Urteil des FG Köln vom 10.05.2007

FG Köln: bekanntgabe, jstg, ausländer, brd, eltern, veröffentlichung, aufenthaltserlaubnis, besitz, erstreckung, ausschluss

Finanzgericht Köln, 10 K 2341/01
Datum:
10.05.2007
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2341/01
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom
21.8.2000 und der Einspruchsentscheidung vom 10.4.2001 verpflichtet,
dem Kläger Kindergeld in der gesetzlichen Höhe für die Kinder U, A und
N ab 1.7.1997 bis einschließlich Mai 2004 und das Kind H von Mai 1998
bis einschließlich Mai 2004 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 3/10 und der
Beklagten zu 7/10 auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seine Kinder U (geb.
14.2.1993), A (13.7.1994), N (30.1.1996) und H (19.5.1998) zusteht. Die Kinder lebten
unstreitig zumindest bis Mai 2004 im Haushalt des Klägers im Inland. Bis zum Schluss
der mündlichen Verhandlung konnte nicht geklärt werden, ob der Kläger und seine
Kinder sich auch danach noch in Deutschland aufhalten. Der Bevollmächtigte teilte mit,
dass er seit Mai 2004 keinen Kontakt mehr zum Kläger gehabt habe. Erst nach
Verkündung des Urteils hat der Bevollmächtigte die neue Adresse des Klägers
mitgeteilt, ohne dass klar ist, ob der Kläger und seine Kinder sich dort aufhalten.
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Der Kläger, dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, gehört zum Volk der
Palästinenser und lebt seit 1992 in Deutschland. Er verfügte über eine
Aufenthaltsbefugnis, die öfters verlängert wurde. Nach eigenen Angaben ist er
Staatenloser und war zumindest bis Mai 2004 sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
3
Der Kläger beantragte am 7.7.2000 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen
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Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 21.8.2000 ab. Dabei handelte es sich um
die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten
Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 10.4.2001 zurück.
Mit der Klage beantragt der Kläger,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 7.7.2000 und der
Einspruchsentscheidung vom 10.4.2001 zu verpflichten,
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Kindergeld für drei Kinder ab dem 1.7.1997 und ab Mai 1998 für vier Kinder bis
einschließlich Dezember 2004 zu gewähren und ab Januar 2005 über den
Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
entscheiden.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
8
Entscheidungsgründe
9
Die Klage ist insgesamt zulässig, allerdings nur für den Zeitraum Juli 1997 bis Mai 2004
begründet. Dem Kläger steht für diesen Zeitraum das beantragte Kindergeld zu, weil
seine Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und er sich seit über einem
Jahr berechtigt in der BRD aufhält.
10
I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate bis zum Ergehen
der Einspruchsentscheidung zulässig, sondern auch hinsichtlich der darauf folgenden
Monate. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des
Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im April 2001 bekanntgegeben worden ist, hält
das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar
2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten
Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach
Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.
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a) Das Niedersächsische FG hält in seinem Urteil vom 23. Januar 2006 eine Klage
gegen einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid für insoweit
unzulässig, als sich der Klageantrag auch auf die Monate nach der Bekanntgabe des
Ablehnungsbescheids erstreckt. Dabei geht es unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil
vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 (BFH/NV 2004, 786) von der These aus, dass der
Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Kindergeldantrag abgelehnt wird,
lediglich den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe erfasse. In
diesem BFH-Urteil heißt es zwar einerseits ausdrücklich, dass ein Bescheid, durch den
ein ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung gestellter Kindergeldantrag abgelehnt
wird, den Anspruch auf Kindergeld nur für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum regelt
und keine Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstandene
Kindergeldansprüche entfaltet. In der Entscheidung des VIII. Senat war allerdings -
anders als im vorliegenden Fall - nicht das Kindergeld für künftige Monate streitig, die
auf den Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgten. Streitig war
vielmehr, ob sich die Regelungswirkung eines im Dezember 2000 erlassenen
Bescheides auch auf die vergangenen Monate vor Bescheiderlass erstreckte. Diese
Frage beantwortete der BFH in seinem Subsumtionsschluss letztlich damit, dass sich
die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids auch auf die Monate vor Dezember 2000
erstrecke.
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b) Die These der fehlenden Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch
nicht entstandene Kindergeldansprüche gilt seit dem zwischenzeitlichen Wechsel der
Zuständigkeit für das Kindergeld zum III. Senat des BFH jedenfalls nicht mehr
uneingeschränkt. Das Urteil des VIII. Senat vom 28. Januar 2004 erging im Anschluss
an die Rechtsprechung des VI. Senat zur Regelungswirkung bestandskräftiger
Verwaltungsakte, die ihre Grundlage in der allenfalls begrenzten Eignung der
Vorschriften der AO 1977 zur Regelung der verfahrensrechtlichen Problematik von
Dauerverwaltungsakten hatte. Diese Entscheidungen waren ergebnisorientiert und von
dem Ziel getragen, die Regelungswirkung bestandskräftiger Ablehnungsbescheide
soweit wie möglich einzuschränken, um später - etwa nach besserer Rechtserkenntnis -
rückwirkend für die Vergangenheit noch so viel Kindergeld wie möglich gewähren zu
können. Der III. Senat hat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210,
265, BStBl II 2006, 184) dagegen erstmals mit der Frage auseinander gesetzt, ob das für
Dauerverwaltungsakte nur begrenzt taugliche abgabenrechtliche Instrumentarium es
erlaubt, dass der Kindergeldberechtigte mit seiner Klage - neben der Aufhebung des
ablehnenden Bescheides - für künftige Monate auch die Verpflichtung der
Familienkasse erreichen kann, Kindergeld auf unbestimmte Zeit zu zahlen. Er hat dabei
den Standpunkt vertreten, dass es sich bei einer Klage gegen einen das Kindergeld
ablehnenden Bescheid nicht um eine Anfechtungsklage in Form der Änderungsklage,
sondern um eine Verpflichtungsklage handelt, mit der die Aufhebung der
Ablehnungsentscheidung und eine Verpflichtung der Familienkasse erreicht werden
kann, über den Kindergeldantrag des Klägers unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (Bescheidungsurteil). Der III.
Senat begründet seine Auffassung ausdrücklich mit der Erwägung, dass bei der
Ablehnung von Kindergeld zu berücksichtigen sei, dass die Kindergeldfestsetzung als
Dauerverwaltungsakt im Regelfall keinen bestimmten Zeitraum umfasse. Zu einer
Änderung oder Aufhebung der Festsetzung komme es erst dann, wenn sich die für den
Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnisse änderten (§ 70 Abs. 2 EStG); bis dahin
würde das Kindergeld aufgrund der Festsetzung monatlich gezahlt.
13
c) Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass weitgehende Übereinstimmung
zwischen den unterschiedlichen Ansätzen des VIII. Senat und des III. Senat, die einmal
die Wirkung eines Ablehnungsbescheids für die Vergangenheit und einmal für künftige
Monate zum Gegenstand hatten, in der Weise hergestellt werden kann, dass der
Regelungsinhalt von Ablehnungsbescheiden differenziert beurteilt wird, je nachdem, ob
die Ablehnung bestandskräftig geworden ist oder im Klageverfahren angefochten wird.
Wird die Ablehnung nicht angefochten, bleibt es bei dem Grundsatz, dass ein
Ablehnungsbescheid lediglich den Kindergeldanspruch für die bis zur Bekanntgabe
abgelaufenen Monate regelt und deshalb keine Wirkung für die Kindergeldansprüche
künftiger Monate entfaltet. Wird die Regelung hingegen im Klageverfahren angefochten,
ist im anschließenden Urteil eine Verpflichtung des Familienkasse auch für künftige
Monate möglich. Die Legitimation, Ablehnungsbescheiden einen unterschiedlichen
Regelungsinhalt beizumessen, je nachdem ob sie bestandskräftig oder im
Klageverfahren angefochten werden, ergibt sich daraus, dass für nicht bestandskräftig
gewordene Verwaltungsakte im Klageverfahren andere Änderungsvorschriften gelten
als bei bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakten, für die etwa § 172 AO 1977 nicht
gilt.
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Für diese Betrachtungsweise sprechen nicht zuletzt Praktikabilitätsgesichtspunkte. Die
Lösung des erkennenden Senats vermeidet Ungereimtheiten, die sich auf der
15
Grundlage der Ausführungen des VI. Senat und des VIII. Senat ergeben können, wenn
eine Kindergeld-Ablehnung erfolgreich angefochten wird, sich das Klageverfahren aber
- aus welchen Gründen auch immer - über mehrere Jahre erstreckt. Denn in einem
solchen Fall würde der Kindergeldberechtigte durch eine obsiegende Entscheidung das
Kindergeld lediglich bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
(letzte Verwaltungsentscheidung) erlangen können. Die Kindergeldgewährung für die
folgenden Monate würde davon abhängen, dass rechtzeitig - vor Ablauf der
Festsetzungsfrist - ein erneuter Kindergeldantrag gestellt wird. Mit der Notwendigkeit, für
die auf den Monat der Bekanntgabe der Ablehnungsentscheidung folgenden Monate
einen erneuten Kindergeldantrag zu stellen, wird ein Anspruchsinhaber aber angesichts
des anhängigen Klageverfahrens kaum rechnen. Er könnte deshalb bei langjährigen
Klageverfahren einen Teil seiner Ansprüche durch den Ablauf der vierjährigen
Festsetzungsfrist für Monate verlieren, die auf den Monat der Bekanntgabe des
Ablehnungsbescheids folgen. Diese Ungereimtheit wird vermieden, wenn man die
Regelungswirkung einer Kindergeldablehnung, die im Klageverfahren angefochten
wird, auch auf die Monate nach ihrer Bekanntgabe erstreckt und mit dem III. Senat eine
Bescheidung auch für diese Monate für zulässig erachtet.
II. Die Klage ist teilweise begründet. Die Kindergeldberechtigung des Klägers ergibt sich
aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-
Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160,
BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin
auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung
nicht für für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht
abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in
Deutschland aufhalten. Für Zeiträume vor Juli 1997 ist der Anspruch nach der früheren
Regelung des § 66 Abs. 3 EStG verjährt. Für Zeiträume nach Mai 2004 hat der Kläger
keinen Anspruch, da bis zur Verkündung des Urteils nicht geklärt werden konnte, ob der
Kläger sich überhaupt noch in Deutschland aufhält.
16
1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil
vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007)
lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom
13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die
Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich
unzulässig hält.
17
a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung
von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.
Dezember 2006 (AuslAnsprG - BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik
der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG - BGBl I 2004,
1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht
freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach §
23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a,
24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon
ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im
Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig
sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder
Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).
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b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber
darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld - wie auch im Streitfall -
noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen
der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den
AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des
Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte
Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem
AuslG richteten, müsste nach dieser Regelung für Altfälle jeweils geklärt werden,
inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG
genannten Aufenthaltstiteln entsprechen (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur
Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007 für einen geduldeten
Aufenthalt in der BRD seit 1992 betreffend Kindergeld für die Monate von Juli 1997 bis
Juli 1999). Ein Aufenthalt aufgrund einer Duldung berechtigte danach nicht zum Bezug
von Kindergeld; bei einer bloßen Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen hinge
die Kindergeldberechtigung in aller Regel davon ab, ob sich der Ausländer seit
mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet
aufgehalten hat und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig war bzw.
laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezogen oder
Elternzeit in Anspruch genommen hat.
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c) Danach müsste die Kindergeldberechtigung im Streitfall versagt und die Klage
abgewiesen werden. Der erkennende Senat wendet die Neufassung des § 62 Abs. 2
EStG vom 13. Dezember 2006 jedoch nicht auf den Streitfall an.
20
aa) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97
(BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entschieden, dass § 1 Abs. 3 Satz 1
BKGG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-
und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353),
durch den Ausländer von Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz
einer Aufenthaltsbefugnis waren, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Insbesondere vor
dem Hintergrund, dass Ausländer ihren ausländerrechtlichen Status nicht beeinflussen
könnten, befand das BVerfG, dass eine an der Art des Aufenthaltstitels ausgerichtete
Differenzierung zwischen ausländischen Eltern nicht durch Gründe von hinreichendem
Gewicht gerechtfertigt sei. Denn der Gesetzgeber dürfe bei der Bestimmung der Art und
Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine
Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1
GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung
ausschließen, die anderen gewährt werde. Bei Ausländern, die legal in Deutschland
lebten, sei unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels zu berücksichtigen, dass sie -
wie auch Deutsche - in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen
Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien. Soweit es Ziel der gesetzlichen
Neuregelung gewesen sei, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich
auf Dauer in Deutschland aufhalten, sei die Regelung ungeeignet, dieses Ziel zu
erreichen, weil einerseits diejenigen, die über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, sich
nicht typischerweise nur kurzfristig in Deutschland aufhielten, andererseits eine
Aufenthaltserlaubnis auch befristet bei kurzfristigem Aufenthalt erteilt werde. Ebenso hat
der EuGHMR mit Urteil vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00 (DStR 2006, 1404,
BFH/NV 2006, Beilage 3, 357) entschieden, dass der Ausschluss von im Inland
lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vom deutschen Kindergeld gegen
das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.
21
bb) Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in seinem o. a. Beschluss vom 6. Juli 2004 eine
Frist bis zum 1. Januar 2006 gesetzt, die verfassungswidrige Norm durch eine
Neuregelung zu ersetzen. Andernfalls sollte auf alle noch nicht rechts- oder
bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende
Recht anzuwenden sein, d.h., das BKGG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung
des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I 1990, 1354). Nach dieser Regelung
haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der BRD aufhalten, einen
Kindergeldanspruch, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit
nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem
gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.
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cc) Vor diesem Hintergrund teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des III.
Senats des BFH, der sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die
Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG über die rückwirkende
Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005
verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (BFH-
Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).
23
aaa) Die Anordnung einer derartigen Rückwirkung auch auf Altfälle ist weder
verfassungsgemäß noch entspricht sie dem Grundsatz der gegenseitigen Achtung von
Verfassungsorganen. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 6.
Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage
2, 114) einen klaren, bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag erteilt und die
Nichterfüllung dieses Auftrags mit der Anordnung der Anwendbarkeit des bis zum 31.
Dezember 1993 gültigen Rechts sanktioniert. Daraus ergibt sich, dass sämtliche offenen
Altfälle ab Januar 2006 entscheidungsreif waren, da der Gesetzgeber den
verfassungsgerichtlichen Regelungsauftrag ignoriert hat. In einer Vielzahl der offenen
Fälle hätte deshalb das Kindergeld auf der Grundlage des bis 1993 gültigen Rechts
gewährt werden müssen, wenn die Gerichte dem verfassungsrechtlichen
Beschleunigungsgebot entsprochen hätten. Der erkennende Senat hat - wie viele
andere Finanzgerichte und der BFH - von einer Entscheidung der Fälle nur deshalb
abgesehen, weil die beklagte Behörde immer wieder um ein Zuwarten mit der
Entscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Neuregelung gebeten hatte. Wenn der
Gesetzgeber es in einer solchen Situation in der Hand hätte, durch eine rückwirkende
Anwendungsregelung eines verspätet erlassenen Gesetzes den klaren
Sanktionsausspruch des Verfassungsgerichts zu umgehen, hätte dies zur Konsequenz,
dass Kindergeld in allen Fällen hätte gewährt werden müssen, in denen die Gerichte
sogleich unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes entschieden hätten, während
es in allen anderen Fällen, in denen die Gerichte im Vertrauen auf die zu erwartende
Neuregelung gewartet hätten, nicht zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche
Behandlung gleicher Tatbestände hält der erkennende Senat für verfassungsrechtlich
nicht hinnehmbar.
24
bbb) Darüber hinaus hält der erkennende Senat auch die Neuregelung selbst für nicht
verfassungsgemäß. Insoweit wird Bezug genommen auf die zur Veröffentlichung
bestimmten Vorlagebeschlüsse betreffend das Kindergeld für die Monate ab Januar
2005 in den Sachen 10 K 1689/07 und 10 K 1690/07 vom heutigen Tage.
25
ccc) Die rückwirkende Anwendung der Neuregelung ist auch nicht aufgrund der
Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäß Art. 100 GG geboten. Ein unterinstanzliches
Gericht kann einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm in eigener Zuständigkeit die
26
Anwendung versagen, wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer
vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R
35/04, BStBl II 2005, 26; Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04,
EFG 2006, 751). Dies muss auch gelten, wenn der Gesetzgeber eine
verfassungsgerichtliche Regelungsfrist dadurch umgeht, dass er den
Anwendungsbereich einer Neuregelung auf bereits abgeschlossene Sachverhalte
vorverlagert.
2. Aus diesem Grund richtet sich die Kindergeldberechtigung des Klägers im Streitfall für
die Monate bis einschließlich Dezember 2004 nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG
1996. Nach dieser Vorschrift hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon
ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder
Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29
AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56
AuslG 1990) reichte nicht aus. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Vorschrift allerdings
einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der
Kindergeldberechtigung für nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf
unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1
Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten (Anschluss an das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).
27
a) Die Erwägungen, aus denen das BVerfG § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG i. d. F. des 1.
SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den wegen der
Anknüpfung an den Aufenthaltstitel Ausländer vom Kindergeld ausgeschlossen wurden,
die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, für verfassungswidrig erklärt hat
(Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160,
BFH/NV 2005, Beilage 2, 114; s.o. 1. c aa), treffen wegen der Identität der
Tatbestandsmerkmale in gleicher Weise auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i. d. F. des JStG
1996 zu (ebenso die Gesetzesbegründung der Neuregelung vom 13. Dezember 2006,
BT-Drucks. 16/1368, S. 8; ferner BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).
Deshalb ist es unerheblich, dass die Regelung aufgrund der Systemänderung durch das
JStG 1996 nunmehr in § 62 EStG eingebettet wurde. § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG
1996 verstößt ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG wie § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der
Fassung vom 21. Dezember 1993. Aus diesem Grund ist § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des
JStG 1996 entsprechend dem Entscheidungsausspruch des BVerfG entgegen seinem
Wohnort einschränkend dahin auszulegen, dass ausländischen Eltern, die sich ohne
den erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten, Kindergeld zu gewähren
ist, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben
werden können, dies allerdings frühestens für die Zeit nach einem gestatteten oder
geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr (so bereits Niedersächsisches
FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).
28
b) Wie bereits das Niedersächsische FG a.a.O. ist auch der erkennende Senat der
Auffassung, keine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG darüber
einzuholen zu müssen, ob die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen Art. 3 Abs.
1 GG verstößt. Denn wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer
vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (im Streitfall zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG),
kann das unterinstanzliche Gericht diese Entscheidung in eigener
Entscheidungszuständigkeit auf die andere Rechtsnorm übertragen (vgl. BFH-Urteil
vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26).
29
3. Danach war das Kindergeld im Streitfall bis Mai 2004 zu gewähren, weil der Kläger,
der sich seit 1992 bis zumindest Mai 2004 ununterbrochen in der BRD aufhielt,
unstreitig jedenfalls faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnte
und sein Aufenthalt im Jahr 1997 bereits über mehrere Jahre andauerte.
30
4. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass sich die Kindergeldberechtigung des
Klägers für diesen Zeitraum auch aus seinem Status als Staatenloser ergibt. Zur
Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des FG Köln vom 10.6.1999 2 K 93/99, EFG
1999, 1139 (BFH-Az. III R 60/99).
31
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
32
IV. Die Revision wird sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung als auch wegen
Abweichung von dem BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (a.a.O.) zugelassen.
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