Urteil des FG Hessen vom 30.08.2005

FG Frankfurt: abkommen über den europäischen wirtschaftsraum, eltern, schule, schulbesuch, wohnung, alter, aufenthalt, schulausbildung, lebensmittelpunkt, berufsausbildung

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 1152/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 1997, §
63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997,
§ 63 Abs 1 S 3 EStG 1997, § 8
AO 1977
(Kindergeld: Schulbesuch im Ausland)
Leitsatz
Wohnsitz von minderjährigen Kindern , die im Ausland die Schule besuchen
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
(Überlassen von Datev)
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Anspruch auf Kindergeld besteht für
solche Kinder, die seit ihrem sechsten Lebensjahr in X (= Naher Osten) die Schule
besuchen und sich nur während der Sommerferien bei ihren Eltern in Deutschland
aufhalten. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt
zugrunde:
Der Kläger (geb. 194... in x) hält sich seit 1962 in Deutschland auf. Er besitzt außer
der ... x auch die deutsche Staatsangehörigkeit. In zweiter Ehe ist er verheiratet
mit Frau N (geb. 195... in x). Aus dieser Ehe hat er zwei Töchter, S (geb. 1989 in ...
Deutschland) und D (geb. 1993 in ... Deutschland). Beide Kinder besitzen sowohl
die ... x als auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Der Kläger erhielt für die beiden Kinder vom damals zuständigen Arbeitsamt ...
Kindergeld. Im Mai 1995 richtete er an das Arbeitsamt die Anfrage, ob für die
Tochter S weiter Anspruch auf Kindergeld bestehe, wenn diese die Schule in x
besuche. Nach entsprechenden Ermittlungen ging das Arbeitsamt davon aus, das
Kind S habe seinen Wohnsitz in Deutschland beibehalten, und gewährte insoweit
das Kindergeld weiter. Später erhielt es Kenntnis davon, dass der Kläger sich mit
den Kindern S und D während der Jahre 1995 und 1996 insgesamt für mehrere
Monate in x aufgehalten hatte. Im Zuge weiterer Ermittlungen erhielt es sodann
Bescheinigungen, wonach S ab August 1996 die Grundschule in ... Deutschland
besucht hat. Daraufhin stellte es in Bezug auf den Wohnsitz der Kinder seine
Bedenken wieder zurück.
Im Sommer des Jahres 1997 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz in den Bezirk der
hier beklagten Behörde (Agentur für Arbeit ... - Familienkasse, im Folgenden:
Familienkasse). Auf entsprechende Anfrage legte der Kläger der Familienkasse
eine Bescheinigung vor, wonach S ab August 1997 die Grundschule in ... besucht
hat. Im Juli 1999 teilte er der Familienkasse mit, seine Tochter D werde ab August
1999 in x die Schule besuchen. Auf entsprechende Nachfrage gab er im November
1999 an, auch seine Tochter S halte sich in x zum Schulbesuch auf. Im weiteren
Verlauf der Ermittlungen legte er Bescheinigungen des staatlichen
Erziehungsamtes in x (ausgestellt im November bzw. Dezember 1999) vor,
wonach beide Kinder an einer dortigen Schule unterrichtet worden sind, und zwar D
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wonach beide Kinder an einer dortigen Schule unterrichtet worden sind, und zwar D
in der 1. Klasse und S in der 5. Klasse. Entsprechende Bescheinigungen reichte er
später auch für die Folgejahre ein.
Im Oktober 2002 richtete die Familienkasse an den Kläger die Anfrage, ob sich das
Kind S in x nur vorübergehend und zum Zweck der Schulausbildung aufhalte, ob
und wann es nach Deutschland zurückkehren werde und ob eine Abmeldung beim
Einwohnermeldeamt erfolgt sei. Hierauf teilte der Kläger der Familienkasse mit:
Seine Tochter S sei nur zur Schulausbildung in x. Sie kehre während der
Sommerferien immer wieder in seinen Haushalt zurück. Beim Einwohnermeldeamt
sei sie weiterhin gemeldet.
Mit Bescheid vom 07.11.2002 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für
die Kinder S und D mit Wirkung ab Dezember 2002 gemäß § 74 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung führte sie aus: Die Kinder
hätten weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Hierfür sei es unerheblich, dass die Kinder den (bloßen) Willen hätten, nach der
Schulausbildung nach Deutschland zurückzukehren, und dass sie sich während
eines Zeitraums von drei Monaten besuchsweise in Deutschland aufhielten. Den
hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse als unbegründet zurück
(Einspruchsentscheidung vom 24.02.2003).
Mit der Klage macht der Kläger im Wesentlichen Folgendes geltend:
Seine beiden Töchter besuchten in der ... Stadt in x das private ...-Kolleg für
Mädchen. Das Schuljahr beginne dort am 15. September eines jeweiligen Jahres
und ende am 31. Mai des darauf folgenden Jahres. Mithin befänden sich seine
Töchter in der Zeit vom 1. Juni bis etwa Mitte September eines jeden Jahres in
Deutschland. Der jährlich zusammenhängende Aufenthalt betrage mithin
mindesten dreieinhalb Monate. Seine Töchter hätten die Absicht, spätestens nach
Beendigung ihrer Schulausbildung in x wieder nach Deutschland zurückzukehren,
in Anbetracht der derzeitigen politischen Lage unter Umständen auch schon
früher. Die Schulausbildung in x hätten beide Kinder schon im Alter von sechs
Jahren aufgenommen, und zwar D im Jahre 1999 und S - entgegen der bisherigen
Annahme der Familienkasse - bereits im Jahre 1995. Während ihres
dreieinhalbmonatigen Aufenthalts bei den Eltern seien die Kinder in Deutschland
schulpflichtig gewesen. Soweit während dieser Zeit keine Schulferien gewesen
seien, hätten sie die ...-Schule in ... besucht. Entgegen der Annahme der
Familienkasse verfüge seine Tochter S über gute Deutschkenntnisse.
Die Familienkasse habe die Umstände im Zusammenhang mit den Aufenthalten
in Deutschland bei der hier gebotenen Gesamtwürdigung nicht ausreichend
berücksichtigt und insofern die einschlägigen Grundsätze in der Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Bundessozialgerichts (BSG) missachtet. Bei
den Inlandsaufenthalten läge eine gewisse Regelmäßigkeit vor. Der Zeitabstand
von ungefähr acht Monaten stehe dem nicht entgegen. Die Aufenthalte im
Elternhaus seien auch nicht kurzfristig gewesen. Während des Schulbesuchs in x
liege nur eine vorübergehende räumliche Trennung von den Eltern vor. Dies führe
nicht zu einer Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse.
Die Familienkasse habe des Weiteren nicht die Tatsache berücksichtigt, dass seine
Töchter die deutsche Staatsbürgerschaft besäßen. Denn deutsche Kinder
behielten den Wohnsitz bei den Eltern in der Regel auch dann bei, wenn sie zum
Schulbesuch bzw. zum Studium ins Ausland gingen. Die Rechtslage sei nur dann
anders, wenn es sich um ausländische Kinder handele, die zum Schulbesuch in ihr
Heimatland gingen und dort in der Familie von nahen Angehörigen lebten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 07.11.2002 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung
sowie die Einspruchsentscheidung vom 24.02.2003 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie u. a. Folgendes vor: Die Kinder S und D hätten
spätestens ab Oktober 1999 ihren Wohnsitz in x begründet. Dort seien sie in den
einheimischen Kulturkreis eingebunden gewesen. Weil der Aufenthalt in x auf
mehrere Jahre angelegt gewesen sei, hätte sich der Lebensmittelpunkt
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mehrere Jahre angelegt gewesen sei, hätte sich der Lebensmittelpunkt
entsprechend verlagert. Daran ändere auch der dreimonatige Ferienaufenthalt in
Deutschland nichts. Dieser habe nur Besuchscharakter. Etwas anderes ergebe
sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Kinder während ihres Aufenthalts in ...(
Deutschland ) zeitweise die dortige Schule besucht hätten. Die Kinder seien nicht
in der Lage gewesen, dem deutschen Schulunterricht zu folgen. Dies werde in
Bezug auf S durch das Zeugnis vom 30.06.1999 (ausgestellt von der ...-Schule in
...) belegt.
Das Gericht hat die beiden Töchter des Klägers, S und D , als Zeugen vernommen
zu der Frage, ob diese während der Zeit ihres Schulbesuchs in x in Deutschland
einen Wohnsitz behalten haben. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug
genommen.
Die den Streitfall betreffenden Akten der Familienkasse waren Gegenstand des
Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Familienkasse ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Kinder S und D
ihren Wohnsitz in Deutschland aufgegeben haben.
Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat
derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt,
einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in
einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen
Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Der Staat x zählt nicht zu den
in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten. Für die Rechtmäßigkeit des
Bescheides kommt es also darauf an, ob die hier betroffenen Kinder im Inland
einen Wohnsitz haben bzw. bis zum Monat Oktober 2002 gehabt haben.
Nach § 8 der Abgabenordnung (AO) hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine
Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die
Wohnung beibehalten und benutzen wird. Diese Umschreibung des Wohnsitzes
stimmt wörtlich mit der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 1 des Ersten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB I) überein. Die diesbezügliche Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts, insbesondere zum früheren Kindergeldrecht, hat daher für
die Anwendung des Wohnsitzbegriffs nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG i. V. m. § 8 AO
weiterhin Bedeutung (vgl. Urteil des BFH vom 23.11.2000 VI R 107/99,
Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2001, 294).
Das BSG hat in seinem Urteil vom 17.12.1981 10 RKg 12/81 (Sozialrecht - SozR -
3-5870 § 2 Nr. 25) zum Bundeskindergeldgesetz (BKGG) noch folgende Auffassung
vertreten: Das Kind eines Gastarbeiters, das sich zur Schul- oder Berufsausbildung
im Heimatland der Eltern aufhalte, habe im Inland keinen Wohnsitz. Mit dem
Schulbesuch in der Heimat der Eltern würden die natürlichen Bindungen an den
heimatlichen Kulturkreis hergestellt, wiederhergestellt oder gefestigt. Die
Schulausbildung des Kindes im Heimatland der Eltern sei die Grundlage für eine
weitere Berufsausbildung oder eine Beschäftigung in der Heimat. Die familiäre
Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern werde für die zeitlich
nicht absehbare Dauer der Ausbildung aufgegeben.
Die vorstehend dargestellte Auffassung hat das BSG in seinem Urteil vom
30.09.1996 10 RKg 29/95 (SozR 3-5870 § 2 Nr. 33) ausdrücklich aufgegeben. Es
hat dort ausgeführt, für Ausländerkinder, die ihren Wohnsitz bisher bei ihren Eltern
in Deutschland begründet hätten und anschließend im Land ihrer
Staatsangehörigkeit die Schule besuchten, bestehe für die Zeit vom Jahr 1985 ab
kein Erfahrungssatz des Inhalts mehr, dass die familiäre Wohn- und
Lebensgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern für die Dauer der Ausbildung
aufgegeben werde.
Bereits mit Urteil vom 22.03.1988 8/5a RKn 11/87 (SozR 2200 § 205 Nr. 65) hat
das BSG zum Wohnsitz eines in Ausbildung befindlichen Kindes klargestellt: Nur im
Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise lasse sich entscheiden, ob
jemand sich in einem bestimmten Gebiet gewöhnlich aufhalte oder nur
vorübergehend verweile. Hierbei seien alle Umstände zu berücksichtigen, die bei
Beginn des streitigen Zeitraums erkennbar und für die Beurteilung der künftigen
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Beginn des streitigen Zeitraums erkennbar und für die Beurteilung der künftigen
Entwicklung bedeutsam seien. Ob sich die vorgenannte Prognose bei
rückschauender Betrachtung im Ergebnis als richtig erweise, sei nicht
entscheidend.
In seinem Urteil vom 28.05.1997 14/10 RKg 14/94 (SozR 3-5870 § 2 Nr. 36) hat das
BSG seine Rechtsprechung zum Wohnsitzbegriff für das Kindergeldrecht nochmals
folgendermaßen verdeutlicht: Der Wohnsitz richte sich allein nach den objektiv zu
beurteilenden tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten desjenigen, für
den dieses Tatbestandmerkmal erheblich sei. Dabei könnten im Einzelfall auch
zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der
Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten
zuzurechnen sei und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet
worden seien. Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort, wie etwa
der Aufenthalt eines Kindes zum Zwecke der Schul- oder Berufsausbildung, stehe
der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Auf der anderen Seite reiche
die Feststellung, dass ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung
einer bestimmten Maßnahme (wie z. B. der Schul- oder Berufsausbildung) diene
und deshalb von vornherein zeitlich beschränkt sei, allein nicht aus, vom
Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts
auszugehen. Bei einem Auslandsaufenthalt von über einem Jahr gelte dies selbst
dann, wenn der Betroffene die Absicht habe, nach dem Abschluss der Maßnahme
an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren. Der
Inlandswohnsitz werde in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene
entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort habe (keine
Wohnsitzbegründung am Ort des Auslandsaufenthalts) oder wenn er zwar keinen
einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr habe, aber nunmehr über zwei
Schwerpunkte der Lebensverhältnisse verfüge (zwei Wohnsitze). An dem
bisherigen Wohnort müsse weiterhin eine Wohnung unterhalten werden.
Kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs-
oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter
gleichkämen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen
Wohnung bedeuteten, seien unerheblich.
Der BFH hat in seinem Urteil in BStBl II 2001, 294 die vorstehend dargestellten
Grundsätze des BSG übernommen. Ergänzend dazu hat er seine Rechtsprechung
zum Wohnsitzbegriff nach § 8 AO im Wesentlichen wie folgt zusammengefasst: Der
steuerliche Wohnsitz setze neben bestimmten zum dauerhaften Wohnen
geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus,
dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen könne und sie als Bleibe
ständig benutze oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in
größeren Zeitabständen - aufsuche. Ein nur gelegentliches Verweilen während
unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken
reiche nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setze der Wohnsitzbegriff
zunächst Umstände voraus, die darauf schließen ließen, dass die Wohnung durch
den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden solle.
Allerdings hat der BFH in seinem Urteil vom 23.11.2000 VI R 165/99 (BStBl II 2001,
279) besondere Grundsätze aufgestellt für den Fall, dass Eltern ihr sechsjähriges
Kind zum Zwecke des Schulbesuchs (angelegt auf neun Jahre) zu den Großeltern
ins Ausland schicken. Unter derartigen Umständen - so der BFH - habe das Kind
grundsätzlich seinen Wohnsitz im Inland aufgegeben. Ein auf neun Jahre
angelegter Auslandsaufenthalt sei auch nicht als nur vorübergehend anzusehen.
Demgegenüber reiche es nicht aus, wenn sich das Kind während der Schulferien
(von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr) in der elterlichen Wohnung
aufhalte. Solche Aufenthalte hätten keinen Wohncharakter. Dies gelte auch dann,
wenn beabsichtigt sei, dass das Kind nach Erreichen des Schulabschlusses wieder
nach Deutschland zurückkehre.
Das erkennende Gericht schließt sich den vorstehenden Grundsätzen in vollem
Umfang an. Dabei ist es - anknüpfend an das zuletzt genannte BFH-Urteil - der
Auffassung, dass es im Einzelfall durchaus einen entscheidungserheblichen
Unterschied machen kann, ob ein Kind im Alter von sechs Jahren von seinen Eltern
zum Schulbesuch ins Ausland geschickt wird oder ob ein Schüler im
heranwachsenden Alter oder ein Volljähriger sich entschließt, seine weitere
Ausbildung (Schule, Studium usw.) im Ausland zu absolvieren. Denn ein Kind im
Alter von sechs Jahren ist noch weitgehend auf die Betreuung durch bestimmte
Bezugspersonen (i. d. R. durch Verwandte) angewiesen. Es ist zumeist auch nicht
in der Lage, außerfamiliäre Beziehungen bei größerer räumlicher Entfernung über
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in der Lage, außerfamiliäre Beziehungen bei größerer räumlicher Entfernung über
längere Zeiten eigenständig aufrechtzuerhalten. Bei einem Jugendlichen im
heranwachsenden Alter und bei einem jungen Erwachsenen sind die sozialen
Beziehungen zu Elternhaus bzw. Bezugsperson einerseits und Freundeskreis
andererseits schon deutlich anders (vgl.: zur Unterscheidung von minderjährigen
und volljährigen Kindern bei der Frage des Wohnsitzes: Kanzler, Finanzrundschau -
FR - 2001, 431; zum Bestehen von zwei Lebensmittelpunkten bei Studenten: BFH-
Urteil in BStBl II 2001, 294).
In der vorstehend dargelegten Auffassung sieht sich das Gericht durch die neueste
Rechtsprechung des BFH bestätigt. So hat der BFH in einer Reihe von Beschlüssen
Nichtzulassungsbeschwerden gegen verschiedene finanzgerichtliche Urteile
verworfen, in denen ein Kindergeldanspruch verneint worden war, weil die
betreffenden Kinder sich für mehrere Jahre zum Schulbesuch im Ausland und
ansonsten nur während der Ferien bei den Eltern im Inland aufhalten hatten (s.
Beschlüsse vom 08.11.2001 VI B 115/01, juris; 30.01.2003 VIII B 155/02,
Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2003, 881; vom 05.02.2004
VIII B 271/03, juris; vom 01.03.2004 VIII B 286/03, juris; vom 05.02.2004 VIII B
271/03, juris; vom 29.06.2004 VIII B 116/04, juris, und vom 30.06.2004 VIII B
132/04, BFH/NV 2004, 1639; s. a.: Finanzgericht Baden-Württemberg 2 K 190/03,
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005, 219).
Der Streitfall ist den vorgenannten Entscheidungssachverhalten im Wesentlichen
vergleichbar. Der Kläger hat seine Töchter S und D schon im Alter von sechs
Jahren zum Schulbesuch in seine Heimatstadt, in x , geschickt. Dort sind die Kinder
von einer Verwandten, einer Schwester ihrer Mutter, betreut worden. Dass sie
während der Zeit des Schulunterrichts im Internat untergebracht waren, ändert
daran nichts. Denn ein Kind im Alter zwischen sechs und fünfzehn Jahren braucht -
wie bereits dargelegt - in besondere Maße eine Bezugsperson, die sich in
erreichbarer räumlicher Nähe befindet.
Angesichts des Umstands, dass die Kinder schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt
ins Ausland geschickt worden sind, spielen die Ferienaufenthalte bei den Eltern
keine entscheidungserhebliche Rolle. Zwar erstrecken sich die Ferien im Sommer -
wie zwischen den Beteiligten unstreitig - normalerweise über einen Zeitraum von
dreieinhalb Monaten. Bei der hier gebotenen Gesamtwürdigung ist diesen
Inlandsaufenthalten - neben dem Alter der Kinder - aber auch die Gesamtdauer
des voraussichtlichen Auslandsaufenthalts gegenüber zu stellen. Der Kläger hatte
offenkundig von Anfang an die Absicht, seine Töchter bis zu einem regulären
Abschluss an einer ... x Schule unterrichten zu lassen. In diesem Sinne sind seine
Äußerungen zu verstehen, die er im Zusammenhang mit dem für S geplanten
Schulbesuch in x gegenüber der Familienkasse gemacht hat. Mithin ist davon
auszugehen, dass der Kläger schon von vorneherein eine Aufenthaltsdauer von
mindestens neun Jahren geplant hatte.
Im Verhältnis zur Dauer der Auslandsaufenthalte kann den Ferienaufenthalten im
Inland nur ein Besuchscharakter beigemessen werden. Während der Ferienzeit
stellt das Elternhaus für die Kinder kein zweiter Lebensmittelpunkt dar. Dieser
befindet sich allein bei der Tante in x . Dort haben die Kinder bisher- von den
Sommerferien abgesehen - fast immer die unterrichtsfreie Zeit verbracht, und
zwar nicht nur an den Wochenenden, sondern auch an alle wichtigen islamischen
und christlichen Feiertage, wie etwa Weihnachten, Ostern und das Ende des
Ramadan. Zudem haben sie in x ihren eigentlichen Freundeskreis. Dass am
Wohnort der Eltern während der vergangenen Jahre ein nennenswerter
Freundeskreis Bestand hat, ließ sich im Rahmen der Beweisaufnahme nicht
feststellen. So hat die Tochter D ausgesagt, während ihrer Ferienaufenthalte habe
sie nur mit ihren Cousinen (aus der Nachbarschaft ihrer Eltern) gespielt.
Die Tatsache, dass die Kinder während ihres Ferienaufenthalts auch die deutsche
Schule besucht haben, hat ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung. In
Bezug auf D bedarf dieser Gesichtspunkt keiner besonderen Erörterung. Das Kind
hat nur für wenige Wochen eines Jahres am Unterricht an der Grundschule in ...
teilgenommen. Dies ergibt sich zum einen aus der Beweisaufnahme und zum
anderen aus dem Schreiben des staatlichen Schulamtes ... vom 18.04.2000. Bei S
waren die Verhältnisse während der Jahre 1995 bis 1998 zwar etwas anders: S ist
im August 1995 formell an einer Grundschule in ...
( Deutschland ) eingeschult worden; bis zum 4. Schuljahr hat sie dann zeitweise
am Unterricht an einer deutschen Grundschule teilgenommen. Nach Überzeugung
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am Unterricht an einer deutschen Grundschule teilgenommen. Nach Überzeugung
des Gerichts war dieser Schulbesuch jedoch nur von geringem Wert. So hat S als
Zeugin selbst ausgesagt, in der deutschen Schule sei sie vernachlässigt worden.
Die Noten, die die Grundschule in ... im Zeugnis für das 3. Schuljahr erteilt hat,
sprechen im Übrigen für sich. Auch in dem Zeugnis, das die Grundschule in ... für
das 2. Schuljahr ausgestellt hat, wird die Belastung durch den ständigen Wechsel
zwischen x und Deutschland kritisch angemerkt.
Was den zuletzt genannten Sachverhalt betrifft, so ist das Gericht überzeugt
davon, dass die Zeiten, zu denen S die deutsche Schule besucht hat, sich
ebenfalls nur auf wenige Wochen im Jahr erstreckt haben. S hat zwar als Zeugin
ausgesagt, die Zeiten des Schulbesuchs während der ersten vier Schuljahre
hätten sich in etwa auf sechs Monate in x und sechs Monate in Deutschland
verteilt. Diese Aussage ist jedoch nicht glaubhaft. Zunächst widerspricht sie dem
Vorbringen des Klägers und dem Inhalt der ... x Schulbescheinigungen. Danach
erstreckt sich das Schuljahr in x regelmäßig auf die Zeit vom 15. September bis
zum 30. Mai. Zudem lässt sich die vorgenannte Aussage nicht mit den übrigen
Bekundungen der Zeugin in Einklang bringen. So hat S bei ihrer Anhörung an
keiner Stelle zu erkennen gegeben, dass sie sich außerhalb der ... x Sommerferien
in Deutschland aufgehalten hätte. Auf Befragen des Gerichts hat sie
unmissverständlich dargelegt, während der kurzen Feiertagsferien (Weihnachten,
Ostern, Ende des Ramadan) bleibe sie - wegen der hohen Fahrtkosten - immer in
x.
Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme zwar festgestellt, dass S
(inzwischen) die deutsche Sprache gut beherrscht. Dieser Umstand hat für sich
gesehen jedoch keinen Aussagewert in Bezug auf die Frage, ob in Deutschland ein
zweiter Lebensmittelpunkt besteht bzw. bestanden hat. Nur wenn - über das
Elternhaus hinaus - stärkere (soziale) Bindungen an Deutschland gegeben wären,
könnte in den Sprachkenntnissen ein zusätzliches Indiz gesehen werden. Derartige
Bindungen hat die Beweisaufnahme jedoch nicht ergeben. In Bezug auf D stellt
sich die Frage ohnehin nicht, da deren Deutschkenntnisse - nach dem Eindruck
des Gerichts - bei weitem nicht so gut sind.
2. Die Einwendungen, die von dem Kläger in Bezug auf die sonstigen Punkte der
streitigen Gesamtwürdigung erhoben werden, vermögen das vorstehend
gefundene Ergebnis nicht zu beeinflussen.
a) Dies gilt zunächst für das Vorbringen, die Kinder hätten sich mit einer gewissen
"Regelmäßigkeit" im Elternhaus aufgehalten.
Wie bereits dargelegt, hat die Rechtsprechung in den sog. Minderjährigen-Fällen -
abweichend von den Grundsätzen in anderen Entscheidungen - die Regelmäßigkeit
der Inlandsaufenthalte während der Schulferien nicht als entscheidendes Kriterium
angesehen. Dabei ging es vereinzelt um Aufenthaltszeiten von insgesamt drei
Monaten Dauer. Angesichts der Gesamtdauer des hier maßgebenden
Auslandsaufenthalts, nach jetzigem Stand voraussichtlich zwölf Jahre, besteht kein
Grund, bei einem Inlandsaufenthalt von etwa dreieinhalb Monaten im Jahr für den
Streitfall eine anders lautende Entscheidung zu treffen.
b) Der Vorwurf, die Familienkasse habe nicht geprüft, ob die Kinder wieder nach
Deutschland zurückkehren wollten, ist nicht gerechtfertigt.
Zu beurteilen ist hier ein Auslandsaufenthalt, der weit über die Dauer von einem
Jahr hinausgeht. In einem solchen Fall spielt es - nach den dargelegten
Rechtsprechungsgrundsätzen - keine Rolle, dass das Kind sich nur zum Zweck der
Schulausbildung im Ausland aufhält und dass es die Absicht hat, nach Abschluss
dieser Ausbildung wieder ins Inland zurückzukehren.
c) Soweit der Kläger auf gewisse formelle Umstände verweist, kann er ebenfalls
nicht gehört werden. Dies gilt für das Vorbringen, die Kinder seien beim
Einwohnermeldeamt in ... ( Deutschland ) gemeldet, das deutsche Schulamt hätte
den Besuch der ... x Schule genehmigt und die Kinder besäßen die deutsche
Staatsangehörigkeit.
Wie dargelegt, richtet sich der Wohnsitz nach den tatsächlichen und
wirtschaftlichen Gegebenheiten. Hierzu gehören nicht die vorgenannten formell-
rechtlichen Merkmale. Schon von daher trifft es nicht zu, wenn der Kläger meint,
deutsche Kinder behielten ihren Wohnsitz in Deutschland bei, wenn sie zum
Schulbesuch ins Ausland gingen, ausländische Schüler hingegen nicht. Im Übrigen
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Schulbesuch ins Ausland gingen, ausländische Schüler hingegen nicht. Im Übrigen
erinnert die letztere Aussage an die - schon seit langem aufgegebene -
Rechtsprechung des BSG zu den sog. Gastarbeiter-Kindern.
Zur Frage der Genehmigung durch die Schulaufsichtsbehörden ergeben sich aus
dem Schreiben des staatlichen Schulamts ... noch folgende Sätze zur Klarstellung:
Eine Schulpflicht (in Deutschland) bestehe für die Kinder nur dann, wenn diese hier
ihren Aufenthalt (auf den Streitfall bezogen: Wohnsitz im Sinne des § 8 AO) hätten.
Es gebe daher keinen Anlass, für den - teilweisen - Schulbesuch in x eine
Genehmigung auszusprechen. Die Frage, ob wechselnde Aufenthaltsorte für die
Kinder günstig seien, liege in der Entscheidung des Klägers als
Erziehungsberechtigten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.