Urteil des FG Hessen vom 25.06.2007

FG Frankfurt: treu und glauben, einspruch, eigenes verschulden, vollziehung, aussetzung, grundstück, umdeutung, verwaltungsakt, grundsteuer, verfahrensgegenstand

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2001
Aktenzeichen:
3 V 1228/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 351 Abs 2 AO, § 171 Abs 10
AO, § 182 Abs 1 S 1 AO, § 13
Abs 1 S 2 GrStG, § 17 Abs 1
GrStG
(Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO - Hinderung an
"Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrags" nach Treu
und Glauben - Auslegung und Umdeutung eines gegen
einen Grundsteuermessbetragsbescheid gerichteten
Einspruches)
Tatbestand
I. Die Antragsteller machen im Wesentlichen geltend, der Antragsgegner (das
Finanzamt) sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert gewesen, für
ein ihnen gehörendes Grundstück eine "Neuveranlagung des
Grundsteuermessbetrags" durchzuführen. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen
folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit notariellem Vertrag vom xx.08.1989 erwarben die Antragsteller das bebaute
Grundstück Flur … Flurstück … in der Gemarkung … (Lagebezeichnung: …). Seit
Oktober 1989 nutzen sie das auf dem Grundstück stehende Einfamilienhaus zu
eigenen Wohnzwecken. Im Jahre 1990 hat der Antragsteller zu 1. in einem Teil der
Räume eine Rechtsanwaltskanzlei eingerichtet.
Wegen der Änderung der Eigentumsverhältnisse führte das Finanzamt im Rahmen
der Einheitswertfeststellung eine Zurechnungsfortschreibung auf den 01.01.1990
durch (Bescheid vom 09.01.1992). Den bisher festgestellten Einheitswert in Höhe
von … DM ließ es dabei unverändert.
Im Juli 2005 erhielt die Bewertungsstelle des hier beteiligten Finanzamts vom
Finanzamt T eine Anfrage über die bauliche Gestaltung des von den Antragstellern
genutzten Einfamilienhauses. Hintergrund der Anfrage waren … .
Die Bewertungsstelle des Finanzamts nahm die Anfrage des Finanzamts T zum
Anlass, bei der zuständigen Veranlagungsstelle des Finanzamts Erkundigungen zu
den Angaben einzuholen, die die Antragsteller bisher in ihren
Einkommensteuererklärungen in Bezug auf die Nutzung des Einfamilienhauses
gemacht hatten. Dabei wurde offenkundig, dass die Angaben über die
maßgebenden Wohn- und Nutzflächen, die der bisherigen Feststellung des
Einheitswerts zugrunde gelegt worden waren, nicht mit den tatsächlichen
Verhältnissen zum damaligen Zeitpunkt überstimmen konnten. Deshalb forderte
das Finanzamt die Antragsteller auf, anhand eines beigefügten Vordrucks eine
neue Wohnflächenberechnung zu erstellen. Die Antragsteller kamen dieser
Aufforderung nach. Dabei listeten sie für alle Räume des Hauses die
entsprechenden Längen- und Breitenmaße auf.
Das Finanzamt ließ daraufhin unter dem Datum vom 10.11.2005
maschinengesteuert in zusammenfassender Ausfertigung einen
Einheitswertbescheid zur Wertfortschreibung auf den 01.01.2001 sowie einen
Grundsteuermessbescheid zur Neuveranlagung auf den 01.01.2001. Die
Feststellung des Einheitswerts lautete auf … € bzw. … DM ( = Erhöhung ) (statt
bisher auf … € bzw. … DM). Die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags lautete
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bisher auf … € bzw. … DM). Die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags lautete
auf … € bzw. … DM ( = Erhöhung ) (statt bisher auf … € bzw. … DM). Dem
Feststellungs- bzw. Festsetzungsteil waren Erläuterungen über die "Ermittlung des
Einheitswerts" und die "Berechnung des Grundsteuermessbetrages" beigefügt. Die
einzelnen Teile des Bescheids (Überschrift, Feststellung bzw. Festsetzung und
Erläuterung) waren bzgl. Einheitswert mit dem Buchstaben "A" und bzgl.
Grundsteuermessbetrag mit dem Buchstaben "B" gekennzeichnet.
Der maschinell erstellten Bescheidausfertigung fügte das Finanzamt eine Anlage
bei, in der - individuell formuliert - folgender Text enthalten war: "Dieser
Wertfortschreibung liegen die im Schreiben vom … mitgeteilten Flächen
zugrunde..."
Auf der Rückseite des maschinellen Bescheidausdrucks waren eine "Rechts-
behelfsbelehrung" sowie ein "Wichtiger Hinweis" betreffend "Grundlagen-bescheid",
"Einheitswertbescheid" und "Erhebung der Grundsteuer" abgedruckt. Unter der
Überschrift "Einheitswertsbescheid" war u. a. ausgeführt: "Bescheide über
einheitswertabhängige Steuern … können nicht mit der Begründung angefochten
werden, dass die in dem Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen
unzutreffend seien. Einwendungen gegen diese Feststellungen können nur durch
Einspruch gegen den Einheitswertbescheid geltend gemacht werden…"
Der Antragsteller zu 1. legte mit Schreiben vom 30.11.2005 im eigenen Namen
wie auch im Namen der Antragstellerin zu 2. "gegen den
Grundsteuermessbescheid" Einspruch ein. In dem Schreiben bezeichnete er sich
sowohl im Briefkopf als auch in der Unterschrift als Rechtsanwalt. Er stellte den
Antrag, "den Grundsteuermessbescheid ersatzlos aufzuheben". Hilfsweise
beantragte er das Ruhen des Verfahrens. Zur Begründung des Hauptantrags
führte er aus: Die Neuveranlagung sei rechtsmissbräuchlich und verstoße gegen
Treu und Glauben. Sie, die Antragsteller, hätten dem Finanzamt bereits im Jahre
2000 mitgeteilt, dass auf dem hier betroffenen Grundstück eine
Rechtsanwaltskanzlei eingerichtet worden sei. Damit seien sie ihren steuerlichen
Erklärungspflichten nachgekommen. Demgegenüber sei das Finanzamt in Bezug
auf die hier betroffenen Feststellungen untätig geblieben. Zur Begründung des
Hilfsantrags führte der Antragsteller zu 2. aus: Die Frage, ob die Erhebung von
Grundsteuer auf selbstgenutztes Wohneigentum mit der Eigentumsgarantie des
Art. 14 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sei, werde derzeit vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geprüft. Auch im Streitfall komme es auf diese
Frage an.
Das Finanzamt wies den Einspruch "wegen Neuveranlagung des
Grundsteuermessbetrags auf den 01.01.2001" als unbegründet zurück. Zur
Begründung führte es u. a. aus: Sowohl für die Fortschreibung des Einheitswerts
als auch für die Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrags seien die
gesetzlichen Voraussetzungen gegeben gewesen. Diese ergäben sich zum einen
aus § 22 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) und zum anderen aus § 17 Abs.
1 des Grundsteuergesetzes (GrStG). Die nach § 22 Abs. 1 BewG maßgebenden
Wertgrenzen seien überschritten gewesen. Auch seien die Vorschriften über die
hier einschlägige Feststellungsfrist eingehalten worden. Die von den Antragstellern
erhobenen Vorwürfe des Rechtsmissbrauchs und des Verstoßes gegen Treu und
Glauben seien nicht gerechtfertigt (Einspruchsentscheidung vom 12.04.2006).
Mit Schreiben vom 26.04.2006 haben die Antragsteller Klage erhoben "wegen
Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrages auf den 01.01.2001". Hierzu
haben sie mitgeteilt, die Klage richte sich "gegen den Einheitswertbescheid und
den Grundsteuermessbescheid vom 10.11.2005 und die Einspruchsentscheidung
vom 13.04.2006". Die Klage ist bei dem beschließenden Senat unter der
Geschäftsnummer 3 K 1229/06 anhängig.
Ebenfalls mit Schreiben vom 26.04.2006 haben die Antragsteller bei Gericht einen
"Antrag auf Aussetzung der Vollziehung" gestellt "wegen … Einheitswertbescheid
und Grundsteuermessbescheid auf den 01.01.2001". Sie machen weiterhin
geltend, "die rückwirkend vorgenommene Neuveranlagung auf den 01.01.2001" sei
rechtsmissbräuchlich und verstoße gegen Treu und Glauben.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Bescheide vom 10.11.2005 zum
Einheitswert (Wertfortschreibung auf den 01.01.2001) und zum
Grundsteuermessbetrag (Neuveranlagung auf den 01.01.2001) von der
Vollziehung auszusetzen.
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Das Finanzamt beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag ist unbegründet. 1. Die Voraussetzungen einer Aussetzung der
Vollziehung liegen nicht vor.
Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das
Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts
aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2
FGO).
Ernstliche Zweifel in dem vorgenannten Sinne sind gegeben, wenn bei der -
überschlägigen - Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Verfahren der
Aussetzung der Vollziehung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden
Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage
treten, die Unsicherheit und Unentschiedenheit in der Beurteilung von
Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Zur
Prüfung, ob in diesem Sinne ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsakts bestehen, kommt es allerdings nicht mehr, wenn der
Verwaltungsakt bestandskräftig geworden oder wenn der gegen den
Verwaltungsakt gerichtete Rechtsbehelf unzulässig ist. Dann kann Aussetzung der
Vollziehung nicht gewährt werden (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 69 FGO Anm. 86 und 98 m. w. N.).
Im Streitfall können die Einwendungen, mit denen die Antragsteller den
vorliegenden Antrag wie auch die von ihnen erhobene Klage begründen, der Sache
nach nicht geprüft werden.
a) Die Antragsteller hätten die im Einspruchsverfahren geltend gemachten
Einwendungen gegen den Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts richten
müssen.
Nach § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) können Entscheidungen, die in
einem Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO getroffen worden sind,
nur durch die Anfechtung dieses Bescheids angegriffen werden; eine Anfechtung
des Folgebescheids ist insoweit ausgeschlossen. Ein Grundlagenbescheid ist nach
der Definition des § 171 Abs. 10 AO dadurch gekennzeichnet, dass er - in der Form
eines Feststellungsbescheids, eines Steuermessbescheids oder eines anderen
Verwaltungsakts - für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.
Feststellungsbescheide sind nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für andere
Feststellungsbescheide, für Steuermessbescheide, für Steuerbescheide und für
Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit die in den
Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von
Bedeutung sind.
Eine Bindungswirkung der vorgenannten Art besteht insbesondere zwischen einem
Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts und einem Bescheid über die
Festsetzung eines Grundsteuermessbetrags, soweit in beiden Bescheiden
dasselbe Grundstück und der derselbe Stichtag betroffen sind. Dies ergibt sich aus
§ 13 Abs. 1 Satz 2 des Grundsteuergesetzes (GrStG). Nach dieser Vorschrift ist
der für die Berechnung der Grundsteuer maßgebende Steuermessbetrag durch
Anwendung einer bestimmten Steuermesszahl auf den Einheitswert zu ermitteln,
der nach dem Bewertungsgesetz im Veranlagungszeitpunkt für den
Besteuerungsgegenstand maßgebend ist.
Die vorgenannte Bindungswirkung gilt gerade auch für den Fall, dass für den
Einheitswert neue Feststellungen getroffen werden. Dies ergibt sich aus § 17 Abs.
1 GrStG. Wird gemäß § 22 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) eine
Wertfortschreibung durchgeführt, so wird nach der genannten Vorschrift der
Grundsteuermessbetrag auf den Fortschreibungszeitpunkt neu festgesetzt
(Neuveranlagung). So kann beispielsweise die gegen einen
Grundsteuermessbescheid gerichtete Anfechtungsklage nicht auf das Vorbringen
gestützt werden, der der Festsetzung des Grundsteuermessbetrags zugrunde
gelegte Einheitswert sei zu hoch (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
04.08.2005 II B 40/05, BFH/NV 2005, 1983).
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Im Streitfall verhält es sich entsprechend. Das Finanzamt ist, wie in der
Einspruchsentscheidung dargelegt, davon ausgegangen, dass die
Voraussetzungen für eine Fortschreibung des Einheitswerts gemäß § 22 BewG auf
den hier betroffenen Stichtag (01.01.2001) vorgelegen haben. Damit hat es -
incidenter - die Entscheidung getroffen, dass übergeordnete Grundsätze, wie etwa
der Grundsatz von Treu und Glauben, der Fortschreibung des Einheitswerts nicht
entgegenstehen. Die sich hieraus ergebende Rechtsfolgenregelung ist im
Einheitswertbescheid als Grundlagenbescheid enthalten. Aus dem
Grundsteuermessbescheid als Folgebescheid ergibt sich lediglich die gesetzlich
vorgeschriebene Folgeregelung.
b) Tatsächlich haben die Antragsteller ihren Einspruch nur gegen den
Grundsteuersteuermessbetragsbescheid, nicht jedoch gegen den
Einheitswertbescheid gerichtet. Dies ergibt sich aus einer den allgemeinen Regeln
entsprechenden Auslegung des Einspruchsschreibens vom 30.11.2005. Eine
Umdeutung dahingehend, dass sich der Einspruch sowohl auf den
Einheitswertbescheid als auch auf den Grundsteuermessbetragsbescheid
beziehen sollte, kommt nicht in Betracht.
Nach § 357 Abs. 3 Satz 1 AO soll bei der Einlegung des Einspruchs der
Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Eine
genaue und konkrete Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts ist dabei
zwar nicht erforderlich. Der betroffene Verwaltungsakt muss sich aber aus der
Einspruchsschrift in der Weise ergeben, dass er sich entweder durch Auslegung
ermitteln lässt oder dass Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch
Rückfragen beseitigt werden. Bei der Auslegung eines Einspruchs können in
entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
grundsätzlich auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt
werden. Allerdings darf die Auslegung nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts
führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen. Ein
Einspruch, der nach Inhalt und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat, ist nicht
auslegungsbedürftig (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 28.11.2001 I R
93/00, BFH/NV 2002, 152 m. w. N.).
Die vorstehenden Auslegungsgrundsätze gelten auch für den Fall, dass mehrere
Verwaltungsakte in einer Bescheidausfertigung enthalten sind. Eine solche
Mehrheit von Verwaltungsakten findet sich häufig in Einheitswertbescheiden. Diese
können beispielsweise - in Form von jeweils selbständigen Feststellungen - eine
Wertfortschreibung, eine Zurechnungsfortschreibung und/oder Artfortschreibung
enthalten. Wendet sich der Steuerpflichtige mit seinem Einspruch gegen die Höhe
des festgestellten Einheitswerts, kann nicht ohne weiteres angenommen werden,
dass damit die Entscheidung des Finanzamts über die Grundstücksart angegriffen
ist (vgl. BFH-Urteile vom 10.05.1989 II R 196/85, BStBl II 1989, 822, und vom
06.03.1991 II R 152/88, BFH/NV 1991, 726).
Soweit nach den vorstehenden Grundsätzen eine Prozesserklärung nicht mehr der
Auslegung fähig ist, können u. U. die Regeln der Umdeutung eingreifen. Dabei ist
grundsätzlich davon auszugehen, der Rechtsmittelführer habe das Rechtsmittel
einlegen wollen, das zu dem erkennbar von ihm erstrebten Erfolg führt. Unter
diesem Gesichtspunkt dürfen prozessuale Erklärungen in die jeweils geeignete
Rechtsmittelerklärung umgedeutet werden. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht
uneingeschränkt. Eine Umdeutung ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn die
betreffende Prozesserklärung von einer rechtskundigen Person abgegeben worden
ist. Bei diesen Personen muss davon ausgegangen werden, dass sie sich über die
rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren sind und dass insoweit eine
Rückfrage durch die Behörde bzw. das Gericht nicht erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil
29.07.1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359). Nach Auffassung des Senats kommt
eine Umdeutung bei einer rechtskundigen Person erst recht nicht in Betracht,
wenn die Behörde in der angegriffenen Entscheidung auf die Besonderheiten des
jeweiligen Rechtsbehelfsverfahrens hingewiesen hat.
Der Antragsteller zu 1. hat in seinem Schreiben vom 30.11.2005 als Gegenstand
des Einspruchs ausdrücklich den "Grundsteuermessbescheid" genannt. Des
Weiteren hat er den (Haupt-) Antrag gestellt, "den Grundsteuermessbescheid
ersatzlos aufzuheben". Zu dessen Begründung hat er zum Ausdruck gebracht, die
"Neuveranlagung" sei rechtsmissbräuchlich. An keiner Stelle seines Schreibens hat
er die Begriffe erwähnt, die mit dem "Einheitswertbescheid" bzw. der
"Wertfortschreibung auf den 01.01.2001" oder mit den Erläuterungen zur
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"Wertfortschreibung auf den 01.01.2001" oder mit den Erläuterungen zur
"Ermittlung des Einheitswerts" in Verbindung gebracht werden könnten. In der
Begründung des Hilfsantrags ("Ruhen des Verfahrens") hat er sich ausdrücklich auf
die Bedenken gegen die "Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer" bezogen.
Dem Antragsteller zu 1. musste klar sein, dass die hier zu beurteilenden
Einwendungen nur auf den "Einheitswertbescheid" bezogen werden konnten, und
zwar aus mehreren Gründen: Auf der Rückseite des Bescheids war unter der
Überschrift "Wichtiger Hinweis" deutlich angegeben, dass in Bezug auf den
"Einheitswertbescheid" die oben unter Abschn. a) näher dargelegten
Besonderheiten zu beachten sind. Im Text der Bescheidausfertigung war,
insbesondere durch die Kennzeichnung mit den Buchstaben "A" und "B", deutlich
hervorgehoben, dass es hier um zwei selbständige Regelungen geht. Im Übrigen
bestand für das Finanzamt kein Anlass, durch Rückfrage bei dem Antragsteller zu
1. zu klären, gegen welche der beiden vorgenannten Regelungen der Einspruch
gerichtet sein sollte. Denn dieser hatte sich im Briefkopf und in der Unterschrift als
Rechtsanwalt ausgewiesen. Nach alledem muss sich der Antragsteller zu 1.
ebenso an seiner Erklärung festhalten lassen wie - in den beiden vorgenannten
Urteilsfällen - die Rechtsbehelfsführer, die ihre Einwendungen nur auf die
Feststellung des Einheitswerts und nicht auf die Feststellung der Grundstücksart
bezogen haben (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 1989, 822 und in BFH/NV 1991, 726).
Dabei muss sich die Antragstellerin zu 2. gemäß § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung (ZPO) die Versäumnisse des Antragstellers zu 1. wie eigenes
Verschulden zurechnen lassen.
c) Die Klage ist im vollen Umfang unzulässig. Dabei ergibt sich die Unzulässigkeit,
soweit sich die Klage gegen "den Einheitswertbescheid" richtet, aus dem Fehlen
des vorgeschriebenen Vorverfahrens (unten Abschn. aa), und soweit sich die Klage
gegen "Grundsteuermessbescheid" richtet, aus der Fehlerhaftigkeit der
Streitgegenstandsbezeichnung (unten Abschn. bb).
aa) Die Tatsache, dass die Antragsteller gegen den Bescheid vom 10.11.2005 als
solchen Einspruch eingelegt haben, reicht für die Zulässigkeit der Klage nicht aus.
In den Fällen, in denen - wie hier im Streitfall - der Einspruch als außergerichtlicher
Rechtsbehelf gegeben ist, ist nach § 44 Abs. 1 FGO die Klage grundsätzlich nur
zulässig, wenn das Verfahren über den Einspruch ganz oder zum Teil erfolglos
geblieben ist.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO sind nur dann gegeben, wenn der
Verfahrensgegenstand des außergerichtlichen Vorverfahrens und der
Streitgegenstand des Klageverfahrens identisch sind. Soweit nicht angefochten
wurde, liegt nämlich kein Fall von Erfolglosigkeit vor. Es ist vielmehr
Bestandstandskraft des betreffenden Verwaltungsakts eingetreten. Maßgebend ist
der Regelungsgehalt des jeweiligen Verwaltungsakts. Dies gilt auch bei
Bescheiden, in denen mehrere Verwaltungsakte zusammengefasst sind. Hat
beispielsweise das Finanzamt im Rahmen eines Einheitswertsbescheids über die
Höhe des Einheitswerts und gleichzeitig über die Grundstücksart entschieden, liegt
ein identischer Verfahrensgegenstand nur dann vor, wenn der Kläger sowohl den
Einspruch als auch die Klage gegen beide Entscheidungen gerichtet hat (vgl. BFH-
Urteil vom 05.05.1999 II R 44/96, BFH/NV 2000, 8).
An einem identischen Verfahrensgegenstand fehlt es im Streitfall. Wie oben unter
Abschnitt b) dargelegt, haben die Antragsteller - ähnlich dem vorgenannten
Urteilsfall - die in dem Bescheid vom 10.11.2005 zusammengefassten
Entscheidungen des Finanzamts nur hinsichtlich der Festsetzung des
Grundsteuermessbetrags angegriffen, nicht hingegen hinsichtlich der Feststellung
des Einheitswerts.
bb) Mit der Klage können die Antragsteller nicht geltend machen, das Finanzamt
sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert gewesen, eine
"Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrags" durchzuführen.
Nach § 42 FGO können Folgebescheide, die aufgrund der Abgabenordnung
erlassen worden sind, nicht in weiterem Umfang angegriffen werden, als sie in dem
außergerichtlichen Vorverfahren angegriffen werden können.
Die genannte Vorschrift verweist auf die Regelung in § 351 Abs. 2 AO. Diese führt
im Streitfall dazu, dass die Antragsteller mit ihren Einwendungen nicht gehört
werden können. Denn sie haben mit ihrem Einspruch - wie oben unter Abschnitt a)
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werden können. Denn sie haben mit ihrem Einspruch - wie oben unter Abschnitt a)
dargelegt - fälschlicherweise die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags und
nicht die Feststellung des Einheitswerts angegriffen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.