Urteil des FG Hessen vom 22.04.2009

FG Frankfurt: gründung der gesellschaft, festsetzungsverjährung, berufliche tätigkeit, wertsteigerung, wirtschaftliche tätigkeit, erstmaliger, einlagerung, eingliederung, steuerfestsetzung, konzept

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1986, 1987, 1988,
1989, 1990, 1991
Aktenzeichen:
6 K 2821/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 174 Abs 3 AO, § 15 Abs 1
UStG 1980, § 2 Abs 1 S 3
UStG 1980, § 1 Abs 1 Nr 2
Buchst c UStG 1980, § 2 Abs 2
Nr 2 UStG 1980
(Änderung nach § 174 Abs. 3 AO auch bei
Festsetzungsverjährung - Einlagerung von Automobilien zur
Wertsteigerung als Unternehmen i.S. des § 2 Abs. 1 UStG -
Umsatzsteuerliche Organschaft: Keine wirtschaftliche
Eingliederung bei Branchenverschiedenheit und Erhöhung
des Unternehmensrisikos)
Leit- oder Orientierungssatz
Festsetzungsverjährung bei Nachholungung einer Steuerfestsetzung nach § 174 Abs.3
AO
BFH: V R 21/09
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Gewährung des Vorsteuerabzugs
aus der Anschaffung verschiedener Kraftfahrzeuge sowie aus Eingangsleistungen
für die beabsichtigte Entwicklung eines Kfz. Der Kläger begehrt für die Streitjahre
den Erlass erstmaliger Umsatzsteuerjahresbescheide.
Mit notariellem Vertrag vom 23.04.1986 wurde die A (im Folgenden: die
"Gesellschaft") gegründet und mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom
22.12.2000 aufgelöst. Am 14.01.2005 wurde über das Vermögen der Gesellschaft
das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt, der
den Rechtsstreit fortführt. Unternehmensgegenstand der Gesellschaft ist laut
Gesellschaftsvertrag der Ankauf von Kraftfahrzeugen aller Art, insbesondere auch
von klassischen Fahrzeugen und Oldtimern, deren Einlagerung zum Zwecke der
Wertsteigerung sowie der Weiterverkauf. Gesellschafter waren in den Streitjahren
die Firma B mit 60% sowie C und D mit je 20% der Geschäftsanteile.
Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war E, wobei in der Zeit vom
11.12.1987 bis zum 22.09.1989 der Verkaufsingenieur F als weiterer, zusammen
mit E vertretungsberechtigter Geschäftsführer bestellt war.
Am 28.08.1986 schloss die Gesellschaft mit der B einen
Ergebnisabführungsvertrag, der zum 13.08.1986 beginnen und zwischen der
Gesellschaft und der B eine körperschaft-, gewerbesteuer- und umsatzsteuerliche
Organschaft mit der Gesellschaft als eingegliederter Organgesellschaft begründen
sollte. Die B war in den Streitjahren im Immobilien- und Speditionsgeschäft tätig.
Gesellschafter der B waren in den Streitjahren E als Komplementär mit einem
Kapitaleinteil von ca. 99% sowie seine Kinder C und D als Kommanditisten. Für die
Streitjahre gab die Gesellschaft keine Umsatzsteuererklärungen ab. Stattdessen
erklärte die B die streitgegenständlichen und aus Geschäftsvorfällen der
Gesellschaft herrührenden Vorsteuerbeträge sowie die (in den Streitjahren
geringfügigen) Ausgangsumsätze der Gesellschaft in ihren
Umsatzsteuererklärungen. Bei den Eingangsumsätzen der Gesellschaft handelte
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Umsatzsteuererklärungen. Bei den Eingangsumsätzen der Gesellschaft handelte
es sich um die Anschaffung verschiedener Kraftfahrzeuge sowie um
Dienstleistungen für die Entwicklung eines Kfz. Wegen der Art der
Eingangsleistungen und der Höhe der hieraus geltend gemachten
Vorsteuerbeträge wird auf die Aufstellung des Klägers vom 27.07.2007 (Bl. 131 bis
137 der Klageakten) Bezug genommen.
Gemäß den durchgeführten Inventuren erwarb die Gesellschaft in den Streitjahren
insgesamt 126 Fahrzeuge. Die Anschaffungen wurden zunächst durch verzinsliche
Kontokorrentkredite der Gesellschafter und ab 1990 durch die G Bank
fremdfinanziert, wobei der Fahrzeugbestand mit Vertrag vom 14.08.1990 als
Sicherheit für einen Kredit in Höhe von 5 Mio. DM an die Bank
sicherungsübereignet wurde. Der Sicherungsübereignungsvertrag benannte als
Vertragspartner „Fa. A und Eheleute E und / oder Herrn E und / oder Frau E“. Der
Kredit sollte aus späteren Verkaufserlösen der Gesellschaft getilgt werden. Die
Gesellschaft lagerte die Fahrzeuge in einer von der B angemieteten und auf
Kosten der Gesellschaft gestalteten Tiefgarage ein. Außerhalb der Lagerräume
befand sich kein Firmenschild. Hinweise und Wegweiser zur Firma der Gesellschaft
waren in der Umgebung nicht vorhanden. Die Ausstattung der Räume bestand aus
schwarzen Decken mit Strahlern sowie weißen, rau verputzten Wänden. Die
Fahrzeuge lagerten auf aufgeschütteten Kiesbetten und waren auf schwarzen
Holzböcken aufgebockt. Die Zwischengänge waren mit einem roten Belag
überzogen. An den Wänden befanden sich verschiedene deutsche und US-
amerikanische Nummernschilder, von denen einige die persönlichen Initialen des E
trugen. Auf Bl. 145 bis 158 des Sonderbandes Betriebsprüfung (Fotografien der
Lagerräume) wird Bezug genommen. In den Jahren 1989 und 1991 veräußerte die
Gesellschaft jeweils ein Fahrzeug. Die zum 31.12.1991 noch vorhandenen
Fahrzeuge wurden ab 1992 in größerem Umfang abverkauft. Wegen der
Zeitpunkte, der Anzahl und der Einzelheiten der in den Streitjahren von der
Gesellschaft vorgenommenen An- und Verkäufe wird auf Seite 5 des Schriftsatzes
des Beklagten vom 10.01.2008 (Bl. 164 ff. der Klageakten) sowie auf die im
Rahmen der Betriebsprüfung vorgelegten Inventur- und Kaufunterlagen (Bl. 6 bis
144 des Sonderbandes Betriebsprüfung) Bezug genommen.
Darüber hinaus befasste sich die Gesellschaft seit 1987 mit der Entwicklung eines
Kfz im Stile der fünfziger und sechziger Jahre. Hierzu beauftragte sie Herrn H mit
der Entwicklung eines Prototyps. Außerdem stellte sie den Verkaufsingenieur F ein,
der das Projekt betreuen sollte. Unter dem 01.09.1987 wurde eine handschriftliche
Kalkulation zu den geschätzten Produktionskosten des Kfz erstellt. Auf Bl. 142 bis
146 der Klageakten in dem Verfahren 4 K 3773/00 wegen Körperschaftsteuer u.a.
1986 bis 1991 wird Bezug genommen. Danach wurden Einkaufspreise für
verschiedenste technische Komponenten (z.B. Motor- und Getriebeaufhängung,
Kardanwelle, Bremskraftverstärker) und sonstige Bauteile (z.B. Gurte,
Rückleuchten, Lack) in die Kalkulation einbezogen. Für die Endmontage des
Fahrzeugs wurde eine Arbeitszeit von 40 Stunden zu 80,- DM veranschlagt. Unklar
war allerdings, wer das Fahrzeug produzieren sollte. Wegen des beabsichtigten
Vertriebs des Fahrzeugs nahm die Gesellschaft Verhandlungen mit der Firma I auf.
Den Modellnamen „XXX“ ließ sie urheberrechtlich schützen. Als Ergebnis des
Projekts wurde jedoch schließlich keine fahrtüchtige Version, sondern lediglich ein
Ausstellungsmodell fertig gestellt, das in der Tiefgarage der Gesellschaft
eingelagert wurde. Wegen des Inhalts der vertraglichen Vereinbarungen mit H, der
Verhandlungen mit der I und der übrigen Korrespondenz im Zusammenhang mit
dem Projekt wird auf Bl. 200 bis 241 des Sonderbandes Betriebsprüfung Bezug
genommen.
In der Zeit vom 07.10.1992 bis 27.10.1998 führte das Finanzamt bei der
Gesellschaft eine Außenprüfung durch. Die Umsatzsteuer war bei der Gesellschaft
nicht zur Prüfung angeordnet worden. Die beiden Betriebsprüfer kamen in ihrem
Bericht vom 02.12.1998 zu dem Ergebnis, dass eine Absicht der Gesellschaft, in
den Streitjahren i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen
tätig zu werden, nicht erkennbar gewesen sei. Die Tätigkeit der Gesellschaft habe
ausschließlich der Befriedigung der privaten Sammelleidenschaft des
Geschäftsführers und mittelbaren Anteilseigners E gedient. Mangels gegenseitiger
Förderung und Ergänzung sei daher einerseits die umsatzsteuerliche Organschaft
mit der B nicht anzuerkennen. Andererseits könnten die dadurch bei der B nicht
mehr anzuerkennenden Vorsteuerbeträge und Ausgangsumsätze aus
Geschäftsvorfällen der Gesellschaft auch nicht ersatzweise bei der Gesellschaft
berücksichtigt werden, da die Gesellschaft in den Streitjahren keine
Unternehmerstellung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG innegehabt habe. Auf die
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Unternehmerstellung i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG innegehabt habe. Auf die
Ausführungen im Prüfungsbericht vom 02.12.1998 (Bl. 316 bis 363 des
Sonderbandes Betriebsprüfung) wird Bezug genommen. Danach stützten die
Prüfer ihre Rechtsauffassung zu § 2 UStG im Wesentlichen auf folgende
Gesichtspunkte:
Bei den 124 Fahrzeugen, die den Bestand laut Inventur zum 31.12.1991
ausmachten, habe es sich zu 70% um Neuwagen mit zum Teil erheblichen
Sonderausstattungsmerkmalen gehandelt. Besonders die Oldtimer und
klassischen Fahrzeuge seien unter Umständen erworben worden, die den
tatsächlichen Voreigentümer nicht erkennen ließen. Fahrzeuge seien teilweise von
Gesellschaften der E - Firmengruppe und teilweise über eine US-amerikanische
Anwaltskanzlei erworben worden, die seit den 70er-Jahren Ansprechpartner und
Geschäftsadresse für diverse amerikanische Aktivitäten der Firmengruppe
gewesen sei. Teilweise fehlten Einkaufsbelege. Die Anschaffungsvorgänge über die
Anwaltskanzlei ließen sich – wie der Kläger eingeräumt habe – heute nicht mehr
nachvollziehen. Zur nachhaltigen Erzielung von Wertzuwächsen hätte die
Gesellschaft dagegen eine lückenlose Dokumentation der Fahrzeughistorie
anstreben müssen. Untypisch sei auch, dass ein renommiertes Unternehmen an
die Gesellschaft zwei Fahrzeuge mit der Bemerkung „Kommission Museum“
lieferte. Dies spreche dafür, dass es der Gesellschaft letztlich um die Ausstattung
eines für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Privatmuseums gegangen sei. Auch
dass die Ausstattung der Lagerhalle insgesamt wie ein Automuseum gewirkt habe
und für Außenstehende nicht auffindbar war, spreche dafür, dass es sich lediglich
um eine durch Zwischenschaltung der Gesellschaft aufgebaute Privatsammlung
des Herrn E gehandelt habe. Insgesamt habe sich die Gesellschaft bei der
Tätigung ihrer Einkäufe jedenfalls in einer für den gesellschaftsvertraglichen Zweck
des Unternehmens untypischen Weise verhalten.
Auch im Zusammenhang mit der von der Gesellschaft später geplanten
Verkaufstätigkeit habe sie sich nicht wie ein wirtschaftlich handelnder Unternehmer
verhalten. Die Gesellschaft habe es unterlassen, z.B. Kontakte zu Oldtimerclubs
aufzubauen oder sonst Anstrengungen zu unternehmen, ihre Unternehmung bei
potentiellen Kunden bekannt zu machen. Von 1986 bis 1991 habe sie lediglich zwei
Fahrzeuge veräußert. Der massive Abverkauf ab 1992 sei mit der angeblich
veränderten Marktsituation nicht erklärbar. Hätte die Gesellschaft ihren
satzungsmäßigen Zweck (Erzielung von Wertsteigerungen hinsichtlich dieser
Fahrzeuge) erfüllen wollen, so hätte sie bei Einbruch des Marktes im Gegenteil
Fahrzeuge günstig zukaufen müssen. In ihren ab 1994 ausgestellten Rechnungen
weise die Gesellschaft die Käufer der Fahrzeuge im Übrigen ausdrücklich darauf
hin, dass diese aus Sammlerbeständen ab Lager stammten.
Von vornherein habe auch festgestanden, dass die Gesellschaft nicht rentabel
arbeiten könne. Im Vorfeld der jeweiligen Anschaffungen habe die Gesellschaft
keinerlei Kalkulationen angestellt. Insbesondere habe sie keine Untersuchungen
hinsichtlich der zur Erzielung einer Wertsteigerung erforderlichen
Einlagerungszeiten vorgenommen. Sie habe keine Berechnungen angestellt und
keine Bedingungen formuliert, auf die sie eine Gewinnprognose hätte stützten
können. Ein Planungszeitraum für die zu Grunde gelegten Wertsteigerungen habe
nicht existiert. Es habe von Anfang an keine substantiierte positive
Unternehmensprognose vorgelegen. Prognostische Angaben und Ausführungen
zur Wertentwicklung habe sie erst im Laufe der Betriebsprüfung (z.B. mit
Schreiben vom 13.11.1996 hinsichtlich einer angeblich zu erwartenden
Wertsteigerung von 20% pro Jahr) gemacht, wohingegen sie keine Unterlagen
habe vorlegen können, aus denen hervorgeht, dass sie entsprechende
Überlegungen bereits zu Beginn ihrer Unternehmung bzw. im Vorfeld einer
bestimmten Anschaffung angestellt hat. Auch im unmittelbaren Folgezeitraum
(d.h. in den Streitjahren) habe die Gesellschaft keine Informationen über die
Geschichte der eingelagerten Fahrzeuge und über die Entwicklung des Marktes
gesammelt, was jedoch zur Beobachtung und Hinterfragung der Wertentwicklung
erforderlich gewesen wäre. Hinsichtlich des Wertes der eingelagerten Fahrzeuge
könne keinesfalls auf die von der Gesellschaft versicherte Schadenssumme (Bl.
199 des Sonderbandes Betriebsprüfung) abgestellt werden, da die dabei zu
Grunde gelegten Werte eine rein subjektive Einschätzung widerspiegelten.
Dass die Gesellschaft kein wirtschaftliches Konzept habe verfolgen können, ergebe
sich auch aus der Höhe der laufenden Kosten. Bei Addition der in den Streitjahren
angefallenen Kosten (Fremdfinanzierungszinsen, Miet- und Lagerkosten,
Personalkosten, Versicherungskosten) ergäbe sich ein Betrag von ,- DM.
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Personalkosten, Versicherungskosten) ergäbe sich ein Betrag von ,- DM.
Stellte man diesen Betrag den zum 31.12.1991 ermittelten Buchwerten des
Fahrzeugbestandes (Bl. 117 ff. des Sonderbandes Betriebsprüfung) von ,- DM
gegenüber, so werde ersichtlich, dass 49% der in den Streitjahren angefallenen
Kosten durch erwartete Wertsteigerungen hätten gedeckt werden müssen.
Angesichts des überwiegend aus Neuwagen bestehenden Fahrzeugbestandes sei
dies einerseits nicht nachvollziehbar gewesen, andererseits habe die Gesellschaft
weder im Vorfeld noch später Kalkulationen und Planrechnungen angestellt, um
sich durch Gegenüberstellung der Kosten und der zu erzielenden Wertzuwächse
ein realistisches Bild von der Wirtschaftlichkeit ihres Geschäftskonzepts zu
machen.
Auch hinsichtlich der Entwicklung des Kfz habe die Gesellschaft keine Unterlagen
vorlegen können, die eine ernsthafte Gewinnprognose bezüglich dieses Projektes
erkennen ließen. Insbesondere sei der Markt nicht erforscht worden. Es seien
weder zu produzierende Stückzahlen in Erwägung gezogen noch fundierte
Preiskalkulationen angestellt worden. Die Entwicklung sei auch dann noch
weiterbetrieben worden, als bereits festgestanden habe, dass das Fahrzeug keine
Straßenverkehrszulassung erhalten werde. Ferner sei das Projekt durch
verschiedene Sonderwünsche der Gesellschaft (Allrad- statt Hinterradantrieb, V6-
Motor statt 4-Zylinder-Motor, Änderung des Verdecks, dadurch Veränderung der
Fahrgastzelle) ohne Hinterfragung und Anpassung einer Kostenkalkulation
behindert worden. Die Sonderwünsche seien E als Geschäftsführer der
Gesellschaft zuzurechnen. Dabei sei wiederum erkennbar, dass weniger ein
wirtschaftliches Konzept als vielmehr die persönlichen Präferenzen des
Geschäftsführers im Vordergrund standen.
Infolge der Feststellungen der Betriebsprüfung änderte der Beklagte die
Umsatzsteuerfestsetzungen der B dahingehend, dass er die dort bisher zum
Abzug zugelassenen Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen der Gesellschaft
sowie die (geringfügigen) Ausgangsumsätze nicht mehr berücksichtigte. Die gegen
die entsprechenden Änderungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung
gerichtete und unter dem Geschäftszeichen 6 K 3775/00 erhobene Klage der B
wurde am 28.09.2004 aus den Gerichtsregistern gelöscht, nachdem über das
Vermögen der B das Insolvenzverfahren eröffnet worden war und der
Insolvenzverwalter das Verfahren nicht fortführte.
Mit Schreiben vom 17.11.2000 und 19.02.2001 beantragte die Gesellschaft beim
Beklagten für die Streitjahre den Erlass erstmaliger Umsatzsteuerbescheide mit
folgenden Erstattungsbeträgen (Bl. 10 des Sonderbandes Antrag auf
Umsatzsteuerveranlagung einschließlich Rechtsbehelfsverfahren) (in DM):
Der Beklagte lehnte den Erlass entsprechender Festsetzungen mit Bescheid vom
08.08.2001 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch der Gesellschaft wies er mit
Einspruchentscheidung vom 15.07.2002 als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte er im Wesentlichen an, der Erlass erstmaliger
Umsatzsteuerjahresbescheide sei nicht mehr möglich, da hinsichtlich der
Streitjahre nach §§ 169 ff. AO bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Der Kläger tritt dem entgegen. Er ist der Ansicht, dass der Erlass erstmaliger
Umsatzsteuerbescheide auf der Grundlage des § 174 Abs. 3 AO noch möglich und
zwingend sei. § 174 Abs. 3 AO lasse eine Nachholung der Steuerfestsetzungen
nach überwiegender Ansicht in der Literatur auch dann zu, wenn die fraglichen
Steueransprüche bereits festsetzungsverjährt sind. Dies habe der BFH in seiner
Entscheidung vom 23.05.1996 (IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89) bestätigt. Hilfsweise
trägt der Kläger vor, die Festsetzungsverjährung sei noch nicht eingetreten, da
entweder die Prüfung bei der Gesellschaft oder die parallel durchgeführte Prüfung
bei der B den Eintritt der Verjährung nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt habe oder
die Gesellschaft in entsprechender Weise Vertrauensschutz geltend machen
könne.
Ferner tritt der Kläger den Ausführungen der Betriebsprüfung zu § 2 Abs. 1 UStG
entgegen. Der Beklagte unterscheide nicht zwischen dem (ertragsteuerlichen)
Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht und dem (umsatzsteuerrechtlichen)
Merkmal der Einnahmeerzielungsabsicht. Letzteres Merkmal sei erfüllt. Die
Besonderheiten des Geschäftskonzeptes der Gesellschaft seien zu
berücksichtigen. Dieses sei mit dem Geschäftskonzept eines Winzers vergleichbar.
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berücksichtigen. Dieses sei mit dem Geschäftskonzept eines Winzers vergleichbar.
Zunächst müsse ein gewisser Grundbestand aufgebaut werden, der erst bei
entsprechender „Reife“ veräußert werden könne. Dabei seien Verluste in der
Anfangsphase typisch. Ein detailliertes Konzept zur Planung und Kalkulation der
Unternehmung sei im Vorfeld nicht erforderlich gewesen, da die Gesellschaft
kurzfristig eine Geschäftschance haben nutzen wollen. Es sei gerade die Chance
des Mittelstandes, ohne zeitaufwendige Vorbereitungen in neue Märkte und
Segmente vorzudringen.
Die Tätigkeit der Gesellschaft sei auch nicht durch die private Sammelleidenschaft
des E bestimmt worden. In seinen Vermögensteuererklärungen habe Herr E
private Sammlungsgegenstände im Wert von ca. Millionen DM angegeben. Diese
Privatsammlung habe er von seinen unternehmerischen Engagements bewusst
getrennt. Bei der Gründung der Gesellschaft sei es ihm darum gegangen, Geld zu
verdienen, da er seinerzeit erwartet habe, dass sich der Markt positiv entwickle.
Diese Erwartung könne auch durch einen Artikel aus der Zeitschrift belegt
werden, der im Klageverfahren der B wegen Umsatzsteuer 1986 bis 1991
vorgelegt wurde (Bl. 37 der Klageakten 6 K 3775/00) und der seinerzeit die
geschäftlichen Erwartungen des Herrn E gestützt habe. Danach sei erkennbar,
dass auf dem Oldtimermarkt im Zeitraum von 1976 bis 1986 Wertzuwächse
eingetreten seien.
Welche Wertsteigerung allerdings bezüglich einzelner Fahrzeuge aus der
Perspektive des Jahres 1986 zukünftig eintreten werde, sei bei Gründung der
Gesellschaft nicht vorhersehbar gewesen. Man habe sich auf die allgemein positive
Prognose auf dem Oldtimermarkt gestützt. Dass zum Zeitpunkt der Gründung der
Gesellschaft im Jahre 1986 eine positive Prognose vertretbar war, bestätige auch
eine später gefertigte Aufstellung (Bl. 200 der Klageakten), aus der bis 1985 in
Bezug auf einzelne Fahrzeugmodelle Wertsteigerungen erkennbar seien, die auch
von der Gesellschaft angeschafft und eingelagert worden seien. Aus dieser
Aufstellung sei auch erkennbar, dass diesen Wertsteigerungen in den Jahren 1990
bis 1995 Wertverluste gegenüber gestanden hätten. Insoweit sei auch der
Umstand, dass ab 1992 massive Abverkäufe eingesetzt hätten, mit der
veränderten Marktlage zu erklären. Die Ansicht des Beklagten, wonach die
anfallenden Kosten der Finanzierung der Lebensführung des E gedient haben
sollen, könne im Übrigen auch schon deshalb nicht zutreffen, weil die
Finanzierungs- und Lagerkosten an die B gezahlt und dort als Ertrag behandelt
worden seien.
Auch die Entwicklung des Kfz sei nicht allein aufgrund der privaten Interessen des
Herrn E betrieben worden. Die unternehmerische Ernsthaftigkeit des Vorhabens
sei unter anderem dadurch erkennbar, dass unter dem 01.09.1987 eine
detaillierte Produktionskostenkalkulation erstellt worden sei (Bl. 142 bis 146 der
Klageakten des Verfahrens 4 K 3773/00).
Hinsichtlich der Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft beruft
sich der Kläger auf die Entscheidung des 4. Senats im Verfahren 4 K 3773/00
wegen Körperschaftsteuer u.a. 1986 bis 1991, in der festgestellt worden sei, dass
die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Eingliederung nicht erfüllt seien. In
gleicher Weise habe sich auch der 6. Senat im Beschluss über die Ablehnung der
Aussetzung der Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide der B für
1986 bis 1991 geäußert.
Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verpflichten, für die Jahre 1986 bis 1991
erstmals Umsatzsteuerbescheide zu erlassen, aus denen sich für 1986 ein
Erstattungsbetrag von DM, für 1987 von DM, für 1988 von DM, für
1989 von DM, für 1990 von DM und für 1991 von ….. DM bzw. die
entsprechenden Eurobeträge ergibt.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte schließt sich der Einschätzung der Betriebsprüfung an und vertritt die
Auffassung, dass sich die Tätigkeit der Gesellschaft in den Streitjahren
ausschließlich auf die Sammelleidenschaft des E und damit auf einen
umsatzsteuerlich irrelevanten Bereich bezogen habe, weshalb die Gesellschaft
keine nachhaltig auf Einnahmeerzielung ausgerichtete Tätigkeit wahrgenommen
habe. Insbesondere fehle es am planmäßigen Vorgehen und an der Beteiligung
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Von Anfang an habe kein schlüssiges
unternehmerisches Konzept bestanden. Der massive Abverkauf ab 1992 sei
weniger in der veränderten Marktsituation, als vielmehr in dem Umstand
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weniger in der veränderten Marktsituation, als vielmehr in dem Umstand
begründet, dass es in der Firmengruppe zu einem Generationswechsel gekommen
sei und an der Sammlertätigkeit des E kein Interesse mehr bestanden habe.
Ferner ist der Beklagte der Ansicht, der Erlass erstmaliger Umsatzsteuerbescheide
sei auch aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr möglich. § 174 Abs. 3 AO
könne nicht herangezogen werden, weil diese Vorschrift voraussetze, dass der
festzusetzende Steueranspruch noch nicht festsetzungsverjährt sei. Das ergebe
sich aus der allgemeinen Regel des § 169 Abs. 1 Satz 1 AO.
Festsetzungsverjährung sei im vorliegenden Fall jedoch eingetreten.
Hilfsweise ist der Beklagte der Ansicht, dass – für den Fall der Vorsteuergewährung
– diesem nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c UStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 7
EStG ein Eigenverbrauch in gleicher Höhe gegenüber stünde. Denn bei den Kosten
für die Anschaffung der Fahrzeuge und die Entwicklung des Kfz handele es sich um
nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung des Geschäftsführers und
mittelbaren Gesellschafters E, ohne dass bei deren Verausgabung in
nachvollziehbarer Weise die Erzielung von Gewinnen beabsichtigt gewesen sei.
Auf die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten (1 Sonderband Antrag auf
Umsatzsteuerveranlagung einschließlich Rechtsbehelfsverfahren, 1 Sonderband
Betriebsprüfung, 1 Bilanzheft, 1 Band Gesellschaftsakte) wird ergänzend Bezug
genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Ergänzend wird weiterhin auf
die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Der Senat hat die Akten der
Klageverfahren 4 K 3773/00 zur Klage der Gesellschaft wegen Körperschaftsteuer
u.a. 1987-1991 und 6 K 3775/00 zur Klage der B wegen Umsatzsteuer 1986-1991
sowie die Akten der Verfahrens der B wegen Aussetzung der Vollziehung der
geänderten Umsatzsteuerbescheide für 1986 bis 1991 (6 V 3776/00 und 6 V
835/01) beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Kläger hat als Partei kraft Amtes für die
streitgegenständlichen Besteuerungszeiträume nach § 174 Abs. 3 AO einen
Anspruch auf Erlass erstmaliger Umsatzsteuerbescheide unter Festsetzung der
beantragten Erstattungsbeträge zu Gunsten der Gesellschaft, da diese Vorschrift
im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt, die Gesellschaft unternehmerisch
tätig war, ein Eigenverbrauch nicht in Betracht kommt und die Voraussetzungen
einer umsatzsteuerlichen Organschaft mangels wirtschaftlicher Eingliederung nicht
erfüllt waren.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG in der Fassung der Streitjahre kann der
Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene
Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmen
für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG
ist, er mithin eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2
Abs. 1 Satz 1 UStG), wobei – ungeachtet einer eventuell vorliegenden
Gewinnerzielungsabsicht – gewerblich oder beruflich jede nachhaltige Tätigkeit zur
Erzielung von Einnahmen ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).
a) Nach der Rechtsprechung des BFH wird eine gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit nachhaltig ausgeübt, wenn sie auf Dauer zur Erzielung von Entgelten
angelegt ist (BFH vom 30.07.1986, V R 41/76, BStBl. II 1986, 874; BFH vom
18.07.1991, V R 86/87, BStBl. II 1991, 776). Bei richtlinienkonformer Anwendung
des § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG muss es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne
des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie des Rates 77/388/EWG (dies entspricht Art. 9 Abs. 1
der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, MwStSystRL) handeln (BFH vom 12.12.1996,
V R 23/93, BStBl. II 1997, 368; BFH vom 02.07.2008, XI R 66/06, BStBl. II 2009,
206). Ob dies der Fall ist, muss aufgrund einer Abwägung aller Umstände des
Einzelfalls entschieden werden. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse.
Dabei sind unter anderem die Dauer und Intensität des Tätigwerdens, die
Beteiligung am Markt, das Auftreten nach Außen (z.B. das Auftreten wie ein
Händler), die Zahl der ausgeführten Umsätze und die Planmäßigkeit des
Tätigwerdens zu würdigen (BFH vom 18.07.1991, V R 86/87, BStBl. II 1991, 776;
BFH vom 12.12.1996, V R 23/93, BStBl. II 1997, 368).
Bezieht sich das Unternehmen auf bestimmte Gegenstände, die ihrer Art nach
sowohl zu wirtschaftlichen als auch zu privaten Zwecken verwendet werden
können, sind sämtliche Umstände ihrer Nutzung zu prüfen, um festzustellen, ob
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können, sind sämtliche Umstände ihrer Nutzung zu prüfen, um festzustellen, ob
sie tatsächlich zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen genutzt werden (BFH
vom 02.07.2008, XI R 66/06, BStBl. II 2009, 206 – Halten eines Rennpferdes). Dabei
sind die tatsächlichen Umstände der mutmaßlichen unternehmerischen
Betätigung mit denjenigen Umständen zu vergleichen, unter denen ein
entsprechendes Unternehmen üblicherweise betrieben wird, wobei auch zu prüfen
ist, ob nach den tatsächlichen Umständen betriebswirtschaftlich mit einem Erfolg
des Unternehmens gerechnet werden konnte (Urteil des Senats vom 08.11.2000,
6 K 4774/96, EFG 2001, 599 – Weinhandel; vgl. in Rau / Dürrwächter / Flick /
Geist, UStG-Kommentar, Stand 5/2008, § 2 Rz. 392). Bei typisierender
Betrachtungsweise ist davon auszugehen, dass häufige An- und Verkäufe durch
eine Privatperson nur dann als unternehmerische Betätigung zu qualifizieren sind,
wenn sich der Veräußernde regelmäßig und planmäßig, d.h. im Sinne eines auf
gewisse Dauer angelegten Geschäftsbetriebs, am Markt wie ein Händler betätigt
(BFH vom 13.12.1984, V R 32/74, BStBl. II 1985, 173 – an- und verkaufender
Amateurrennfahrer; BFH vom 29.06.1987, X R 23/82, BStBl. II 1987, 744 –
Briefmarkensammler; BFH vom 07.02.1990, I R 173/85, BFH/NV 1991, 685 –
Orientteppiche). Geht es um die umsatzsteuerliche Würdigung von Erlösen aus
dem Verkauf einer Sammlung, so ist eine unternehmerische Tätigkeit in der Regel
nur dann anzunehmen, wenn sich der Sammler bereits beim Aufbau der
Sammlung wie ein Händler verhalten hat (BFH 16.07.1987, X R 48/82, BStBl. II
1987, 752 – Münzsammler).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelte es sich nach der
Überzeugung des Senats bei der in den Streitjahren ausgeübten Tätigkeit der
Gesellschaft – unter Berücksichtigung der Umstände des hier vorliegenden
Einzelfalls – um eine in Einnahmeerzielungsabsicht ausgeübte, nachhaltige
gewerbliche oder berufliche Betätigung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG.
aa) Der durch den Gesellschaftszweck bestimmte Unternehmensgegenstand der
Gesellschaft ist grundsätzlich dazu geeignet, sowohl von vermögenden
Privatpersonen im Rahmen ihrer privaten Lebensführung als auch im Rahmen
eines Unternehmens verwirklicht zu werden. Er kann in den (wenn auch
kostenintensiven) Bereich der privaten Sammlertätigkeit fallen oder Grundlage
eines (wenn auch mit besonderen Risiken behafteten) unternehmerischen
Engagements sein. Bei der notwendigen Grenzziehung zwischen privater und
unternehmerischer Veranlassung und der hierzu erforderlichen Gewichtung der
einzelnen Kriterien (d.h. insbesondere des Kriteriums der Planmäßigkeit des
Vorgehens, der Betätigung wie ein Händler, des Vergleichs mit einem
Drittunternehmer und der Erwartung eines betriebswirtschaftlichen Erfolges) sind
die Besonderheiten der hier vorliegenden Art der Betätigung zu berücksichtigen.
bb) Danach ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich beim Ankauf und der
Einlagerung von Kraftfahrzeugen zum Zwecke der Wertsteigerung und des
späteren Weiterverkaufs um eine mehr oder weniger einzigartige (Geschäfts-) Idee
handelte, die am Maßstab eines durchschnittlichen Vergleichsunternehmens nur
schwer gemessen werden kann. Angesichts der Unvorhersehbarkeit der erhofften
Wertsteigerungen ließe sich kaum bestimmen, mit wie vielen Fahrzeugen welcher
Art, mit welcher Fremdkapitalausstattung und mit welcher Fachkompetenz ein
Vergleichsunternehmen hätte wirtschaften müssen, um als repräsentatives
Durchschnittsunternehmen bezeichnet werden zu können. Aufgrund der fehlenden
Vergleichsmöglichkeiten kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob und
inwieweit sich die Gesellschaft bereits beim Erwerb der Fahrzeuge im Sinne der
Rechtsprechung „wie ein Händler“ verhalten hat, da kein entsprechender
repräsentativer Händlertypus erkennbar ist. Das Geschäftskonzept der
Gesellschaft entzieht sich ferner auch deshalb weitgehend einem Vergleich mit
einem gemutmaßten Durchschnittsunternehmen, da die Zugehörigkeit der
Gesellschaft zur E - Gruppe eine überdurchschnittlich hohe und anhaltende
Kapitalausstattung und damit das Eingehen eines überdurchschnittlich hohen
unternehmerischen Risikos ermöglichte.
Aufgrund der Unvorhersehbarkeit der erhofften Wertsteigerungen dürfen zudem
an die Planmäßigkeit des Vorgehens der Gesellschaft sowie an die Erwartung eines
betriebswirtschaftlichen Erfolges keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Geschäftsmodells genügt es zur
Erfüllung des Merkmals der „nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen“
(§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG), dass – jedenfalls im Jahre 1986 – die Erzielung von
Wertsteigerungen objektiv möglich und nicht gänzlich fernliegend erschien. Der
Senat folgt insoweit den Ausführungen des Klägers, wonach aufgrund des im Jahre
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Senat folgt insoweit den Ausführungen des Klägers, wonach aufgrund des im Jahre
1986 erschienenen Artikels in der Zeitschrift jedenfalls dem Grunde nach von
der zukünftigen Möglichkeit (weiterer) Wertsteigerungen ausgegangen werden
konnte, auch wenn der Einsatz von Kapital zu diesem Zweck in hohem Maße
spekulativ erscheinen musste. Das Eingehen eines besonders hohen Risikos
spricht jedoch (ungeachtet einer Würdigung im Rahmen des hier nicht zu
prüfenden Merkmals der Gewinnerzielungsabsicht) für sich genommen nicht gegen
die Absicht der Erzielung von Einnahmen. Da die weitere Entwicklung des Marktes
letztlich im Einzelnen nicht vorhersehbar war, ist für den Senat auch nicht
erkennbar, welche Planrechnungen die Gesellschaft hätte anstellen sollen, um sich
einen besseren Überblick über das Verhältnis zwischen den anfallenden Kosten
und den möglicherweise eintretenden Wertsteigerungen zu verschaffen.
Insbesondere hätte die Planung bestimmter Einlagerungszeiträume rein
spekulativen Charakter gehabt. Angesichts der durch die Zugehörigkeit zur E -
Gruppe weitgehend gesicherten Finanzierung stand es der Gesellschaft
demgegenüber zu, die Grenzen ihres unternehmerischen Wagnisses voll
auszuschöpfen.
Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse übte die Gesellschaft in den Streitjahren
bezüglich des Ankaufs und der Einlagerung von Fahrzeugen eine
unternehmerische Tätigkeit aus. Dass ihre Unternehmensprognose im
Wesentlichen auf Spekulationen beruhte, war dabei insoweit unschädlich, als der
Eintritt der erhofften Wertsteigerungen auf der Grundlage einschlägiger
Presseveröffentlichungen jedenfalls dem Grunde nach möglich erschien und der
Umstand, dass die Gesellschaft der E - Unternehmensgruppe angehörte, aus der
Perspektive des Jahres 1986 das Durchhalten auch längerer Einlagerungszeiten
möglich erscheinen ließ.
cc) Ähnliche Erwägungen greifen auch in Bezug auf die von der Gesellschaft
bezahlten Eingangsleistungen zur Entwicklung des Kfz. Auch bei diesem Projekt
profitierte die Gesellschaft von den Finanzierungsmöglichkeiten der E -
Unternehmensgruppe und konnte daher das unternehmerische Wagnis eingehen,
eine bestimmte, anfangs noch wenig konkrete Idee (d.h. die Entwicklung eines Kfz
im Stile der fünfziger und sechziger Jahre) vorzufinanzieren, um ihr nach
entsprechender Fortentwicklung zur Marktgängigkeit zu verhelfen. Es kann
dahinstehen, ob die Gesellschaft bei diesem Projekt mit einem absoluten,
periodenübergreifenden Überschuss der späteren Einnahmen über die Ausgaben
rechnen konnte, da es auf das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht jedenfalls für
Zwecke des § 2 Abs. 1 UStG nicht ankommt.
Hierbei kommt auch dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass die
Gesellschaft bereits im Jahre 1987 in durchaus nennenswertem Umfang
Kalkulationen angestellt hat, um die Produktionskosten und damit die
Marktfähigkeit des Fahrzeugs jedenfalls grob einschätzen zu können. Eine weitere,
vertiefte Erforschung des Marktes war nicht unbedingt erforderlich, da jedenfalls
die I ernsthaftes Interesse am Vertrieb des Fahrzeugs geäußert hatte. Entgegen
der Einschätzung des Beklagten ist die Gesellschaft damit jedenfalls im
Mindestmaß planmäßig zur Erzielung von Einnahmen vorgegangen. Dass nicht
konkret feststand, welche Personen das Fahrzeug später produzieren (d.h. die
veranschlagten Einzelteile bestellen und die Endmontage vornehmen) sollte, fällt
demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht. Auch die streitigen
Entwicklungskosten sind daher i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG im Rahmen des für
Umsatzsteuerzwecke anzuerkennenden Unternehmens der Gesellschaft
angefallen.
dd) Demgegenüber können die vom Beklagten angeführten Argumente die für
eine unternehmerische Betätigung der Gesellschaft sprechenden Aspekte sowohl
in Bezug auf die Anschaffung und Einlagerung der Fahrzeuge zum Zwecke der
Wertsteigerung als auch hinsichtlich der Entwicklung des Kfz nicht zur
Überzeugung des Senats entkräften.
Es spricht zwar einiges dafür, dass die Gesellschaft möglicherweise höhere
Wertzuwächse bzw. geringere Wertverluste hätte realisieren können, wenn sie die
Voreigentümer und die übrige „Fahrzeuggeschichte“ bei sämtlichen angeschafften
Fahrzeugen lückenlos dokumentiert hätte bzw. nur solche Fahrzeuge angeschafft
hätte, für die entsprechend aussagekräftige Dokumente verfügbar waren. Es sind
jedoch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass eine Wertsteigerung beim
Fehlen solcher Dokumente von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre. Denn
da die Höhe der erreichbaren Wertsteigerungen und die hierzu notwendigen
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da die Höhe der erreichbaren Wertsteigerungen und die hierzu notwendigen
Einlagerungszeiten ungewiss waren, muss im Zweifel davon ausgegangen werden,
dass die Gesellschaft ihren unternehmerischen Entscheidungsspielraum
ausgeschöpft und zu Gunsten eines höheren Risikos auf eine entsprechend
lückenlose Dokumentation verzichtet hat. Das damit verbundene Wagnis konnte
sie aufgrund der gegebenen Kapitalquellen eingehen, was nicht gegen ihre Absicht
spricht, nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig zu werden. Auch dass es
sich bei den angeschafften Fahrzeugen zum großen Teil um Neuwagen handelte,
spricht nicht gegen die unternehmerische Konzeption der Gesellschaft. Hierdurch
dürften sich in erster Linie die voraussichtlichen Einlagerungszeiten verlängert
haben, was wiederum in erster Linie zur Erhöhung des unternehmerischen Risikos
führen musste.
Dass in den Streitjahren lediglich zwei Fahrzeuge verkauft wurden, entsprach dem
Konzept der Gesellschaft, die Fahrzeuge erst nach einer die Wertsteigerung
begründenden Einlagerungszeit zu veräußern. Während dieser Einlagerungszeit
bestand auch keine unbedingte Notwendigkeit, Kontakte zu Oldtimerclubs
aufzunehmen oder das Unternehmen sonst am Markt bekannt zu machen.
Aufgrund des vom Kläger angeführten Umstandes, dass auf der Grundlage der
einschlägigen Fachzeitschriften ab dem Jahre 1992 Wertverluste festzustellen
waren, erscheint auch der größere Abverkauf der Fahrzeuge ab diesem Zeitpunkt
wirtschaftlich erklärbar. Die Erfolglosigkeit eines Unternehmens führt nicht zur
rückwirkenden Versagung der Unternehmerstellung, da es nach der Systematik
des Umsatzsteuerrechts gleichgültig ist, mit welchem Ergebnis die als
unternehmerische Tätigkeit einzustufende Betätigung endet ( in Rau /
Dürrwächter / Flick / Geist, UStG-Kommentar, Stand 5/2008, § 25 Rz. 384).
Auch die vom Beklagten ins Feld geführten Argumente, die für eine Steuerung der
Aktivitäten der Gesellschaft durch die private Sammel- und Automobilleidenschaft
des E sprechen sollen, können das jedenfalls im Mindestmaß vorhandene
unternehmerische Konzept der Gesellschaft nicht in Frage stellen. Dass die
Tiefgarage gewisse museale Elemente aufwies und mit Nummernschildern
dekoriert war, die zum Teil die Initialen des E bzw. seiner Ehefrau trugen, spricht
nicht gegen das Geschäftskonzept der Gesellschaft. Die möglicherweise erfolgte
Ausstattung der Räumlichkeiten nach den persönlichen Vorlieben des
Geschäftsführers und mittelbaren Mehrheitsgesellschafters E erscheint
unschädlich, da die hierzu ergriffenen Maßnahmen den üblichen Rahmen nicht
überschreiten. Auch der Umstand, dass ein renommiertes Unternehmen
Fahrzeuge mit dem Vermerk „Kommission Museum“ lieferte, lässt nicht bereits
den Schluss zu, dass die Gesellschaft anstelle der Verfolgung ihres
gesellschaftsvertraglichen Zwecks ein Privatmuseum unterhielt. Selbst wenn Herr
E den Fahrzeugbestand gelegentlich interessierten Freunden und Bekannten
vorgeführt hätte, spräche dies nicht gegen die tatsächliche Verfolgung des
Unternehmenskonzepts der Einlagerung von Fahrzeugen zum Zwecke der
Wertsteigerung. Auch soweit Herr E bei der Entwicklung des Kfz seine persönlichen
Vorlieben einfließen ließ, spräche dies nicht gegen die im Zweifel
unternehmerische Veranlassung dieses Projekts, sondern vielmehr für den (wenn
auch später gescheiterten) Versuch, eine anfangs noch etwas eigenwillige Idee
unter Einsatz von unternehmerischem Wagniskapital voranzutreiben.
Aus den genannten Gründen ist auch die Auffassung des Beklagten nicht
überzeugend, nach der dem von der Gesellschaft geltend gemachten
Vorsteuerabzug ein Eigenverbrauch i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c UStG i.V.m. § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 4 bzw. Nr. 7 EStG in gleicher Höhe gegenüber steht. Denn der Aspekt
der privaten Lebensführung des E fällt gegenüber der dem Grunde nach
vorhandenen unternehmerischen Aktivität der Gesellschaft nicht derart ins
Gewicht, als dass deren Eingangsleistungen ganz oder teilweise Herrn E zu Gute
gekommen wären. Die bloße Affinität des Geschäftsführers zu Automobilien kann
nach der Überzeugung des Senats hierzu nicht genügen.
2. Die von der Gesellschaft getätigten Umsätze waren nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG der B als Organträgerin zuzurechnen, da eine umsatzsteuerliche
Organschaft in den Streitjahren mangels wirtschaftlicher Eingliederung der
Gesellschaft in das Unternehmen der B nicht vorlag. Das Merkmal der
wirtschaftlichen Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers stellt keine
bloße Leerformel dar (vgl. BFH vom 26.04.1989, I R 152/84, BStBl. II 1989, 668).
Eine wirtschaftliche Eingliederung ist anzunehmen, wenn zwischen dem
Organträger und der Organgesellschaft ein wirtschaftlicher Zusammenhang im
Sinne einer wirtschaftlichen Einheit oder Kooperation gegeben ist, bei der sich die
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Sinne einer wirtschaftlichen Einheit oder Kooperation gegeben ist, bei der sich die
Tätigkeiten der beiden Rechtssubjekte gegenseitig fördern und ergänzen (BFH
vom 25.06.1998, V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534; BFH vom 03.04.2003, V R 63/01,
BStBl. II 2004, 434). Dies kann zwar grundsätzlich auch dann der Fall sein, wenn
die beiden Rechtssubjekte in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig sind (BFH
vom 03.04.2003 a.a.O.). Die unternehmerische Tätigkeit der Gesellschaft war in
den Streitjahren jedoch derart weit von der unternehmerischen Tätigkeit der B
entfernt, dass ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Förderung und Ergänzung nicht
erkennbar war. Die beiden Gesellschaften waren in völlig unterschiedlichen
Bereichen tätig. Vor allem in Bezug auf den Ankauf und die Einlagerung von
Fahrzeugen zum Zwecke der Wertsteigerung verfolgte die Gesellschaft ein in
hohem Maße spekulatives Unternehmenskonzept, mit dem sie ihre
Muttergesellschaft auch nicht durch Schaffung eines Risikoausgleichs (vgl. BFH
vom 21.01.1976, I R 21/94, BStBl. II 1976, 389 ff.) fördern und ergänzen konnte. Im
Gegenteil schaffte sie für die B und für die E - Gruppe ein zusätzliches Risiko. In
einem solchen Fall kann von einer wirtschaftlichen Eingliederung durch
gegenseitige Förderung und Ergänzung keine Rede mehr sein.
3. Hinsichtlich der Streitjahre ergibt sich die Verpflichtung des Beklagten zum
Erlass erstmaliger Umsatzsteuerbescheide aus § 174 Abs. 3 AO i.V.m. § 38 AO.
a) Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt nach dem Verständnis des § 174 Abs. 3
Satz 1 AO in Bezug auf die Unternehmerstellung der Gesellschaft i.S.v. § 2 UStG
und der subjektiven Zuordnung ihrer Umsätze nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG einen
„Sachverhalt“ (BFH vom 23.05.1996, IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89; BFH vom
27.05.1993, IV R 65/91, BStBl. II 1994, 769; BFH vom 08.02.1996, V R 54/94,
BFH/NV 1996, 733; FG Saarland vom 03.12.2003, 1 K 206/03, EFG 2004, 389, FG
Rheinland-Pfalz vom 12.02.1986, 1 K 190/85) „erkennbar“ deshalb nicht
berücksichtigt, weil es diesen Sachverhalt im (insoweit maßgeblichen) Zeitpunkt
des ansonsten durchzuführenden Erlasses erstmaliger
Umsatzsteuerfestsetzungen zu Gunsten der Gesellschaft (– als mutmaßlicher
Organgesellschaft –) stattdessen i.S.v. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO bei der B (– als
mutmaßlicher Organträgerin –) berücksichtigt hatte. Hinsichtlich dieser Bescheide
der mutmaßlichen Organträgerin ist i.S.v. § 174 Abs. 3 Satz 2 AO noch keine
Festsetzungsverjährung eingetreten, da das hiergegen geführte Klageverfahren 6
K 3775/00 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus den Gerichtsregistern
gelöscht wurde und die durch die Erhebung von Einspruch und Klage ausgelöste
Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 3a AO damit noch nicht beendet ist, weil
die Löschung lediglich die Unterbrechung des Verfahrens bewirkte (BFH vom
16.09.1991, VII B 46/91, BFH/NV 1992, 400).
b) Die vierjährige Festsetzungsverjährung ist für das letzte Streitjahr 1991 nach §§
169 Abs. 1 u. Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 2, 18
Abs. 3 UStG spätestens am 31.12.1998 eingetreten. Für die vorangegangenen
Streitjahre trat die Festsetzungsverjährung entsprechend früher ein. Zu einer
Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 4 AO kam es nicht, da sich die
Außenprüfung gemäß der ergangenen Prüfungsordnung nicht auf die
Umsatzsteuer erstreckte (BFH vom 22.11.1977, VII R 63/74, BStBl. II 1977, 277;
BFH vom 15.12.1989, VI R 151/86, BStBl. II 1990, 526; BFH vom 17.06.1998, IX R
65/95, BStBl. II 1999, 4; in Tipke / Kruse, AO/FGO-Kommentar, Stand 4/2007,
§ 171 AO Rz. 51). Auch eine bei der B durchgeführte Prüfung der Umsatzsteuer
konnte bei der Gesellschaft keine Hemmung der Verjährung bewirken (BFH
06.05.1975, VII R 109/72, BStBl. II 1975, 723; BFH vom 22.10.1986, I R 107/82; BFH
vom 15.12.1989, VI R 151/86, BStBl. II 1990, 526; BFH vom 11.10.1983, VIII R
11/82, BStBl. II 1984, 125; FG Hamburg vom 26.09.1977, II 72/75, EFG 1978, 56).
Eine Nachholung der begehrten Steuerfestsetzungen nach § 174 Abs. 3 AO
scheitert entgegen der Ansicht des Beklagten indessen nicht daran, dass die
streitgegenständlichen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Zeitpunkt
der erstmaligen Antragstellung am 17.11.2000 bereits festsetzungsverjährt waren.
aa) Nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur ist die
Steuerfestsetzung, in der der bestimmte Sachverhalt nicht berücksichtigt wurde,
nach § 174 Abs. 3 AO auch dann noch nachholbar, wenn hinsichtlich des dem zu
Grunde liegenden Steueranspruchs nach §§ 169 ff. AO bereits die
Festsetzungsverjährung eingetreten ist ( , Die widerstreitende
Steuerfestsetzung, Diss. Bochum 1989, S. 69; DStR 1979, 548 (551);
in Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO/FGO-Kommentar, Stand 10/2002, § 174
AO Rz. 215; in Pahlke / König, AO-Kommentar, 1. Auflage 2004, § 174 Rz.
53; in Koch / Scholz, AO-Kommentar, 5. Auflage 1996, § 174 Rz. 18;
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53; in Koch / Scholz, AO-Kommentar, 5. Auflage 1996, § 174 Rz. 18;
, AO-Kommentar, Stand 9/2002, § 174 Rz. 33; in
Kühn / von Wedelstädt, AO-Kommentar, 19. Auflage 2008, § 174 Rz. 54; in
Tipke / Kruse, AO/FGO-Kommentar, Stand 8/2006, § 174 AO Rz. 37;
in Beermann / Gosch, AO/FGO-Kommentar, Stand 7/2005, § 174 AO
Rz. 90; in Pump / Leibner, AO-Kommentar, § 174 Rz. 62 sowie im
Ergebnis auch , Die Aufhebung Änderung von
Steuerverwaltungsakten, 8. Auflage 1988, S. 100).
Zur Begründung wird angeführt, die ansonsten grundsätzlich anwendbare
Vorschrift des § 169 AO werde durch § 174 Abs. 3 Satz 2 AO verdrängt, wonach es
allein auf die noch nicht eingetretene Festsetzungsverjährung hinsichtlich des
Steuerbescheides ankomme, in dem der Sachverhalt ursprünglich berücksichtigt
worden sei ( in Hübschmann / Hepp / Spitalera.a.O. Rz. 215 und in
Pahlke / König a.a.O. Rz. 53). Ferner habe der Gesetzgeber auch ohne
ausdrückliche Wiederholung der in § 174 Abs. 1 und Abs. 2 AO ausdrücklich
geregelten Durchbrechung der Rechtsfolgen des § 169 AO eine Korrektur trotz
Eintritts der Festsetzungsverjährung zulassen wollen. Denn die Vorschrift wäre
wenig effektiv, wenn die Möglichkeit einer Korrektur durch beide
Festsetzungsfristen beschränkt bliebe ( a.a.O. S. 69). Aufgrund des
Zwecks des § 174 AO, der materiellen Gerechtigkeit gegenüber Formalismus und
Fristenablauf zum Sieg zu verhelfen, sei nicht erforderlich gewesen, die
Durchbrechung der Festsetzungsverjährung in jedem Absatz erneut auszudrücken
( a.a.O. S. 551).
bb) Die Gegenansicht geht demgegenüber davon aus, dass eine Änderung,
Aufhebung oder Nachholung der Festsetzung nach § 174 Abs. 3 AO nicht mehr
möglich ist, wenn hinsichtlich des Steueranspruchs bereits die
Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Insoweit sei § 169 AO der Vorrang
einzuräumen, weil der Festsetzungsverjährung vor dem Hintergrund des
Rechtssicherheitsgedankens eine erhebliche Bedeutung zukomme und weil der
Gesetzgeber in § 174 Abs. 3 AO – anders als in den benachbarten Vorschriften der
§ 174 Abs. 1 und Abs. 2 AO – eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht
geregelt habe. Insoweit sei das Schweigen des Gesetzgebers dahingehend
auszulegen, dass der Grundsatz des § 169 AO bei Maßnahmen nach § 174 Abs. 3
AO regulär beachtet werden müsse ( in Schwarz, AO/FGO-Kommentar,
Stand 2/2007, § 174 AO Rz. 60; DStZ 1979 Ausgabe A, 70 (73);
zweifelnd auch INF 1986, 217 (219) sowie im praktischen Ergebnis
in Klein, AO-Kommentar, 9. Auflage 2006, § 174 Rz. 48).
cc) § 174 Abs. 3 AO ist dahingehend auszulegen, dass eine Nachholung der
Steuerfestsetzung, in der der fragliche Sachverhalt hätte berücksichtigt werden
müssen, auch nach Eintritt der Festsetzungsverjährung bezüglich des der
Festsetzung zu Grunde liegenden Steueranspruchs noch möglich und wegen der
Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung nach § 38 AO auch zwingend ist.
Maßgeblich hierfür ist, dass der Gesetzgeber den Aspekt der
Festsetzungsverjährung in § 174 Abs. 3 Satz 2 AO aufgegriffen und einer Regelung
zugeführt hat, wenn auch diese Regelung auf der Tatbestandsebene nur an die
Festsetzungsverjährung bezüglich der „anderen“ Steuerfestsetzung anknüpft. Die
Existenz des § 174 Abs. 3 Satz 2 AO belegt, dass der Gesetzgeber das Problem
der Festsetzungsverjährung im Zusammenhang mit dieser Vorschrift (wie auch im
Rahmen des § 174 Abs. 1 und Abs. 2 AO) erkannt hat. Dies wiederum spricht für
einen entsprechenden Willen zur abschließenden Regelung. Hätte der Gesetzgeber
auf die uneingeschränkte Geltung der allgemeinen Vorschrift des § 169 AO bei
Anwendung des § 174 Abs. 3 AO bestanden, so hätte er dies im Rahmen dieser
Norm ausdrücklich anordnen müssen. Da dies jedoch nicht geschehen ist, ist mit
a.a.O. und a.a.O. anzunehmen, dass es sich bei der in § 174 Abs. 3
Satz 2 AO enthaltenen Regelung um die einzige in Bezug auf den Aspekt der
Festsetzungsverjährung zu beachtende Tatbestandsvoraussetzung handelt, die
als spezialgesetzliche Regelung der allgemeinen Vorschrift des § 169 AO vorgeht.
Auch der 4. Senat des BFH kommt in seiner Entscheidung vom 23.05.1996 (BFH
vom 23.05.1996, IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89) zu dem Ergebnis, dass der Eintritt
der Festsetzungsverjährung hinsichtlich der nach § 174 Abs. 3 AO
nachzuholenden, aufzuhebenden oder zu ändernden Steuerfestsetzung einer
Anwendung dieser Vorschrift nicht entgegensteht.
Demgegenüber fällt der von der Gegenansicht angeführte Aspekt der
Rechtssicherheit nicht entscheidend ins Gewicht. Zwar verlangen auch die
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Rechtssicherheit nicht entscheidend ins Gewicht. Zwar verlangen auch die
Vorschriften der Festsetzungsverjährung (insbesondere vor dem Hintergrund der
Erlöschenswirkung der Verjährung nach § 47 AO) einen gewissen Standard an
Rechtssicherheit und Bestimmtheit im Sinne einer eindeutigen Vorhersehbarkeit
der eintretenden Rechtsfolgen ( in Tipke / Lang, Steuerrecht, 19. Auflage
2008, § 4 Rz. 167 ff. m.w.N.). Dies gilt auch insoweit, als Klarheit darüber bestehen
muss, ob die Verjährungsvorschriften dem Anwendungsbereich einer
Änderungsvorschrift nach §§ 172 ff. AO entgegenstehen oder nicht. Wegen der
vielfältigen Hemmungstatbestände des § 171 AO sowie wegen der nicht selten mit
tatsächlichen Unsicherheiten behafteten Berechnung des Fristenlaufs (z.B. nach §
169 Abs. 2 Satz 1 gegenüber Satz 2 AO) stellt sich der aus den bestehenden
gesetzlichen Regelungen ergebende Standard an Rechtssicherheit und
Bestimmtheit allenfalls als durchschnittlich, nicht jedoch als besonders hoch dar.
Demzufolge kann der Aspekt der Rechtssicherheit und Bestimmtheit bei der
Auslegung des § 174 Abs. 3 AO nicht von entscheidender Bedeutung sein. An die
Bestimmtheit dieser Vorschrift (bzw. an die Bestimmtheit der dort enthaltenen
Tatbestandsmerkmale bezüglich des Eintritts oder Nichteintritts der
Festsetzungsverjährung) dürfen keine höheren Anforderungen gestellt werden als
an die Vorschriften zur Festsetzungsverjährung selbst.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die
Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf
§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO. Der Senat hat die
Revision zugelassen, da der Auslegung des § 174 Abs. 3 AO im vorliegenden Fall
grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.