Urteil des FG Köln vom 23.05.2008

FG Köln: aufenthaltserlaubnis, treu und glauben, verfassungskonforme auslegung, besitz, amt, verwaltungsakt, botschaft, zahlungseinstellung, ausländerrecht, sicherheitsleistung

Finanzgericht Köln, 2 K 757/01
Datum:
23.05.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 757/01
Tenor:
Unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2000 sowie der
hierzu er gangenen Einspruchsentscheidung wird die Beklagte
verpflichtet, für die Zeit von Februar bis Septem-ber 2000 Kindergeld für
die Kinder A und B i.H.v. jeweils 270 DM monatlich festzusetzen und zu
zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreck-bar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die fingierte Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG
im Zeitraum von Februar bis September 2000 zum Bezug von Kindergeld berechtigt.
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Der Kläger war pakistanischer Staatbürger. 2002 erhielt er die deutsche
Staatsbürgerschaft. Von 1976 bis zum 31. Januar 2000 war er bei der Amerikanischen
Botschaft in X als Mitglied des dienstlichen Hauspersonals beschäftigt. Er ist verheiratet
und hat zwei in seinem Haushalt lebende Kinder, A, geb. 1978, und B, geb. 1985. Im
streitigen Zeitraum studierte die Tochter A an der Universität X, während der Sohn B das
NN-Gymnasium in Xy besuchte. Der Kläger war bei der CD/S versichert.
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Der Kläger erhielt vom Auswärtigen Amt Dienstausweise (gelb), die ihn als Mitglied des
dienstlichen Hauspersonals der Botschaft mit dem Vermerk "keine Befreiung von der
Gerichtsbarkeit" auswiesen. Diese Ausweise wurden vom Auswärtigen Amt stets für ein
Jahr ausgestellt. Zwischenzeitlich erhielt der Kläger am 5. Februar 1991 eine
Aufenthaltserlaubnis bis zum 5. Dezember 1992, die später bis zum 5. Dezember 1994
verlängert wurde. In der Zeit danach hatte der Kläger ein Dienstvisum (vom 23.
4
November 1994 bis zum 30. November 1995) und den "gelben" Ausweis.
Ab März 1995 wurden die Kindergeldzahlungen eingestellt. Im April 1996 stellte der
Kläger einen Antrag auf Kindergeld, der im Mai 1996 abgelehnt wurde. Nach
Durchführung des Einspruchsverfahrens ist diesbezüglich ein Klageverfahren bei dem
Finanzgericht Köln unter dem Az. 1 K 7525/96 anhängig.
5
Am 29. November 1999 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Kindergeld.
Ausweislich der Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten
Kindes hatte das Kind A keine eigenen Einnahmen, außer BaföG. Dieses betrug gemäß
BaföG-Bescheid vom 29. Oktober 1998 monatlich 497 DM.
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Mit Bescheid vom 5. März 2000 wurde dem Antrag des Klägers auf Gewährung von
Kindergeld vom 29. November 2000 nicht entsprochen und das Kindergeld auf 0 DM
festgesetzt.
7
Mit Bescheid vom 20. November 2000 wurde Kindergeld unter Vorbehalt für die Zeit von
7/97 bis 1/00 festgesetzt.
8
Mit einem weiteren Bescheid vom 20. November 2000 wurde die Kindergeldfestsetzung
für den Zeitraum von Februar bis September 2000 aufgehoben und zur Begründung
angeführt, dass der Kläger nach der Beendigung der Tätigkeit in der Botschaft weder im
Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis gewesen sei.
9
Zu jener Zeit hatte der Kläger bereits eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, die ihm
sodann im Oktober 2000 erteilt wurde. Seit Oktober 2000 erhält der Kläger Kindergeld
ohne Rückzahlungsvorbehalt.
10
Der gegen den Aufhebungsbescheid eingelegte Einspruch wurde mit
Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 2001 als unbegründet zurückgewiesen.
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Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage trägt der Kläger vor, dass nicht
ersichtlich sei, welcher Kindergeldbescheid mit dem Bescheid vom 20. November 2000
aufgehoben worden sei. Jedenfalls sei es nicht richtig, bei ihm von einer Veränderung
der Verhältnisse, soweit sie für die Zahlung des Kindergeldes erheblich seien,
auszugehen. Er sei Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Auch das dann erteilte
Dienstvisum sei als Fortführung der Aufenthaltserlaubnis anzusehen.
12
Sodann habe er sich im streitigen Zeitraum in einer Übergangsphase zwischen dem
vom Auswärtigen Amt erteilten Protokollausweis bzw. Dienstvisum und der Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis befunden. In dieser Zeit habe er den Status nach § 69 Abs. 3
AuslG erhalten, der mit Fiktionswirkung ausgestattet sei.
13
Er habe die Aufenthaltsgenehmigung im Jahre 1991 erhalten, da mit Inkrafttreten des
neuen Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 Botschafts- und Haushaltsbedienstete, die
nicht von ihrem Land entsandt worden seien, aufenthaltsgenehmigungspflichtig
gewesen seien. Hiervon sei Gebrauch gemacht worden. Die Aufenthaltserlaubnis sei
nicht über das Jahr 1994 hinaus verlängert worden, weil das Ausländeramt danach die
Auffassung vertreten habe, dass Botschafts- und Haushaltsbedienstete, die nicht von
ihrem Land entsandt worden seien, von der Aufenthaltserlaubnis befreit seien.
14
Der Kläger beantragt sinngemäß,
15
unter Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 20. November 2000 sowie der
hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung die Beklagte zu verpflichten, für die
Zeit von Februar bis September 2000 Kindergeld für die Kinder A und B zu
gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte trägt vor, dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2
EStG zu Recht erfolgt sei.
19
Ein ausländischer Staatsbürger nach § 62 Abs. 2 EStG nur dann Anspruch auf
Kindergeld habe, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder
Aufenthaltserlaubnis sei. Diese Voraussetzung sei im streitigen Zeitraum nicht erfüllt.
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Der Aufenthalt des Klägers sei im streitigen Zeitraum lediglich nach § 63 Abs. 3 AuslG
erlaubt gewesen, dies reiche jedoch für die Gewährung von Kindergeld nicht aus.
21
Die Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG dürfe mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung
der Verhältnisse, also auch rückwirkend erfolgen.
22
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2
Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
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Die Klage ist begründet.
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I. Der Aufhebungsbescheid vom 20. November 2000 ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG ist zum einen zu
unbestimmt i.S.d. § 118 und § 157 Abs. 1 AO und zum anderen sind die
Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht erfüllt.
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1. Das Kindergeldrecht wurde mit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 als
Steuervergütung ausgestaltet (§ 31 Satz 3 EStG). Gemäß § 155 Abs. 6 AO sind für
Steuervergütungen sinngemäß die Vorschriften über die Steuerfestsetzung
anzuwenden (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BStBl II 1999, 231).
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Im Streitfall entspricht der Aufhebungsbescheid seiner äußeren Gestalt nach nicht den
Anforderungen, die nach § 118 und § 157 Abs. 1 AO an die Bestimmtheit der Regelung
eines Steuerverwaltungsakts zu stellen sind. Ein Verwaltungsakt, durch den ein anderer
Verwaltungsakt aufgehoben wird, muss den aufgehobenen Verwaltungsakt im Interesse
der Rechtsklarheit bezeichnen. Daran mangelt es.
30
Mit dem Aufhebungsbescheid vom 20. November 2000 wurde die
"Kindergeldfestsetzung von Februar bis September 2000" aufgehoben. Damit ist nicht
ersichtlich, welcher Festsetzungsbescheid aufgehoben werden soll. Denn die
aufgehobene Kindergeldfestsetzung ist nicht näher konkretisiert. Hinzu kommt, dass die
Kindergeldzahlungen seit 1995 eingestellt wurden, so dass noch weniger
nachvollziehbar ist, welche Kindergeldfestsetzung aufgehoben werden sollte. Danach
folgten zwei Kindergeldanträge (26. April 1996 und 29. November 1999), die jeweils
abgelehnt wurden. Der Bescheid vom 20. November 2000 hatte Kindergeld unter
Vorbehalt nur bezogen auf die Zeit von Juli 97 bis Januar 2000 festgesetzt. Folglich ist
zumindest zweifelhaft, ob überhaupt noch ein wirksamer
Kindergeldfestsetzungsbescheid existiert, der einer Aufhebung zugänglich wäre.
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Eine Auslegung des Aufhebungsbescheides vom 20. November 2000 scheidet aus. Ein
Verwaltungsakt ist zwar wie jede Willenserklärung im Rechtsverkehr nach den in § 133
BGB zum Ausdruck gekommenen in der gesamten Rechtsordnung geltenden
Grundsätzen auszulegen, wenn die Formulierung objektiv unklar ist, wobei für die
Auslegung entscheidend ist, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen -
seinem "objektiven Verständnishorizont" - den materiellen Gehalt der Regelung unter
Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 14. April
1999 IX R 24/96, BFH/NV 1999, 1438). Allerdings scheitert eine solche Auslegung im
Streitfall daran, dass das Kindergeld bereits seit 1995 nicht mehr ausgezahlt wurde und
eine Kindergeldfestsetzung trotz entsprechender Anträge seither nicht mehr erfolgte.
Angesichts der Zahlungseinstellung erscheint es zweifelhaft, ob möglicherweise der
Festsetzungsbescheid von 1993 aufgehoben werden sollte, denn dieser dürfte durch die
Zahlungseinstellung und die späteren Ablehnungsbescheide seine Wirkung verloren
haben und damit dürfte eine entsprechende Aufhebung ins Leere gehen. Deshalb ist
eine eindeutige Auslegung nicht möglich.
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2. Unabhängig davon, sind aber auch die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht
erfüllt. Hiernach ist, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld
erheblich sind, Änderungen eintreten, die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern. Diese
Voraussetzungen sind insoweit nicht erfüllt, als die geänderten Verhältnisse nicht für
den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind. Denn die Änderung der Verhältnisse hat
nicht zum Entfallen des – vermeintlich zuvor bestandenen – Kindergeldanspruchs
geführt.
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a. Die Beklagte sieht eine Änderung der Verhältnisse darin, dass der Kläger ab Februar
2000 die Tätigkeit in der Botschaft beendet hatte und bis September 2000 weder im
Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei.
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Zwar handelt es sich hierbei tatsächlich um eine Änderung der Verhältnisse, jedoch
führt sie nicht zum Entfallen eines Kindergeldanspruchs. Denn im streitigen Zeitraum
bleibt bzw. ist der Kläger kindergeldberechtigt.
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b. Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG hat ein Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn
er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Auch nach der am 1. Januar 2006 in Kraft
getretenen Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG setzt ein Anspruch auf Kindergeld
zumindest voraus, dass der Ausländer im Besitz einer nach den Vorschriften des AuslG
erteilten Aufenthaltsgenehmigung i.S.d. § 5 AuslG in Form z.B. einer
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Aufenthaltserlaubnis ist (i.e. hierzu BFH-Urteil vom 25. Juli 2007 III R 55/02, BFH/NV
2007, 2404).
Zwar mangelt es im streitigen Zeitraum an einer Aufenthaltserlaubnis des Klägers.
Jedoch ist dies unschädlich, da der Kläger sich in dieser Zeit nach § 69 Abs. 3 AuslG
erlaubt im Inland aufhielt.
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aa. Nach § 69 Abs. 3 AuslG gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich seit mehr als
sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und der die Erteilung oder
Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung beantragt hat, bis zur Entscheidung der
Ausländerbehörde als erlaubt.
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Im Streitfall sind in tatsächlicher Hinsicht diese Voraussetzungen erfüllt. In rechtlicher
Hinsicht führt dies dazu, dass der Kläger als kindergeldberechtigt nach § 62 Abs. 2 Satz
1 EStG anzusehen ist.
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bb. Die Voraussetzungen der fingierten Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG sind
gegeben. Denn der Kläger hatte sich bereits seit Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet
aufgehalten, entweder aufgrund des vom Auswärtigen Amt ausgestellten "gelben
Ausweises" (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2007 III R 55/02, BFH/NV 2007, 2404) oder
zeitweise auch aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis. Noch vor Ausscheiden aus dem
Botschaftsdienst hatte er einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt.
Folglich ist sein Aufenthalt seit dem Ausscheiden aus dem Botschaftsdienst und dem
damit verbundenen Entfallen des "gelben Ausweises" fingiert erlaubt nach § 69 Abs. 3
AuslG.
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cc. Die fingierte Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG ist in rechtlicher Hinsicht zumindest
kindergeldrechtlich wesensgleich mit der Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG und
deshalb kindergeldrechtlich im Wege der Auslegung – hilfsweise der Analogie - einer
Aufenthaltserlaubnis gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG gleichzustellen, so dass sie für
einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG ausreicht.
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(1) Für eine solche Auslegung spricht der Wortlaut des § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG. Das
Ausländerrecht verwendet in § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG ebenso wie § 62 Abs. 2 Satz 1
EStG den Begriff der "Erlaubnis".
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(2) Dieses Verständnis wird des weiteren gestützt durch die Systematik des Gesetzes.
Denn im Ausländerrecht besteht das im Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht
genannte Rechtsinstitut der Aufenthaltsbefugnis i.S.d. § 30 AuslG. Auch § 69 AuslG
unterscheidet in seinen Absätzen 2 und 3 danach, ob ein Aufenthalt nur als "geduldet"
oder als "erlaubt" fingiert wird. Diese Unterscheidung schlägt auf die für die
Kindergeldberechtigung maßgeblichen Rechtsfolgen durch, weil § 62 Abs. 2 Satz 1
EStG an eben diese ausländerrechtliche Unterscheidung anknüpft (s.a. Urteil des
Niedersächsischen Finanzgerichts vom 30. März 2006 10 K 226/02, DStRE 2007, 694).
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(3) Auch Sinn und Zweck des § 62 Abs. 2 EStG bestätigen dieses Verständnis. § 62
Abs. 2 EStG hat zum Ziel, Kindergeld nur solchen ausländischen Staatsangehörigen
zukommen zu lassen, die sich rechtmäßig und voraussichtlich auf Dauer in der
Bundesrepublik aufhalten (BFH-Urteil vom 25. Juli 2007 III R 55/02, BFH/NV 2007,
2404). Diese Zielsetzung ist nicht zu beanstanden (BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004
1 BvL 4/97, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).
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Diese Zielsetzung wird aber auch in den die Fällen gewahrt, in denen – wie im Streitfall
- eine fingierte Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 69 Abs. 3 AuslG besteht, insbesondere in
solchen Fällen, in denen die Aufenthaltsgenehmigung nach Antragstellung verlängert
oder erteilt wird und die fingierte Erlaubnis einen Zeitraum zwischen zwei Erlaubnissen
betrifft. Es ist nach Auffassung des Senats kein Grund dafür ersichtlich, diese Fälle der
fingierten Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG von der Kindergeldberechtigung nach § 62
Abs. 2 Satz 1 EStG auszuschließen.
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Dies gilt umso mehr als eine solche Auslegung als verfassungskonforme Auslegung
auch im Einklang mit den Grundrechten der Kläger aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1
GG stünde. Denn die Unterscheidung zwischen verschiedenen Aufenthaltstiteln für die
Kindergeldberechtigung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und sachlich nicht geboten
(BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4-6/97, BVerfGE 111, 160, zu der dem § 62
Abs. 2 Satz 1 EStG vorhergehenden Vorschrift, dem § 1 Abs. 3 Satz 1 des
Bundeskindergeldgesetzes). Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde dies nicht
auch für den Fall der fingierten Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG gelten sollte. Dies gilt
umso mehr, wenn die fingierte Erlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG nur eine Interimsphase
betrifft, die zwischen zwei Zeitabschnitten liegt, in denen der Ausländer – wie im
Streitfall – sich jeweils erlaubt im Bundesgebiet aufhält und jeweils kindergeldberechtigt
ist. Denn dann ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, für die Interimsphase nach §
69 Abs. 3 AuslG kindergeldrechtlich anders zu entscheiden als davor und danach.
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Im Streitfall war der Kläger vor Februar 2000 erlaubt im Bundesgebiet. Denn er verfügte
über den vom Auswärtigen Amt ausgestellten "gelben Ausweis" und war damit
kindergeldberechtigt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25. Juli 2007 III R 55/02, BFH/NV 2007,
2404). Nach September 2000 hatte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis, die
ausdrücklich nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG zum Kindergeldbezug berechtigt. Dass die
Interimszeit anders zu behandeln sein sollte, als die Zeit davor und danach, ist nicht
ersichtlich.
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II. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass nicht klar ist, welche Kindergeldfestsetzung
durch die Beklagte aufgehoben werden sollte, und dass die Kindergeldzahlungen seit
1995 eingestellt wurden, ist nicht nur der Aufhebungsbescheid aufzuheben, sondern die
Beklagte zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes – entsprechend dem
Antrag des Klägers - zudem zu verpflichten, für die Zeit von Februar bis September 2000
Kindergeld für die Kinder A und B i.H.v. jeweils 270 DM monatlich festzusetzen (§ 101
FGO).
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Neben der Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG sind die weiteren
Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für die Kinder A und B erfüllt.
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Denn der Kläger, mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, ist Vater zweier
zu berücksichtigender Kinder nach § 62 Abs. 1 EStG i.V.m. § 63 EStG. Insbesondere
auch für die im Jahre 1978 geborene Tochter A besteht ein Kindergeldanspruch nach §
32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a, da sie das 18. Lebensjahr vollendet und das 27. Lebensjahr
noch nicht vollendet hat und durch das Studium für einen Beruf ausgebildet wird. Ihre
Einkünfte und Bezüge betragen nicht mehr als 13.500 DM im Kalenderjahr (§ 32 Abs. 4
Satz 2 EStG). So hatte sie bereits lediglich Einnahmen i.H.v. monatlich 497 DM, also
jährlich 5.964 DM.
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Die Höhe des festzusetzenden Kindergeldes (270 DM monatlich für jedes der zwei
Kinder) ergibt sich aus § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für den streitigen Zeitraum
geltenden Fassung.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3,
155 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
53