Urteil des FG Köln vom 19.12.2006
FG Köln: körperliche integrität, tatsächliche sachherrschaft, lieferung, unternehmer, trennung, identifikationsnummer, klinik, abgrenzung, implantation, beratungsleistung
Finanzgericht Köln, 6 K 912/04
Datum:
19.12.2006
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 912/04
Tenor:
Unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 17.12.2003
und teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23.01.2004
wird die Umsatzsteuer 2002 auf ....€ festgesetzt.
Die bis zur mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten des
Verfahrens trägt die Klägerin zu 11,96 v.H., im Übrigen trägt der
Beklagte die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterle-
gung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden,
soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe
Si-cherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war
notwendig.
Tatbestand
1
Die Klägerin hat ihren Sitz in A.
2
Unternehmensgegenstand ist die Erforschung, Entwicklung, Produktion und
Vermarktung von Technologien zur Diagnose und Therapie von Erkrankungen des
Knorpels, der Knochen, des Bindegewebes und der Haut. In diesem Rahmen vertreibt
sie u.a. in Europa und Australien ein Produkt zur Knorpelwiederherstellung namens X
("..."). Hierbei wird dem Patienten mittels Biopsie gesundes Knorpelmaterial durch einen
unabhängigen orthopädischen Chirugen entnommen. Dieses Biopsat wird der Klägerin
übersandt, die dieses dann in ihrem Labor bearbeitet, bis die Gelenkknorpelzellen
(Chondrozyten) herauslösbar sind und nach spezieller Aufbereitung in der Umgebung
ihres eigenen Blutserums in der nötigen Menge – in der Regel innerhalb von drei bis
vier Wochen – gezüchtet werden. Die gezüchteten Zellen werden dann im Labor in eine
Kollagen-Membran eingebracht, sodass eine Art "Knorpelpflaster" entsteht, und der
behandelnden Klinik oder dem Arzt zur Implantation beim Patienten wieder übersandt.
3
Daneben beschränkt sich die Klägerin auch auf die Züchtung der Knorpelzellen ohne
Einbringung in eine Membran, die sog. Autologe Knorpelzellen-Implantation (Y).
Auftraggeber der Klägerin sind je nach Vertragsgestaltung der Patient oder – in den
meisten Fällen – die behandelnde Klinik bzw. der jeweilige Arzt.
Der Beklagte führte bei der Klägerin für den Zeitraum 2000 bis viertes Quartal 2002 eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch.
4
Mit Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 17.12.2003 setzte der Beklagte, den
Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung im geänderten Prüfungsbericht vom
21.07.2003 folgend, die Umsatzsteuer erstmals auf ... € fest. Der Bescheid erging unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung. Hierbei behandelte er insbesondere die bislang von
der Klägerin als nicht steuerpflichtig beurteilten Umsätze aus der Zellkultivierung
gegenüber ausländischen Unternehmern (... €, Umsatzsteuer hieraus ... €) als steuerbar
und steuerpflichtig (vgl. Tz. 14). Es handele sich um eine nach § 3a Abs. 1
Umsatzsteuergesetz (UStG) am Unternehmenssitz der Klägerin in A erbrachte sonstige
Leistung. Denn es liege weder eine Katalogleistung gemäß § 3a Abs. 4 i.V.m. Abs. 3
UStG – insbesondere keine Beratungsleistung nach § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG – noch eine
Leistung in Gestalt von "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" im Sinne
des § 3a Abs. 2 Nr. 3 c UStG vor. Letzterem stehe entgegen, dass die Knorpelzellen
nicht losgelöst vom restlichen Körper als bewegliche körperliche Gegenstände
angesehen würden. Sie seien Teil des Körpers und lediglich zur Behandlung vom
Körper losgelöst. Die Einheitlichkeit des menschlichen Körpers werde durch die
kurzzeitige Entnahme nicht aufgehoben. Sofern abweichend hiervon die Knorpelzellen
als bewegliche körperliche Gegenstände zu qualifizieren seien, müsse eine Lieferung
angenommen werden, die mangels eines bislang nachgewiesenen
Befreiungstatbestandes steuerpflichtig sei.
5
In ihrem Einspruch vom 02.01.2004 vertrat die Klägerin die Auffassung, dass sich der
Ort der Leistung nach § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG bestimme. Denn es würden –
anknüpfend an die Kommentierung von Rau/Dürrwächter zu § 3a Anm. 88 – von ihr
Beratungsleistungen in Gestalt routinemäßiger Laborleistungen erbracht, da durch die
medizinisch-technischen Assistenten ein bestimmtes festgelegtes Verfahren angewandt
werde. Da die Leistungsempfänger ausschließlich ausländische Unternehmer gewesen
seien, befinde sich der Ort der Leistung im Ausland mit der Folge der Nicht-
Steuerbarkeit dieser Umsätze. Insoweit werde auch auf die umsatzsteuerliche
Behandlung in Dänemark sowie das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom
30.11.2000, 14 K 124/99 zur Abgrenzung zwischen wissenschaftlichen Leistungen und
wissenschaftlichen Beratungsleistungen verwiesen.
6
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.01.2004 als
unbegründet zurück. Ergänzend zu den Ausführungen im Prüfungsbericht führte er aus,
dass eine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG ausscheide, da eine Lieferung von
Körperbestandteilen anknüpfend an das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom
09.11.1993 (VI ZR 62/93, BGHZ 124, 52, NJW 1994, 127) nicht möglich sei. Eine
Beratungsleistung in Form einer Laborleistung liege ebenfalls nicht vor. So würden
keine Entscheidungshilfen für die Lösung konkreter technischer, wirtschaftlicher oder
rechtlicher Fragen zur Verfügung gestellt, da es sich um ein bereits bestehendes
Verfahren handele und die Entscheidung für die Behandlungsmethode unter
Einbeziehung der durch die Klägerin zu erbringenden Leistung schon im Vorfeld durch
den Patienten gefallen sei. Auch nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zur
7
Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien schieden Laborleistungen aus.
Mit ihrer Klage vom 18.03.2004 verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren zunächst
mit der ursprünglichen Begründung fort. Im Anschluss an einen Erörterungstermin vertritt
sie nunmehr die Auffassung, dass sich der Ort der Leistung aufgrund von Arbeiten an
beweglichen körperlichen Gegenständen in Gestalt der zur Vermehrung entnommenen
Knorpelzellen nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 c UStG bestimme. In der überwiegenden
zivilrechtlichen Literatur würden – entgegen dem vom Beklagten in Bezug genommenen
BGH-Urteil – auch Körpersubstanzen, die dem Körper mit dem Ziel der späteren
Wiedereinfügung entnommen würden, mit der Entnahme als Sachen im Sinne des § 90
BGB angesehen. § 4 Nr. 17a UStG, der die unmittelbare Umsetzung einer
europarechtlichen Norm darstelle, sei zu entnehmen, dass Organe lieferbare
Gegenstände sein könnten. So dürften die nationalen Zivilrechtsordnungen mit ihren
unterschiedlichen Sachbegriffen die Interpretation des europarechtlich bestimmten
Umsatzsteuerrechts nicht beliebig beeinflussen. Der Organbegriff umfasse auch Teile
menschlicher Organe und Gewebe, wie die hier in Rede stehenden Knorpelzellen. Es
sei unbeachtlich, dass die Knorpelzellen hier nicht einem anderen Menschen zugeführt
würden. Denn das UStG sehe eine Differenzierung nach dem Empfänger der
entnommenen Körperbestandteile nicht vor. Eine Lieferung der Knorpelzellen sei zu
verneinen, da vorliegend der Leistungsanteil überwiege, der seinem wirtschaftlichen
Gehalt nach die von der Klägerin erbrachte Leistung als sonstige Leistung qualifiziere.
Es könnten aber notfalls die erforderlichen Beförderungs- bzw. Versendungsnachweise
vorgelegt werden. Eine stichprobenartige Überprüfung von Rechnungen der
umstrittenen Umsätze durch den Beklagten habe bestätigt, dass die Umsätze
ausnahmslos gegenüber Unternehmern erfolgt seien, die über eine gültige
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen EU-Mitgliedsstaates verfügten und
diese auch auf den Ausgangsrechnungen der Klägerin vermerkt sei. Hierzu hat die
Klägerin eine Liste des Kontos 8300 sowie beispielhaft einige ihrer diesbezüglichen
Ausgangsrechnungen vorgelegt. Die Ausgangsrechnungen weisen unter der Adresse
des im EU-Ausland ansässigen Leistungsempfängers – ausgenommen der
Rechnungen gegenüber der T in Großbritannien (Umsatz insgesamt ... €) – jeweils
dessen ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus. In der Liste, bestätigt
durch eine diesbezügliche Rechnung, sind zudem Umsätze von ... € gegenüber
Leistungsempfängern in Australien verzeichnet.
8
Nachdem die Klägerin zunächst eine Reduzierung der Umsatzsteuer um ... €, also
einschließlich der auf die Umsätze gegenüber den australischen und britischen
Empfängern entfallenden Umsatzsteuer, begehrt hat,
9
beantragt die Klägerin nunmehr,
10
unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 17.12.2003 und
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23.01.2004 die Umsatzsteuer
2002 auf ... € festzusetzen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Er wiederholt seinen bisherigen Vortrag aus dem Vorverfahren. Er stimmt im Übrigen
der Klägerin zu, dass die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG nicht vorliege. Eine
14
Leistungsortbestimmung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 c UStG stehe – abgesehen davon, dass
nach seiner Ansicht schon keine beweglichen körperlichen Gegenstände vorlägen –
entgegen, dass die Zellen nicht nur bearbeitet, sondern in ihrer Anzahl vermehrt worden
seien. Diese führe dann zur Annahme einer Lieferung, für die die Voraussetzungen
einer steuerbefreiten Ausfuhr oder innergemeinschaftlichen Lieferung zu überprüfen
wären.
Entscheidungsgründe
15
I. Die Klage ist begründet. Denn die vom Beklagten der Besteuerung unterworfenen
umstrittenen Umsätze gegenüber Leistungsempfängern in diversen EU-Staaten sind
in Deutschland bereits nicht umsatzsteuerbar, da sich der Leistungsort im EU-
Ausland befindet.
16
1. Bei den von der Klägerin erbrachten Umsätzen handelt es sich nicht um
Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG, sondern um sonstige Leistungen (§ 3
Abs. 9 Satz 1 UStG).
17
a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die der Unternehmer
oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen
Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen
(Verschaffung der Verfügungsmacht). Nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie zur
Harmonisierung der Umsatzsteuer (RL 77/388/EWG) gilt als Lieferung eines
Gegenstandes die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen
körperlichen Gegenstand zu verfügen.
18
b) Im Streitfall kann – hier losgelöst von der Frage, ob die Knorpelzellen überhaupt
körperliche Gegenstände im umsatzsteuerlichen Sinne darstellen – bereits nicht
angenommen werden, dass die Klägerin dem behandelnden Arzt bzw. der Klinik
oder dem Patienten die Verfügungsmacht an den ursprünglichen wie den
vervielfachten Zellen verschafft hat, d. h. ein Wechsel der tatsächlichen
Sachherrschaft stattgefunden hat. Hierzu müsste neben dem Übergang des
Substanzwertes zugleich der Wille des Leistenden zu dieser unbedingten und
endgültigen Übertragung bestehen. Da der behandelte Patient ein virulentes
Interesses daran hat, gerade seine körpereigenen Zellen nach der Vermehrung zu
erhalten, um Abstoßungsreaktionen seines Körpers nach der Implantation zu
vermeiden, ist bereits ausgeschlossen, dass dieser sich im Vorfeld des
Tätigwerdens der Klägerin seiner Position als Inhaber und Verfügungsberechtigter
über die entnommenen Zellen und damit zugleich hinsichtlich der vervielfachten
Zellen begeben hätte. Die Weitergabe der Knorpelzellen an die Klägerin erfolgte nur
zu dem Zwecke eine Vermehrung der Zellen herbeizuführen, mit der Verpflichtung
diese sodann zurückzusenden. Sie sollte gerade nicht mit den Zellen nach ihrem
Belieben verfahren können. So gehören – bei hier unterstellter Sacheigenschaft der
entnommenen Zellen – diese in entsprechender Anwendung des § 953 BGB auch
nach der Trennung dem Patienten, wobei sich diese Rechtsposition auch an den
durch Zellteilung entstandenen Knorpelzellen fortsetzt. Die Klägerin hatte insofern
nie eine eigentümerähnliche Stellung, die sie hätte übertragen können. Aus Sicht
der Beteiligten bedurfte es zudem zu der auf Vermehrung der Knorpelzellen
gerichteten Tätigkeit der Klägerin nicht einer vorherigen Aneignung durch die
Klägerin mit nachfolgender Übertragung der einem Eigentümer ähnlichen
Verfügungsmacht auf den Auftraggeber. Die Leistung der Klägerin war vielmehr
19
allein von dem Willen getragen, dem Patienten wieder seine (weiterhin) eigenen
Zellen zukommen zu lassen. Die Situation stellt sich insofern ähnlich wie bei einer
Reparaturleistung oder bei der Be- oder Verarbeitung von zur Verfügung gestellten
Stoffen dar, bei der der leistende Unternehmer auch weder die tatsächliche
Sachherrschaft an der zu reparierenden Sache oder den ihm vom Auftraggeber
überlassenen Stoffen erlangt, noch einen entsprechenden Übertragungswillen
aufweist.
2. Der Ort der von der Klägerin ausgeführten sonstigen Leistungen bestimmt sich
nach § 3a UStG.
20
a) Im Streitfall sind keine Beratungsleistungen im Sinne des § 3a Abs. 4 Nr. 3, Abs.
3 UStG anzunehmen. Denn dies würde voraussetzen, dass die Beratungsleistung
zu den Leistungen gehörte, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der in
Art. 9 Abs. 2 Buchst. e 3. Gedankenstrich der RL 77/388/EWG bzw. in § 3a Abs. 4
Nr. 3 UStG genannten Berufe erbracht würde (BFH-Urteil vom 5. Juni 2003 V R
25/02, BStBl II 2003, 734). Vorliegend kann aber nicht davon gesprochen werden,
dass eine beratende Tätigkeit im Sinne der Vermittlung von Informationen zur
Lösung konkreter Fragen und deren Auswertung den Schwerpunkt der Leistung der
Klägerin gebildet hätte. Die von der Klägerin zu erbringende Hauptleistung bestand
vielmehr in der Zellkultivierung und –vermehrung. Die möglicherweise zum Teil
erteilten Informationen zu Operationstechniken und Ähnlichem stellen sich insofern
nur als unselbständige Nebenleistungen dar. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich,
dass die Klägerin eine für eine Beratung charakteristische konkrete Lösungs- oder
Entscheidungshilfe für den Patienten oder behandelnden Arzt geliefert hätte, da die
Klägerin letztlich erst eingeschaltet worden sein dürfte, sobald die Entscheidung
zugunsten von Y bzw. X gefallen war. Die im Vorfeld laufenden Werbe- und
Informationsaktionen dienten insofern allein der besseren Vermarktung der von der
Klägerin angebotenen Leistung, ohne den Schwerpunkt der Leistung zu verändern.
21
b) Vorliegend sind Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen im Sinne
des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG zu bejahen, so dass die Leistung als in
dem Gebiet des anderen Mitgliedsstaates ausgeführt gilt, wenn der
Leistungsempfänger gegenüber dem leistenden Unternehmer eine ihm von einem
anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet (§ 3a
Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 2 UStG). Anderenfalls werden diese Leistungen dort
ausgeführt, wo der Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil
tätig wird.
22
aa. Der Begriff "Gegenstände” ist im UStG nicht definiert. Es verbietet sich ihn im
Sinne des bürgerlichen Rechts zu interpretieren. Denn das bürgerliche Recht
erfasst unter dem Oberbegriff "Gegenstand" Sachen, Rechte, Forderungen und
sonstige Werte, so dass die umsatzsteuerliche Trennung aller Leistungsvorgänge
in Lieferungen und sonstige Leistungen bei dann stets anzunehmender Lieferung
hinfällig würde. Unter Berücksichtigung umsatzsteuerlicher Kriterien ist
Gegenstand im Sinne des UStG und hier speziell auch des § 3a Abs. 2 Nr. 3
Buchst. c UStG jedoch grundsätzlich jeder körperliche Gegenstand, also Sache im
Sinne des § 90 BGB sowie Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsverkehr wie
23
körperliche Sachen behandelt werden. Der Verweis auf "bewegliche"
Gegenstände ist in Abgrenzung zu Grundstücken und deren Bestandteilen zu
verstehen (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, München § 3a Rz. 104). Als
körperlich werden feste, flüssige oder gasförmige Sachen bezeichnet, die im
Raum abgrenzbar sind.
24
Die hier zu beurteilenden Knorpelzellen sind unstreitig als körperlich und beweglich
in dem vorgenannten Sinne zu beurteilen. Problematisch erscheint allein die Frage
nach der Sacheigenschaft der Zellen, da es sich um Körperzellen handelt, die
einem lebenden Menschen entnommen worden sind und die ihm auch wieder zu
einem späteren Zeitpunkt implantiert werden sollen. Der Körper des lebenden
Menschen und seine ungetrennten Teile sind nach herrschender zivilrechtlicher
Meinung keine Sachen im Sinne des § 90 BGB, da sie insoweit dem Schutzgut
Körper unterfallen. Demgegenüber werden getrennte Körperteile wie Haare,
gespendetes Blut oder zur Transplantation entnommene Organe mit der Trennung
bewegliche Sachen im Rechtssinne. In seinem zu den §§ 823, 847 BGB
ergangenen Urteil vom 9. November 1993 (VI ZR 62/93, BGHZ 124, 52) hat der
BGH zum Ausdruck gebracht, dass dies jedoch nicht gelten soll, wenn der
entnommene Körperbestandteil nach dem Willen des Rechtsträgers zur Bewahrung
der Körperfunktionen oder zu ihrer Verwirklichung später wieder mit dem Körper
vereinigt, die Trennung der Körperteile vom Körper also nicht endgültig sein soll.
Dann führe eine Betrachtung, nach der § 823 Abs. 1 BGB die körperliche Integrität in
Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsträgers umfassend schützt, zu
dem Ergebnis, dass diese Bestandteile auch während ihrer Trennung vom Körper
aus Sicht des Schutzzweckes der Norm mit diesem weiterhin eine funktionale
Einheit bildeten. Damit erscheine es geboten, eine Beschädigung oder Vernichtung
solcher ausgegliederter Körperbestandteile als Körperverletzung im Sinne von
§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB zu werten. Das vorgenannte BGH-Urteil erscheint an
dem Ergebnis orientiert, nämlich dem dortigen Kläger aufgrund der tragischen
Umstände ein Schmerzensgeld zusprechen zu können. Dies hatte aber zur
Voraussetzung, dass eine Körperverletzung und nicht eine bloße
Eigentumsverletzung aufgrund Sachbeschädigung vorlag. Insofern ist es fraglich, ob
den dortigen Ausführungen des BGH eine allgemeine und insbesondere nicht nur
deliktsrechtliche, sondern auch sachenrechtliche Bedeutung über den
entschiedenen Fall hinaus zukommt. Darüber hinaus ist vorliegend eine
umsatzsteuerliche und keine rein zivilrechtliche Qualifizierung vorzunehmen, so
dass wirtschaftliche Gesichtspunkte mit in die Betrachtung einfließen.
Dementsprechend müssen Körperbestandteile, die letztlich im Wirtschaftsverkehr
wie körperliche Sachen behandelt werden, umsatzsteuerlich auch als Gegenstand
angesehen werden. Hierbei kann es nicht auf eine – unter zivilrechtlichen Aspekten
sicherlich gerechtfertigte – Differenzierung danach ankommen, ob das abgetrennte
Körperteil später wieder zu einer Eigen- oder Fremdtransplantation verwendet wird.
Für eine solche Unterscheidung gibt es bei wirtschaftlicher Betrachtung keine
Rechtfertigung. Angesichts der europaweit gültigen Regelung des Art. 9 Abs. 2
Buchst. c 4. Spiegelstrich der RL 77/388/EWG ist vielmehr eine einheitliche
Bestimmung des Begriffes der "beweglichen körperlichen Gegenstände" nötig, mit
der sich die vorgenannte, am Schutz des Persönlichkeitsrechts ausgerichtete
Rechtsprechung des BGH aus den besagten Gründen gerade nicht vereinbaren
25
lässt. Insofern ist für umsatzsteuerliche Zwecke davon auszugehen, dass die vom
Körper abgetrennten Körperteile wie die hier in Rede stehenden Knorpelzellen stets
Sachen, also körperliche Gegenstände im umsatzsteuerlichen Sinne darstellen, an
denen auch Arbeiten ausgeführt werden können.
ab. Der EuGH beschreibt in seinem Urteil vom 06.03.1997 Rs. C-167/95, UR 1997,
217 die Arbeiten an beweglichen Gegenständen als körperlichen Eingriff in
bewegliche Gegenstände, der grundsätzlich nicht wissenschaftlicher oder
intellektueller Natur ist. Diese Formulierung ist auf die dortige Beurteilung der
Leistungen eines Tierarztes an Tieren zugeschnitten. Auch in den Fällen, in denen
der Gegenstand lediglich das Objekt der Arbeit ist, sind daher Arbeiten an
beweglichen Gegenständen anzunehmen (vgl. Stadie in
Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, Köln, § 3a Anm. 123, 126). Unter die Vorschrift
des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG werden insbesondere Reparatur- und
Wartungsarbeiten an Maschinen oder sonstigen beweglichen Sachen, also
Leistungen, die herkömmlich als Werkleistungen bezeichnet werden (vgl. Kossack
in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 3a Rn. 39; Pflüger in Hartmann/Metzenmacher,
UStG, E § 3a Rz. 106), subsumiert. So sprach der Gesetzeswortlaut des § 3a Abs.
2 Nr. 3 Buchst. c UStG bis zum 31.12.1996 von "Werkleistungen" an beweglichen
Gegenständen. Dieser wurde dann vom Gesetzgeber durch den umfassenderen
Begriff "Arbeiten" ersetzt, um einerseits die UStG-Formulierung an den Wortlaut
von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c 4. Spiegelstrich der RL 77/388/EWG anzupassen,
andererseits um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, wenn bewegliche
Sachen vernichtet oder entsorgt werden.
26
27
Vor dem Hintergrund, dass im Streitfall zunächst die Knorpelzellen aus dem
übersandten Knorpelmaterial herausgelöst und dann durch Schaffung eines
entsprechenden "Klimas" mittels einer Nährlösung zur Zellteilung veranlasst
werden, liegt im Streitfall eine gewollte Einwirkung auf die vom Auftraggeber der
Klägerin überlassenen Knorpelzellen vor, die als Arbeit an den Zellen und letztlich
auch als Eingriff in dieselben zu qualifizieren ist. Denn die hier durch entsprechende
Hilfsmittel herbeigeführte biologische Reaktion führt zwar nicht zu einer
Veränderung der bereits vorhandenen Zellen – dies wäre vor dem späteren
Verwendungszweck der Chondrozyten schließlich gerade nicht gewollt –, sondern
zu einer beträchtlichen Veränderung in der Anzahl derselben. Dass die einmal in
Gang gekommene Zellteilung dann quasi von alleine abläuft, ist insofern für die
umsatzsteuerliche Beurteilung ohne Bedeutung. Ferner sind auch die für eine
"Werkleistung" im Sinne einer sonstigen Leistung, die sich auf die Be- oder
Verarbeitung eines Gegenstandes bezieht, erforderlichen Merkmale erfüllt, da zum
einen in Abgrenzung zur Werklieferung von der Klägerin keine selbst beschafften
Stoffe, die nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen sind, bei ihrer Leistung
verwendet werden. Zum anderen können alle gewollten Veränderungen an
körperlichen Gegenständen, die durch mechanische, chemische oder sonstige
Einwirkungen bewirkt werden, einschließlich solcher die durch
Produktionshilfsmittel, wie Katalysatoren, Beschleuniger oder Verzögerer
28
chemische Reaktionen herbeigeführt werden, als Bearbeitungen oder
Verarbeitungen angesehen werden (vgl. Weymüller in Sölch/Ringleb, UStG, § 7 Rz.
35).
ac. Da die im EU-Ausland ansässigen, unternehmerisch tätigen Kunden der Klägerin
– außer die in Großbritannien ansässige T UK Ltd. – ihr gegenüber, wie den
beispielhaft vorgelegten und darüber hinaus vom Beklagten im Vorfeld
stichprobenhaft überprüften Ausgangsrechnungen der Klägerin zu entnehmen ist,
die ihnen jeweils erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen
Mitgliedsstaates verwendet haben, verlagert sich der Leistungsort nach § 3a Abs.
2 Nr. 3 Buchst. c Satz 2 UStG in das jeweilige EU-Ausland mit der Folge der Nicht-
Steuerbarkeit dieser Umsätze im Inland. Von dem zunächst gestellten Antrag auf
Reduzierung der Umsatzsteuer, soweit sie auch die Umsätze gegenüber der T UK
Ltd. und der australischen T bzw. V ... ... Ltd. umfasste, hat die Klägerin in der
mündlichen Verhandlung Abstand genommen, da sich der Leistungsort insoweit
nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG bestimmt, also diese Umsätze am
Ort ihres Tätigwerdens in A zu besteuern sind, ohne dass eine
Befreiungsvorschrift – insbesondere nicht § 4 Nr.14 UStG – eingreift. Die
Bemessungsgrundlage für die mit 16 % zu versteuernden Umsätze ist daher um ...
€ und hiermit die Umsatzsteuer um ... € zu reduzieren, so dass von den auf dem
Konto 8300 erfassten Umsätzen letztlich nur die gegenüber der T UK Ltd. (Brutto-
Umsatz ...€, Netto-Umsatz ... €) und der australischen T bzw. V (Brutto-Umsatz ... €,
Netto-Umsatz ... €) besteuert werden.
29
30
II. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der bis zur mündlichen Verhandlung
angefallenen Kosten auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FGO, im Übrigen auf § 135 Abs.
1 FGO.
31
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3,
155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
32
IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zum Zwecke der
Fortbildung des Rechts zugelassen.
33
34