Urteil des FG Hessen vom 17.06.2010

FG Frankfurt: kur, alleinerziehender vater, medizinische indikation, asthma bronchiale, unterbringung, anerkennung, gesundheit, belastung, aufenthalt, krankheitskosten

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2008
Aktenzeichen:
1 K 2864/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 33 EStG 2002
Notwendigkeit einer heilklimatischen Kur bei einem Kind -
Ortsspezifische Kurmaßnahme - Kosten einer Begleitperson
bei einer Kinderkur keine außergewöhnliche Belastung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Kosten einer
Begleitperson bei einer Kinderkur als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG).
Der Kläger ist alleinerziehender Vater eines an Neurodermitis und Asthma
leidenden 15jährigen Kindes. Im Streitjahr machte er im Rahmen seiner
Einkommensteuererklärung Aufwendungen im Zusammenhang mit einem
Kuraufenthalt seines Kindes an der … Mittelmeerküste in Höhe von insgesamt
x.xxx,- € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Hinsichtlich der
Zusammensetzung der Kosten wird auf die Anlage zum Mantelbogen (Bl. 5 der
Einkommensteuerakte) Bezug genommen. Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit
der entstandenen Kosten legte der Kläger u.a. folgende Unterlagen vor:
Ein Attest des Kinderarztes vom ... Juni 2008, in dem dieser bestätigt, dass
„jährliche heilklimatische Aufenthalte am Meer (in Begleitung des Vaters) zur
Besserung des Krankheitsbildes beitragen“ und er daher „einen dreiwöchigen
Aufenthalt an der … Mittelmeerküste in den diesjährigen Sommerferien“
empfiehlt. Des Weiteren eine amtsärztliche Bescheinigung vom ... Juni 2008, in der
es heißt: „Amtsärztlich wird (…) die kinderärztlich empfohlene heilklimatische Kur
am Mittelmeer zur Erhaltung der Gesundheit bei vorliegendem Atopiesyndrom mit
chronischer Neurodermitis sowie einem Exogen-allergischen Asthma Bronchiale
für notwendig erachtet. … wird sich einer dreiwöchigen Kurmaßnahme in … an der
… Mittelmeerküste zur Erhaltung der Gesundheit vom ...06 - ...07.2008
unterziehen.“
Im Rahmen der Veranlagung kürzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Kosten
der Unterbringung und den Verpflegungsmehraufwand um 50 %, insgesamt um
x.xxx,- €. Es war der Ansicht, von den geltend gemachten Aufwendungen könnten
lediglich die Kurkosten des Kindes anerkannt werden, da die Notwendigkeit einer
Begleitperson aus der amtsärztlichen Bescheinigung nicht hervorgehe.
Gegen den Einkommensteuerbescheid vom ... August 2009 legte der Kläger am ...
September 2009 Einspruch ein. Zur Begründung trug er - unter Bezugnahme auf
das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 2. April 1998 (III R 67/97, BStBl II
1998, 613) - vor, die Notwendigkeit der heilklimatischen Kur in … an der …
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1998, 613) - vor, die Notwendigkeit der heilklimatischen Kur in … an der …
Mittelmeerküste ergebe sich aus der vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung.
Da sich dort kein Kinderheim befinde, erfordere die Betreuung seines damals
15jährigen Kindes die Begleitung eines Erziehungsberechtigten.
Mit seiner Entscheidung vom ... Oktober 2009 wies das FA den Einspruch als
unbegründet zurück. Nach der Rechtsprechung des BFH erfordere die
Berücksichtigung von Kosten einer Begleitperson während einer medizinisch
indizierten Kur als außergewöhnliche Belastungen grundsätzlich, dass die
Notwendigkeit einer Begleitung durch ein vor Reiseantritt eingeholtes
amtsärztliches Gutachten - oder eine gleichzustellende Bescheinigung -
nachgewiesen werde (Urteil vom 17. Dezember 1997 BStBl II 1998, 298). Zwar
könne die Begleitungsbedürftigkeit aufgrund feststehender objektiver Umstände
offenkundig sein; beispielsweise bei einem Kuraufenthalt eines neunjährigen
Kindes; ein solcher Einzelfall liege jedoch im Streitfall nicht vor. Vielmehr sei auch
eine unbegleitete Auslandsreise eines 15jährigen Kindes - bei entsprechendem
Reifegrad des Kindes, dem Vertrauen der Eltern und der Organisation der Reise -
möglich und nicht unüblich.
Hiergegen hat der Kläger am ... November 2009 Klage erhoben. Zur Begründung
wiederholt er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und führt im übrigen
aus, ein mehrwöchiger Auslandsaufenthalt eines chronisch kranken 15jährigen
Kindes außerhalb eines Kinderheimes oder einer vergleichbaren organisierten
Unterbringung entspreche nicht der in § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) geregelten elterlichen Sorge. Die Erforderlichkeit seiner Begleitung ergebe
sich auch aus der amtsärztlichen Bescheinigung, da diese auf das Attest des
Kinderarztes verweise, der wiederum die Notwendigkeit seiner Begleitung zur
Besserung des Krankheitsbildes bestätigt habe. Auch habe der Kuraufenthalt in
den Sommerferien stattfinden müssen, da er aus beruflichen Gründen gezwungen
gewesen sei, seine Urlaubstage (vornehmlich) in den Schulferien zu nehmen;
zudem habe er sich eine zusätzliche Urlaubsreise auch aus finanziellen Gründen
nicht erlauben können.
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2008 vom ... August 2009
und die Einspruchsentscheidung vom ... Oktober 2009 dahingehend zu ändern,
dass die geltend gemachten Aufwendungen des Kuraufenthaltes in voller Höhe als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom ... August 2009 und die
Einspruchsentscheidung vom ... Oktober 2009 sind rechtmäßig und verletzen den
Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Das FA hat zu Recht die Anerkennung weiterer Kosten des Kuraufenthaltes als
außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG versagt.
Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse
erwachsen. Die Aufwendungen entstehen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG
zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen
oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Zwangsläufigkeit dem Grunde nach)
und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen
Betrag nicht übersteigen (Zwangsläufigkeit der Höhe nach).
1. Im Streitfall hat der Kläger die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für die
heilklimatische Kur seines Kindes bereits nicht hinreichend nachgewiesen.
Krankheitskosten erwachsen einem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig,
weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören zu
den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum
Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die
Krankheit erträglicher zu machen. Diese Voraussetzung fehlt bei Aufwendungen,
die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit
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die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit
entstehen. Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise
(Kur) sind daher nur dann als Krankheitskosten anzusehen, wenn die Reise zur
Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere
Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint. An die Beurteilung der
medizinischen Indikation sind dabei strenge Anforderungen zu stellen, denn
gerade bei Kuraufenthalten handelt es sich um private Aufwendungen, die ihrer Art
nach nicht ausschließlich von Kranken, sondern mitunter auch von Gesunden
getätigt werden, um ihre Gesundheit zu erhalten, ihr Wohlbefinden zu steigern
oder ihre Freizeit sinnvoll und erfüllt zu gestalten. Daher muss zur Anerkennung
einer Kurmaßnahme als außergewöhnliche Belastung deren Notwendigkeit durch
ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis
nachgewiesen werden. Denn nur ein rechtzeitig eingeschalteter Amtsarzt oder
etwa der Medizinische Dienst einer öffentlichen Krankenversicherung nach § 278
des Sozialgesetzbuchs V - der frühere vertrauensärztliche Dienst nach § 369b der
Reichsversicherungsordnung a.F. - besitzt zugleich Sachkunde und die notwendige
Neutralität, um die medizinische Indikation solcher nicht nur für Kranke nützlichen
Maßnahmen ohne die für den behandelnden Arzt bestehende Gefahr einer
Störung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Patienten objektiv beurteilen zu
können. Nur auf diesem Weg können der im Allgemeinen schwierigen Abgrenzung
von Kuraufenthalten gegenüber Erholungsreisen sachgerecht Rechnung getragen
und Missbräuche ausgeschlossen werden (Urteil des Bundesfinanzhofes -BFH-
vom 2. April 1998 III R 67/97, Bundessteuerblatt -BStBl- 1998 II 613 und vom 17.
Dezember 1997 III R 35/97, BStBl II 1998, 298, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist
zur Sicherstellung des Kurerfolges von Kindern darüber hinaus die Unterbringung
in einem Kinderheim angezeigt. Dies gilt auch für heilklimatische Kuren, da auch
bei solchen Kuren gewährleistet sein muss, dass der Heilerfolg fachgerecht etwa
durch eine kurgemäße Tages- und Freizeitgestaltung, insbesondere durch
sportliche Betätigung, eine der Kur angepasste Ernährung unterstützt und
zumindest nicht durch unkontrollierte schädliche Einflüsse gefährdet wird. Dies
kann bei Kindern regelmäßig am besten durch eine Unterbringung in einem
Kinderheim gewährleistet werden. Im Übrigen ist gerade bei Kuraufenthalten von
Kindern die Abgrenzung von Kur- und Urlaubsaufenthalten besonders schwierig,
insbesondere, wenn das nicht in einem Heim untergebrachte Kind von einer
erwachsenen Person - insbesondere von einem Elternteil - begleitet wird. Daher ist
zur Anerkennung eines Kuraufenthaltes von Kindern als Heilmaßnahme zusätzlich
erforderlich, dass das Kind während der Kur in einem Kinderheim untergebracht
worden ist oder eine vor Antritt der Kur ausgestellte, amtsärztliche Bescheinigung
bestätigt, dass und warum der Kurerfolg ausnahmsweise auch bei einer
anderweitigen Unterbringung erreicht werden kann. Andernfalls sind die mit der
Kurmaßnahme zusammenhängenden Aufwendungen nicht als Krankheitskosten
nach § 33 Abs. 1 EStG anzuerkennen (BFH-Urteile vom 12. Juni 1991 III R 102/89,
BStBl II 1991, 763 und vom 2. April 1998 III R 67/97, BStBl II 1998, 613).
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die streitgegenständlichen Kosten nicht als
außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, da bereits die Notwendigkeit der
heilklimatischen Kur nicht hinreichend nachgewiesen wurde.
Denn aus der vorgelegten Bescheinigung des Amtsarztes vom ... Juni 2008 ergibt
sich lediglich, dass „die kinderärztlich empfohlene heilklimatische Kur am
Mittelmeer für notwendig erachtet wird“ und sich das Kind „einer dreiwöchigen
Kurmaßnahme in … (…) unterziehen wird“. Dass und warum der Kurerfolg
ausnahmsweise auch bei einer anderweitigen Unterbringung als in einem
Kinderheim erreicht werden kann, wurde dagegen nicht amtsärztlich bescheinigt.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann auf eine solche Bescheinigung auch nicht
deshalb verzichtet werden, da sich an dem avisierten Kurort - so der Vortrag der
Klägerseite - kein Kinderheim befinde. Gerade die Bezugnahme einer
amtsärztlichen Bescheinigung auf einen konkreten Ort zur Durchführung der
Kurmaßnahme erfordert eine hinreichende Begründung, warum gerade dieser die
empfohlene Kur unterstützt. Dies gilt insbesondere, wenn sich dort - wie im
Streitfall - kein Kinderheim oder eine andere spezielle Einrichtung befindet, die
gerade auf dieses spezifische Krankheitsbild ausgerichtet ist. Denn wenn der
Senat die Frage, ob und an welchem Ort eine Kur stattzufinden hat, als
medizinische Vorfrage nicht selbst entscheiden kann, muss er doch die Möglichkeit
haben, ein amtsärztliches Gutachten dahingehend auf seine Plausibilität zu
überprüfen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für
die Durchführung von heilklimatischen Kuren an der Küste - wenn auch nicht an
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die Durchführung von heilklimatischen Kuren an der Küste - wenn auch nicht an
der Mittelmeerküste - Kinderheime in Deutschland zur Verfügung stehen, die einen
zuverlässigen Aufenthalt von Minderjährigen auch ohne Begleitung ihrer Eltern
gewährleisten. Im Streitfall konnte der Senat die Notwendigkeit, die
streitgegenständliche Kurmaßnahme gerade in … und damit außerhalb eines
Kinderheimes durchzuführen, anhand der vorgelegten Bescheinigung nicht
nachvollziehen. Hält demzufolge der Senat die Kosten für den Aufenthalt des
Kindes schon - entgegen der Auffassung des FA - für nicht abzugsfähig, so können
erst recht nicht die Kosten für die Begleitung durch den Vater als
außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden.
Dem Kläger war auch nicht Gelegenheit zu geben, ein amts- oder
vertrauensärztliches Zeugnis nachträglich beizubringen bzw. das vorgelegte
Gutachten entsprechend zu ergänzen. Denn dem Streitfall liegt kein Sachverhalt
zugrunde, für den die Rechtsprechung erstmals den Nachweis der
Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Attest verlangt (vgl. BFH-Urteile vom
12. Juni 1991 III R 102/89, BStBl II 1991, 763 und vom 2. April 1998 III R 67/97, BStBl
II 1998, 613) Daher ist für die Notwendigkeit einer Beweiserleichterung in Form
eines nachträglichen Gutachtens kein Raum (so BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996
III R 118/95, BFH/NV 1997, 337).
2. Im Übrigen sind die streitgegenständlichen Aufwendungen des Klägers auch
nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG. Bei den geltend gemachten
Aufwendungen, die über den vom FA bereits anerkannten Betrag hinausgehen,
handelt es sich um die Übernachtungskosten und den Verpflegungsmehraufwand
des Klägers. Diese Kosten sind weder dem Grund noch der Höhe nach krankheits-
bzw. kurbedingt und auch nicht aufgrund des speziellen Kurortes entstanden.
Vielmehr erwachsen sie bei jeder „normalen Urlaubsreise“, die üblicherweise von
nahezu allen Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse
unternommen wird (hierzu Paus, Außer-gewöhnliche Belastungen bei Kinderkuren,
Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1999, 39).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.