Urteil des FG Köln vom 24.11.2004

FG Köln: zuwendung des arbeitgebers, arbeitslohn, wirtschaftliche verfügungsmacht, unfallversicherung, versicherungsvertrag, versicherungsleistung, zusage, geschäftsführer, entschädigung, invalidität

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Köln, 12 K 5350/01
24.11.2004
Finanzgericht Köln
12. Senat
Urteil
12 K 5350/01
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Leistungen aus einer
Gruppenunfallversicherung als Arbeitslohn zu versteuern hat.
Der Kläger ist seit 1994 Geschäftsführer der Firma F GmbH und bezieht hieraus Einkünfte
aus nichtselbständiger Tätigkeit. Die Arbeitgeberin hatte als Versicherungsnehmerin für
ihre Angestellten eine Gruppenunfallversicherung ohne Namensangabe abgeschlossen,
die sowohl private als auch berufliche Unfälle abdeckte. Die Versicherungssumme war je
nach Stellung des Mitarbeiters im Unternehmen gestaffelt. Für den Geschäftsführer wurde
eine Versicherungssumme von 1.200.000,- DM bei Invalidität und 400.000,- DM im
Todesfalle vereinbart. Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag stand
ausschließlich der Arbeitgeberin zu. Die Versicherungsbeiträge wurden im Hinblick darauf
nicht lohnversteuert. Ursprünglich abgeführte Lohnsteuer ließ sich die Arbeitgeberin in
1995 wieder erstatten (Bl. 74 RbSt-Akte).
Im Juni 1995 erlitt der Kläger anlässlich eines mehrtägigen Auslandsaufenthaltes auf den
Salmon-Islands (Norwegen) einen Unfall. An der Reise hatte der Kläger auf Einladung der
S AG teilgenommen. Das Reiseprogramm sah Ausflüge auf die benachbarten
Inselgruppen, eine Tagestour mit der Fähre zum Svatisen-Gletscher und die Möglichkeit
zum Angeln vor; zwischen 17.30 und 19.00 fanden jeweils "gasfachliche Aussprachen"
statt (vgl. die Reiseunterlagen im Leitz-Ordner). Im Anschluss an ein gemeinsames
Abendessen wurde der Kläger gegen 21.30 Uhr in der Nähe der Unterkunft bewusstlos
aufgefunden. Nach den Ausführungen in einem zu den Akten gereichten Arztbericht war er
aus ca. 1-2 Meter Höhe gestürzt, ohne dass sich die genaue Ursache ermitteln ließ. Die
aufgrund des Unfalls entstandenen Krankheitskosten wurden von der Krankenkasse
getragen. Die Berufsgenossenschaft zahlte ein Verletztengeld und eine vorübergehende
Rente (Bl. 71 ff d. A). Seine Arbeit nahm der Kläger zunächst gestuft und seit Januar 1996
vollschichtig wieder auf.
Nach Einholung verschiedener neurologischer Gutachten erkannte die Unfallversicherung
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eine unfallbedingte Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit von 25 % an. Auf Veranlassung der Arbeitgeberin zahlte die
Versicherung an den Kläger entsprechend dem Grad der Invalidität im Streitjahr 1999
insgesamt 300.000,- DM aus.
Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass es sich bei dieser Zahlung um steuerpflichtigen
Arbeitslohn handelt und setzte die Einkommensteuer 1999 unter Einbeziehung dieser
Leistungen fest (Bescheid vom 19. Februar 2001). Den hiergegen erhobenen Einspruch
wies er unter Hinweis auf Tz. 4.1.1 des BMF-Schreibens vom 17. Juli 2000 (BStBl I 2000,
1204) zurück. In seiner Einspruchsentscheidung führte er aus: Die steuerliche Beurteilung
der Leistungen aus einer Unfallversicherung korrespondiere mit der lohnsteuerlichen
Behandlung der Versicherungsbeiträge. Stellten die im Kalenderjahr des
Versicherungsfalles geleisteten Beiträge des Arbeitgebers -wie im Streitfall- keinen
Arbeitslohn dar, weil die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag
ausschließlich dem Arbeitgeber zustehe, gehörten im Versicherungsfall die ausgekehrten
Versicherungsleistungen in vollem Umfang zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Eine
Ausnahme von diesem Grundsatz gelte nur insoweit, als der Arbeitgeber aufgrund eines
betrieblichen Unfalls gesetzlich zum Schadensersatz verpflichtet sei oder soweit er einen
zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen schuldhafter
Verletzung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten erfülle. Eine diesbezügliche Ersatzpflicht
habe im Streitfall unstreitig nicht bestanden.
Mit der hiergegen erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen die Besteuerung der
erhaltenen Zahlungen. Sie sind der Auffassung, dass die Auslegung des Finanzamtes
nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH stehe. Die ausgezahlte
Versicherungssumme sei kein Entgelt für eine geleistete Tätigkeit, sondern Entschädigung
für einen eingetretenen Personenschaden. Nach den BFH-Urteilen vom 22. April 1982 III R
135/79, BFHE 135, 512, BStBl II 1982, 497 und 16. April 1999 VI R 60/96, BFHE 188, 343,
BStBl II 2000, 406 seien Versicherungsleistungen letztlich nur dann steuerbar, wenn sie
Lohnersatz darstellen. Im Streitfall sei der Lohn aber in voller Höhe weitergezahlt worden.
Die Entschädigung sei daher nicht als Arbeitslohn zu erfassen.
Dieses Ergebnis entspreche auch der im BMF-Schreiben vom 18. Februar 1997, BStBl I
1997, 278 wiedergegebenen ursprünglichen Verwaltungsauffassung. Der Beklagte müsse
sich daran festhalten lassen. Die anderslautende Regelung in Tz. 4.1.1 des BMF-
Schreibens vom 17. Juli 2000, BStBl I 2000, 1204 sei für das Streitjahr noch nicht
anwendbar.
Im Verlauf des Klageverfahrens hat der Beklagte den angefochtenen
Einkommensteuerbescheid aus hier nicht interessierenden Gründen mehrfach geändert,
zuletzt durch Bescheid vom 31. März 2004, der damit Gegenstand des Klageverfahrens
geworden ist.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 31. März 2004 dahingehend zu ändern,
dass die Leistungen aus der Unfallversicherung in Höhe von 300.000,- DM bei der
Besteuerung außer Ansatz bleiben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Er hält daran fest, dass die Zahlungen als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu erfassen sind.
Die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag stehe ausschließlich der
Arbeitgeberin zu. Bei dieser Konstellation sei die Auskehrung der Versicherungsleistungen
grundsätzlich steuerpflichtig. Ein Schadensausgleich durch den Arbeitgeber führe nach
dem BFH-Urteil vom 20. September 1996 VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl II 1997, 144
nur insoweit nicht zum Lohnzufluss, als zivilrechtlich ein Schadensersatzanspruch des
Arbeitnehmers erfüllt werde. Diese Fallgruppe sei hier nicht gegeben. Die
Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 17. Juli 2000, wonach in Altfällen eine
Besteuerung der Beitragsleistungen und nicht der Versicherungssumme im Schadensfalle
in Betracht komme, sei im Streitfall nicht einschlägig, weil die Arbeitgeberin die Beiträge
zur Versicherung nicht der Besteuerung unterworfen habe. Die Einkommensteuer müsse
deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen festgesetzt werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat der Beklagte die Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung im Streitjahr
der Besteuerung unterworfen.
1. Die Auskehrung der Versicherungsleistungen an den Kläger stellt wirtschaftlich eine
Zuwendung des Arbeitgebers dar, die durch das Arbeitsverhältnis veranlasst und mit
Zufluss beim Arbeitnehmer als Arbeitslohn zu versteuern ist.
a) Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Gehälter, Löhne und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Einnahmen der vorgenannten Art sind
innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind,
d.h. in dem er die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert
bestehenden Güter erlangt hat.
aa) Tätigt der Arbeitgeber Ausgaben für die Zukunftssicherung seiner Arbeitnehmer in
Form von Beiträgen an Versorgungseinrichtungen (z.B. Versicherungen), ist nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs danach zu differenzieren, ob der Arbeitnehmer
aufgrund der Beiträge gegen die Versorgungseinrichtung unmittelbar einen eigenen,
unentziehbaren Rechtsanspruch auf die Leistung erhält. Ist dies der Fall, stellt sich der
Vorgang wirtschaftlich betrachtet so dar, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel
zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie für seine Zukunftssicherung verwendet hat.
In dieser Konstellation sind die Beitragszahlungen des Arbeitgebers als Arbeitslohn zu
erfassen, während die späteren Leistungen der Versorgungseinrichtungen im
steuerrechtlichen Sinne nicht mehr aufgrund des Dienstverhältnisses erbracht werden (vgl.
z.B. BFH-Urteil vom 07. Februar 1990 X R 36/86, BFHE 161, 16, BStBl 1990, 1062).
Anders verhält es sich, wenn der Arbeitgeber Zuwendungen an eine
Unterstützungseinrichtung leistet, die dem Arbeitnehmer keinen unmittelbaren
Rechtsanspruch einräumt. Dann liegt in der Beitragsleistung mangels Erwerbs von
Rechtsansprüchen gegen Dritte noch kein Arbeitslohn. Auch wenn der Arbeitgeber zu einer
Auskehrung der Leistungen der Versorgungseinrichtung verpflichtet ist, begründet dies
lediglich einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf eine künftige Leistung, der erst im
Zeitpunkt des Zuflusses steuerlich zu erfassen ist. Demgemäß sind erst die über die
Versorgungseinrichtung an den Arbeitnehmer ausgezahlten Bezüge als Arbeitslohn zu
qualifizieren (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1993 VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994,
246).
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bb) Die genannten Grundsätze gelten auch für Leistungen im Zusammenhang mit einer
privaten Unfallversicherung (vgl. z.B. Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 19 Anm. 440 ff).
So liegt nach dem hierzu ergangenen BFH-Urteil vom 16. April 1999 VI R 60/96, BFHE
188, 343, BStBl II 2000, 406 in der Beitragsleistung zu einer Gruppenunfallversicherung,
bei der der Anspruch gegen den Versicherer nur vom Arbeitgeber als
Versicherungsnehmer ausgeübt werden kann, mangels gegenwärtigem Lohnzuflusses
(noch) kein Arbeitslohn. Dass der Arbeitgeber im Hinblick auf die auszukehrende
Versicherungsleistung hier nur eine Stellung als "Durchgangsperson" hat, ist für die
steuerliche Beurteilung nach Ansicht des BFH ohne Bewandtnis. Folgerichtig stellt der
BFH in der genannten Entscheidung fest, dass bei diesem Auslegungsergebnis die dem
Arbeitnehmer später zufließenden Versicherungsleistungen zu steuerpflichtigem
Arbeitslohn führen können (BFH a.a.O., BStBl II 2000, 408).
b) Im Streitfall stand die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag gem. § 12
AUB allein der Arbeitgeberin zu. In Anbetracht der eigenen Rechtsposition der
Arbeitgeberin sind die laufenden Prämienzahlungen dem Kläger wirtschaftlich nicht als
eigene Beiträge zuzurechnen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH hat die
Arbeitgeberin die Versicherungsbeiträge im Jahr des Schadenseintritts daher auch nicht
der Lohnsteuer unterworfen. Die Bereicherung des Klägers liegt in der hier vorliegenden
Konstellation nicht (schon) in der laufenden Zuwendung der Versicherungsprämien,
sondern darin, dass die Arbeitgeberin im Schadensfalle die Versicherungssumme an ihn
auskehrt. Wirtschaftlich betrachtet kommt es im Versicherungsfall zu einer Zuwendung des
Arbeitgebers, die dieser über die Versicherung finanziert. Insoweit kann die Besteuerung
nicht anders ausfallen, als in dem Falle, dass der Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche
Zusage, bei Eintritt bestimmter Ereignisse eine festgelegte Summe an den Arbeitnehmer
auszuzahlen, erfüllt.
2. Zuwendungen der vorgenannten Art sind nur ausnahmsweise nicht steuerbar, soweit sie
sich bei objektiver Betrachtung für den Arbeitnehmer nicht als Frucht seiner Arbeitsleistung
erweisen (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1996 VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl II
1997, 144). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn die Zuwendung im
Zusammenhang mit einem Unfall steht. Sagt der Arbeitgeber seinen Beschäftigten im
Arbeitsvertrag bei Eintritt von Ereignissen, für die der Arbeitgeber nicht verantwortlich ist,
Zahlungen zu, steht die in Erfüllung dieser Zusage geleistete Zahlung grundsätzlich im
Veranlassungszusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und rechtfertigt im Regelfall die
Annahme von Arbeitslohn. Anders verhält es sich nur dann, wenn und soweit der
Arbeitgeber damit einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers -etwa
wegen schuldhafter Verletzung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten- erfüllt (vgl. dazu
BFH-Urteil vom 20. September 1996 a.a.O., BStBl II 1997, 144). Für das Bestehen eines
Schadensersatzanspruches ist aber nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Die
Arbeitgeberin war für den eingetretenen Unfall nicht verantwortlich.
3. Die Besteuerung als Arbeitslohn ist entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nicht
davon abhängig, ob aufgrund des Unfallereignisses ein konkreter Einnahmeausfall
eingetreten und die Versicherungsleistung demgemäß Ersatz für entgangene Einnahmen
darstellt (a.A. FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2002 I 1339/97, EFG 2002, 1381;
unklar Schmidt, EStG § 19 Rz. 50 Stichwort Unfallversicherung). Eine Beschränkung auf
Entschädigungen für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG
kommt nach Auffassung des Senates nur für Leistungen aus Unfallversicherungen in
Betracht, bei denen -anders als im Streitfall- die Ausübung der Rechte aus dem
Versicherungsvertrag unmittelbar dem Arbeitnehmer zusteht und es sich wirtschaftlich
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betrachtet um eine Eigenversicherung des Arbeitnehmers handelt (so auch Kirchhof, EStG
§ 19 Stichwort Unfallversicherung; Hermann/Heuer/Raupach, EStG § 19 Anm. 442;
Hartmann, Inf 2001, 42).
4. Die Kläger können sich im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg auf die
Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 17. Juli 2000 berufen, wonach es nicht zu
beanstanden ist, wenn bis zum 31. Dezember 2000 nach dem BMF-Schreiben vom 18.
Februar 1997 verfahren wird (Besteuerung der Versicherungsprämien anstelle der
Leistungen aus der Unfallversicherung). Es bedarf keiner Entscheidung, ob diese
Regelung im Streitfall angesichts des Umstandes, dass die Arbeitgeberin die
Versicherungsprämien nicht lohnversteuert hatte, überhaupt einschlägig ist. Denn auf
Billigkeitsgründen beruhende Übergangsregelungen der Finanzverwaltung können nicht
im Anfechtungsverfahren gegen Steuerbescheide, sondern allenfalls in einem gesonderten
Verfahren nach § 163 AO berücksichtigt werden (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 17. Dezember
2003 XI R 22/02, BFH/NV 2004, 1629).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die
Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO.