Urteil des FG Köln vom 22.10.2008

FG Köln: wirtschaftliche identität, gesellschaft mit beschränkter haftung, geschäftsführer, körperschaft, verdeckte gewinnausschüttung, gestaltung, handel, gesellschafterversammlung, verlustabzug

Finanzgericht Köln, 13 K 3113/07
Datum:
22.10.2008
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 3113/07
Tenor:
Die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide
2002 und 2003 werden jeweils auf 0 € herabgesetzt und die Bescheide
zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur
Körperschaftsteuer und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den
31.12.2002 und 2003 dergestalt geändert, dass die verdeckten
Gewinnausschüttungen 2002 um ... € gemindert werden und bei der
weiteren Berechnung der Feststellungsbeträge vom Fortbestand der
wirtschaftlichen Identität der Klägerin im Sinne der §§ 8 Abs. 4 KStG,
10a GewStG ausgegangen wird.
Dem Beklagten wird gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO
aufgegeben, die geänderten Beträge der Verlustfeststellungen zu
errechnen, der Klägerin das Ergebnis dieser Berechnungen
unverzüglich mitzuteilen und die Bescheide mit den geänderten Inhalten
nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekannt zu geben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren vorrangig über die Frage der
Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - bei Übertragung
von nur 49% der Anteile an der Klägerin, nachrangig über kleinere Streitpunkte nach
Durchführung einer Außenprüfung.
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Die Klägerin ist eine im Jahr 0000 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung -
GmbH - . Sie hat seit einer Kapitalerhöhung in den 80er Jahren ein Stammkapital von ...
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DM. Unter dem 00.00.2001 übertrug der bisherige Alleingesellschafter einen Anteil von
... DM auf seinen Sohn, der dafür als Gegenleistung sein einzelkaufmännisches
Unternehmen, einen ...betrieb unter der Bezeichnung "E.", zu Buchwerten in die
Klägerin einbrachte. Die Abtretung der Gesellschaftsanteile und die Einbringung des ...
erfolgte mit Wirkung zum 31. Dezember 2001. Das Gewinnbezugsrecht sollte dem
Erwerber ab dem 1. Januar 2002 zustehen. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Einbringungsvertrag unter UR-Nr. .../2001 des Notars X. in L. verwiesen. Unmittelbar im
Anschluss hielten die Gesellschafter der GmbH eine Gesellschafterversammlung ab, in
der der bisherige Alleinunternehmer als Geschäftsführer abberufen und sein Sohn zum,
von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - befreiten,
Geschäftsführer bestellt wurde. Außerdem wurde der Gesellschaftsvertrag dahingehend
geändert, dass Beschlüsse der Gesellschaft mit einer Mehrheit von 75% der
abgegebenen Stimmen gefasst werden müssen, soweit nicht eine andere Mehrheit
zwingend vorgeschrieben ist (UR-Nr. ... aus 2001 des Notars X., Blatt 38 der
Prüferhandakten - BpHA -).
Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin enthält in § 5 Abs. 1 eine Regelung, wonach zur
Veräußerung oder Belastung von Geschäftsanteilen oder von Teilen von
Geschäftsanteilen die von der Geschäftsführung zu erklärende Zustimmung der
Gesellschaft erforderlich ist (vgl. Gesellschaftsvertrag Blatt 32 ff. BpHA).
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Am 00.00.2001 schloss der neue Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin als
Eigentümer des ...grundstücks einen Pachtvertrag mit der Klägerin, womit das
...grundstück ab dem 00.00.2002 zunächst auf einen Zeitraum von fünf Jahren an die
Klägerin zum Pachtpreis von ... € zuzüglich Umsatzsteuer im Monat verpachtet wurde.
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Unter dem 00.00.2002 schloss er einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag mit der
Klägerin. Nach § 3 des Anstellungsvertrages bedarf der Geschäftsführer bei
außergewöhnlichen Geschäften der vorherigen Zustimmung durch die
Gesellschafterversammlung, nach § 8 kann er nur bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes gekündigt werden. Obwohl der Geschäftsführer seine ganze Arbeitskraft in den
Dienst der Klägerin zu stellen hatte (§ 3 Abs. 1), wurde nur eine Vergütung von ... €
monatlich vereinbart.
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Die Klägerin wies zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2001 einen Jahresüberschuss von
ca. ... DM und einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von ca. ... DM aus.
In den beiden nachfolgenden Streitjahren erzielte die Klägerin Jahresüberschüsse von
ca. ... € und ca. ... €. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag sank auf ca. ... €
zum 31. Dezember 2003.
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Die Klägerin gab die Erklärungen zur Körperschaftsteuer, den zugehörigen
Feststellungen und zur Gewerbesteuer auf der Basis der Gewinnermittlungen ab. Die
Festsetzungen führten nach Lage der Akten, die teilweise keine Kopien der
Steuerbescheide enthalten, zu erklärungsgemäßen Festsetzungen, mit denen die
Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuermessbeträge jeweils auf null € festgesetzt
wurden, da die Gewinne der Streitjahre infolge der Verlustvorträge nicht zu positiven
Steuerfestsetzungen führten. Soweit ersichtlich standen alle Bescheide unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung. Die Umsatzsteuerjahreserklärung 2002 wirkte als
Steueranmeldung.
8
Im Jahr 2005 führte der Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch, die im
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Wesentlichen zu folgenden Ergebnissen führte:
Die Betriebsprüfung kam zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen des § 20 des
Umwandlungssteuergesetzes - UmwStG - im Streitfall nicht erfüllt seien und deshalb
eine Einbringung des früheren Einzelunternehmens des Minderheitsgesellschafters zu
Buchwerten ausscheide. Insoweit besteht inzwischen Einvernehmen. Die
Betriebsprüfung ging davon aus, die stillen Reserven im Einzelunternehmen des
eintretenden Gesellschafters müssten daher aufgedeckt und versteuert werden. Dabei
nahm der Prüfer einen Firmenwert des Einzelunternehmens von ... € an. Dies führte
dazu, dass bei der Klägerin in den Jahren 2002 und 2003 jeweils
Abschreibungsbeträge - AfA - in Höhe von ... € gewinnmindernd berücksichtigt wurden.
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Im Rahmen der Prüfung wurden weiterhin erhebliche Mängel in der Buchführung,
insbesondere keine ordnungsgemäße Kassenführung und das Fehlen von
Warenbestandsaufnahmen, festgestellt (Textziffer 2.1 des Betriebsprüfungsberichtes
vom 00.00.2006). Im Streitjahr 2002 war der Warenbestand aus dem von der GmbH
zuvor betriebenen Großhandel mit ...artikeln teilweise zu reduzierten Entgelten
veräußert, teilweise unentgeltlich abgegeben und teilweise auf Grund von Überlagerung
vernichtet worden. Die Betriebsprüfung reduzierte daher den Warenbestand laut Bilanz
zum 31. Dezember 2002 um ... € und schätzte die vereinnahmten Erlöse aus der
Veräußerung des Warenbestandes mit ... € zuzüglich Umsatzsteuer (50% zu 7% und
50% zu 16%) von ... € und nahm insoweit eine verdeckte Gewinnausschüttung - vGA -
von ... € an.
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Im Rahmen der Prüfung hatte der Betriebsprüfer weiterhin eine Stellungnahme des
Prozessbevollmächtigten zu 1.) zur Problematik des § 8 Abs. 4 KStG in der im Streitjahr
2002 geltenden Fassung - a. F. - vorgefunden. Dabei hatte der Steuerberater darauf
hingewiesen, dass sich die Zuführung überwiegenden neuen Betriebsvermögens im
Hinblick auf die geplante Übernahme des ...betriebs und die Einstellung des ...handels
nicht vermeiden ließe und deshalb die zweite Voraussetzung des § 8 Abs. 4 KStG a. F.,
die Übertragung von mehr als 50% der Anteile, zu vermeiden sei. Der Bevollmächtigte
hatte daher vorgeschlagen, maximal 50% der Anteile an der Klägerin auf den Sohn des
früheren Alleingesellschafter, den jetzigen Minderheitsgesellschafter, zu übertragen und
es bei dieser Beteiligungsquote sicherheitshalber für fünf Jahre zu belassen. Bei dieser
Konstruktion könne die Klägerin die Verlustvorträge nutzen. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Stellungnahme des Bevollmächtigten (Blatt 41 BpHA) verwiesen.
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Der Betriebsprüfer verwies auf die im Zeitpunkt der Übertragung der
Gesellschaftsanteile bestehenden Verlustvorträge der Klägerin in Höhe von ca. ... DM
und die in der Bilanz ausgewiesenen Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber dem
bisherige Alleingesellschafter in Höhe von ca. ... DM sowie auf die in der Vergangenheit
erwirtschafteten nicht unerheblichen Gewinne des eingebrachten ...betriebs.
13
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin ihren früheren Geschäftsbetrieb
- ...großhandel - unmittelbar nach Einbringung des ... eingestellt habe, der Einbringende
keine Gegenleistung für das eingebrachte ... von Seiten der GmbH erhalten, sondern nur
von seinem Vater eine Schenkung von 49% der Anteile bekommen habe, erweise sich
die Gestaltung als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 42 der Abgabenordnung - AO -.
Es handle sich um eine ungewöhnliche, unangemessene Gestaltung, deren einziger
Zweck die Erlangung des Verlustvortrages gewesen sei. Die Gestaltung sei lediglich auf
Grund des engen verwandtschaftlichen Verhältnisses der beteiligten natürlichen
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Personen möglich gewesen und diene allein der Verlustnutzung durch den jetzigen
...betrieb. Kein fremder Dritter hätte ein gewinnbringendes Unternehmen gegen
Gewährung einer Minderheitsbeteiligung in die Klägerin eingebracht, bei der wegen der
hohen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter zukünftige
Gewinne zur Tilgung der Verpflichtungen eingesetzt werden müssten. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht, insbesondere Textziffer 2.6
verwiesen.
Der Beklagte erließ daraufhin unter dem 00., 00. und 00.00.2006 Änderungsbescheide,
mit denen u. a.
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1. die Körperschaftsteuer 2002 mit ... € festgesetzt wurde, weil neben dem Ansatz
geringerer Korrekturpositionen ein Verlustabzug bei der Körperschaft-steuer und
die Feststellung eines verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 2002
unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 KStG a. F. unterblieb;
2. der Gewerbesteuermessbetrag 2002 mit ... € festgesetzt und eine
Verlustverrechnung sowie die Feststellung eines vortragsfähigen
Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2002 unter Hinweis auf § 10a des
Gewerbesteuergesetzes - GewStG - i. V. m. § 8 Abs. 4 KStG a. F. abgelehnt
wurde;
3. die Körperschaftsteuer 2003 auf ... € festgesetzt wurde und ein Verlustabzug bei
der Körperschaftsteuer sowie ein vortragsfähiger Verlust nicht mehr festgestellt
wurde;
4. der Gewerbesteuermessbetrag 2003 auf ... € festgesetzt wurde und der Erlass
eines Bescheid über die gesonderte Verlustfeststellung zum 31. Dezember 2003
abgelehnt wurde.
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Unter anderem dagegen wendete sich die Klägerin mit fristgerecht erhobenen
Einsprüchen. Mit ihnen wandte sie ein, die geschätzten Erlöse aus dem Abverkauf der
...artikel seien überhöht. Es sei maximal ein Erlös von ... € zu schätzen. Hinsichtlich des
angenommenen Gestaltungsmissbrauchs bzgl. der Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG a.
F. vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die Annahme des Beklagten, die
Vermeidung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Missbrauchsvorschrift sei
missbräuchlich, unhaltbar sei. Das speziellere Gesetz (hier § 8 Abs. 4 KStG) gehe dem
allgemeineren Gesetz (hier § 42 AO) vor. § 42 AO sei daher nicht anwendbar. Auch die
Annahme des Beklagten, Anteilsübertragungen zwischen Angehörigen unterfielen
einem strengeren Maßstab, entbehrten einer gesetzlichen Grundlage. § 8 Abs. 4 KStG
a. F. stelle auf derartige Fragen nicht ab. Die entgeltlichen wie die unentgeltlichen
Übertragungen würden selbst nach Auffassung der Finanzverwaltung gleich behandelt.
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Mit der Einspruchsentscheidung vom 00.00.2007 folgte der Beklagte dem Vorbringen
der Klägerin hinsichtlich des Fehlens eines einlagefähigen Firmenwertes im Jahr 2001,
was dazu führte, dass die Körperschaftsteuer 2002 auf ... €, die Körperschaftsteuer 2003
auf ... €, der Gewerbesteuermessbetrag 2002 auf ... € und der
Gewerbesteuermessbetrag 2003 auf ... € erhöht wurde. Wegen der weiteren
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Streitpunkte, insbesondere der Erlöse im ...handel und der Versagung des
Verlustabzuges in den Streitjahren blieb der Einspruch ohne Erfolg.
Der Beklagte folgte im Rahmen der Einspruchsentscheidung der Auffassung der
Klägerin, wonach eine Anwendung des § 42 AO im Streitfall ausscheide. Allerdings
könne die Versagung des Verlustabzuges im Streitfall unmittelbar auf § 8 Abs. 4 KStG a.
F. gestützt werden. Nach der Gesetzesformulierung liege eine wirtschaftliche Identität
insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile übertragen würde
und die übrigen, im Streitfall unbestritten gegebenen, Voraussetzungen des § 8 Abs. 4
KStG a. F. erfüllt seien. So sei im vorliegenden Verfahren der ursprüngliche
Geschäftsbetrieb der Klägerin, der Handel mit ...artikeln, Anfang 2002 aufgegeben
worden. Nennenswertes Betriebsvermögen sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr
vorhanden gewesen. Zugleich mit der schenkweisen Übertragung von 49% der
Gesellschaftsanteile und dem Übergang der Geschäftsführung auf den neu eintretenden
Gesellschafter sei der Geschäftsbetrieb als ...betrieb - dessen Betriebsvermögen in die
GmbH eingebracht worden sei - fortgeführt worden. Unter Bezugnahme auf die BFH-
Entscheidung in BStBl II 1997, 829 vertrat der Beklagte die Auffassung, dass ein dem
Urteilsachverhalt entsprechender Gesamtplan zur sukzessiven Übertragung aller
Gesellschaftsanteile bestanden habe. Auf die Tatsache, dass bisher die Übertragung
weiterer Gesellschaftsanteile unterblieben sei, komme es im Hinblick auf die Planung
nicht an. Die Gestaltung entspreche der Übertragung von mehr als 50% der Anteile und
sei daher als weiterer unter § 8 Abs. 4 KStG a. F. zu subsumierender Fall des Verlustes
der wirtschaftlichen Identität zu behandeln. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
die Einspruchsentscheidung mit allen Anlagen Bezug genommen.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Klage. In Übereinstimmung mit dem
außergerichtlichen Vorbringen beantragt sie die Schätzung eines geringeren Erlöses
aus der Veräußerung der ...artikel. Sie trägt insoweit vor, dass sowohl eine
Hinzuschätzung als auch die Annahme einer vGA in Form der verhinderten
Vermögensmehrung steuerbegründende Tatsachen darstellten. Daher obliege dem
Beklagten die volle Darlegungs- und Beweislast. Die Waren seien überwiegend
vernichtet bzw. zu absoluten Billigpreisen verkauft worden. Der Umstand, dass zuvor
eine Teilwertabschreibung auf diese Gegenstände nicht vorgenommen worden sei,
belege das Gegenteil nicht. Es sei maximal ein Erlös den Höhe von ... € erzielt worden.
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Mit Schriftsatz vom 00.00.2008 haben die Bevollmächtigten zu 2.) nochmals zu § 42 AO
vorgetragen und dabei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Anwendung der
Vorschrift schon deshalb nicht in Betracht komme, weil es sich um eine Regelung der
Unternehmensnachfolge gehandelt habe, so dass ein außersteuerlicher Grund vorliege.
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Hinsichtlich der Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. verweist die Klägerin auf den der
vom Beklagten herangezogenen BFH-Entscheidung zugrunde liegenden
Lebenssachverhalt. Der BFH habe darauf abgestellt, dass der spätere Erwerb der
formellen Position eines Gesellschafters zu mehr als 75% die Anwendung der Norm
nicht hindern könne, wenn er im Zeitpunkt der Zuführung neuen Betriebsvermögens
bereits eine Rechtsposition innegehabt habe, die der des Anteilsinhabers sehr nahe
komme. Die Besonderheit des Falles habe darin gelegen, dass die spätere Übertragung
von 90% der Anteile durch bestimmte Gestaltungen praktisch vorweggenommen worden
sei. Daran fehle es hier. Auch die vom Beklagten in Bezug genommene so genannte
Gesamtplanrechtsprechung sei nicht einschlägig, weil diese voraussetze, dass das
gesamtplanmäßig angestrebte Endergebnis auch tatsächlich herbeigeführt werde.
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Im Prinzip könne daher dahinstehen, ob der jetzige Minderheitsgesellschafter jemals
den Plan gehabt habe, seine Beteiligung über 49% zu steigern. Nur geplante, aber
niemals verwirklichte Lebenssachverhalte spielten steuerlich keine Rolle. Im Übrigen
sei der Gesamtplan vom Beklagten nicht bewiesen worden. Die bloße Tatsache, dass
der Prozessbevollmächtigte über die steuerlichen Voraussetzungen und Folgen des § 8
Abs. 4 KStG a. F. informiert habe, rechtfertige nicht den Schluss, dass der
Minderheitsgesellschafter entsprechend verfahren wollte. Nur die Darlegung der
verschiedenen steuerlichen Alternativen lasse den Schluss auf einen entsprechenden
Gesamtplan nicht zu. Es sei der tatsächlich realisierte Lebenssachverhalt zu besteuern.
Dabei sei keine Beteiligung von mehr als 50% des Grundkapitals übertragen worden.
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Der jetzige Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer habe zusammen mit der
Anteilsübertragung auch keine einem Mehrheitsgesellschafter vergleichbare
Rechtsstellung erhalten. Insbesondere sehe die Satzung keine Sonderrechte für den
Minderheitsgesellschafter, wie Mehrstimmrechte oder Stimmbindungsvereinbarungen
vor.
25
Nach Überzeugung der Klägerin ist die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im
Sinne einer streng zivilrechtlichen Betrachtungsweise zu verstehen, wie sich aus der
Rechtsprechung zur mittelbaren Anteilsveräußerung und zur Konzernklausel ergebe.
Die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. auf über das Regelbeispiel hinausgehende
Fälle komme daher nur in engen Ausnahmen in Betracht. Die dem Grunde nach
systemwidrige Durchbrechung der Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter
durch die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. setze voraus, dass der neue
Gesellschafter seinen Willen auf Grund gesellschaftsrechtlicher Konstruktionen in der
Gesellschaft unmittelbar, jederzeit und ohne Rücksicht auf die Belange anderer
umsetzen könne. Diese Voraussetzungen seien aber im Streitfall nicht erfüllt. Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 00.00.2007 und den
Schriftsatz vom 00.00.2008 verwiesen.
26
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten dahingehend
tatsächlich verständigt, dass die Erlöse aus der Veräußerung der verbliebenen ...artikel
mit ... € anzunehmen seien, die je zur Hälfte einem Umsatzsteuersatz von 7% bzw. 16%
zu unterwerfen seien. Wegen des weiteren Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf
das Protokoll Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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die angefochtenen Bescheide zur Körperschaftsteuer 2002 und 2003, den
Gewerbesteuermessbeträgen 2002 und 2003, den Feststellungen des
verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2002 und 2003
und den Feststellungen des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2002
und 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 00.00.2007 mit der Maßgabe
abzuändern, einen Verlust des vortragsfähigen Verlusts auf Grund der
Anteilsübertragung nicht anzunehmen sowie eine Hinzuschätzung bzw. vGA auf
Grund des Ausverkauf von ...artikeln in Höhe des Betrages der tatsächlichen
Verständigung zugrunde zu legen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass hinsichtlich der Hinzuschätzung
bzw. vGA auf Grund des Ausverkauf von ...artikeln ein Betrag in Höhe der
tatsächlichen Verständigung berücksichtigt wird.
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Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung und das Ergebnis der
mündlichen Verhandlung, wie es sich aus dem Protokoll ergibt.
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Entscheidungsgründe
33
Die Klage ist in vollem Umfang begründet. Die angefochtenen Steuer-, Mess- und
Verlustfeststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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Dies ist hinsichtlich der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung
2002 insoweit unstreitig, wie der Beklagte bisher zu hohe vGA im Sinne des § 8 Abs. 3
KStG angesetzt hat. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens bei der
Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 KStG) und des maßgeblichen Gewerbeertrages bei der
Gewerbesteuer 2002 (§ 7 Abs. 1 GewStG) hat der Beklagte bisher vGA in Höhe von ... €
berücksichtigt, wobei die hier im Verlaufe des Verfahrens streitbefangenen
Veräußerungserlöse von ... € zuzüglich Umsatzsteuer von .. €, in der Summe also ... €,
aus der Veräußerung der ...artikel neben den vGA aus Tz 2.7.1, 2.7.3 und 2.10 des
Betriebsprüfungsberichtes erfasst waren.
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Der Betrag ist unter Zugrundelegung der in der mündlichen Verhandlung getroffenen
tatsächlichen Verständigung um ... € zu mindern. Die Beteiligten des Verfahrens haben
sich dahingehend verständigt, dass für die Zwecke der Berechnung der vGA von
Erlösen i. H. v. ... € auszugehen ist, die jeweils zur Hälfte mit 7% bzw. 16%
Umsatzsteuer zu belasten sind. ... €*7% ergibt ... €; ... €*16% ergibt ... €. ... € plus ... €
plus ... € ergibt in der Summe (abgerundet auf volle €) ... €. Der Differenzbetrag zu den
bisher angesetzten vGA in Höhe von ... € beträgt ... €.
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Da hinsichtlich dieser Minderung der Besteuerungsgrundlagen zwischen den
Beteiligten - wie auch aus den insoweit übereinstimmenden Anträgen ersichtlich ist -
kein Streit mehr besteht, verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen.
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Die Klage ist auch insoweit begründet, wie die Klägerin die Berücksichtigung des zum
31. Dezember 2001 festgestellten verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer
in Höhe von ... € bei der Berechnung der Körperschaftsteuer 2002 und die
Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2001 festgestellten vortragsfähigen
Gewerbeverlustes von ... € bei der Berechnung des Gewerbesteuermessbetrages 2002
begehrt.
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Der Beklagte hat die Berücksichtigung der zum 31. Dezember des Vorjahres
festgestellten Verlustbeträge bei der Berechnung der Körperschaftsteuer und des
Gewerbesteuermessbetrag und nachfolgend den Verlustfeststellungen zum Ende des
ersten Streitjahres zu Unrecht unter Berufung auf § 8 Abs. 4 KStG a. F. und § 10a Satz 4
GewStG a. F. abgelehnt.
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Nach § 8 Abs. 4 KStG a. F. bzw. dem ausschließlich auf § 8 Abs. 4 KStG a. F.
verweisenden § 10a Satz 4 GewStG a. F. war Voraussetzung für den Verlustabzug nach
§ 10d des Einkommensteuergesetzes - EStG - bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur
40
rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch war, die den Verlust
erlitten hatte. Nach § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a. F. liegt wirtschaftliche Identität
insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer
Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Kapitalgesellschaft ihren
Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder
aufnimmt.
Nach herrschender Meinung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 13. August 1997 I R 89/96,
BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829 mit umfangreichen Nachweisen auch zur
Gegenansicht) definiert § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a. F. die wirtschaftliche Identität einer
Körperschaft nicht. Es handelt sich vielmehr um ein Regelbeispiel, das Raum für Fälle
des Verlustes der wirtschaftlichen Identität außerhalb des dort enthaltenen
Regelbeispiels lässt (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 9/06, BFHE 218, 207,
BFH/NV 2008, 166 m. w. N.). Das Regelbeispiel setzt aber zugleich mittelbar einen
Maßstab für die in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a. F. erfassten Fällen des Verlustes der
wirtschaftlichen Identität. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit dem in Satz 2
genannten Regelbeispiel wirtschaftlich vergleichbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai
2008 I R 87/07 m. w. N., Veröffentlichung des BFH im Internet am 15. Oktober 2008).
41
Bei Zugrundelegung dieser Auslegung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. fehlt es im Streitfall am
Verlust der wirtschaftlichen Identität der Klägerin im Streitjahr 2002. Der Senat versteht
dabei die Regelungen in dem Vertrag vom 00.00.2001 - wie wohl auch die Klägerin und
der Beklagte - so, dass die Übertragung der Gesellschaftsanteile und die Einbringung
des neuen Betriebsvermögens auf den Jahreswechsel 2001/2002 erfolgen sollten, so
dass erstmals in den Veranlagungen des Streitjahres 2002 eine Anwendung des § 8
Abs. 4 KStG a. F. in Betracht käme. Sähe man dies anders und würde
Anteilsübertragung und ...einbringung im Jahr 2001 annehmen, hätte die Klage selbst
bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beklagten schon deshalb Erfolg, weil
dann (fehlerhaft) zum 31. Dezember 2001 Verlustfeststellungen ohne Anwendung des §
8 Abs. 4 KStG a. F./§ 10a GewStG erfolgt wären, die nach der einschlägigen
Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22. Oktober 2003 I R 18/02, BFHE
204, 273, BStBl II 2004, 468 m. w. N.) für alle Folgejahre, hier also für die Streitjahre,
verbindlich wären.
42
Aber selbst wenn man zu Gunsten des Beklagten von einer Anteilsübertragung mit
Wirkung zum 1. Januar 2002, 0 Uhr ausgeht, fehlt es im Streitjahr 2002 am Verlust der
wirtschaftlichen Identität der Klägerin. Zwar ist der Klägerin unstreitig in unmittelbarem
zeitlichem Zusammenhang zu der Anteilsübertragung überwiegend neues
Betriebsvermögen zugeführt worden, aber die zweite Voraussetzung des
Regelbeispiels, die Übertragung von mehr als der Hälfte der Anteile, ist durch die
Übertragung von 49% der Anteile nicht erfüllt worden.
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Es liegt auch kein dem Regelbeispiel vergleichbarer Sachverhalt des Verlustes der
wirtschaftlichen Identität im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a. F. vor, der einen
Verzicht auf die Übertragung der vom Gesetz regelmäßig verlangten Beteiligungsquote
rechtfertigen könnte.
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Wie bereits oben unter Bezugnahme auf das Grundsatzurteil des BFH angesprochen, ist
der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer Körperschaft im KStG oder dem darauf
verweisenden GewStG nicht definiert. Die Anforderungen an den Verlust der
wirtschaftlichen Identität sind daher unter Berücksichtigung der Vorgaben durch das
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Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a. F. einerseits und dem Zweck der Vorschrift
andererseits zu bestimmen. Der BFH (BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 61/01, BFHE
203, 135, BStBl II 2004, 616) hat dazu ausgeführt, dass das Ziel des § 8 Abs. 4 KStG a.
F. in erster Linie sei, den Handel mit GmbH-Mänteln und vortragsfähigen Verlusten zu
unterbinden. Zu diesem Zweck verlange das Gesetz die wirtschaftliche Identität einer
Körperschaft als Voraussetzung für den Verlustabzug. Obwohl sich die Identität einer
Körperschaft als Rechtsperson durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr
verfügbares Betriebsvermögen, nicht aber durch ihre Gesellschafter bestimme, habe der
Gesetzgeber zur Erreichung des von ihm angestrebten Ziels die Frage der
wirtschaftlichen Identität um eine personelle Komponente angereichert und damit den
Persönlichkeitsbereich der Körperschaft verlassen. Er hat aus der Definition des
Regelbeispiels weiter abgeleitet, dass eine Ausdehnung auf mittelbare Veränderungen
in der personalen Struktur vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG a. F. nicht
erfasst sind. Die unter die Generalklausel des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a. F. zu
subsumierenden Sachverhalte müssten zwingend den Wertungen des Regelbeispiels
entsprechen.
Bezogen auf die hier problematische Überschreitung der Grenze von 50% der Anteile
bedeutet dies nach Überzeugung des Senats, der sich der Rechtsprechung des BFH
insoweit anschließt, dass nur Sachverhalte, die im Ergebnis der Übertragung einer
derartigen Mehrheitsbeteiligung entsprechen, unter die Generalklausel des § 8 Abs. 4
Satz 1 KStG a. F. subsumiert werden können. Wann ein entsprechender Fall vorliegt, ist
im Einzelfall unter Wertung der feststellbaren Sachverhaltselemente unter
Berücksichtigung der in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu
bestimmen.
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Nach der Auffassung der Finanzverwaltung, wie sie in dem BMF-Schreiben vom 16.
April 1999 zur Anwendung von § 8 Abs. 4 KStG (BStBl I 1999, 455) dokumentiert ist,
kann eine dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a. F. gleichstehende Ge-
staltung dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels nicht
vollständig erfüllt sind, aber durch zusätzliche andere Maßnahmen die wirtschaftliche
Identität der Körperschaft aufgegeben worden ist. Dies soll unter anderem dann der Fall
sein, wenn zwar nicht mehr als 50% aller Geschäftsanteile übertragen werden, jedoch
ein Anteilserwerber eine Rechtsposition erhält, die mit der eines Gesellschafters
wirtschaftlich vergleichbar ist, der mehr als 50% der Gesellschaftsanteile an der
Kapitalgesellschaft hält (BMF a. a. O. Rdnr. 29). Das BMF nimmt insoweit Bezug auf die
Entscheidung des BFH in BStBl II 1997, 829, die die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG a.
F. auf einen Fall betrifft, in dem zum maßgeblichen Zeitpunkt weniger Anteile als in dem
Regelbeispiel vorgegeben, übertragen worden waren. Allerdings kam es in dem vom
BFH entschiedenen Fall nach dem damals geltenden Regelbeispiel darauf an, dass die
Übertragung von mehr als 75% der Anteile vor der Zuführung wesentlichen neuen
Betriebsvermögens erfolgt war. Im zu entscheidenden Fall war aber zunächst nur eine
Minderheitsbeteiligung übertragen, danach wesentliches neues Betriebsvermögen
zugeführt und erst im Anschluss die gesamte Restbeteiligung übertragen worden.
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Der BFH hat dazu ausgeführt, dass die erst spätere Übertragung der hinreichenden
Anteile an der Gesellschaft die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG in der damals
geltenden Fassung nicht hindern könne, wenn der spätere Anteilserwerber schon im
Zeitpunkt der Zuführung neuen Betriebsvermögens in Bezug auf die später zu
übertragenden Anteile eine Position innegehabt habe, die der eines Anteilsinhabers
sehr nahe käme. Dabei reiche es steuerlich aus, wenn die objektiv nach außen hin in
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Erscheinung tretenden Rechtsbeziehungen sich wirtschaftlich nur damit erklären ließen,
das dem Anteilserwerber schon vor der Anteilsübertragung eine Rechtsposition
zukomme, die der eines Gesellschafters entspreche, der mehr als die notwendige
Beteiligung (damals mehr als 75%, im Streitfall mehr als 50% der Anteile) an der
Kapitalgesellschaft halte.
In dem Verfahren, dass der Entscheidung in BStBl II 2004, 468 zugrunde lag, hatte der
Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer mit ca. 4,5 Millionen DM überschuldeten
GmbH I 60% der Anteile an eine GmbH II abgetreten und seine Tätigkeit als
Geschäftsführer beendet. Der Alleingesellschafter der erwerbenden GmbH II erwarb in
einer mehrseitigen Absprache mit dem Hauptgläubiger der GmbH I, dem
Anteilsveräußerer und dessen Ehefrau Forderungen von knapp 5 Millionen DM gegen
die GmbH I zum Preis von 200.000 DM. Der BFH bestätigte die Annahme des
Finanzgerichts, dass die wirtschaftliche Stellung des Alleingesellschafters der
erwerbenden GmbH II auf Grund des Anteilserwerbs sowie der Forderungsabtretung
derjenigen eines Anteilseigners entsprach.
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Die Kommentarliteratur folgt der Entscheidung des BFH in BStBl II 1997, 829 im
Wesentlichen, betont aber durchgängig die Notwendigkeit einer restriktiven Anwendung
der Generalklausel (vgl. z. B. Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rdnr. 1250; Rengers in
Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rdnr. 949; Schloßmacher in Herrmann/ Heuer
/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rdnr. 426; Dötsch in Dötsch/ Jost/ Pung/ Witt, KStG, §
8 Abs. 4 Rdnr. 136). Die Entscheidung BStBl II 2004, 468 findet wegen der starken
Abweichung vom Zivilrecht Kritik (Roser in Gosch, KStG, § 8 Rdnr. 1414). Der
erkennende Senat schließt sich der ganz überwiegend vertretenen Ansicht an, vertritt
aber auch die Auffassung, dass die Mindestquote der übertragenen Anteile von mehr als
50% nur in extremen Fällen unterschritten werden kann.
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Bei Zugrundelegung dieser Interpretation des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG a. F. kann im
Streitfall eine der Übertragung einer Mehrheitsbeteiligung gleichzustellenden
wirtschaftlichen Rechtsposition des die Minderheitsbeteiligung erwerbenden
Anteilseigners nicht festgestellt werden.
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Der Minderheitsgesellschafter hatte keine Rechtsposition inne, die es erlauben würde,
ihm in dem Streitjahr die Anteile des Mehrheitsgesellschafters zuzurechnen.
Anhaltspunkte für eine Option oder ähnliche rechtliche Gestaltungen, die es dem
Minderheitsgesellschafter erlauben würden eine Übertragung der Mehrheitsanteile auf
sich zu verlangen, sind weder schlüssig vorgetragen noch feststellbar.
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Die Tatsache, dass der Bevollmächtigte zu 1.) die Gesellschafter der Klägerin über den
Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG informiert und zur Vermeidung des Verlustes des
Verlustvortrages die Übertragung einer Minderheitsbeteiligung vorgeschlagen hatte,
führt nicht zu einer anderen Entscheidung. Es ist die Aufgabe eines Beraters auf
steuerliche Probleme hinzuweisen und rechtmäßige Handlungsoptionen aufzuzeigen,
wie steuerlich unerwünschte Folgen vermieden werden können. Er verschafft seinen
Mandanten auf diese Weise die Möglichkeit sachgerechte Entscheidungen zu treffen.
Auch wenn der Berater aus seiner Sicht bestehende langfristige Möglichkeiten skizziert,
bedeutet dies nicht, dass die Mandanten entsprechende Entschlüsse fassen. Es kann
daher - ungeachtet weiterer Problemstellungen in diesem Zusammenhang - nicht
festgestellt werden, dass die Gesellschafter der Klägerin einen "Gesamtplan" zur
sukzessive Übertragung aller Anteile gefasst haben. Bloße Vermutungen des Beklagten
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können diese fehlenden Feststellungen nicht ersetzen. Dies gilt umso mehr, als bis zum
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weitere Übertragungsakte nicht festgestellt
werden können.
Auch die festgestellten und unstreitigen Lebenssachverhalte entsprechen nach
Überzeugung des erkennenden Senats - trotz der nicht unerheblichen Machtposition
des Minderheitsgesellschafters - nicht der Rechtsposition eines
Mehrheitsgesellschafters.
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Zwar hatte der Minderheitsgesellschafter als Verpächter des Betriebsgrundstückes, als
nur eingeschränkt abrufbarer Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter mit einer
Sperrminorität zunächst die Möglichkeit die Geschicke der Klägerin zu steuern. Als
Verpächter war er aber gemäß § 2 des Pachtvertrages auf fünf Jahre gebunden.
Gestaltungsrechte konnte er während dieser Zeit nicht ausüben. Anhaltspunkte für eine
unangemessene Gestaltung der Pacht bestehen nicht. Auch der Beklagte hat kein
entsprechendes Vorbringen in das Verfahren eingeführt.
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Als Geschäftsführer hatte der Minderheitsgesellschafter einerseits die Möglichkeit die
Geschäfte der Klägerin zu bestimmen. Andererseits waren seine
Handlungsmöglichkeiten durch die Begrenzung seiner Geschäftsführerbefugnisse in
wesentlichen Fragen durch das Erfordernis der Zustimmung der
Gesellschafterversammlung gebunden. Die wesentlichen Geschäfte, insbesondere die
Veräußerung des Unternehmens im Ganzen, also des eingebrachten ...betriebs,
bedurften der vorherigen Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung.
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Zwar sah der Geschäftsführervertrag in § 4 Abs. 3 eine Befreiung von den
Beschränkungen des § 181 BGB vor. In § 1 Abs. 6 des Vertrages ist aber geregelt, dass
der Geschäftsführer nicht befugt ist, außerhalb eines von der
Gesellschafterversammlung ordnungsgemäß gefassten Gewinnverteilungsbeschlusses
sich persönlich, den übrigen Gesellschaftern oder nahe stehende Personen Vorteile
irgendwelcher Art vertragsgemäß oder durch einseitige Handlungen zuzuwenden. Die
Neuregelung von § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages, wonach die Beschlüsse der
Gesellschaft mit einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen gefasst werden
müssen, führte zwar dazu, dass der Minderheitsgesellschafter vom
Mehrheitsgesellschafter nicht überstimmt werden konnte, gab ihm aber auch nicht die
Möglichkeit, seinerseits die Geschicke der Gesellschaft durch Mehrheitsentscheidungen
einseitig zu bestimmen.
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Auch die Tatsache, dass die Anteile an der Gesellschaft nur mit Zustimmung der
Gesellschaft veräußert werden konnten, betraf beide Gesellschafter.
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Bedeutsam erscheint, dass nach Lage der Akten keine vertraglichen Regelungen
bezüglich der Abtretbarkeit der Darlehensforderungen bestehen. Diese sind aber für die
Beurteilung des gesamten Falles nach Überzeugung des erkennenden Senats
entscheidend. Bei der Bewertung der gesamten Indizien ist zu beachten, dass die
wesentlichen Chancen aus einer Vermögensverbesserung der Klägerin nach Lage der
Akten weiterhin dem Mehrheitsgesellschafter zustanden und zustehen. Der nicht
gedeckte Fehlbetrag des Eigenkapitals von ca. ... € in der Bilanz auf den 31. Dezember
des Streitjahres korrespondiert auf der Passivseite der Bilanz im Wesentlichen mit den
Verbindlichkeiten gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter in Höhe von ca. ... €. Im Falle
einer Liquidation der Klägerin hätte der Minderheitsgesellschafter daher wahrscheinlich
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das von ihm eingebrachte Vermögen verloren. Anders als in dem vom BFH in BStBl II
2004, 468 entschiedenen Fall, hat also nicht der Erwerber der Gesellschaftsanteile
durch Überleitung der Forderungen die wirtschaftlichen Chancen erhalten, sondern der
andauernde Mehrheitsgesellschafter ist im Besitz dieser Chancen geblieben. Insoweit
unterscheiden sich die beiden Fälle grundlegend.
Es ist dem Beklagten zuzugestehen, dass die vorliegende Gestaltung letztlich nur
dadurch verständlich wird, dass es sich - wie auch die Klägerin selbst vorgetragen hat -
um einen Vorgang im Rahmen einer Unternehmensnachfolge handelt. Nur die
Erwartung zu späterer Zeit den Mehrheitsanteil und die damit verbundenen
Darlehensforderungen gegen die Klägerin zu erben, machen die Handlungsweise des
Minderheitsgesellschafters unmittelbar nachvollziehbar und lassen sie wirtschaftlich
vernünftig erscheinen. Aber auch damit bewegen sich die Beteiligten der Verträge im
Bereich von Erwartungen, nicht im Bereich von Rechtspositionen. Der Fall
unterscheidet sich damit auch von der Sachverhaltskonstellation, die der Entscheidung
des BFH in BStBl II 1997, 829 zugrunde lag. Während im dort zu entscheidenden Fall
das Verhalten des zunächst nur einen Minderheitsanteil erwerbenden neuen
Gesellschafters nur dadurch verständlich war, dass er sich bereits zu diesem Zeitpunkt
als wirtschaftlicher Eigentümer sämtlicher Anteile verstand - möglicherweise also
entsprechende Verträge bestanden - und ihm kurzfristig auch alle Anteile übertragen
worden waren, ist dies im vorliegenden Verfahren auf Grund der familiären
Verbundenheit der Beteiligten anders. Es erscheint möglich, dass der erwerbende Sohn
Zuwendungen an den Vater vornehmen wollte. Es erscheint auch möglich, dass der den
Minderheitsanteil übertragende Vater seinem Sohn vor der - auch nach Auffassung der
Finanzverwaltung § 8 Abs. 4 KStG a. F. nicht berührenden Erbfolge (vgl. BMF, BStBl I
1999, 455 Rdnr. 4) - die teilweise Nutzung der Verlustvorträge der Klägerin ermöglichen
wollte. Außerdem ist eine kurzfristige Übertragung der restlichen Anteile nicht erfolgt.
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Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Machtposition des
Minderheitsgesellschafters bei einer dem Sachverhalt ansonsten entsprechenden
vertraglichen Ge-staltung bei allen Beteiligungen zwischen 26 und 49% des
Stammkapitals identisch wäre, würde die Zuordnung des hier zu entscheidenden
Sachverhaltes zu den dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG a. F.
entsprechenden Fällen des Verlustes der wirtschaftlichen Identität gemäß § 8 Abs. 4
Satz 1 KStG a. F. bedeuten, dass die vom Gesetzgeber gewählte Beteiligungsgrenze
völlig entwertet würde.
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Auch die Tatsache, dass die wesentliche wirtschaftliche Beteiligung an den
Ergebnissen der Klägerin weiterhin dem Mehrheitsgesellschafter zusteht, würde
ignoriert.
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Letztlich würde es bedeuten, dass der wirtschaftliche Gehalt der Mehrheitsbeteiligung -
korrespondierend zur Behandlung des Minderheitsanteils - als der eines
Minderheitsanteils qualifiziert werden müsste. Andererseits hat der Senat keine Zweifel,
dass eine spätere Veräußerung der 51%igen Beteiligung die Rechtsfolge des § 8 Abs. 4
Satz 2 KStG a. F. ausgelöst hätte. Ein derartiges Ergebnis könnte den Senat nur bei
Konstellationen überzeugen, die den wirtschaftlichen Gehalt der Mehrheitsbeteiligung
weitestgehend aushöhlen. Das ist aber im Streitfall - wie oben dargelegt - nicht der Fall.
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Die Versagung des Verlustabzuges kann auch nicht auf § 42 AO in der im
maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung gestützt werden. § 8 Abs. 4 KStG ist eine
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spezielle Missbrauchsvorschrift (vgl. weitere Nachweise bei Schloßmacher in
Herrmann/ Heuer /Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rdnr. 413). So weit nach § 8 Abs. 4
KStG der Missbrauchsvorwurf nicht erhoben werden kann, liegt daher auch kein Fall
des § 42 AO vor. Im Übrigen folgt der Senat der Rechtsprechung des BFH, wonach die
Neufassung des § 42 AO mit Wirkung zum 23. Dezember 2001 nicht auf früher
verwirklichte Lebenssachverhalte zurückwirkt (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 2002 I R
63/99, BStBl II 2003, 50). Da der Beklagte im Verlauf des Verfahrens seinerseits auch zu
der Überzeugung gekommen ist, dass § 42 AO nicht anwendbar ist, verzichtet der Senat
auf weitere Ausführungen.
Die Klage ist letztlich auch insoweit begründet, wie die Klägerin die Berücksichtigung
des - nach Verrechnung mit dem im Streitjahr 2002 zu berücksichtigenden
Gesamtbetrag der Einkünfte und dem Gewerbeertrag vor Verlustabzug - verbleibenden
Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer 2002 bei der Berechnung der Körperschaftsteuer
2003 und der Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer
auf den 31. Dezember 2003 sowie des zu ändernden vortragsfähigen Gewerbeverlustes
2002 bei der Berechnung des Gewerbesteuermessbetrages 2003 und bei der
Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2003
begehrt, also hinsichtlich der Festsetzung von Körperschaftsteuer und
Gewerbesteuermessbetrag 2003 eine Herabsetzung auf jeweils null € und hinsichtlich
der Verlustfeststellungen eine Anpassung an die Ergebnisse des Vorjahres.
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Auch wenn es sich insoweit um Folgebescheide zu den Bescheiden über die
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs bei der Körperschaftsteuer und des
vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2002 handelt und der
materielle Streit ausschließlich im Rahmen der Entscheidung bezüglich Streitjahr 2002
entschieden worden ist, kann der Senat im vorliegenden Verfahren ohne die
Notwendigkeit einer Aussetzung gemäß § 74 FGO entscheiden. Nach § 74 FGO ist die
Aussetzung des Verfahrens möglich, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz
oder teilweise vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt,
das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet. Eine Aussetzung
gemäß § 74 FGO kommt daher nicht in Betracht, wenn das zur Entscheidung berufene
Gericht auch für das vorgreifliche Rechtsverhältnis zuständig ist (vgl. z. B. BFH-
Beschluss vom 17. August 1995 XI B 123, 125/94, BFH/NV 1986, 219; Thürmer in
Hübschmann /Hepp /Spitaler, AO/FGO, § 74 FGO Rdnr. 45 m. w. N.)
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In der Sache ist das Begehren der Klägerin aus den - zwischen den Beteiligten des
Rechtsstreites allein umstrittenen - beim Streitjahr 2002 dargelegten Gründen
erfolgreich, da hinsichtlich des Streitjahres 2003 ausschließlich die Frage der
Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG a. F. bzw. des § 10a GewStG im Streitjahr 2002 und
dessen Folgewirkungen im Jahr 2003 umstritten waren.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Das
Unterliegen der Klägerin hinsichtlich der vGA im Zusammenhang mit den Erlösen aus
dem Verkauf der ...artikel und der fallengelassenen Streitpunkte fällt neben der Frage
der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 KStG a. F. betragsmäßig nicht ins Gewicht.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, weil aus seiner Sicht der Frage der Auslegung
des § 8 Abs. 4 KStG a. F., der als Übergangsrecht gemäß § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG noch
mehrere Jahre anzuwenden ist, insoweit grundsätzliche Bedeutung zukommt, wie es um
die Frage geht, unter welchen Voraussetzungen die Vorschrift trotz Unterschreitung der
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in dem Regelbeispiel genannten Übertragung von mehr als 50% der Anteile zur
Anwendung kommen kann.