Urteil des FG Hessen vom 04.06.2009
FG Frankfurt: berufsberatung, datum, unverzüglich, mitwirkungspflicht, einspruch, sicherheit, zeugenaussage, registrierung, verfügung, prozessvertretung
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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
2002, 2003, 2004
Aktenzeichen:
3 K 1533/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c
EStG 2002, § 68 Abs 1 EStG
2002, § 88 Abs 1 AO, § 96 Abs
1 S 1 FGO, § 136 Abs 1 S 1
FGO
(Kindergeldanspruch für volljähriges Kind ohne
Ausbildungsplatz - Sachaufklärungspflicht der
Familienkasse und Mitwirkungspflicht des
Kindergeldberechtigten - reduziertes Beweismaß -
Kostenentscheidung)
Tatbestand
Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Tochter A
(geboren 1983). Mit der Klage wendet er sich gegen die Auffassung der Beklagten
(der Familienkasse), die Tochter A habe sich während der streitigen Zeiträume
(Monate April bis Juni 2002, August 2002 bis Mai 2003 und September 2003 bis
September 2004) nicht ernsthaft um eine Ausbildungsstelle bemüht. Dem
Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Tochter A war für die Monate Dezember 2001 bis März 2002 bei der
Berufsberatung der zuständigen Agentur für Arbeit als Bewerberin für eine
Ausbildungsstelle registriert. Aufgrund dieses Umstandes hatte die Familienkasse
Kindergeld mit Wirkung ab dem Monat Dezember 2001 festgesetzt
(Kindergeldantrag vom 04.03.2002, Kassenverfügung vom 11.04.2002). In der
Folgezeit hatte sie sowohl für die Tochter A als auch für andere Kinder des Klägers
das entsprechende Kindergeld ausgezahlt.
Unter dem Datum vom 27.05.2004 richtete die Familienkasse an den Kläger ein
Schreiben, in dem u.a. (wörtlich) folgendes ausgeführt ist: „Sie beziehen
Kindergeld unter Berücksichtigung des oben genannten Kindes, das keinen
Ausbildungsplatz hat... Das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für
dieses Kind muss jährlich nachgewiesen werden. Füllen Sie deshalb bitte den
beigefügten Vordruck aus und leiten Sie ihn der Familienkasse mit den
erforderlichen Nachweisen zu.“ Der Kläger reichte daraufhin am 09.07.2004 bei
der Familienkasse einen „Antrag auf Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind
ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz“ ein. Hierbei gab er an, seine Tochter A sei
bei der Berufsberatung gemeldet.
Durch Kassenverfügung vom 07.09.2004 stellte die Familienkasse die
Kindergeldzahlung betreffend die Tochter A ein mit der Folge, dass entsprechend
geminderte Kindergeldbeträge ausgezahlt wurden. Daraufhin wandte sich der
Kläger mehrfach an die Familienkasse mit dem Anliegen, wiederum Kindergeld für
seine Tochter A auszuzahlen. Nachdem er am 08.10.2004 im Rahmen einer
Vorsprache an Amtsstelle nochmals Beschwerde erhoben hatte, setzte die
Familienkasse durch Bescheid vom 11.10.2004 Kindergeld mit Wirkung ab dem
Monat Oktober 2004 betreffend die Tochter A fest. In die Bescheidausfertigung
fügte es folgendem Hinweis ein: „Wie am 08.10.2004 abgesprochen, bitte ich um
Übersendung der Ablehnungsschreiben auf die Bewerbungen von A in der
Vergangenheit.“
Mit Schreiben vom 07.07.2005 forderte die Familienkasse den Kläger auf, u.a.
wegen des Kindergeldanspruchs betreffend seine Tochter A für die Monate April
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wegen des Kindergeldanspruchs betreffend seine Tochter A für die Monate April
2002 bis September 2004 eine Stellungnahme abzugeben. Dabei nahm sie Bezug
auf den Hinweis in dem Bescheid vom 11.10.2004, wonach bestimmte Nachweise
einzureichen seien. Weiter führte sie aus: Nach Lage der Kindergeldakten sei nur
nachzuvollziehen, dass A für die Zeit bis März 2002 und für die Zeit ab Oktober
2004 bei der Berufsberatung gemeldet gewesen sei. Was in der Zeit dazwischen
gewesen sei, könne nicht nachvollzogen werden. Der Kläger sei verpflichtet,
entsprechende Nachweise zu bringen.
Unter dem Datum vom 21.12.2005 erließ die Familienkasse sodann einen
Bescheid, durch den sie die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind A gemäß
§ 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Zeitraum April 2002 bis
September 2004 aufhob und die betreffenden Kindergeldbeträge in Höhe von
4.620 € zurückforderte. Zur Begründung führte sie aus: Trotz entsprechender
Anforderung (Schreiben vom 11.10.2004 und vom 07.07.2005) habe der Kläger
keine Nachweise vorgelegt, aus denen sich die Ausbildungswilligkeit des Kindes A
für den hier fraglichen Zeitraum ergebe.
Gegen den Bescheid vom 21.12.2005 legte der Kläger Einspruch ein. Hierzu macht
er geltend: Es sei nicht zutreffend, dass seine Tochter A während des hier
fraglichen Zeitraums ihre Bemühungen um einen Ausbildungsplatz eingestellt
habe. Die geforderten Unterlagen seien eingereicht worden.
Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde der Kläger bzw. dessen Ehefrau
mehrfach bei der Familienkasse vorstellig. Dabei erhob er wiederholt massive
Vorwürfe gegen die Arbeitsweise der Familienkasse. In diesem Zusammenhang
wurden verschiedene Unterlagen eingereicht. Hierbei handelte es sich um zwei
Bewerbungsschreiben mit Datum vom 20.07.2002 und vom 24.06.2003, um zwei
Ablehnungsschreiben mit Datum vom 08.07.2003 und vom 11.08.2003 sowie um
eine Zusammenstellung mit Adressen von Ausbildungsbetrieben und Hinweisen
auf den jeweiligen Ausbildungsberuf (im Folgenden: Excel-Liste).
Nachdem sie den Sachverhalt nochmals geprüft hatte, erließ die Familienkasse
unter dem Datum vom 24.04.2006 einen (Teil-) Abhilfebescheid, durch den sie
betreffend das Kind A wiederum Kindergeld für die Monate Juli 2002 sowie Juni 2003
bis August 2003 festsetzte und dementsprechend den Rückforderungsbetrag um
616 € minderte. Im Übrigen wies sie den Einspruch durch Einspruchsentscheidung
vom 26.04.2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Für die
noch streitbefangenen Zeiträume seien die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne
einer ernsthaften Ausbildungsstellensuche nicht ausreichend nachgewiesen.
Lediglich aufgrund der im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen hätte für
die Monate Juli 2002 und Juni 2003 bis August 2003 von eigenen
Bewerbungsaktivitäten der Tochter A ausgegangen werden können.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Zur
Begründung führt er u.a. aus: Er sei grundsätzlich davon ausgegangen, dass er als
Kindergeldberechtigter Änderungen in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf
Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich anzeigen müsse, so insbesondere
dann, wenn sein Kind nicht mehr an einer beruflichen Ausbildung interessiert sei.
Bzgl. seiner Tochter A hätten sich die Verhältnisse während des hier
maßgebenden Zeitraums nicht geändert. Insofern sei eine Änderungsmeldung
nicht nötig gewesen. Anhaltspunkte für die Bewerbungsaktivitäten seiner Tochter
gebe im Übrigen die bereits vorgelegte Excel-Liste.
Der Kläger beantragt, den Bescheid über die Aufhebung einer
Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld vom 21.12.2005 in
Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 24.04.2006 sowie in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 26.04.2006 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen, mit Ausnahme des Monats Juli
2004.
Zur Begründung trägt sie u.a. vor: Für den Monat Juli 2004 stehe dem Kläger noch
Kindergeld zu. Dies ergebe sich aus Ermittlungen, die der für die
Prozessvertretung zuständige Sachbearbeiter aufgrund der vorgelegten Excel-
Liste durchgeführt habe. Auf eine entsprechende Anfrage habe die
Rechtsanwaltskanzlei B mitgeteilt, dass sich die Tochter A dort im Juli 2004
beworben habe. Für die restlichen Monate des streitigen Zeitraums habe keiner
der angeschriebenen Ausbildungsbetriebe bestätigen können, dass A sich dort
beworben habe. Die Ermittlungen durch den vorgenannten Sachbearbeiter hätten
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beworben habe. Die Ermittlungen durch den vorgenannten Sachbearbeiter hätten
sich auf alle Adressen bezogen, die auf der vorgelegten Excel-Liste angegeben
seien. Zwar sei es richtig, dass durch organisatorische Änderungen auf Seiten der
Familienkasse eine gewisse Unordnung entstanden sei. Dies könne aber das
Fehlen der hier maßgebenden Unterlagen nicht wirklich erklären.
Das Gericht hat Beweis erhoben zu der Frage, ob die Tochter des Klägers sich
während der Zeit von April 2002 bis September 2004 durchgehend und ernsthaft
um eine Ausbildungsstelle bemüht hat, durch Vernehmung der Frau A als Zeugin.
Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.
Die den Streitfall betreffenden Akten der Familienkasse waren Gegenstand des
Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur teilweise begründet, und zwar hinsichtlich der Monate April bis Juni
2002 und August 2002 bis Mai 2003 (dazu Abschnitt 1 a aa) sowie hinsichtlich der
Monate Juli bis September 2004 (dazu Abschnitt 1 b). Im Übrigen ist sie
unbegründet, und zwar hinsichtlich der Monate September 2003 bis Juni 2004
(Abschnitt 1 a bb).
1. Für den überwiegenden Teil des hier streitigen Zeitraums war die Familienkasse
nicht berechtigt, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben, und zwar im Wesentlichen
deswegen, weil sie die ihr obliegende Sachaufklärungspflicht in erheblichem Maße
verletzt hat. Für den restlichen Teil muss der Kläger die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung hinnehmen, und zwar vor allem deshalb, weil er seinerseits
seinen Mitwirkungspflichten nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen ist.
Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG
in der für die Jahre 2002 bis 2004 geltenden Fassung besteht für ein Kind, das das
18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, u.a. dann ein Anspruch auf
Kindergeld, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht
beginnen oder fortsetzen kann.
Das auf der Grundlage des § 62 EStG zustehende Kindergeld wird nach § 70 Abs. 1
EStG von den Familienkassen festgesetzt und ausgezahlt. Soweit in den
Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen
eintreten, haben die Familienkassen nach § 70 Abs. 2 EStG die Festsetzung des
Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
aufzuheben oder zu ändern.
a) Hinsichtlich des überwiegenden Teils des hier streitigen Zeitraums (nämlich
hinsichtlich der Monate April bis Juni 2002, August 2002 bis Mai 2003, September
2003 bis Juni 2004) hat das Gericht zwar nicht mit der nötigen Sicherheit die Frage
klären können, ob in Bezug auf die Anspruchsvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG sich bei der Tochter des Klägers die maßgebenden
Verhältnisse geändert haben. Aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalles
sieht es sich jedoch dazu verpflichtet, nach den Regeln der so genannten
Reduzierung des Beweismaßes zu dem einen Teil (nämlich für die Monate April bis
Juni 2002, August 2002 bis Mai 2003) zulasten der Familienkasse und zu dem
anderen Teil (nämlich für die Monate September 2003 bis Juni 2004) zulasten des
Klägers zu entscheiden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) besteht ein
Kindergeldanspruch auf der Grundlage des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG
nur dann, wenn das betreffende Kind sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz
bemüht hat. Dieses Bemühen ist glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das
Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen oder habe sich ständig
um einen Ausbildungsplatz bemüht, reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen
Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegenzuwirken, muss sich die
Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen
Ausbildungsplatz objektiviert haben. Die Nachweise für die Ausbildungswilligkeit
und das Bemühen, einen Ausbildungsplatz zu finden, hat der
Kindergeldberechtigte beizubringen. Dabei hat er auch Vorsorge dafür zu treffen,
dass diese Nachweise für den Bedarfsfall verfügbar bleiben (vgl. BFH-Urteile vom
19.06.2008 III R 66/05, BFH/NV 2008, 1740, und vom 17.07.2008 III R 106/07,
BFH/NV 2009, 168, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Die Verpflichtung des Kindergeldberechtigten, die Nachweise über den
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Die Verpflichtung des Kindergeldberechtigten, die Nachweise über den
anspruchserheblichen Sachverhalt beizubringen, beruht im wesentlichen auf den
Regeln des § 68 Abs. 1 EStG. Danach hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder
erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind,
unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen (Satz 1). Ein Kind, das das
18. Lebensjahr vollendet hat, ist auf Verlangen der Familienkasse verpflichtet, an
der Aufklärung des für die Kindergeldzahlung maßgebenden Sachverhalts
mitzuwirken (Satz 2).
Der vorgenannten Mitwirkungspflicht des Kindergeldberechtigten steht die
Sachaufklärungspflicht der Familienkasse gegenüber. Nach § 88 Abs. 1 der
Abgabenordnung (AO) hat die Familienkasse als Finanzbehörde den
maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (Satz 1). Der Umfang
der Sachaufklärung richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles
(Satz 3).
Geht es - wie im Streitfall - um die Frage, ob das Kind, für das Kindergeld beantragt
worden ist, während des maßgebenden Zeitraums sich ernsthaft um eine
Ausbildungsstelle bemüht hat, kann sich die Familienkasse nicht ohne weiteres
darauf verlassen, dass der Kindergeldberechtigte über Jahre hinweg die
erforderlichen Nachweise zur Verfügung hält. Zudem kann sie nicht davon
ausgehen, dass der Kindergeldberechtigte zu der Frage, ob das Kind die Suche
nach einem Ausbildungsplatz nach wie vor mit der gebotenen Ernsthaftigkeit
betreibt, die gleiche Auffassung vertritt wie sie selbst und insofern eventuelle
Änderungen ihr unverzüglich mitteilt. Aufgrund dieser Gegebenheiten hält es das
Gericht für zwingend erforderlich, dass die Familienkassen das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen - gerade in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Buchst. c EStG - in regelmäßigen Zeitabständen (zumindest in Abständen von
jeweils einem Jahr) überprüfen.
Aufgrund der Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG einerseits und der
Sachaufklärungspflicht nach § 88 Abs. 1 AO andererseits tragen der
Kindergeldberechtigte und die Familienkasse eine gemeinsame Verantwortung für
die Aufklärung des anspruchserheblichen Sachverhalts. Wird die jeweilige
Verpflichtung von der einen oder der anderen Seite verletzt, kann dies dazu
führen, dass sich das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) mit einem geringeren Grad der Überzeugung begnügen darf (so genannte
Reduzierung des Beweismaßes). Wieweit die Reduzierung des Beweismaßes gehen
kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BFH-Urteil vom
15.02.1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462, mit weiteren Hinweisen zu einzelnen
Kriterien; für einen ähnlich gelagerten Fall im Kindergeldrecht vgl. auch Urteil des
Finanzgerichts Köln vom 13.03.2008 10 K 2174/07, EFG 2008, 1043 mit Anm.
Reuß).
aa) Für die Monate April bis Juni 2002 sowie die Monate August 2002 bis Mai 2003
geht das Gericht aufgrund einer Reduzierung des Beweismaßes zulasten der
Familienkasse von der Annahme aus, die Voraussetzungen für einen
Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG seien gegeben.
Dabei berücksichtigt es in besonderer Weise die Tatsache, dass die Familienkasse
ihre Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts nicht den Umständen
entsprechend erfüllt hat. Gleichzeitig hält es die Tatsache, dass der Kläger die ihm
obliegenden Mitwirkungspflichten nicht in der sonst üblichen Form erfüllt hat, als
weniger schwerwiegend.
Aufgrund des Antrags, den der Kläger unter dem Datum vom 04.03.2002 gestellt
hatte, hatte die Familienkasse durch Verfügung vom 11.04.2002 betreffend die
Tochter A Kindergeld festgesetzt und in der Folgezeit durchgehend ausgezahlt.
Grundlage hierfür war der Umstand, dass A für die Monate Dezember 2001 bis
März 2002 bei der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit als Bewerberin für
eine Ausbildungsstelle registriert war. Während der darauf folgenden zwei Jahre
unternahm die Familienkasse nichts, um die hier maßgebenden
Anspruchsvoraussetzungen (ernsthaftes Bemühen um einen Ausbildungsplatz) zu
überprüfen. Weder richtete sie an die Berufsberatung irgendwelche Anfragen in
Bezug auf die Registrierung der Tochter A noch forderte sie den Kläger als
Kindergeldberechtigten auf, Nachweise über anderweitige Bemühungen um einen
Ausbildungsplatz vorzulegen. Dabei ließ sie auch die Tatsache unberücksichtigt,
dass die Berufsberatung die (elektronischen) Daten über die Registrierung der
Ausbildungsbewerber während des hier fraglichen Zeitraums nur für
verhältnismäßig kurze Dauer speichern konnte (so die Aussage ihrer Vertreterin in
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verhältnismäßig kurze Dauer speichern konnte (so die Aussage ihrer Vertreterin in
der mündlichen Verhandlung).
Erst mit Schreiben vom 27.05.2004 forderte die Familienkasse den Kläger auf,
Nachweise für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vorzulegen. Anlass
hierfür war offenkundig ein „Bearbeitungshinweis“, wonach eine „jährliche
Überprüfung für Kinder ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz (DA 356.1)“ zum
Stand vom Februar 2004 durchzuführen war. Dementsprechend wies die
Familienkasse in dem vorgenannten Schreiben den Kläger auch darauf hin, das
weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen müsse „jährlich nachgewiesen
werden“.
Auch im weiteren Verwaltungsverfahren hat die Familienkasse die durch das
Schreiben vom 27.05.2004 begonnenen Bemühungen um Aufklärung des
anspruchserheblichen Sachverhalts nicht mit der gebotenen Konsequenz
weitergeführt. Erst nachdem der Kläger wegen einer (für ihn zunächst nicht
nachvollziehbaren) Minderung des ausgezahlten Kindergeldbetrags massiv
Beschwerde geführt hatte, wurde die Familienkasse tätig, indem sie betreffend die
Tochter A durch Bescheid vom 08.10.2004 wieder Kindergeld für die Zukunft
festsetzte und gleichzeitig Nachweise für die Vergangenheit anforderte. Daraufhin
wartete sie wiederum mehrere Monate, bis sie mit Schreiben vom 07.07.2005
wegen des Kindergeldanspruchs für die Vergangenheit den Kläger um eine
Stellungnahme ersuchte. Den entsprechenden Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheid erließ sie dann erst am 21.12.2005.
Die Tochter des Klägers dokumentierte während des hier interessierenden
Zeitraums (Monate Dezember 2001 bis August 2003) ihr ernsthaftes Bemühen
um einen Ausbildungsplatz - zumindest nach Lage der Akten – zwar nur dadurch,
dass sie sich für die Monate Dezember 2001 bis März 2002 bei der Berufsberatung
als Bewerberin um einen Ausbildungsplatz registrieren ließ und während der Jahre
2002 und 2003 bei drei Betrieben wegen einer Ausbildungsstelle vorstellig wurde
(Bewerbungsschreiben vom 20.07.2002 betreffend Arzthelferin,
Bewerbungsschreiben vom 24.06.2003 und Ablehnungsschreiben vom 11.08.2003
betreffend Kauffrau, Ablehnungsschreiben vom 08.07.2003 ebenfalls betreffend
Kauffrau). Nach Auffassung des Gerichts dürfte sie aber darüber hinaus auch
weitere Bewerbungsversuche unternommen haben. Immerhin hat sie im Rahmen
der Beweisaufnahme als Zeugin glaubhaft dargelegt, dass sie sich für eine Reihe
von Ausbildungsberufen interessiert und sich nach entsprechenden
Ausbildungsbetrieben erkundigt hatte. Einen gewissen Anhaltspunkt hierfür gibt
auch die Excel-Liste, die der Kläger im Einspruchsverfahren sowie im
Klageverfahren vorgelegt hat. Glaubhaft erscheint in diesem Zusammenhang
auch das Vorbringen des Klägers, die in der Liste enthaltenen Adressen habe er
aus alten Computerdateien zusammengetragen, nachdem die Familienkasse
durch ihr Schreiben vom 27.05.2004 „plötzlich“ Nachweise über
Bewerbungsbemühungen seiner Tochter gefordert habe. Dieses Vorbringen hat
die Tochter des Klägers im Rahmen der Beweisaufnahme auch bestätigt.
Schließlich spricht für das ernsthafte Bemühen um einen Ausbildungsplatz -
zumindest im Sinne eines reduzierten Beweismaßes - auch der Umstand, dass die
Tochter des Klägers erst im Jahr 2001 die Realschule abgeschlossen und insofern
die Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz - trotz der „nicht so berauschenden“
Zeugnisnoten – zunächst noch nicht aufgegeben hatte.
Einerseits machen die vorgenannten Umstände deutlich, dass der Kläger als
Kindergeldberechtigter seinen Nachweispflichten nicht in dem eigentlich
gebotenen Maße nachgekommen ist. Andererseits ist diese Pflichtverletzung nicht
so erheblich, dass die Verantwortung der Familienkasse für die Verletzung der ihr
obliegenden Sachaufklärungspflicht ausgeräumt wäre.
bb) Für die Monate September 2003 bis Juni 2004 hält das Gericht eine
Reduzierung des Beweismaßes zulasten der Familienkasse nicht für gerechtfertigt.
Denn für diesen (im Sinne der vorgenannten Jahres-Frist überschaubaren)
Zeitraum hat die Familienkasse der ihr obliegenden Sachaufklärungspflicht in
ausreichendem Maße dadurch genügt, dass sie den Kläger mit Schreiben vom
27.05.2004 aufforderte, „das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen“
nachzuweisen. Demzufolge muss der Kläger die allgemeinen Grundsätze über den
Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld (teilweise) gegen sich
gelten lassen. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das Gericht nicht
feststellen, dass die Tochter des Klägers sich während des hier maßgebenden
Zeitraums ernsthaft um eine Ausbildungsstelle bemüht hat.
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Im vorbereitenden Verfahren hat der Kläger lediglich die pauschale Behauptung
aufgestellt, seine Tochter habe sich um eine Ausbildungsstelle bemüht. Auch in
der mündlichen Verhandlung hat er - nach mehrmaliger Befragung durch das
Gericht - abschließend nur die Aussage gemacht: „Nach meinem Gefühl hat sich
meine Tochter ständig beworben.“ Konkrete Angaben über einzelne Bewerbungen
hat er weder im vorbereitenden Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung
gemacht. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass
er sich - anders als seine Ehefrau - nicht im Einzelnen mit der Ausbildung seiner
Kinder befasst hatte.
An dem vorstehenden Ergebnis ändert sich nichts dadurch, dass der Kläger im
außergerichtlichen wie im gerichtlichen Verfahren eine Aufstellung mit den
Anschriften verschiedener Ausbildungsbetriebe (oben genannte Excel-Liste)
vorgelegt hat. Diese Aufstellung genügt in zweifacher Hinsicht nicht dem
Erfordernis einer belegmäßigen Objektivierung. Zum einen ist nicht sicher, ob die
Tochter des Klägers bei den genannten Ausbildungsbetrieben überhaupt
ernsthafte Versuche um eine Bewerbung unternommen hatte. Hierfür spricht vor
allem das Ergebnis der Beweisaufnahme. Die Tochter des Klägers hat nämlich als
Zeugin ausgesagt, sie sei nicht ganz sicher, ob sie sich wirklich bei allen (in der
Liste genannten) Ausbildungsbetrieben gemeldet habe. Zum anderen enthält die
Liste in zeitlicher Hinsicht keinerlei Angaben. Insofern kann nicht festgestellt
werden, ob während des hier maßgebenden Zeitraums (September 2003 bis Juni
2004) die Tochter des Klägers bei irgendeinem der genannten Ausbildungsbetriebe
vorstellig geworden war.
Auch die weiteren Aussagen, die die Tochter des Klägers als Zeugin im Rahmen
der Beweisaufnahme gemacht hat, lassen keine Rückschlüsse in Bezug auf die
Frage zu, ob für die Monate September 2003 bis Juni 2004 konkrete
Bewerbungsversuche unternommen wurden. So hat die Zeugin sich nicht daran
erinnern können, dass sie während des vorgenannten Zeitraums bestimmte
Ausbildungsbetriebe angeschrieben oder angerufen hätte. Klare Erinnerungen hat
sie nur bezüglich des (hier nicht maßgebenden) Zeitraums ab Juli 2004 gehabt
(dazu Abschnitt b).
Das Gericht hat in dem vorliegenden Zusammenhang durchaus berücksichtigt,
dass die Familienkasse während des hier maßgebenden Verwaltungsverfahrens
(angefangen mit dem Schreiben vom 27.05.2004, abgeschlossen mit dem
Bescheid vom 21.12.2005) dem Kläger mehrfach Anlass für Beschwerden gegeben
hat. Ob diese Beschwerden insgesamt als berechtigt anzusehen waren, kann
jedoch offen bleiben. Denn der Kläger kann sich letztendlich nicht von dem Vorwurf
entlasten, dass er auch durch sein Verhalten die Schwierigkeiten bei der
Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verursacht hat. Insofern
hat er in dem vorgenannten Umfang die entsprechenden Nachteile zu tragen.
b) Für die Monate Juli bis September 2004 hat das Gericht - anders als für die
anderen (in Abschnitt a genannten) Zeiträume - mit der erforderlichen Sicherheit
feststellen können, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld
nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gegeben sind.
Wie die Familienkasse (durch ihre Prozessvertretung) im Laufe des gerichtlichen
Verfahrens aufgrund eigener Ermittlungen festgestellt hat, hatte die Tochter des
Klägers unter dem Datum vom 25.07.2004 ein Bewerbungsschreiben an die
Rechtsanwaltskanzlei B in Y gerichtet. Im Rahmen der Beweisaufnahme hat die
Tochter des Klägers als Zeugin ausgesagt, aufgrund dieser Bewerbung habe sie
Ende des Jahres 2004 bei der vorgenannten Rechtsanwaltskanzlei ein Praktikum
begonnen. Das Gericht sieht keinen Anlass, der Zeugenaussage keinen Glauben
zu schenken. Auch die Sitzungsvertreterin der Familienkasse hat diesbezüglich im
Rahmen der Erörterung des Beweisergebnisses keine Einwände erhoben.
Aufgrund der vorgenannten Zeugenaussage geht das Gericht davon aus, dass die
Tochter des Klägers während der Monate August und September 2004 ihre
Bewerbung vom 25.07.2004 für erfolgreich gehalten und deshalb weitere
Bewerbungsbemühungen zurückgestellt hat. Die Sitzungsvertreterin der
Familienkasse hat eingeräumt, die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG seien auch insoweit gegeben. Sie hat es nur deshalb
abgelehnt, ihren Antrag auf Klageabweisung über den Monat Juli 2004 hinaus auch
bezüglich der Monate August und September 2004 einzuschränken, weil nach
ihrem Bekunden der Kläger seinerseits nicht bereit gewesen ist, seinen
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ihrem Bekunden der Kläger seinerseits nicht bereit gewesen ist, seinen
Klageantrag in einem (nach ihrer Meinung) ausreichenden Maße einzuschränken.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO sowie aus § 137
Satz 1 FGO.
Zwar haben die Beteiligten mit ihrem jeweiligen Sachantrag in unterschiedlichem
Umfang Erfolg gehabt, und zwar der Kläger hinsichtlich eines Zeitraums von
insgesamt 15 Monaten und die Familienkasse hinsichtlich eines Zeitraums von
10 Monaten. Das Gericht hält es jedoch nicht für sachgerecht, entsprechend
diesem Verhältnis die Kosten des Verfahrens gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO auf
die Beteiligten zu verteilen. Denn die Klage hat zu einem wesentlichen Anteil
deshalb Erfolg, weil das Gericht von Tatsachen ausgegangen ist, über die der
Kläger schon im außergerichtlichen Verfahren entsprechende Angaben hätte
machen können und sollen. Insofern erscheint es ermessensgerecht, ihm
abweichend von der Grundregel des § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO einen weiteren Teil
der Verfahrenskosten gemäß § 137 Satz 1 FGO aufzuerlegen.
Andererseits erscheint es auch nicht ermessensgerecht, die Familienkasse ganz
von der Kostenlast zu befreien. Denn der teilweise Erfolg der Klage ist zu einem
wesentlichen Teil darauf zurückzuführen, dass die Familienkasse - wie im Abschnitt
1 a aa dargelegt - der ihr obliegenden Sachaufklärungspflicht nicht
ordnungsgemäß nachgekommen ist.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3,
§ 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.