem –
zwangsverwalteten - Grundstück F, B-Straße vollständig nicht zu erfassen sei.
Hilfsweise trägt er vor, für den Fall dass ein Veräußerungsgewinn zu erfassen sein
sollte, sei dieser als steuerbegünstigte Veräußerung, wenigstens
Teilbetriebsveräußerung, nach §§ 16, 34 EStG zu behandeln.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.08.2007 und des
Ablehnungsbescheids vom 20.03.2007 das beklagte Finanzamt zu
verpflichten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns
2000 vom 22.02.2007 dergestalt zu ändern, dass kein Veräußerungsgewinn
aus der Veräußerung des Grundstücks F, B-Str. berücksichtigt wird,
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hilfsweise, dass der Veräußerungsgewinn in Höhe von ... DM als
tarifbegünstigt i.S.d. §§ 16, 34 EStG ausgewiesen wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger nichts Neues vorgetragen habe, was nicht
bereits Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die gesonderte
Gewinnfeststellung 2000 gewesen sei. Dort sei die Nichtberücksichtigung des
Veräußerungsgewinns mit ausführlicher und weiterhin zutreffender Begründung
abgelehnt worden. Ein nach Ergehen der Einspruchsentscheidung, aber vor Ablauf der
Klagefrist gestellter Antrag auf schlichte Änderung eröffne aber keinen neuen
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Rechtsweg mit dem Ziel einer erneuten umfassend wiederholenden sachlichen
Überprüfung der im Einspruchsverfahren streitigen Punkte. Unabhänging davon sei der
Veräußerungsgewinn weiterhin aus den mehrfach dargelegten Gründen zu erfassen.
Eine Tarifbegünstigung komme auch nicht in Betracht, da der Kläger den Betrieb in A
fortgeführt und nur ein Grundstück, nicht aber etwa den Betrieb (vollständig) veräußert
habe, so dass es sich lediglich um eine Betriebsverlegung handele.
Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der ablehnende Bescheid ist rechtmässig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 101 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheides 2000.
Gegenstand des Klageverfahrens ist allein die Frage, ob die Ablehnung des
Änderungsantrages ermessensfehlerhaft war. Das beklagte Finanzamt hat mit der
Ablehnung der Änderung die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens
aber nicht überschritten und von seinem Ermessen auch nicht in einer dem Zweck der
Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht.
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Zutreffend gehen beide Beteilgte davon aus, dass als Berichtigungsvorschrift für die
vom Kläger begehrte Änderung nur § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO in Betracht kommt. Die
Voraussetzungen für eine Änderung nach dieser Vorschrift sind jedoch nicht erfüllt.
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Zwar ist durch § 172 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO klargestellt worden, dass
Einspruchsentscheidungen auch nach ihrer Bekanntgabe grundsätzlich aufgrund eines
"schlichten" Antrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO zugunsten des
Steuerpflichtigen geändert werden können, wenn ein solcher Antrag vor Ablauf der
Klagefrist gestellt wird. Es bleibt aber dabei, dass auch dann – wie auch sonst - der
Antrag auf schlichte Änderung nicht zur Gesamtaufrollung des Falles führt. Die
Tatbestände des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind durch ein "soweit" begrenzt. Auf der
anderen Seite kann die bloße Zustimmung und die Antragstellung durch den
Steuerpflichtigen genauso wenig ohne weiteres zur Überprüfung der materiell-
rechtlichen Bewertung des Finanzamts führen. Eine Ablehnung des Änderungsantrages
eröffnet dem Steuerpflichtigen damit keinen neuen Rechtsweg zur sachlichen
Überprüfung der vorgebrachten Streitpunkte (vgl. z.B. FG München v. 21.03.1995 1 K
3248/94, EFG 1995, 787; ebenso FG Köln v. 14.11.1991 5 K 1078/90, EFG 1992, 246
"kein zweites allumfassendes Rechtsbehelfsverfahren").
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Gegenstand des Verfahrens kann vielmehr nur die Frage sein, ob das Finanzamt von
dem ihm in der Vorschrift eingeräumte Ermessen sachgerechten Gebrauch gemacht hat,
ob also der schlichte Änderungsantrag bei Würdigung der Umstände des Falles ganz
oder teilweise abgelehnt werden durfte. Insoweit ist es ganz allgemein aber nicht
(ermessens-)fehlerhaft, wenn das Finanzamt einen Steuerpflichtigen, der sachliche
Einwendungen gegen Streitpunkte erhebt, über die in einer Einspruchsentscheidung
entschieden worden ist, auf eine dort geäußerte Rechtsauffassung und die dortige
Rechtsbehelfsbelehrung verweist.
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Dies gilt für den Streitfall jedenfalls hinsichtlich der wiederholt begehrten vollständigen
Nichterfassung des Veräußerungsgewinns, da sich das Finanzamt hiermit bereits in
dem ersten Einspruchsverfahren beschäftigt hat und Übereinstimmung nicht hergestellt
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werden konnte. Aber auch hinsichtlich der nunmehr erstmals begehrten Erfassung des
Veräußerungsgewinns als - teilweise oder vollständig - tarifbegünstigt nach §§ 16, 34
EStG kann nichts anderes gelten. Denn erstens musste sich der Beklagte bei der
erstmaligen Erfassung eines Veräußerungsgewinns auch mit der Frage befassen, ob
dieser begünstigt war und zweitens wurde in dem Ablehnungsbescheid vom 20.03.2007
bereits eine tragfähige, jedenfalls vertretbare Begründung hinsichtlich dieses Punktes
gegeben, die damit auch von dem durch den Wortlaut der Vorschrift des § 172 Abs. 1 S.
1 Nr. 2a AO ("kann") eröffneten Ermessenspielraum umfasst ist. Damit ist jedenfalls das
materiell-rechtliche Änderungsbedürfnis streitig und lag nicht offenkundig vor.
Zudem ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es dem Kläger unbenommen
war – wie vom Beklagten im Ablehnungsbescheid vom 20.03.2007 ausdrücklich
anheimgestellt – , rechtzeitig Klage gegen die erste Einspruchsentscheidung zu
erheben. Diese hätte noch bis zum 25.03.2007 fristgerecht erhoben werden können.
Angesichts der geäußerten Rechtsauffassung des Beklagten im Ablehnungsbescheid
wäre dies auch der sicherste und vom Gesetz für Streitfälle vorgesehene Weg gewesen,
um Rechtsschutz zu erlangen. Wählt der Steuerpflichtige stattdessen den Einspruch
gegen den Ablehnungsbescheid – wohlmöglich aus Kostengründen – und geht damit
gleichzeitig das Risiko ein, dass die Änderung von der Finanzbehörde nicht seinem
Begehren entsprechend vorgenommen wird und er sich dann in der Folge gegen den
Bescheid mit einem Rechtsbehelf nicht mehr wenden kann, geht dies zu seinen Lasten
(vgl. insoweit auch Klein, § 172 AO Rn. 40 letzter Absatz sowie 69).
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Der Gesetzgeber hat einen solchen "schlichten Antrag" zugelassen, weil er sich davon
versprach, es werde "in Zukunft in vielen Fällen auf die Durchführung eines förmlichen
Rechtsbehelfsverfahrens verzichtet" werden (2. Berichts des Finanzausschusses,
Bundestagsdrucksache – BT-DruckS. 10/4513, 16; ebenso wohl auch BFH vom
27.09.1994 VIII R 36/89 BStBl II 1995, 353, 356). Tatsächlich hat sich diese Erwartung
in der Folgezeit nicht erfüllt. Die Steuerpflichtigen und ihre Berater stellen kaum
"schlichte Anträge" im Sinne des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO. Das ist verständlich,
weil jeder steuerlich kundige Berater weiß, dass der "schlichte Antrag" gegenüber dem
Einspruch keinerlei Vorteile, allenfalls Nachteile und Risiken hat: Die Änderung des
Bescheids aufgrund des "schlichten Antrags" steht im Ermessen der Finanzbehörde.
Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) ist aufgrund des "schlichten Antrags"
nicht möglich, allenfalls Stundung. Auf den "schlichten Antrag" wird die Sache nicht in
vollem Umfang erneut überprüft, sondern nur der Antrag selbst. Das Verfahren über den
"schlichten Antrag" ist kein Vorverfahren, dass den Finanzrechtsweg eröffnet (§ 44 Abs.
1 FGO). Der Antrag verhindert also nicht, dass der Bescheid mit Ablauf der
Einspruchsfrist unanfechtbar wird. Der einzige Vorteil bei einem Antrag nach Ergehen
der Einspruchsentscheidung besteht darin, dass er kostenlos ist im Gegensatz zur
Klageerhebung, die nach neuerem Kostenrecht auf jeden Fall kostenpflichtig ist.
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Mit anderen Worten: Die Beschränkung auf einen derartigen "schlichten Antrag" kann
nur riskiert werden, wenn der Steuerpflichtige – ggfs. nach vorheriger Absprache mit
dem Finanzamt – sicher sein kann, dass die vom Finanzamt zu treffende
Ermessensentscheidung nur im Sinne seines Antrags ausfallen kann. Das kann in
Schätzungsfällen so sein, wenn eine Erklärung mit sämtlichen hieb- und stichfesten
Unterlagen dazu eingereicht wird. Das kann genauso der Fall sein, wenn der Anspruch
abgelehnt worden war aufgrund eines ganz bestimmten und schon vorher bezeichneten
Nachweises, der jetzt nachgeliefert wird. Das ist aber natürlich nicht der Fall, wenn wie
im Streitfall die Berücksichtigung eines Veräußerungsvorgangs zwischen den
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Beteiligten in einem umfassenden Einspruchsverfahren streitig war. Das Finanzamt hat
seine Auffassung im vorliegenden Fall auch nicht nur einfach behauptet, sondern in der
den Einspruch in der Sache zurückweisenden Entscheidung vom 22.02.2007
ausführlichst begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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