Urteil des FG Hessen vom 02.04.2017

FG Frankfurt: nachteilige veränderung, juristische person, berufliche tätigkeit, anfang, verfügungsbefugnis, eingliederung, einspruch, verwalter, vertreter, geschäftsführer

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2002
Aktenzeichen:
6 K 152/03, 6 K
3314/03, 6 K
152/03, 6 K
3314/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 Nr 2 UStG 1999, §
21 Abs 2 Nr 2 InsO
(Zur Frage, ob eine Organschaft schon vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Krise
oder mit Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung
beendet ist)
Tatbestand
I. 1. Der Kläger war Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der A GmbH und
infolge der Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen an die GmbH deren
Organträger.
Am 02.05.2002 wurde nach § 21 II InsO durch das Amtsgericht die vorläufige
sogenannte "schwache" Vermögensverwaltung für die A GmbH angeordnet, um
bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag eine nachteilige Veränderung der
Vermögenslage zu verhindern. Dazu wurde im Beschluss des Amtsgerichts
bestimmt:
"Gemäß § 21 Abs.2 Ziff.2 InsO wird angeordnet, dass Verfügungen der
Antragstellerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam
sind. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der
Antragstellerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung dessen Vermögen zu
sichern und zu erhalten. Das Recht zur Arbeitgeberbefugnis verbleibt bei der
Antragstellerin."
Am 1.7.2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, der GmbH die
Verfügungsbefugnis entzogen und dem Insolvenzverwalter übertragen. Streitig ist,
ob die Organschaft schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitpunkt
der wirtschaftlichen Krise Anfang Februar 2002 oder mit Anordnung der vorläufigen
Insolvenzverwaltung am 2.5.2002 beendet worden ist. Im Verlauf der
Rechtsstreitigkeiten gegen die Vorauszahlungsbescheide Februar bis Juni 2002
sind 3 Klageverfahren (sowie 4 Eilverfahren wegen Aussetzung der Vollziehung
bzw. wegen einstweiliger Anordnung) anhängig geworden. Am 2.11.2006 hat das
FA einen Umsatzsteuerjahresbescheid 2002 erlassen.
2. Im Einzelnen liegt den drei zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen
Klageverfahren folgender Sachverhalt zugrunde:
a) Für den Monat Februar 2002 gab der Kläger am 15.4.2002 als Organträger
vertreten durch die B Steuerberatungs GmbH eine Voranmeldung in Höhe von
58.274 € ab, der das FA am 7.5.2002 zustimmte. Hiergegen wurde am 6.8.2002
(verspätet) Einspruch eingelegt.
b) Für den Monat März 2002 gab am 12.7.2002 die C Steuerberatungsgesellschaft
im Auftrag des vorläufigen Insolvenzverwalters für die GmbH eine Voranmeldung
über 77.734,88 € ab. Nachdem das FA am 17.7.2002 Pfändungsmaßnahmen
gegenüber dem Kläger durchgeführt hatte, legte der Kläger am 6.8.2002
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gegenüber dem Kläger durchgeführt hatte, legte der Kläger am 6.8.2002
Einspruch "gegen alle Bescheide" ein, wobei es sich hierbei laut Schreiben vom
30.8.2002 um die Voranmeldungen Februar und März handeln soll. Nach diesem
Einspruchsschreiben vom 6.8.2002 setzte das FA am 12.8.2002 gegenüber dem
Kläger die Vorauszahlung für März 2002 unter Korrektur eines Rechenfehlers auf
72. 294,74 € fest. Zur Begründung des Einspruchs wurde ausgeführt, die
Organschaft sei Anfang 2002 mit Beginn der wirtschaftlichen Krise beendet
gewesen. Der Kläger habe das Pachtverhältnis nicht mehr kündigen können, weil
es sich um ein eigenkapitalersetzendes Darlehen gehandelt habe.
c) Im Anschluss an weitere Voranmeldungen, die im Auftrag des
Insolvenzverwalters für die GmbH eingereicht wurden, für April 2002 (über
56.722,74 € vom 9.8.2002, Bl.33), für Mai 2002 (58.911 € vom 6.9.2002, Bl.45c)
sowie für Juni 2002 (31.831 €) erließ das FA einen Vorauszahlungsbescheid gegen
den Kläger für April 2002 am 12.9.2002), in dem es eine Sondervorauszahlung bei
der Festsetzung der Umsatzsteuer berücksichtigte (Festsetzung auf - 23.895,38 €
). Für die Voranmeldungen der GmbH für Mai und Juni 2002 ergingen zunächst
keine Bescheide gegenüber dem Kläger.
d) Am 18.10.2002 erhob der Kläger die Klage mit dem Aktenzeichen 6 K 3641/02,
in der er die Feststellung der Nichtigkeit der Vorauszahlungsbescheide Februar,
März und April 2002 begehrte sowie hilfsweise die Aufhebung dieser Bescheide.
Auf einen klageabweisenden Gerichtsbescheid, in dem ausgeführt wurde, dass die
Bescheide nicht nichtig seien, die Anfechtung des Vorauszahlungsbescheides für
Februar wegen verspäteten Einspruchs unbegründet und die Klage mangels
abgeschlossenen Einspruchsverfahren unzulässig sei, beantragte der Kläger
mündliche Verhandlung. Er bat, die Klage wegen der fehlenden
Einspruchsentscheidung "als Sprungklage" zu behandeln.
e) Nach Erhebung dieser Anfechtungsklage reichte der Kläger persönlich am
22.10.2002 beim FA geänderte USt Voranmeldungen für Februar, März und April
2002 ein, in denen die Umsatzsteuer in Höhe von jeweils 504,96 € wegen
Vermietungsumsätzen des Organträgers angegeben wurde. Zur Begründung
führte er aus, dass nach Ansicht seines Bevollmächtigten die Organschaft bereits
ab Februar 2002 beendet worden sei. Diese Anträge lehnte das FA ab, weil die
Eingliederung des Organs in das Unternehmen des Organträgers nicht mit der
wirtschaftlichen Krise, sondern erst mit dem Verlust der Verfügungsbefugnis ende.
Gegen die Ablehnung des Änderungsantrages legte der Kläger Einsprüche ein, die
mit Einspruchsentscheidung vom 11.12.2002 als unbegründet zurückgewiesen
wurden. Hiergegen hat der Kläger die Klage mit dem Aktenzeichen 6 K 1527/03
erhoben, mit der er beantragt hat, die "Ablehnung der Änderungsanträge wegen
der Vorauszahlungsbescheide Februar bis April 2002 aufzuheben (gemeint ist als
Verpflichtungsklage: das FA zur Änderung der Vorauszahlungsbescheide 2-4/2002
zu verpflichten). Diese Klage wurde inzwischen hinsichtlich des bestandskräftigen
Monats Februar 2002 zurück genommen.
f) Mit Änderungsantrag vom 4.12.2002 beantragte der Kläger außerdem die
Änderung der als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
geltenden Steueranmeldungen der GmbH für Mai und Juni 2002, was das FA am
12.12.2002 unter Verweis auf die Einspruchsentscheidung wegen Ablehnung der
Änderung für Februar bis April ablehnte, wogegen der Kläger wiederum Einspruch
einlegte.
g) Nachdem sich im gerichtlichen Aussetzungsverfahren gegen
Vollstreckungsmaßnahmen herausgestellt hatte, dass die C
Steuerberatungsgesellschaft, die die Voranmeldungen 3-6 / 2002 für die GmbH
eingereicht hatte, nicht vom Kläger, sondern vom vorläufigen Insolvenzverwalter
beauftragt worden war und deshalb die Voranmeldungen Mai und Juni 2002 nicht
als Steuerfestsetzung gegenüber dem Kläger, sondern nur gegenüber der GmbH
wirkten (hinsichtlich März und April waren jedoch noch Festsetzungen des FA
gegenüber dem Kläger erfolgt), "stornierte" das FA am 10.7.2003 die
Voranmeldungen 3,5,6 / 2002 und erließ Vorauszahlungsbescheide gegenüber
dem Kläger, in dem es die Verpachtungsumsätze des Klägers und die Umsätze
der GmbH zusammenfasste (März 2002: 78.239,70 €, Mai 2002: 58.911,29 €; Juni
2002: 31.831,43 €). Das FA war der Auffassung, dass sich durch die Stornierung
der für die GmbH wirkenden Steueranmeldungen und Neufestsetzungen
gegenüber dem Kläger das Einspruchsverfahren des Klägers wegen der
Änderungsablehnung für Mai und Juni 2002 erledigt habe.
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h) Gegen die geänderten Vorauszahlungsbescheide für 3,5,6 / 2002 vom
10.7.2003 legte der Kläger Einsprüche ein, die das FA mit Einspruchsentscheidung
vom 29.7.2003 als unbegründet zurückwies. Hiergegen erhob der Kläger wiederum
Klage (6 K 3314/03) mit dem Begehren, die Vorauszahlungsbescheide März, Mai
und Juni 2002 aufzuheben.
i) Am 31.10.2005 hat schließlich der Insolvenzverwalter für die GmbH eine USt
Jahreserklärung 2002 für den Zeitraum Januar bis Juni 2002 abgegeben, in dem die
Umsatzsteuer mit 477.929,27 € erklärt wurde. Daraufhin erließ das FA am
2.11.2006 einen entsprechenden Jahresbescheid, in dem es die erklärten
Umsätze, Vorsteuern sowie einer Vorsteuerkorrektur übernahm und die erklärte
Umsatzsteuer wegen Organschaft gegenüber dem Kläger als Organträger
festsetze.
3. Der Kläger begründet die Klage wie folgt: Die Organschaft sei bereits mit dem
"Beginn der Krise" Anfang Februar 2002 beendet worden, weil der Organträger aus
strafrechtlichen (§ 283 StGB) sowie handelsrechtlichen ("Grundsätze des
eigenkapitalersetzenden Darlehens") Gründen gehindert sei, seinen Willen in der
GmbH durchzusetzen. Freie Vermögensdispositionen seien diesem ab dem
Beginn der Krise untersagt. Hilfsweise sei von einer Organschaftsbeendigung ab
Mai 2002 mit der Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters auszugehen.
Zahlungen von und an die GmbH seien nur noch vom Insolvenzverwalter
durchgeführt worden. Dieser habe alle Personalfragen selbst entschieden und die
Geschäfte geführt. Er habe dem Kläger mitgeteilt, dieser könne "nach Hause
gehen". In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte Beweisantrag
gestellt durch Vernehmung des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt Z sowie seine
Beauftragten Y dafür, dass der Kläger ab Bestellung des vorläufigen
Insolvenzverwalters keine Möglichkeit mehr zur Geschäftsführung gehabt hätte.
Außerdem hat er in der mündlichen Verhandlung Vertagung beantragt, weil er die
Höhe des Umsatzsteuerjahresbescheid noch nicht hinreichend geprüft habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß in allen drei Verfahren, den
Umsatzsteuerjahresbescheid 2002 aufzuheben sowie die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Klagen zurückzuweisen.
Die Organschaft sei erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2002
beendet worden. Im Zeitraum zwischen der Insolvenzeröffnung und der Bestellung
des vorläufigen Insolvenzverwalters habe der Verwalter keine vom Kläger
abweichende Willensbildung vornehmen können. Die wirtschaftliche Eingliederung
basiere im Wesentlichen auf der Vermietung des Betriebsgrundstücks, die
fortbestanden habe. Das Amtsgericht habe dem Kläger die Verfügungsbefugnis
nicht entzogen, sondern nur eine sog. "schwache" Insolvenzverwaltung verfügt.
Entscheidungsgründe
I. Die gegen die Vorauszahlungsbescheide erhobenen Klagen, die zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind, sind trotz
Ergehen des Umsatzsteuerjahresbescheides 2002 zulässig (§ 68 FGO). Der
Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass es sich bei der Klage auf
Änderung der Vorauszahlungsbescheide März 2002 vom 12.8.2002 und April 2002
vom 12.9.2002 um eine Verpflichtungsklage und bei der Klage gegen die
Vorauszahlungsbescheide März, Mai und Juni 2002 vom 10.7.2003 um eine
Anfechtungsklage handelt (vgl. BFH Urteil vom 27.4.2004 X R 28/02, BFH/NV 2004,
1287), denn sie sind auf dasselbe Ziel gerichtet. Hinsichtlich des
Vorauszahlungszeitraums März 2002, der Gegenstand beider erhobenen Klagen
ist, richtete sich die zunächst erhobene Klage gegen den Vorauszahlungsbescheid
vom 12.8.2002, der durch den Bescheid vom 10.7.2003 ersetzt worden ist, der
nochmals durch den Jahresbescheid 2002 abgelöst wurde.
II.
Die Klagen sind aber unbegründet, denn das FA hat die Umsätze der GmbH bis
zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (1.7.2002) zu Recht dem
Kläger als Organträger zugerechnet.
1. Eine juristische Person (GmbH) übt ihre gewerbliche oder berufliche Tätigkeit
nicht selbständig aus, solange sie nach dem Gesamtbild der Verhältnisse
finanziell, wirtschaftliche und organisatorisch in das Unternehmen des
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finanziell, wirtschaftliche und organisatorisch in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert ist (§ 2 Absatz 2 Nr.2 UStG). Zwischen den Beteiligten
ist unstreitig, dass diese Voraussetzung aufgrund der Verpachtung wesentlicher
Betriebsgrundlagen durch den Kläger an die GmbH und dessen Eigenschaft als
Geschäftsführer und Alleingesellschafter ursprünglich gegeben waren und
spätestens mit dem Wegfall der Verfügungsbefugnis bei Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am 1.7.2002 entfallen sind. Entgegen der Rechtsansicht des
Klägers war dies nicht zu einem früheren Zeitpunkt mit Beginn der Krise (Anfang
Februar 2002) oder mit Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (2.5.2002)
der Fall.
a) Entgegen der Rechtsansicht des Bevollmächtigten (vgl. dieser in Roth / Germer,
NWB Fach 7 S. 6539) wird eine Organschaft nicht durch den "Beginn der Krise"
beendet, weil der Kläger strafrechtlich nach § 283 StGB oder nach Vorschriften des
GmbHG an der weiteren Beherrschung des Organs gehindert sein soll. § 283 StGB
regelt die Strafbarkeit des betrügerischen Bankrotts und erfasst namentlich das
Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen bei drohender oder eingetretener
Zahlungsunfähigkeit, nicht jedoch die ordnungsgemäße Wirtschaftstätigkeit des
Geschäftsführers in der Krise. Die Beherrschung des Organs durch den
Organträger scheitert nicht daran, dass es ihm nach § 283 StGB verboten ist,
Vermögen zu verschleudern. Wäre der Kläger -wie vorgetragen- aus
handelsrechtlichen Grundsätzen an der Kündigung des Pachtvertrages ab dem
Beginn der Krise gehindert, würde sich hieraus nicht die Auflösung, sondern im
Gegenteil die Verfestigung des Bandes zwischen Organträger und Organ ergeben.
Die Organschaft wird somit nicht durch eine Krise oder die Überschuldung der
Organgesellschaft beendet (BFH Beschluss vom 27.9.1991 V B 78/91, BFH/NV
1992, 346).
b) Die Organschaft wurde auch nicht durch die Bestellung des vorläufigen
Insolvenzverwalters durch Beschluss des Amtsgerichts vom 2.5.2002 beendet.
Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn dem Insolvenzverwalter seither eine
vom Willen des Organträgers (Klägers) abweichende Willensbildung rechtlich
möglich gewesen wäre, denn dann wäre ab diesem Zeitpunkt die organisatorische
Eingliederung nicht mehr gegeben. Dies wird nach der Rechtsprechung des BFH
(Urteile vom 1.4.2004 V R 24/03, BStBl II 2004, 905; vom 18.5.1995 V R 46/94,
BFH/NV 1996, 84; Beschluss vom 3.3.2006 V B 15/05, BFH/NV 2006, 1366;
zustimmend Birkenfeld, USt Handbuch, § 37 Rz. 88; Bringewat / Waza, Insolvenz
und Steuern, Rn. 883; Jacob, UStG, Rn. 154; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz
S.226; Klenk in Sölch / Ringleb, UStG, § 2 Tz. 136; Meyer in Offerhaus/ Söhn/
Lange, § 2 Tz.97; a.A. Onusseit, Zeitschrift für Insolvenzrecht -ZInso- 2004, 1182;
Hölzle, DStR 2006, 1210), jedoch nur dann angenommen, wenn das Amtsgericht
gegenüber dem Organträger ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 II Nr.2
Alt.1 InsO erlassen hat (sog. "starke" vorläufige Insolvenzverwaltung), denn hier ist
es Aufgabe des Insolvenzverwalters, den Geschäftsbetrieb zu übernehmen und
fortzuführen (Graf-Schlicker, InsO, § 22 Tz.6). Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn
lediglich ein Zustimmungsvorbehalt nach § 21 II Nr.2 Alt.2 InsO ausgesprochen
wurde (sog. "schwache" vorläufige Insolvenzverwaltung). Wird kein allgemeines
Verfügungsverbot durch das Insolvenzgericht verfügt, endet die Organschaft nur
dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter auf Grund der ihm im Einzelfall
übertragenen Rechte und Pflichten einen vom Willen des Organträgers
abweichenden Willen durchsetzen kann.
Vorliegend hat das Insolvenzgericht nach Ziffer 2 des Beschlusses des
Amtsgerichts vom 2.5.2002 lediglich angeordnet, dass zum Zwecke der Erhaltung
und Sicherung des Vermögens Verfügungen des Gemeinschuldners nur mit
Zustimmung des Verwalters wirksam sind. Ergänzend wurde bestimmt, dass der
vorläufige Verwalter nicht zum allgemeinen Vertreter der Gesellschaft bestimmt
werde und auch die Arbeitgeberbefugnisse bei der Gesellschaft verblieben. Danach
handelt es sich lediglich um einen sog. "schwachen" Insolvenzverwalter, dessen
Bestellung die Organschaft nicht unterbricht. Da es für die Frage der Beherrschung
des Organs durch den Organträger auf die Rechtsstellung des Organträgers
ankommt, die sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts über die Einsetzung des
vorläufigen Insolvenzverwalters ergibt, ist unerheblich, ob im Einzelfall der
Organträger seine Rechte nicht oder nicht hinreichend wahrgenommen und dem
Insolvenzverwalter die Geschicke des Unternehmens überlassen hat oder ob
umgekehrt der Insolvenzverwalter unter Überschreitung seiner Kompetenzen den
Organträger an der fortbestehenden Befugnis zur Geschäftsführung mehr oder
weniger gehindert hat. Auch aus Gründen der gerade im Steuerrecht dringend
erforderlichen Praktikabilität der Rechtsanwendung ist der Rechtsprechung des
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erforderlichen Praktikabilität der Rechtsanwendung ist der Rechtsprechung des
BFH der Vorzug zu geben, die die Frage der Beendigung der Organschaft allein
nach der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmt. Das
BVerfG hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber befugt ist, aus Gründen der
Praktikabilität der Steuerrechtsanwendung einen steuererheblichen Vorgang in
seinem typischen Lebensvorgang zu erfassen und auf eine immer weiter
differenzierende und individualisierende Gesetzgebung zu verzichten (vgl. BVerfG
Beschluss vom 10.4.1997 2 BvL 77/92, BStBl II 1997, 518). Es sind daher auch die
Gerichte befugt, im Rahmen der Gesetzesauslegung Gesichtspunkte der
Praktikabilität der Steuerrechtsanwendung zu berücksichtigen. Das Gericht folgt
daher der Rechtsprechung des BFH, wonach es für die Beendigung der
Organschaft allein auf die dem vorläufigen Insolvenzverwalter durch das
Insolvenzgericht verliehenen Rechtsstellung ankommt und nicht auf die
tatsächliche Handhabung. Da somit vom Fortbestand der Organschaft bis zur
Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2002 auszugehen ist, war die Klage
abzuweisen.
2. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Vertagungsantrag war nicht zu
entsprechen, weil zur Prüfung der Höhe des am 2.11.2006 ergangenen
Jahresbescheides bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hinreichend Zeit
bestand (§ 227 Absatz 1 Nr. 2 ZPO).
3. Die Revision war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen, weil nach Ansicht des Gerichts keine Bedürfnis nach einer erneuten
Entscheidung des BFH zur der Rechtsfrage, inwieweit die Organschaft bei
Anordnung eines "schwachen" Insolvenzverwalters beendet wird, besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.