Urteil des FG Hessen vom 07.10.2010

FG Frankfurt: verzicht, sperrfrist, untreue, steuerberater, vermögensverfall, feststellungsklage, ermittlungsverfahren, wartefrist, entziehen, vollstreckung

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 13.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 K 716/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 40 Abs 2 StBerG, § 48 Abs 2
StBerG, § 45 Abs 1 Nr 2
StBerG, § 48 Abs 1 Nr 1
StBerG, § 46 Abs 2 Nr 4
StBerG
Wiederbestellung als Steuerberater: geordnete
wirtschaftliche Verhältnisse bei Ankündigung der
Rechtsschuldbefreiung, Sperrfrist von acht Jahren nicht bei
Verzicht vor Einleitung eines berufsgerichtlichen
Verfahrens, Wartefrist nach strafrechtlicher Verurteilung
Tenor
1. Der Bescheid vom 16.02.2009 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet,
die Klägerin wieder als Steuerberaterin zu bestellen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt mit ihrer vorliegenden Klage ihre Wiederbestellung als
Steuerberaterin.
Mit Schreiben vom 14.09.2004, bei der beklagten Steuerberaterkammer am
20.09.2004 eingegangen, verzichtete die Klägerin auf ihre Bestellung als
Steuerberaterin. Als Grund gab sie an, dass sie sich seit dem 26.11.2003 in
Untersuchungshaft befinde und nicht absehbar sei, wann sie ihren Beruf wieder
ausüben könne.
Hintergrund war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin
wegen des Verdachts der Untreue. Mit Urteil des Landgerichts W. vom 15.12.2004
wurde die Klägerin wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lagen Untreuehandlungen
der Klägerin zum Nachteil von Fondsanlegern zu Grunde. Das Strafgericht wertete
das Verhalten als (fremdnützige) Untreue. Aufgrund des Geständnisses der
Klägerin einerseits, aber andererseits aufgrund des hohen entstandenen
Schadens in Höhe von rund 3,6 Mio. DM verurteilte das Strafgericht die Klägerin zu
der oben genannten Gesamtfreiheitsstrafe.
Am 07.10.2008 stellt die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf
Wiederbestellung als Steuerberaterin.
Mit Bescheid vom 16.02.2009 lehnte die Beklagte die beantragte Wiederbestellung
gemäß §§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 2, 40 Abs. 2 Nr. 1 Steuerberatungsgesetz –
StBerG- ab. Nach Auffassung der Beklagten liegen bei der Klägerin keine
geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Ausweislich des Schlussberichts des
Insolvenzverwalters seien im Insolvenzverfahren Forderung in Höhe von
2.983.037,55 € festgestellt worden. Eine verteilungsfähige Masse sei in Höhe von
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2.983.037,55 € festgestellt worden. Eine verteilungsfähige Masse sei in Höhe von
54.633,19 € vorhanden. Trotz Widerspruchs der Klägerin gegen einen Großteil der
festgestellten Forderungen sei es den Gläubigern möglich, bis zum Ablauf der
sogenannten Wohlverhaltensphase Klage zu erheben. Dies sei immer noch
möglich. Zu geordneten Vermögensverhältnissen gehöre es, dass die Gläubiger in
absehbarer Zeit tatsächlich befriedigt werden. Hiervon könne vorliegend nicht
ausgegangen werden. Im Übrigen könne die Klägerin über ihr Vermögen nicht frei
verfügen. Die bloße Möglichkeit, die schlechte wirtschaftliche Situation im Rahmen
eines Restschuldbefreiungsverfahrens zu bereinigen, habe noch nicht zur Folge,
dass die wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegend trotz der unbeglichenen
Forderungen als geordnet zu betrachten wären. Frühestens nach Ablauf der sog.
Wohlverhaltensphase am 16.03.2011 könne von geordneten wirtschaftlichen
Verhältnissen ausgegangen werden.
Unabhängig hiervon sei der Antrag auf Wiederbestellung abzulehnen, da die
Klägerin auf ihre Bestellung als Steuerberaterin nach Einleitung eines
berufsgerichtlichen Verfahrens verzichtet habe und im Rahmen dieses
berufsgerichtlichen Verfahrens eine Ausschließung aus dem Beruf zu erwarten
gewesen sei. Nicht maßgeblich sei die innere Motivation für den Verzicht auf die
Bestellung. § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG stelle ausschließlich auf den äußeren
Umstand, d.h. Verzicht auf die Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen
Verfahrens, bei dem eine Ausschließung aus den Beruf zu erwarten sei, ab. Das
gegen die Klägerin im Juni 2004 bei dem Landgericht F. eingeleitete
berufsgerichtliche Ermittlungsverfahren sei aufgrund des Verzichts der Klägerin
vom 20.09.2004 eingestellt worden. Unter Zugrundelegung der Angaben aus dem
Urteil des Landgerichts W. vom 15.12.2004, dessen Gründe die
Steuerberaterkammer als bindend ansehe, sei davon auszugehen, dass die
Klägerin aus dem Beruf ausgeschlossen worden wäre, wenn sie nicht auf ihre
Bestellung verzichtet hätte. Die Feststellungen des Urteils des Landgerichts W.
ließen mit Blick auf den ganz erheblichen Untreueschaden keine andere Wertung
zu. Entsprechend könne eine Wiederbestellung nicht vor Ablauf von acht Jahren
seit dem Verzicht auf die Bestellung erfolgen. Eine Wiederbestellung komme daher
frühestens ab dem 20.09.2012 in Betracht.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Ziel der Wiederbestellung
unter Vertiefung ihres außergerichtlichen Vorbringens weiterverfolgt.
Zahlreichen festgestellten Forderungen - so die Klägerin - habe sie hinsichtlich
deren festgestellten deliktischen Charakters widersprochen. Gegen Forderungen in
Höhe von 59.000,- € habe sie keinen Widerspruch eingelegt. Aktuell habe sie
59.000,- € erbracht. Sie erziele seit 2007 ein durchschnittliches jährliches
Einkommen in Höhe von 50.000,- bis 55.000 €.
Zwar sei es zutreffend, dass Forderungen in Höhe von 2,9 Mio. € aus unerlaubter
Handlung durch den Insolvenzverwalter anerkannt wurden. Nach dem Widerspruch
der Klägerin hiergegen habe jedoch lediglich eine Gläubigerin Klage auf
Feststellung zur Tabelle erhoben. Hierbei handele es sich allerdings um den recht
geringfügigen Betrag in Höhe von 2.313,04 €. Auch soweit dieser Betrag an der
Restschuldbefreiung nicht teilnehme, könne die Klägerin diesen Betrag ohne
weiteres begleichen. Mit weiteren Klagen auf Feststellung zur Tabelle sei nicht zu
rechnen.
Mit Ankündigung der Restschuldbefreiung mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom
11.05.2009 nach Ablauf des so genannten Wohlverhaltensphase am 16.03.2011
und Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 12.11.2009 sei von
geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen. Nach der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom
16.12. 2008, 2 K 2084/08) liege nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und
Ankündigung der Restschuldbefreiung - wie vorliegend - der gesetzliche
Vermutungstatbestand des Vermögensverfalls nach dem StBerG nicht mehr vor.
Auch die Zivilrechtsprechung (BGH NJW 2005, 1271 betreffend einen Rechtsanwalt)
vertrete diese Rechtsauffassung.
Soweit die Beklagte die Versagung der Wiederbestellung auf § 48 Abs. 1 Nr. 1
StBerG stütze, sei dies ebenfalls nicht durchschlagend; denn die Norm sei nicht
anwendbar, da gegen die Klägerin im Zeitpunkt ihres Verzichts auf die Zulassung
noch kein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet gewesen sei. Die
Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht F. hatte nämlich im Zeitpunkt des
Verzichts noch keine Anschuldigungsschrift bei Gericht eingereicht. Im Übrigen
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Verzichts noch keine Anschuldigungsschrift bei Gericht eingereicht. Im Übrigen
wäre kein Ausschluss aus dem Beruf zu erwarten gewesen. Im Urteil des
Landgerichts W. sei gerade kein Berufsverbot als Nebenstrafe verhängt worden,
was gemäß § 70 StGB theoretisch möglich gewesen wäre. Das Landgericht W.
habe sich davon leiten lassen, dass es um eine fremdnützige Untreue gegangen
sei; die Klägerin habe sich persönlich nicht bereichert. Die Verhängung eines
Berufsverbots als Nebenstrafe sei nicht in Betracht gezogen worden. Bei der
strafrechtlichen Tat habe die Klägerin nicht als Steuerberaterin, sondern als
Geschäftsführerin eines Unternehmens gehandelt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.02.2009 aufzuheben und diese zu
verpflichten, die Klägerin wieder als Steuerberaterin zu bestellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die beklagte Steuerberaterkammer hält auch im gerichtlichen Verfahren an ihrer
außergerichtlichen Rechtsauffassung fest.
Auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der
Restschuldbefreiung könne nicht von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen
ausgegangen werden. Denn vorliegend sei zu berücksichtigen - und darin
unterscheide sich der Fall von demjenigen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz -,
dass der Insolvenzverwalter Forderungen in Höhe von über 2,9 Mio. € aus
unerlaubten Handlungen anerkannt habe. Gegen den Widerspruch der Klägerin
hiergegen könnten die Gläubiger noch bis zum Ablauf der sog. Wohlverhaltens
phase Klage erheben. Mögliche Klagen stünden daher noch bis zum 15.03.2011 im
Raum. Bei Erfolg solcher Klagen nähmen die betreffenden Forderungen an der
Restschuldbefreiung nicht teil, so dass insoweit nicht von geordneten
wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden könne.
Angesichts der Tatsache, dass bereits eine Feststellungsklage erfolgreich erhoben
worden sei, sei es nicht mehr nur noch theoretisch denkbar, dass auch anderer
Gläubiger entsprechende Klagen erheben würden.
Zwar mag die Rechtsansicht der Klägerin zutreffend sein, dass die
Staatsanwaltschaft mangels Einreichung einer Anschuldigungsschrift noch kein
berufsgerichtliches Verfahren im Sinne des § 114 StBerG eröffnet hatte. Dies sei
jedoch nur ein formales Argument. Der hinter der Vorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 1
StBerG stehende Rechtsgedanke besitze dessen ungeachtet weiterhin Geltung.
Die Klägerin habe erheblich gegen ihre Pflichten als Steuerberaterin verstoßen.
Angesichts des von der Klägerin verursachten und bis heute nicht behobenen
Millionenschadens wäre eine Ausschließung aus dem Beruf in Betracht
gekommen. Dies sei nach der Rechtsprechung bei Delikten wie Betrug, Untreue
und Unterschlagung der Fall. Durch den Verzicht auf die Bestellung sei dem
berufsgerichtlichen Verfahren die Grundlage entzogen worden. In diesem Fall sei
eine besonders sorgfältige Prüfung der Voraussetzung des § 40 Abs. 2 StBerG
angezeigt. Durch ihre Handlungsweise habe die Klägerin gezeigt, dass sie den
Berufspflichten eines Steuerberaters nicht genüge. Bis heute habe die Klägerin
keine Einsicht in ihr Fehlverhalten gezeigt.
Wegen Einzelheiten des jeweiligen Vorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Die einschlägigen Verwaltungsakten lagen dem Gericht vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Versagung der Wiederbestellung der Klägerin als Steuerberaterin verletzt diese
in ihren Rechten, da im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die
Voraussetzungen für eine Wiederbestellung nach §§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 1 Nr.
2, 48 Abs. 2, 40 Abs. 2 StBerG vorlagen.
Bei Verpflichtungsklagen ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hinsichtlich
der Sach- und Rechtslage dann maßgeblich, wenn der Erlass einer gebundenen
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der Sach- und Rechtslage dann maßgeblich, wenn der Erlass einer gebundenen
Entscheidung begehrt wird (von Groll in Gräber, FGO, 7.Aufl. § 101 Tz. 6 mit
Rechtsprechungsnachweisen). Der Wortlaut des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG scheint
zwar für eine Ermessensentscheidung zu sprechen („können wiederbestellt
werden"). Dies ist jedoch missverständlich; denn wie auch ein Rechtsanspruch auf
Bestellung nach bestandener Prüfung besteht, besteht ein solcher bei Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzungen auf Wiederbestellung (Gehre/Koslowski,
Steuerberatungsgesetz, 6.Auflage 2009, § 48 Tz. 3).
Soweit die Steuerberaterkammer die Versagung der Wiederbestellung mit
fehlenden geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen begründet, vermag der Senat
dem nicht zu folgen. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 12.11.2009 und
Ankündigung der Restschuldbefreiung mit Beschluss vom 11.05.2009 liegen keine
ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse mehr vor.
Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfällt die Vermutung des
Vermögensverfalls (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 HS 2 StBerG). Einen gleichwohl vorliegenden
Vermögensverfall vermag der Senat nicht festzustellen. So hat der
Bundesgerichtshof - BGH - Senat für Anwaltssachen (AnwZ (B) 40/04, NJW 2005,
1271) am 07.12.2004 betreffend die Wiederbestellung eines Rechtsanwaltes
entschieden, dass ein Schuldner, der ein Insolvenzverfahren und anschließend mit
Erfolg ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat - ohne dass die
Gläubiger befriedigt worden sind - keine Verbindlichkeit mehr habe. Dies genüge
zur (Wieder-) Herstellung geordneter Vermögensverhältnisse. Der BGH hat dies im
ersten Leitsatz des Urteils wie folgt formuliert: Ist über das Vermögen eines
früheren Rechtsanwalts ein Insolvenzverfahren durchgeführt und mit dessen
Aufhebung dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt worden, kann
während der sogenannten Wohlverhaltensphase ein Antrag auf Wiederzulassung
zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich nicht mit der Begründung abgelehnt werden,
es seien geordnete Vermögensverhältnisse noch nicht wiederhergestellt.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat sich dem unter Aufgabe seiner bisherigen
Rechtsprechung für den Bereich der Steuerberater angeschlossen (Urteil vom
16.12.2008, 2 K 2084/08, EFG 2009, 687). Durch die bloße Ankündigung habe sich
die spätere Möglichkeit der Restschuldbefreiung im Sinne einer konkreten Aussicht
derart verdichtet, dass bereits mit dieser von einer Konsolidierung der
wirtschaftlichen Verhältnisse tatsächlich auszugehen ist. Auch das
Niedersächsische Finanzgericht hält geordnete wirtschaftliche Verhältnisse für
gegeben, wenn die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (Urteil vom
29.05.2008, 6 K 433/07, juris). Der erkennende Senat versteht auch den Beschluss
des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 17.12.2009 VII B 71/09, juris, (dort insbesondere
Tz. 8) in diesem Sinne.
Zwar unterscheiden sich die dargestellten Fällen des BGH und der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung vom vorliegenden Fall dahingehend, dass -
soweit der BGH-Fall betroffen ist - in § 7 Nr.9 Bundesrechtsanwaltsordnung –BRAO-
die Zulassung dann zu versagen ist, wenn sich der Bewerber im Vermögensverfall
befindet. Dieser Wortlaut entspricht demjenigen in § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG
betreffend den Widerruf der Zulassung, wohingegen der Wortlaut des § 40 Abs. 2
Nr. 1 StBerG nicht von „Vermögensverfall“ spricht, sondern von „geordneten
wirtschaftlichen Verhältnissen“. Sowohl der BGH als auch die zitierte
finanzgerichtliche Rechtsprechung verwenden diese Begriffe jedoch synonym. Der
erkennende Senat folgt dem: geordnete wirtschaftliche Verhältnisse liegen dann
vor, wenn sich der Steuerberater nicht im Vermögensverfall befindet; keine
geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse liegen (umgekehrt) dann vor, wenn ein
Vermögensverfall gegeben ist.
Der Senat hat erwogen, ob von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme zu
machen ist, wenn -trotz Ankündigung der Restschuldbefreiung - in einem
atypischen Fall von einer „Verdichtung“ (vgl. zitiertes Urteil des Finanzgerichts
Rheinland-Pfalz) einer konkreten Aussicht auf Restschuldbefreiung (noch) nicht
gesprochen werden kann. Ein solcher atypische Fall könnte dann vorliegen, wenn
ein Großteil der vom Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldeten Forderungen
(mutmaßlich) solche aus unerlaubter Handlung sind, die – bei Widerspruch des
Schuldners und entsprechender gerichtlicher Feststellung auf Antrag der Gläubiger
- an der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 Insolvenzordnung –InsO- nicht
teilnehmen. Eine solche Konstellation könnte vorliegend gegeben sein. Der Senat
hält gleichwohl eine solche Ausnahmesituation vorliegend für nicht gegeben. Zwar
weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass bis zum Ende der
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weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass bis zum Ende der
Wohlverhaltensphase (vgl. hierzu Sinz in Uhlenbruck, InsO, 13. Auflage 2010, § 184
Tz. 3) Feststellungsklage (auch begrenzt auf den deliktischen Charakter der
Forderung) erhoben werden kann. Bei Erfolg dieser Feststellungsklage(n) sähe sich
die Klägerin vorliegend erheblichen Forderungen ausgesetzt, die nicht an der
Restschuldbefreiung teilnähmen. Der Senat hält jedoch allein diese M ö g l i c h k e
i t, solche Klagen noch zu erheben, für nicht geeignet, um abweichend von oben
dargestellten Grundsätzen von nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen
auszugehen. Im hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung waren - soweit ersichtlich - keine solchen Klagen erhoben oder auch
nur angekündigt worden. Ob tatsächlich Feststellungsklagen erhoben werden und
ob diese erfolgreich sein werden, ist offen. Der Senat hält daher weder die
Spekulation der Beklagten, dass aufgrund einer bereits erfolgreich erhobenen
Feststellungsklage noch mit weiteren entsprechende Klagen zu rechnen sei,
ebenso wenig für zielführend wie die Spekulation der Klägerin, dass aufgrund des
langen Zeitablaufs nicht mit weiteren Feststellungsklagen zu rechnen sei. Mangels
Anhängigkeit solcher Klagen oder eines konkreten Inaussichtstellens
entsprechender Klagen kann allein die theoretische Möglichkeit der Erhebung von
Feststellungsklagen der Klägerin im jetzigen Zeitpunkt nicht zum Nachteil
gereichen. Der Senat kann daher offenlassen, wie zu entscheiden wäre, wenn
entsprechende Klagen bereits anhängig wären.
Nicht geordnete wirtschaftlichen Verhältnisse können daher nicht festgestellt
werden.
Der Senat teilt auch nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die
achtjährige Sperrfrist des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG vorliegend anzuwenden sei.
Nach dieser Bestimmung kann die Wiederbestellung nicht vor Ablauf von acht
Jahren erfolgen, wenn auf die Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen
Verfahrens verzichtet wurde. Dies gilt dann nicht, wenn eine Ausschließung aus
dem Beruf nicht zu erwarten war.
Vorliegend wurde eine Anschuldigungsschrift nicht erstellt. Nach Verzicht auf die
Bestellung wurde das eingeleitete und aufgrund des anhängigen Strafverfahrens
ausgesetzte Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 170
Abs. 2 StPO, 153 StBerG eingestellt. Der Wortlaut des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG
verlangt ausdrücklich einen Verzicht n a c h Einleitung des berufsgerichtlichen
Verfahrens. Ein solches Verfahren wird nach § 114 StBerG durch Einreichen einer
Anschuldigungsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht eingeleitet.
Daran fehlt es vorliegend.
Der Senat sieht auch angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm keinen
Raum für eine analoge Anwendung bei einem Verzicht auf die Bestellung v o r
Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens. Erst nach Einleitung des
berufsgerichtlichen Verfahrens durch Einreichen der Anschuldigungsschrift haben
sich die berufsrechtlichen Vorwürfe so konkretisiert, dass der Gesetzgeber
Handlungsbedarf für das Wiederbestellungsverfahren sah, wenn der Steuerberater
dem berufsgerichtlichen Verfahren durch Verzicht auf die Bestellung die Grundlage
entziehen will.
Soweit die Beklagte im gerichtlichen Verfahren die Auffassung vertritt, auch nach §
48 Abs. 2 i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG komme eine Wiederbestellung nicht in
Betracht, da sich die Klägerin so verhalten habe, dass die Besorgnis begründet sei,
sie werde den Berufspflichten als Steuerberaterin nicht genügen und dies auf die
im Strafurteil des Landgerichts W. festgestellten Taten stützt, vermag der Senat
dem ebenfalls nicht zu folgen.
Zwar knüpfte die Prognose des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG an ein Verhalten in der
Vergangenheit an. Der Senat vermag zunächst zwar nicht der Auffassung der
Klägerin zu folgen, dass die im Strafurteil festgestellten Taten in keinem
Zusammenhang mit der Tätigkeit als Steuerberaterin gestanden hätten. Die
Klägerin handelte zwar als Geschäftsführerin einer Gesellschaft; dass sie diese
Position begleitete, steht nach Überzeugung des Senats jedoch im
Zusammenhang mit ihrer beruflichen Ausbildung/Tätigkeit als Steuerberaterin.
Zuzugeben ist der Klägerin allerdings, dass es sich nicht um eine „klassische“
Steuerberatung handelte. Zuzugeben ist der Beklagten auch, dass eine besonders
sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 StBerG dann angebracht
ist, wenn auf eine Bestellung verzichtet wurde, um einem berufsgerichtlichen
Verfahren die Grundlage zu entziehen (vgl. Gehre/Koslowski, a.a.O., § 48 Tz. 5).
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Dass vorliegend einem berufsgerichtlichen Verfahren die Grundlage entzogen
werden sollte, erscheint naheliegend. Aus oben dargestellten Gründen ist jedoch
die achtjährige Sperrfrist des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht unmittelbar
einschlägig. Diese Sperrfrist kann daher auch nicht ohne weiteres als zeitliche
Schranke bei der Prüfung des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG dergestalt zugrunde gelegt
werden, dass erst nach Ablauf dieser Frist eine Wiederbestellung erfolgen kann.
Eine solche Handhabung würde die - hier nicht einschlägige - Sperrfrist des § 48
Abs. 1 Nr. 1 StBerG faktisch im Rahmen des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG wieder
aufleben lassen. Ein solcher Automatismus besteht indes nicht. Unabhängig von §
48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG unterliegt § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG hinsichtlich der Frage,
ob und wann wiederbestellt werden kann, einer eigenständige Prüfung unter
Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles. Diese Prüfung
kann zu dem Ergebnis kommen, dass eine achtjährige Sperrfrist angemessen ist;
zwingend ist dies nicht. Aufgrund ihres anderen rechtlichen Ausgangspunkts hat
die Beklagten eine solche eigenständige Prüfung nicht vorgenommen.
Im Gegensatz zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG a.F. (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
25.02.1986 VII R 76/83, BFH/NV 1986, 497) handelt es sich bei § 40 Abs. 2 Nr. 4
StBerG nicht mehr um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht ist daher nicht mehr
gemäß § 102 FGO auf die Kontrolle einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung
begrenzt. Die ordnungsgemäße Anwendung der Norm ist daher in vollem Umfang
gerichtlich nachprüfbar.
Welche „Wartefrist“ nach einer strafrechtlichen Verurteilung angemessen ist,
hängt von den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles ab. So hat der BFH
(Urteil von 25.02. 1986 a.a.O.) bei einer Verurteilung eines Steuerberaters wegen
gemeinschaftlicher Untreue und gemeinschaftlichen Betruges zu einer
Gesamtheitfreiheitsstrafe von vier Jahren es nicht als ermessensfehlerhaft
angesehen, wenn eine Wiederbestellung nicht vor Ablauf von zehn Jahren zwischen
Tat und Verwaltungsentscheidung erfolgt. Das Finanzgericht Hamburg (Urteil vom
24.05.1996, V 146/95, juris) hat bei einem vergleichbaren Fall einen Zeitraum von
acht Jahren seit Rechtskraft des Urteils als nicht unangemessen angesehen.
Entscheidend für die Prognoseentscheidung ist im Wesentlichen der Zeitablauf: je
länger die Tat zurückliegt, die Bedenken in die Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit
des Steuerberaters bekundet haben, wird es um so erforderlicher, zu überdenken,
ob die negative Prognose fortbestehen kann oder nicht (FG Hamburg a.a.O.). Der
erkennende Senat teilt diese Auffassung.
Vorliegend lagen zwischen der Tat im Jahr 2001 und der mündlichen Verhandlung
im vorliegenden Rechtsstreit neun Jahre, zwischen strafrechtlicher Verurteilung und
mündlicher Verhandlung sechs Jahre. In dieser Zeit hat sich die Klägerin nichts
mehr zu Schulden kommen lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände
vermag der Senat eine Besorgnis nicht mehr zu erkennen, die Klägerin werde in
Zukunft den Berufspflichten einer Steuerberaterin nicht genügen. Der Senat
verkennt hierbei nicht, dass der Verurteilung der Klägerin zu einer nicht
unerheblichen Freiheitsstrafe Taten zugrunde lagen, die zwar nicht direkt, jedoch
mittelbar mit der Tätigkeit eines Steuerberaters in Zusammenhang standen, und
dass ein erheblicher Schaden entstanden ist. Andererseits ist eine nicht
unerhebliche Zeit inzwischen verstrichen, ohne dass weitere Beanstandungen
bekannt wurden.
Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte hält der Senat die Versagung der
Bestellung zum jetzigen Zeitpunkt für rechtsfehlerhaft, so dass die Klage auf
Verpflichtung zur Bestellung der Klägerin als Steuerberaterin begründet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs.
2 Nr. 1 FGO zu.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.