Urteil des FG Hessen vom 30.01.2008

FG Frankfurt: stieftochter, häusliche gemeinschaft, verordnung, haushalt, einspruch, quelle, zivilprozessrecht, obhut, einkünfte, stiefkind

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2006
Aktenzeichen:
5 K 501/07
Dokumenttyp:
Gerichtsbescheid
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 1 EStG 2002, § 63
Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, §
63 Abs 1 Nr 2 EStG 2002, Art
73 EWGV 1408/71, Art 13 Abs
1 EWGV 1408/71
Kindergeld für eine in Polen lebende Stieftochter
Tatbestand
(Überlassen von Datev)
Der Kläger ist Deutscher, wohnt in Deutschland und bezieht Einkünfte aus
nichtselbstständiger Tätigkeit. Nachdem er eine polnische Staatsangehörige, die
mit ihrer Tochter weiterhin in Polen lebt, geheiratet hatte, beantragte er für seine
Stieftochter Kindergeld. Die Beklagte, die Familienkasse lehnte den Antrag mit
Bescheid vom 28.12.2006 ab, da die in Polen lebende Stieftochter nicht in den
Haushalt des Klägers aufgenommen sei, wie von § 63 Abs. 1 Nr. 2
Einkommensteuergesetz (EStG) gefordert.
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Beklagte wies den Einspruch mit
Entscheidung vom 29.01.2007 als unbegründet zurück.
Mit der nunmehr erhobenen Klage beansprucht der Kläger weiterhin Kindergeld für
seine Stieftochter. Hierbei räumt er ausdrücklich ein, dass diese nicht in seinem
Haushalt, sondern in Polen im Haushalt seiner Ehefrau aufgenommen sei. Dies sei
aber nach "EU-Recht" unschädlich, weil der Kläger die Stieftochter finanziell
unterstütze.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.12.2006 sowie
der Einspruchsentscheidung vom 29.01.2007 zu verpflichten, ab Antragstellung für
seine Stieftochter Kindergeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, das EU-Recht greife bei der Gewährung
von Kindergeld nicht in das anzuwendende inländische Recht ein.
Dem Gericht lag zu Kindergeld-Nr. ein Band Kindergeldakten vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Dies ergibt sich zunächst aus der isolierten Anwendung des deutschen
Steuerrechts. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat zwar derjenige Anspruch auf
Kindergeld, der im Inland seinen Wohnsitz hat. Der Kläger wohnt hier in X. Gemäß §
63 Abs. 1 Nr. 2 EStG gilt die Stieftochter des Klägers aber nur dann als Kind im
gesetzlichen Sinne, wenn sie in den Haushalt des Klägers aufgenommen wurde.
Dies war, wie auch der Kläger einräumt, nicht der Fall. Denn eine
Haushaltsaufnahme erfordert nach deutschem Recht, dass das Kind bewusst in
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Haushaltsaufnahme erfordert nach deutschem Recht, dass das Kind bewusst in
die Obhut der Familiengemeinschaft mit einem auf längere Dauer gerichteten
Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art aufgenommen wird
(Weber-Grellet in Ludwig Schmidt, Kommentar zum EStG, 26. Aufl. 2007, § 63 Rz. 5
mit weiteren Nachweisen). Ein dauerhaft bei der Mutter in Polen lebendes Stiefkind
erfüllt demnach diese Voraussetzungen nicht.
Etwas anderes ergibt sich nicht, wie der Kläger meint, aus EU-Recht. Zwar fällt das
deutsche Kindergeld in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71, da es eine Familienleistung im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Buchstabe h
dieser Verordnung ist. Die Verordnung hat auch für den Kläger Geltung, weil dieser
gemäß Art. 2 Abs. 1 Arbeitnehmer und als Deutscher Staatsbürger eines
Mitgliedstaates der Europäischen Union ist. Hieraus folgt allerdings gemäß Art. 13
Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, dass für den Kläger das deutsche
Kindergeldrecht anzuwenden ist. Im Hinblick auf die in Polen lebende Stieftochter
bestimmt Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, dass auch diese dem
deutschen Kindergeldrecht unterliegt, selbst wenn sie in einem anderen
Mitgliedstaat lebt, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Stieftochter als
Familienangehörige des Klägers anzusehen ist. Was unter einem
Familienangehörigen im Sinne der Verordnung zu verstehen ist, definiert deren
Art. 1 Buchstaben f) i). Hiernach ist, wenn es um die inländische Rechtsanwendung
der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG geht, Familienangehöriger (oder
Haushaltsangehöriger) die Person, die in den zitierten Vorschriften genannt ist,
und zwar mit der Maßgabe, dass die dort geforderte häusliche Gemeinschaft für
die Stieftochter des Klägers im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nur dann
zu bejahen ist, wenn dieser deren Unterhalt überwiegend bestreitet. Dies kann zu
Gunsten des Klägers unterstellt werden. Denn auch dann ergibt sich nur die
Anwendung des deutschen Kindergeldrechts auf die in Polen lebende Stieftochter.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.