Urteil des FG Köln vom 30.06.2010

FG Köln (kläger, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, erlass, verfügung, umsatzsteuer, einspruch, besuch, zahlung, verhandlung, höhe)

Finanzgericht Köln, 5 K 3256/09
Datum:
30.06.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 3256/09
Rechtskraft:
VIII B 136/10
Tenor:
Unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 12.12.2007 sowie
der hier-zu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 01.10.2009 wird
der Beklagte ver-pflichtet, dem Kläger Säumniszuschläge in Höhe von
9.018,17 € zu erlassen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 4/5 und der Beklagte zu
1/5.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
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Streitig ist der Erlass von Steuerforderungen gegen den Kläger, die sich nach dem
Stand der Einspruchsentscheidung vom 17.03.2008 auf 45.774,15 € belaufen. Der
Kläger ist heute 73 Jahre alt und Rentner.
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Der Kläger war bis zu dem Widerruf seiner Anwaltszulassung im Januar 1991 als
Rechtsanwalt freiberuflich tätig. Außerdem betätigte er sich als Einzelunternehmer
gewerblich u.a. unter dem Firmenmantel A KG bzw. C-A KG und der A Versicherungs-
Beratungs-GmbH. Weiterhin trat der Kläger als Vermieter von Wohnmobilen, als
Versicherungsvertreter und als selbständiger Unternehmensberater in Erscheinung. In
den Jahren 1990 bis 1992 führte der Beklagte bei dem Kläger eine Betriebsprüfung für
die Jahre 1986 bis 1990 durch, die wegen gravierender Aufzeichnungsmängel zur
Verwerfung der Buchführung und zu Hinzuschätzungen von Umsätzen und Erlösen
führte. Insoweit wird auf den Inhalt der beiden Betriebsprüfungsberichte vom 23.09.1992
für den Kläger und die Gesellschaften verwiesen. Im Oktober 1991 wurde darüber
hinaus durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung D ein
Strafverfahren gegen den Kläger eingeleitet. Im Ergebnis wurde der Kläger durch Urteil
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des Amtsgerichts D vom 28.02.2000 u.a. wegen Einkommensteuerhinterziehung
verurteilt. In der Folge kam es zu zahlreichen Rechtsbehelfs- und Klageverfahren des
Klägers gegen die aufgrund der durchgeführten Betriebsprüfung erlassenen
Steuerbescheide. Die vom 15. Senat des Finanzgerichts Köln in diesem
Zusammenhang am 19.11.2001 erlassenen Urteile wurden allesamt rechtskräftig.
Hierbei handelt es sich unter anderem um die Urteile in folgenden Verfahren: 15 K
841/95 wegen Einkommensteuer 1986 – 1988, 15 K 6613/01 wegen Einkommensteuer
1990, 15 K 5286/95 wegen Einkommensteuer 1987, 15 K 6625/01 wegen
Einkommensteuer 1989, 15 K 3648/95 wegen Einkommen- und Umsatzsteuer 1986 bis
1990 und 15 K 675/95 wegen Umsatzsteuer 1986 bis 1990. Die Urteile wurden dem
Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 02.02.2002 durch persönliche
Übergabe zugestellt.
Die Steuerforderungen aus den Betriebsprüfungen konnte der Kläger nicht begleichen.
Auch die vom Beklagten eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen führten nicht zum
Erfolg. Zwecks Unterbrechung der Zahlungsverjährung erteilte der Beklagte dem
Vollziehungsbeamten am 22.11.2006 einen erneuten Vollstreckungsauftrag. Da der
Kläger beim Besuch des Vollziehungsbeamten am 24.11.2006 in seiner Wohnung nicht
angetroffen wurde, kündigte der Beklage ihm mit Verfügung vom 24.11.2006 für den
14.12.2006 den erneuten Besuch des Vollziehungsbeamten zur Durchführung von
Vollstreckungsmaßnahmen an. Ausweislich der beigefügten Aufstellung beliefen sich
die Steuerrückstände einschließlich Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten auf
448.365,79 €. Die Verfügung wurde dem Kläger ausweislich der
Postzustellungsurkunde am 29.11.2006 zugestellt. Mit Verfügung vom 05.12.2006 hob
der Beklagte den angekündigten Vollstreckungstermin auf, weil der Kläger
zwischenzeitlich am 28.11.2006 beim Amtsgericht B unter dem Aktenzeichen ... das
Vermögensverzeichnis vorgelegt und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte
und sich hieraus keine neuen Erkenntnisse für die Fortsetzung des
Zwangsvollstreckungsverfahrens ergeben hatten.
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Mit Schreiben vom 16.01.2007 machte der Kläger erstmals die Einrede der
Zahlungsverjährung geltend. Die daraufhin vom Beklagten vorgenommene Überprüfung
ergab, dass alle Ansprüche, die vor dem 01.01.2001 fällig waren, verjährt waren. Mit
Schreiben vom 23.02.2007, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
teilte der Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Rückstandsaufstellung mit, dass
sich die rückständigen Steuern einschließlich Nebenleistungen auf 42.635,65 €
beliefen. Im Wesentlichen handelt es sich insoweit um die Einkommensteuer 1987,
1988 und 1990, die Einkommensteuer 2000 bis 2002 sowie die Umsatzsteuer 2003 und
die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Mai 2005. In der Folge bat der Kläger um einen
rechtsmittelfähigen Bescheid, da seiner Auffassung nach sämtliche Steuerforderungen
verjährt seien. Dem kam der Beklagte durch Erteilung eines Abrechnungsbescheides
vom 19.07.2007, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, nach. Der
Abrechnungsbescheid wurde vom Kläger nicht mit dem Einspruch angefochten.
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Im November 2007 erfragte der Kläger erneut die Gesamtsumme seiner Rückstände.
Der Beklagte teilte ihm daraufhin mit Schreiben vom 26.11.2007 unter Beifügung einer
Rückstandsaufstellung mit, dass sich die Rückstände zur Zeit auf 44.957,65 € beliefen.
Mit Schreiben vom 10.12.2007 beantragte der Kläger sodann den Erlass der
Forderungen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass er nach wie vor der Auffassung sei,
die Steuerforderungen seien verjährt. Mit Verfügung vom 12.12.2007 lehnte der
Beklagte den Antrag auf Erlass der Steuerforderungen ab, weil weder sachliche noch
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persönliche Billigkeitsgründe vorliegen würden noch Zahlungsverjährung eingetreten
sei.
Hiergegen wendete sich der Kläger mit dem Einspruch vom 14.01.2008. Zur
Begründung verwies er darauf, dass die Forderungen verjährt seien und aufgrund seiner
Situation auf alle Fälle ein Erlass möglich sein müsse. Mit Einspruchsentscheidung vom
17.03.2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte er aus, die hier streitigen Steuerforderungen seien fällig und vollstreckbar; denn
sie seien allesamt nicht zahlungsverjährt. Ausweislich der beigefügten
Rückstandsübersicht seien die streitigen Steuerforderungen sämtlich erst 2001 bzw.
später fällig geworden. Vorliegend sei die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist des §
228 der Abgabenordnung (AO) durch die Ankündigung des Besuchs des
Vollstreckungsbeamten mit Verfügung vom 24.11.2006 unterbrochen worden. Der
Verfügung sei der eindeutige Wille der Finanzbehörde zu entnehmen, die streitigen
Steuerforderungen zu realisieren. Der Erlass der Steuerforderungen nach § 227 AO
komme nicht in Betracht, weil weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe
vorliegen würden. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen komme ausnahmsweise
in Betracht, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig sei und es
dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, sich gegen die
Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall
erkennbar nicht vor. Auch habe der Kläger sachliche Billigkeitsgründe nicht
vorgetragen. Ebenso wenig komme ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen in
Betracht. Persönliche Billigkeitsgründe seien Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit.
Erlassbedürftigkeit bestehe, wenn im Fall der Versagung der Billigkeitsmaßnahme die
wirtschaftliche und persönliche Existenz des Steuerpflichtigen ernstlich gefährdet sei
oder aber vernichtet werde. Erlassbedürftigkeit sei gegeben, wenn der Steuerpflichtige
die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten
in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen habe.
Vorliegend könne dahinstehen, ob der Kläger erlassbedürftig sei. Jedenfalls sei er nicht
erlasswürdig, weil er die mangelnde Leistungsfähigkeit selbst zu vertreten habe. Er
habe in gravierender Weise seine steuerlichen Aufzeichnungspflichten verletzt. Ihm sei
nachgewiesen worden, dass er Einnahmen verkürzt, Ausgaben zu Unrecht angesetzt
und dadurch Steuern in erheblichem Umfang verkürzt habe. Mithin habe er seine
finanzielle Notlage selbst herbeigeführt bzw. sie billigend in Kauf genommen.
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Gegen die Einspruchsentscheidung vom 01.10.2009 hat der Kläger die vorliegende
Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, seine Klage richte sich gegen den
Abrechnungsbescheid vom 19.07.2007 und die Versagung des Billigkeitserlasses nach
§ 227 AO. Er könne nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen sich die
Steuerforderungen ausweislich der Rückstandsübersicht zur Einspruchsentscheidung
auf insgesamt 45.774,15 € beliefen. Am 22.02.2007 seien es noch 42.635,65 €
gewesen. Im Übrigen seien sämtliche Steuerrückstände nach § 228 AO
zahlungsverjährt. Der letzte Besuch eines Vollziehungsbeamten sei am 31.05.2000
gewesen. In der Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2005 habe der Beklagte keine weiteren
Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen. Mithin sei die Zahlungsverjährung nicht
unterbrochen worden. Jedenfalls seien die Steuerrückstände aus persönlichen
Billigkeitsgründen zu erlassen; denn die Erhebung der Steuer führe bei ihm, dem
Kläger, zu einer Existenzgefährdung.
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Im Einzelnen trägt der Kläger Folgendes vor: Die Urteile des 15. Senats vom 19.11.2001
habe er nie erhalten. Zumindest aber habe er die aufgrund dieser Urteile betreffend die
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Einkommensteuer 1987 und 1988 zu erlassenen Steuerberechnungen des Beklagten
nie erhalten. In der Zeit vom 01.02.2000 bis 02.04.2003 habe er nicht in B gewohnt.
Insoweit verweist er auf die Abmeldebescheinigung der Stadt B vom 17.12.2001. Auch
die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2001 und 2002 vom 29.08.2003 bzw.
13.10.2004 habe er nicht erhalten. Ein Einkommensteuerbescheid für 2001 sei ihm
erstmals am 03.10.2009 zugegangen. Er könne auch nicht nachvollziehen, aus welchen
Gründen für die Einkommensteuer 2003 und 2004 Säumniszuschläge angefallen seien;
denn für diese Jahre sei keine Einkommensteuer festgesetzt worden. Schließlich habe
er in 2005 keine unternehmerische Tätigkeit mehr ausgeübt. Er sei bereits seit 2001
Rentner. Die Umsatzsteuervorauszahlung für Mai 2005 sei dementsprechend zu
Unrecht als Steuerrückstand ausgewiesen. Im Übrigen sei er stets als Kredit- bzw.
Versicherungsberater nach § 4 Nr. 8a und Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG),
mithin umsatzsteuerfrei tätig gewesen. Schließlich habe er wegen Einkommensteuer
2001 bis 2004 bei dem Beklagten Stundung bis zur Klärung beantragt.
Der Kläger beantragt,
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den Abrechnungsbescheid vom 19.07.2007 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 01.10.2009 aufzuheben und festzustellen, dass alle
Steuern verjährt sind, und alle noch offenen Steuern zu erlassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13
Der Beklagte verweist zur Begründung zunächst auf seine Ausführungen in der
angefochtenen Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, die hier streitigen
Steuern seien nicht zahlungsverjährt, da die Verjährung durch den angekündigten
Besuch des Vollstreckungsbeamten mit Verfügung vom 24.11.2006 unterbrochen
worden sei. Im Übrigen seien die hier streitigen Steuerforderungen allesamt rechtskräftig
festgesetzt bzw. in Bestandskraft erwachsen. Was die Einkommensteuerfestsetzungen
für die Jahre 1987, 1988 und 1990 anlangt, so verweist der Beklagte auf die
rechtskräftigen Urteile des 15. Senats des Finanzgerichts Köln vom 19.11.2001. Den
streitigen Einkommensteuerbescheid für 2001 habe er am 29.08.2003 zur Post
aufgegeben. Hiergegen habe der Kläger am 03.10.2003 Einspruch eingelegt. Den
Einspruch habe er, der Beklagte, mit Entscheidung vom 07.09.2004 als unzulässig
verworfen. Mithin sei nachgewiesen, dass der Kläger entgegen seinem Vorbringen auch
den Einkommensteuerbescheid 2001 erhalten habe. Der ursprüngliche
Einkommensteuerbescheid für 2003 sei am 17.02.2004 zur Post gegangen, der
Änderungsbescheid am 05.01.2005. Für das Jahr 2004 sei der Kläger nicht mehr zur
Einkommensteuer veranlagt worden. Die rückständigen Säumniszuschläge beträfen
ursprünglich festgesetzte Vorauszahlungen für das Jahr 2004. Die
Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Mai 2005 sei rechtskräftig. Insoweit verweist
der Beklagte auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 25.05.2007 5 K 4278/06. Im
Übrigen seien im vorliegenden Erhebungsverfahren Einwände gegen die
Rechtmäßigkeit und die Höhe der rückständigen Umsatzsteuer nicht mehr möglich.
Schließlich sei der Stundungsantrag vom 01.03.2010 mit Verfügung vom 16.03.2010
abgelehnt worden.
14
Entscheidungsgründe
15
Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
16
1.
richtet, ist die Klage unzulässig. Der Abrechnungsbescheid ist in Bestandskraft
erwachsen. Der Abrechungsbescheid war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.
Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO hätte er damit innerhalb eines Monats nach seiner
Bekanntgabe mit dem Einspruch angefochten werden müssen. Dies ist nicht
geschehen. Auch hat der Kläger nicht behauptet, er habe gegen den
Abrechnungsbescheid (rechtzeitig) Einspruch eingelegt. Vielmehr wendet der Kläger
sich erstmals mit der vorliegenden Klage und damit mehr als zwei Jahre nach dessen
Erlass gegen den streitigen Abrechnungsbescheid.
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Aus der Bestandskraft des Abrechnungsbescheides folgt weiter, dass die im
Abrechnungsbescheid aufgeführten Zahlungsverpflichtungen nicht erloschen sind.
Denn der nach § 218 Abs. 2 AO zu erteilende Abrechnungsbescheid ergeht im
Steuererhebungsverfahren. Er hat die Feststellung zum Inhalt, ob eine bestimmte
Zahlungsverpflichtung erloschen ist, d.h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet,
erlassen, ob Verjährung eingetreten ist, die Schuld bereits vor der Begründung der
Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch
Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist (vgl. hierzu Urteile des Bundesfinanzhofs
vom 15.06.1999 VII R 3/97, BStBl II 2000, 46 und vom 23.08.2001 VII R 94/99,
BStBl II 2002, 330). Die Rechtmäßigkeit der dem Abrechnungsbescheid zugrunde
liegenden Steuerbescheide ist bei der Anfechtung eines Abrechnungsbescheides nicht
zu prüfen. Dies führt zu der Konsequenz, dass angesichts des bestandskräftigen
Abrechnungsbescheides auch feststeht, dass die streitigen Steuerforderungen nicht
zahlungsverjährt sind. Ob vom Beklagten tatsächlich eine Unterbrechungsmaßnahme
vorgenommen worden ist, darauf kommt es entgegen der Auffassung des Klägers mithin
nicht an.
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Der Senat hält es jedoch für angebracht, den Kläger darauf hinzuweisen, dass der
Beklagte nach Lage der Akten die Zahlungsverjährung hinsichtlich der streitigen
Steueransprüche nach § 231 Abs. 1 AO rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist von
fünf Jahren (§ 228 Satz 2 AO) unterbrochen hat. Denn der Beklagte hat den Kläger mit
Verfügung vom 24.11.2006 schriftlich zur Zahlung der offenen Steuerbeträge
aufgefordert und den erneuten Besuch des Vollziehungsbeamten zur Durchführung von
Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt. Mit dem Zugang dieser Zahlungsaufforderung,
der durch die Postzustellungsurkunde vom 29.11.2006 belegt ist, ist die
Zahlungsverjährung wirksam unterbrochen worden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
28.08.2003 VII R 22/01, BStBl II 2003, 933). Dem kann der Kläger nicht entgegen halten,
die letzte Vollstreckungsmaßnahme des Beklagte vom 29.05.2000 habe die hier
streitigen Steuerforderungen wegen Einkommensteuer 1987 und 1988 nicht umfasst mit
der Folge, dass insoweit jedenfalls Verjährung eingetreten sei. Der Kläger verkennt,
dass es sich bei den hier streitigen Steuerforderungen wegen Einkommensteuer 1987
und 1988 von 8.900,57 € bzw. 10.950,85 € um Steuerforderungen aus den
Änderungsbescheiden vom 11.07.2001 handelt, die erstmals am 14.08.2001 fällig
geworden sind. Insoweit wird auf den Abrechnungsbescheid vom 19.07.2007
verwiesen. Wegen der darüber hinausgehenden Steuerforderungen aus diesen
Steuerjahren, die bereits seit dem Jahr 1993 fällig waren, hat der Beklagte dem Kläger
gegenüber mit Schreiben vom 16.01.2007 den Eintritt der Verjährung eingeräumt.
Vorliegend geht es nur noch um Forderungen, die ab dem 01.01.2001 fällig geworden
sind.
19
2.
teilweise begründet, soweit der Beklagte den hälftigen Erlass der streitigen
Säumniszuschläge versagt hat.
20
Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage
des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache
selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d.h. wirtschaftlichen Verhältnissen
(persönliche Gründe) begründet sein.
21
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die
durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 FGO auf Überschreitung der
gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch überprüft werden
kann (vgl. BFH-Urteil vom 17.06.2004 IV R/02, BFH/NV 2004, 505). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass bei einer Erlassentscheidung nach § 227 AO die Billigkeit sowohl
tatbestandsmäßige Voraussetzung des Erlasses als auch Ermessensschranke ist. Ist im
Einzelfall festgestellt, dass die Einziehung der Forderung unbillig wäre, so bleibt kein
Ermessensspielraum. Für die Ermessensprüfung kommt es dabei auf die tatsächlichen
Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
(Einspruchsentscheidung) gegeben bzw. erkennbar waren (vgl. BFH-Beschluss vom
13.03.1990 VII S 3/90, BFH/NV 1991, 171).
22
2.1
grundsätzlich nur angenommen werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und
eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar
war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (vgl. BFH-Urteile vom
13.01.2005 V R 35/03, BStBl II 2005, 460 und vom 21.10.1999 V R 94/98, BFH/NV
2000, 610).
23
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erkennbar nicht erfüllt. Was die Forderungen
wegen Einkommensteuer für die Jahre 1987 bis 1990 anlangt, so liegen diesen
Forderungen rechtskräftige Urteile des 15. Senats des angerufenen Gerichts vom
19.11.2001 zugrunde. Der Kläger kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg
geltend machen, er habe die aufgrund des Urteils des 15. Senats vom 19.11.2001 in der
Sache 5 K 841/95 vom Beklagten vorzunehmenden Neuberechnungen der
Einkommensteuer für 1987 und 1988 nicht erhalten. Zwar trägt der Beklagte insoweit die
objektive Feststellungslast. Der Einwand ist jedoch nicht glaubhaft. Es handelt sich um
einen "Dauereinwand" des Klägers, den der Kläger selbst für die Zustellung von
Urteilen des angerufenen Gerichts vorträgt. So hat der Kläger die Zustellung der Urteile
des 15. Senats vom 19.11.2001 bestritten, obwohl ihm diese Urteile ausweislich der
vorliegenden Postzustellungsurkunde am 02.02.2002 durch persönliche Übergabe
zugestellt worden sind. Nach Aktenlage sind die streitigen Neuberechnungen am
19.03.2002 zur Post aufgegeben worden. Hätte der Kläger die Neuberechnungen
tatsächlich nicht erhalten, so hätte er das Ausstehen der Neuberechnungen mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Beklagten angemahnt, zumal es sich
um Änderungen zu seinen Gunsten handelte. Auch über die Umsatzsteuer-
Vorauszahlung für den Monat Mai 2005 ist rechtskräftig entschieden worden, und zwar
durch Urteil des angerufenen Senats vom 25.05.2007 5 K 4278/06. Ferner ist die
Einkommensteuer für 2001 bestandskräftig festgesetzt. Denn der Kläger hat gegen den
Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 29.08.2003 ohne Erfolg Einspruch eingelegt.
24
Nichts anderes kann für den Einkommensteuerbescheid für 2002 gelten. Denn der
Einwand des Klägers, er habe den Einkommensteuerbescheid nicht erhalten, ist als
"Dauereinwand" – wie bereits ausgeführt - nicht glaubhaft. Es kommt hinzu, dass
insoweit jedenfalls nicht erkennbar ist, dass die Steuerfestsetzung offensichtlich und
eindeutig unrichtig sein soll.
Eine andere Beurteilung greift jedoch Platz, was die angefallenen Säumniszuschläge
anlangt, die sich bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung
auf insgesamt 18.036,34 € belaufen haben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur recht-
zeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom
Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger
Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die
Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften
dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß
zahlen (vgl. BFH-Urteil vom 07.07.1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161). Sachlich
unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen dann, wenn dem Steuerpflichtigen die
rechtzeitige Zahlung der Steuern wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit
unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert.
Allerdings kommt insoweit regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht. Nach der
ständigen BFH-Rechtsprechung sind Säumniszuschläge regelmäßig nur zur Hälfte zu
erlassen; denn ein Säumiger soll grundsätzlich nicht besser stehen als ein
Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde (BFH-
Urteil vom 16.07.1997 XI R 32/96 BStBl II 1998, 7 mit weiteren Nachweisen).
Ausweislich der Rückstandsübersicht zur Einspruchsentscheidung betreffen die
Säumniszuschläge den Zeitraum Juli 2001 bis März 2008. In dem gesamten Zeitraum
war der Kläger ersichtlich nicht in der Lage, die fälligen Steuern zu zahlen. Der Kläger
befindet sich seit Jahren in der Zwangsvollstreckung durch den Beklagten. Aus dem
Vollstreckungsauftrag vom 22.11.2006 ist ersichtlich, dass der Kläger zumindest seit
1993 Steuern in erheblicher Höhe schuldete. Ausweislich der Angaben des Klägers in
dem Vermögensverzeichnis vom 28.11.2006 liegt seine Altersrente, die er seit 1991
bezieht, mit monatlich 305,00 € unterhalb der Pfändungsgrenzen. Zudem ist er seit
Jahren auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen. Unter diesen Umständen ist
vorliegend der hälftige Erlass der Säumniszuschläge geboten. Dementsprechend ist der
Beklagte zu verpflichten, die Säumniszuschläge i.H.v. 9.018,17 € (18.036,34 € x ½) zu
erlassen (sog. Ermessensreduzierung auf Null).
25
2.2
Billigkeitsgründen abgelehnt. Billigkeitsmaßnahmen aus persönlichen Gründen setzen
eine Erlassbedürftigkeit und eine Erlasswürdigkeit voraus. Nur wenn beide
Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Einziehung des Anspruchs aus dem
Steuerschuldverhältnis unbillig (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, §
227 AO Rz. 86).
26
Erlassbedürftig ist der Steuerpflichtige, wenn die Steuererhebung seine wirtschaftliche
oder persönliche Existenz vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall,
wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder
dauernd nicht mehr bestritten werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 24.10.1988 X B
54/88, BFH/NV 1989, 885). Das setzt voraus, dass sich die Billigkeitsmaßnahme auf die
wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Hiervon
ausgehend scheitert demnach im Streitfall ein Erlass jedenfalls daran, dass der Kläger
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unabhängig von einer solchen Billigkeitsmaßnahme in wirtschaftlichen Verhältnissen
lebt, die – wegen des Pfändungsschutzes, den er geniest – eine Durchsetzung der in
Frage stehenden Steueransprüche ausschließen, ein Erlass hieran nichts ändern
könnte und aus diesem Grunde ein Erlass nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für
den Kläger verbunden wäre (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 24.10.1988 X B 54/88,
BFH/NV 1989, 258). Ob eine andere Beurteilung geboten wäre, wenn der Kläger
ernstlich die Wiederaufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt
beabsichtigte, muss im vorliegenden Verfahren schon deshalb unberücksichtigt bleiben,
weil der Kläger derartige Pläne jedenfalls im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht
vorgetragen hat.
Vorliegend fehlt es aber auch an der erforderlichen Erlasswürdigkeit des Klägers. Die
Erlasswürdigkeit setzt ein Verhalten des Steuerpflichtigen voraus, dass nicht in
eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die
mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst
beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 18.08.1988 V B 71/88, BFH/NV 1990, 137). Die hier
maßgebenden Steuerforderungen beruhen jedoch im Wesentlichen auf den
Feststellungen einer Betriebs- bzw. Steuerfahndungsprüfung, wonach der Kläger in
gravierender Weise gegen die Aufzeichnungspflichten verstoßen hat. Es kommt hinzu,
dass der Kläger insoweit rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist.
Mithin hat der Kläger seine steuerlichen Pflichten in besonderem Maße verletzt und
hiermit eindeutig gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen. Auch hat er
insoweit seine finanzielle Notlage selbst herbeigeführt bzw. sie billigend in Kauf
genommen. Denn ohne die Manipulationen wären die Steuern von vorneherein
zutreffend festgesetzt und durch Anpassung von Vorauszahlungen hohe
Steuernachforderungen vermieden worden. Nichts anderes kann für die hier streitige
Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2005 gelten. Denn sie beruht auf einer
Rechnungserteilung durch den Kläger mit Umsatzsteuerausweis. Wenn der Kläger nur
steuerfreie Umsätze getätigt haben will, ist nicht nachvollziehbar, warum er mit der
Rechnung vom 25.05.2005 Umsatzsteuer offen ausgewiesen hat.
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Nach alledem hat das Erlassbegehren nur Erfolg im Hinblick auf den hälftigen Erlass
der angefallenen Säumniszuschläge.
29
3.
abzulehnen. Zwar kann das Gericht nach Schluss der mündlichen Verhandlung diese
wiedereröffnen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO). Dies war hier aber nicht mehr möglich, weil
der Senat sein Urteil bereits am Tag der mündlichen Verhandlung (30.06.2010) um
12.52 Uhr verkündet hat (vgl. BFH-Beschluss vom 17.08.1999 IV B 22/99, BFH/NV
2000, 211). Demgegenüber hat der Kläger die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung mit am 02.07.2010 um 07.57 Uhr übersandten Telefaxschreiben vom
28.06.2010 beantragt. Im Übrigen enthält das Schreiben nur Ausführungen, die bereits
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Das gilt auch für das vom Kläger am
30.06.2010 um 16.36 Uhr übersandte Telefaxschreiben vom 28.06.2010.
30
4.
die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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