Urteil des FG Hessen vom 17.06.2010

FG Frankfurt: unmittelbare anwendbarkeit, steuerbefreiung, analogie, eugh, vorsteuerabzug, steuerrecht, lieferung, unternehmer, rechtssicherheit, vergleich

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 3678/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15a UStG 1999, § 4 Nr 28
UStG 1999, § 15 Abs 2 S 1 Nr
1 UStG 1999, § 15a Abs 4
UStG 1999, § 15a Abs 1 S 1
UStG 1999
Veräußerung von gebrauchten Geldspielautomaten ist
umsatzsteuerfrei - Keine Berichtigung der Vorsteuer nach §
15a UStG
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Ansatz von Vorsteuerberichtigungsbeträgen aus
Anlass der Veräußerung gebrauchter Geldspielautomaten. Der Kläger erzielte in
den Streitjahren Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten
(Unterhaltungsautomaten) mit Gewinnmöglichkeit. Im Jahre 2006 gab er beim
Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden: ‚ FA ’) für die Besteuerungszeiträume
ab 1999 geänderte Umsatzsteuererklärungen ab, in denen er die zuvor als
steuerpflichtig behandelten Umsätze auf der Grundlage der Rechtsprechung des
EuGH in den Rechtssachen „Linneweber“ und „Akritidis“ (EuGH-Urteil vom
17.02.2005, C-453/02 und C-462/02, Slg. 2005, I-1131, nachfolgend BFH vom
12.05.2005 – V R 7/02, BStBl. II 2005, 617) und somit unter Berufung auf die
unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 13 Teil B lit. f der 6. EG-Richtlinie als
steuerfrei behandelte und die mit der Erzielung seiner laufenden Umsätze
zusammenhängenden Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung der Geldspielgeräte
nicht mehr geltend machte. Die in den Streitjahren zusätzlich erzielten Umsätze
aus dem Verkauf gebrauchter Geldspielgeräte behandelte er jedoch weiterhin als
steuerpflichtig. Wegen der seiner Ansicht nach insoweit bestehenden und von der
grundsätzlichen Steuerfreiheit der erzielten Ausgangsumsätze abweichenden
Steuerpflicht machte er nach § 15a Abs. 4 UStG (in der Fassung der Streitjahre)
anzusetzende Vorsteuerberichtigungsbeträge geltend. Er setzte die folgenden
Beträge an:
StreitjahrUmsatzsteuer aus dem Verkauf von gebrauchten
Geräten
Vorsteuerberichtigung
nach
2002
1.272,54 Euro
./. 2.123,77 Euro
2003
633,60 Euro
./. 1.205,81 Euro
2004
528,27 Euro
./. 1.119,15 Euro
Die im Zeitpunkt der Anschaffung der im Streitjahr veräußerten Geräte
angefallene Vorsteuer hatte der Kläger – was zwischen den Beteiligten unstreitig
ist – wegen der Berufung auf die Steuerfreiheit der aus dem Betrieb der Geräte
erzielten Ausgangsumsätze in keinem Fall geltend gemacht. Denn auch insoweit
(d.h. auch für die im Veräußerungszeitpunkt bis zu fünf Jahre zurückliegenden
Besteuerungszeiträume) hatte das FA die geänderten Steuererklärungen des
Klägers zu Grunde gelegt. Wegen des weiteren Inhalts der für die Streitjahre
abgegebenen geänderten Steuererklärungen wird auf den vorgelegten Band
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abgegebenen geänderten Steuererklärungen wird auf den vorgelegten Band
Umsatzsteuerakten 2002 bis 2004 Bezug genommen. Für die Streitjahre stimmte
das FA den geänderten Erklärungen des Klägers zunächst nach § 168 Satz 2 AO
zu und teilte ihm dies am 02.02.2006 (Bl. 35 der Vorgänge 2002 der
Umsatzsteuerakten), 16.02.2006 (Bl. 29 der Vorgänge 2003 der
Umsatzsteuerakten) und 17.02.2006 (Bl.18 der Vorgänge 2004 der
Umsatzsteuerakten) mit.
Vom 12.02.2006 bis zum 30.03.2006 führte das FA beim Kläger eine
Betriebsprüfung durch, die es mit Bericht vom 27.04.2006 abschloss (Bl. 23 ff. des
Sonderbandes Betriebsprüfungsberichte). Darin vertrat die Betriebsprüfung die
Auffassung, dass auch die vom Kläger jeweils als steuerpflichtig behandelte
Lieferung gebrauchter Geldspielgeräte entsprechend § 4 Nr. 28 UStG von der
Umsatzsteuer befreit sei und die erklärten Vorsteuerberichtigungsbeträge daher
wegen § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht berücksichtigungsfähig seien. Die aus
dem Verkauf der Geräte erzielten Entgelte behandelte die Betriebsprüfung
gleichwohl nach § 14 Abs. 2 UStG (in der Fassung der Streitjahre 2002 und 2003)
bzw. § 14c Abs. 1 UStG (in der Fassung des Streitjahres 2004) als steuerpflichtig,
da der Kläger - was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig ist - die
Umsatzsteuer in den entsprechenden Verkaufsrechnungen offen ausgewiesen
hatte und es jedenfalls in den Streitjahren zu keiner erfolgreichen Berichtigung des
nach Ansicht der Betriebsprüfung unzutreffenden Steuerausweises kam. Das FA
folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und erließ unter dem 27.06.2006
geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen es die Umsatzsteuer für 2002 auf
10.884,96 Euro, für 2003 auf 5.183,74 Euro und für 2004 auf 5.849,78 Euro
festsetzte. Den hiergegen am 29.06.2006 unter Berufung auf ein Gutachten
eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 08.11.2006
als unbegründet zurück.
Mit seiner am 11.12.2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein auf die
Anerkennung der Vorsteuerberichtigungsbeträge gerichtetes Rechtsbegehren
weiter. Er vertritt die Auffassung, die Vorschrift des § 4 Nr. 28 UStG sei bei der
Veräußerung von Wirtschaftsgütern nicht anwendbar, wenn die mit diesen
Wirtschaftsgütern erzielten laufenden Umsätze nicht nach § 4 Nr. 8 bis 27 UStG,
sondern lediglich aus Anlass der Berufung auf die unmittelbare Anwendbarkeit des
Art. 13 Teil B lit. f der 6. EG-Richtlinie steuerbefreit seien. Das ergebe sich bereits
aus dem Wortlaut der Vorschrift. Eine entsprechende, richtlinienkonforme
Anwendung komme nicht in Betracht. Der Wortlaut einer Rechtsvorschrift
umschreibe die äußerste Grenze ihrer möglichen Auslegung. Die Steuerfreiheit
auch des Veräußerungsvorgangs könne nicht aus einer unmittelbaren Anwendung
der 6. EG-Richtlinie abgeleitet werden. Selbst wenn die Lieferung gebrauchter
Geldspielgeräte nach der 6. EG-Richtlinie von der Umsatzsteuer befreit wäre,
würde eine Steuerfreiheit auch solcher Vorgänge voraussetzen, dass sich der
Steuerpflichtige gegenüber dem FA auf die Steuerfreiheit beruft. Der
Steuerpflichtige habe die Wahl, sich auf die unmittelbare Anwendung der Richtlinie
zu berufen oder hinzunehmen, dass der fragliche Umsatz nach nationalem Recht
steuerpflichtig ist. Jedenfalls in Bezug auf die streitigen Veräußerungsumsätze
habe sich der Kläger jedoch gerade nicht auf die unmittelbare Anwendung der 6.
EG-Richtlinie berufen. Eine analoge Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG zu Lasten des
Steuerpflichtigen sei unzulässig. Die Rechtsunsicherheit, die bei Zulassung einer
analogen Anwendung steuerverschärfender Vorschriften eintrete, sei nicht
hinnehmbar. Im Übrigen diene § 4 Nr. 28 UStG nicht der Vermeidung von
Steuerumgehungen, sondern lediglich der Steuervereinfachung.
Dass die Vorsteuerberichtigungsbeträge höher ausfielen als die auf die
Veräußerung der gebrauchten Geräte entfallende Umsatzsteuer, sei im Streitfall
kein Indiz für eine Steuerumgehung. Unterhaltungsautomatenaufsteller wie der
Kläger müssten ständig beobachten, wie die Geräte beim Publikum ankommen.
Gegebenenfalls müssten die weniger erfolgreichen Geräte ausgetauscht und durch
neue ersetzt werden. Sofern die Geräte an die Hersteller zurückverkauft würden,
seien keine hohen Verkaufserlöse zu erwarten.
Der Kläger beantragt,
die durch die Einspruchsentscheidung vom 08.11.2006 aufrechterhaltenen
Bescheide für 2002, 2003 und 2004 über Umsatzsteuer vom 27.06.2006 zu
ändern und Vorsteuerberichtigungsbeträge in Höhe von EUR 2.123,77 im
Veranlagungszeitraume 2002, EUR 1.205,81 im Veranlagungszeitraume 2003 und
EUR 1.119,15 im Veranlagungszeitraum 2004 nachträglich abzuziehen sowie für
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EUR 1.119,15 im Veranlagungszeitraum 2004 nachträglich abzuziehen sowie für
den Fall, dass das Gericht dem Finanzamt Recht gibt, Zulassung der Revision
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Zulassung der Revision.
Das FA ist der Ansicht, die Vorschrift des § 4 Nr. 28 UStG sei im Streitfall
entsprechend anwendbar. Sie sei richtlinienkonform auszulegen, was dazu führen
müsse, dass ihre Anwendung nur dann ausgeschlossen sei, wenn der ursprünglich
in Anspruch genommene Vorsteuerabzug aus der Anschaffung des
Geldspielgerätes verfahrensrechtlich nicht mehr zurückgefordert werden könne
und die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG daher nicht zu einer
vollständigen Rückgängigmachung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs führe. Der
Streitfall liege jedoch anders. Die Beurteilung der Umsätze mit Geldspielgeräten
(einschließlich ihrer Veräußerung) müsse einheitlich anhand der Vorgaben der 6.
EG-Richtlinie erfolgen. Soweit der Kläger trotz ausschließlich steuerfreier
Verwendung der Geräte deren Verkauf als steuerpflichtig behandeln wollte,
vermische er in unzulässiger Weise europäisches und nationales Recht. Die vom
Kläger gewählte Behandlung widerspreche der umsatzsteuerrechtlichen
Systematik beider Regelungsbereiche. Die Berufung auf das günstigere
europäische Recht dürfe nicht zu einem nicht mehr systemkonformen Ergebnis
führen.
Auf die vorgelegten Steuerakten (1 Band Umsatzsteuerakten 2002 bis 2003 mit
Rechtsbehelfsvorgängen, 1 Sonderband Betriebsprüfungsberichte) wird ergänzend
Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die für die Streitjahre ergangenen
Umsatzsteuerbescheide vom 27.06.2006 sind rechtmäßig und verletzen den
Kläger nicht in seinen Rechten, da das FA dabei die vom Kläger aus Anlass der
Veräußerung von Geldspielgeräten geltend gemachten
Vorsteuerberichtigungsbeträge zu Recht nicht berücksichtigt hat.
Hat der Steuerpflichtige die aus der Anschaffung oder Herstellung eines
Wirtschaftsgutes resultierenden Vorsteuern nach § 15 UStG in einem bestimmten
Kalenderjahr in einer bestimmten Weise behandelt (d.h. nach dieser Vorschrift in
Abzug gebracht oder nicht in Abzug gebracht), schreibt § 15a Abs. 1 UStG (in der
Fassung der Streitjahre) vor, dass einer Änderung bezüglich der den seinerzeitigen
Vorsteuerabzug rechtfertigenden oder ausschließenden Verhältnisse innerhalb
eines Beobachtungs- bzw. Berichtigungszeitraums von fünf (§ 15a Abs. 1 Satz 1
UStG) bzw. zehn (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG) Jahren seit der Anschaffung oder
Herstellung dadurch Rechnung zu tragen ist, dass für jedes Kalenderjahr der
Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die
Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge
vorzunehmen ist. Eine derartige Änderung der Verhältnisse liegt nach § 15a Abs. 4
UStG in der Fassung der Streitjahre (vgl. § 15a Abs. 8 UStG in der aktuellen
Fassung) auch vor, wenn das noch verwendungsfähige Wirtschaftsgut vor Ablauf
des maßgeblichen Berichtigungszeitraums veräußert wird und dieser Umsatz
anders zu beurteilen ist als die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug
maßgebliche Verwendung.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall hinsichtlich der vom Kläger in den
Streitjahren geltend gemachten Vorsteuerberichtigungsbeträge nicht erfüllt, da
sich die Verhältnisse in Bezug auf die angeschafften Geldspielgeräte nicht i.S.d. §
15a Abs. 4 UStG (a. F.) geändert haben. Der Kläger hat die fraglichen
Vorsteuerbeträge im Anschaffungszeitpunkt nicht geltend gemacht bzw. die
vormalige Geltendmachung durch Abgabe geänderter Steuererklärungen
vollständig beseitigt, da er die Geldspielgeräte – unter Berufung auf die
Rechtsprechung des EuGH und die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 13 Teil B
lit. f der 6. EG-Richtlinie – zur Ausführung steuerfreier Ausgangsumsätze
verwendete, was den Vorsteuerabzug nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des
§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG (in der Fassung der Streitjahre) ausschloss.
Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG erfordert insoweit lediglich, dass
das Wirtschaftsgut für „steuerfreie Umsätze“ verwendet wird, ohne dass es darauf
ankommt, ob sich die Steuerbefreiung aus den Regelungen des § 4 UStG oder aus
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ankommt, ob sich die Steuerbefreiung aus den Regelungen des § 4 UStG oder aus
der unmittelbaren Anwendung einer Vorschrift des europäischen Sekundärrechts
ergibt.
Hieran (d.h. an der Verwendung der Geldspielgeräte für i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 UStG „steuerfreie Umsätze“) hat die Veräußerung der Geldspielgeräte nichts
geändert, da auch dieser Vorgang im Streitfall von der Umsatzsteuer befreit ist.
Nach § 4 Nr. 28 UStG (in der Fassung der Streitjahre) sind unter anderem die
Lieferungen von Gegenstände steuerfrei, wenn der Unternehmer die gelieferten
Gegenstände ausschließlich „für eine nach § 4 Nr. 8 bis 27 UStG steuerfreie
Tätigkeit“ verwendet hat. Ihrem Wortlaut nach ist diese Vorschrift auf die hier
streitigen Lieferungen von gebrauchten Geldspielautomaten nicht anwendbar, da
sich die Steuerfreiheit der aus der Verwendung der Geräte erzielten laufenden
Umsätze gerade nicht aus den – nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit
unvollkommenen – Tatbeständen des § 4 Nr. 8 bis 27 UStG (in der Fassung der
Streitjahre), sondern allein aus einer Berufung des Klägers auf die unmittelbare
Anwendbarkeit des Art. 13 Teil B lit. f der 6. EG-Richtlinie ergibt. Für diesen Fall ist
die Vorschrift des § 4 Nr. 28 UStG nach der Überzeugung des Senats jedoch im
Wege der richterrechtlichen Ausfüllung einer vom Gesetzgeber hinterlassenen,
planwidrigen Regelungslücke entsprechend anzuwenden (vgl. im Ergebnis auch
in Sölch / Ringleb, UStG-Kommentar, Stand 4/2007, § 4 Nr. 28 Rn. 18;
in Vogel / Schwarz, UStG-Kommentar, Stand 4/2008, § 4 Nr. 28 Rn. 44).
Zur Ausfüllung von Gesetzeslücken und damit insgesamt zur ergänzenden
Rechtsfortbildung sind die Gerichte gleichermaßen befugt und verpflichtet (BVerfG
vom 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221; BVerfG vom 11.10.1978 – 1 BvR
84/74, NJW 1979, 305; BVerfG vom 12.03.1985 – 1 BvR 571/81, 494/82 und 47/83,
BStBl. II 1985, 475). Vorhandene Gesetzeslücken sind so auszufüllen, wie der
Gesetzgeber nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und nach seinem
sonst erkennbaren Willen die zu entscheidende Frage wahrscheinlich geregelt
hätte, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre (BFH vom 19.07.1973 – I B
27/73, BStBl. II 1973, 782 unter II. 2. d.; BFH vom 13.02.1980 – I R 181/76, BStBl. II
1980, 190). Die Lückenausfüllung ist dabei jedoch nur im Rahmen der
verfassungsrechtlichen Grenzen zulässig. Für das Steuerrecht bedeutet dies
insbesondere, dass im Wege der Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn
des Gesetzes hinaus keine Steuertatbestände ausgeweitet und keine neuen
Steuertatbestände geschaffen werden dürfen, da das Steuerrecht von der
primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter
generell bezeichneter Sachverhalte getragen wird und dementsprechend aus dem
„Diktum“ des Gesetzgebers lebt (BVerfG vom 24.01.1962 – 1 BvR 332/60, NJW
1962, 442 unter III. 3.; BFH vom 28.05.1968 – IV R 202/67, BStBl. II 1968, 650; BFH
vom 08.12.1981 – VIII R 125/79, BStBl. II 1982, 618). Ein generelles Verbot von
Analogien zu Lasten des Steuerpflichtigen existiert hingegen nicht. Allenfalls
verfassungsrechtliche Normen und Prinzipien, wie beispielsweise das Gebot der
Rechtssicherheit, können der analogen Anwendung bestimmter steuerrechtlicher
Vorschriften entgegenstehen. Eine Analogie kann jedoch auch gerade
verfassungsrechtlich geboten sein, in dem sie zur Verwirklichung des in Art. 3 Abs.
1 GG verankerten Grundsatzes der materiellen Gleichbehandlung fruchtbar
gemacht wird ( ,
Die Steuerrechtsordnung, Band 1, 2. Auflage Köln 2000, S. 177 [198]).
Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber in § 4 Nr. 28 UStG eine planwidrige
Regelungslücke hinterlassen, in dem er dort den Fall einer Steuerbefreiung, die
sich allein aus der Berufung des Steuerpflichtigen auf die unmittelbare
Anwendbarkeit der 6. EG-Richtlinie ergibt, nicht geregelt hat. Wäre diese
Konstellation „in sein Gesichtsfeld getreten“, so hätte er bei der Formulierung der
Vorschrift entsprechend Vorsorge getroffen. Das ergibt sich zum einen aus der
Systematik der in nationales Recht umgesetzten Regelungen zur Abzugsfähigkeit
von Vorsteuerbeträgen. Zum anderen lässt sich der parlamentarischen
Begründung des in § 4 Nr. 28 UStG gewählten Wortlautes entnehmen, dass die
Vorschrift der Vermeidung eines Korrekturverfahrens nach § 15a UStG dienen soll.
Der Unternehmer sollte in den Fällen des § 4 Nr. 28 UStG mit den Vorsteuern
belastet bleiben, die ihm von anderen Unternehmern beim Erwerb der
Gegenstände in Rechnung gestellt worden sind (vgl. den Regierungsentwurf eines
Umsatzsteuergesetzes 1979, BT-Drucksache 8/1779 vom 05.05.1978, Seite 35).
Daraus folgt, dass es nicht dem mutmaßlichen und in der Gesetzesbegründung
angedeuteten Willen des Gesetzgebers entspräche, wenn allein die Veräußerung
eines zuvor ausschließlich zur Erzielung steuerfreier Umsätze genutzten
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eines zuvor ausschließlich zur Erzielung steuerfreier Umsätze genutzten
Gegenstandes die Möglichkeit einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG eröffnen
würde. Da es sich hierbei um eine grundsätzliche Erwägung handelt, muss dies
unabhängig von der jeweiligen rechtlichen Herleitung der Steuerbefreiung gelten.
Hätte der Gesetzgeber sich im Rahmen des § 4 Nr. 28 UStG für die gleiche
Regelungstechnik wie in § 15 Abs. 2 und 3 UStG (d.h. für den dort gewählten Regel-
Ausnahme-Mechanismus) entschieden, wäre die Regelunglücke nicht entstanden.
Dass sich der Gesetzgeber in § 4 Nr. 28 UStG für eine andere Regelungsart
entschieden hat, beruht offensichtlich darauf, dass die Konstellation des Streitfalls
seinerzeit nicht „in sein Gesichtsfeld getreten“ war und für eine mit § 15 Abs. 2
und 3 UStG vergleichbare Regelung kein Bedürfnis gesehen wurde bzw. eine
solche Formulierung den Umfang der Vorschrift gesprengt hätte.
Gegen die analoge Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG bestehen jedenfalls im
Streitfall keine verfassungsrechtlichen Bedenken. § 4 Nr. 28 UStG ist als Ausdruck
systemtragender Prinzipien grundsätzlich analogiefähig ( , UStG-
Kommentar, 1. Auflage 2009, § 4 Nr. 28 Rn. 16). Die Analogie dient der
Vermeidung einer sachwidrigen Ungleichbehandlung und ist jedenfalls in den Fällen
gerechtfertigt, in denen es sich bei der Veräußerung des fraglichen Gegenstandes
um einen mit der steuerbefreiten Tätigkeit eng verbundenen Hilfsumsatz handelt.
Jedenfalls in Bezug auf solche Hilfsumsätze erscheint eine im Vergleich zu
sonstigen Befreiungstatbeständen ungleiche Sachbehandlung (z.B. im Vergleich
zum Verkauf von Einrichtungsgegenständen durch ein Krankenhaus, vgl. BT-
Drucksache 8/1779 vom 05.05.1978, Seite 35) i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG nicht
hinnehmbar. Im Streitfall handelte es sich bei der Lieferung der Geldspielgeräte
um bloße Hilfsumsätze des auf die Aufstellung der Geräte ausgerichteten
Unternehmens des Klägers. Insoweit hat der Kläger selbst vorgetragen, dass die
Veräußerung der Geräte durch die Optimierung der zu erzielenden
(steuerbefreiten) Umsätze bedingt sei, indem unattraktive (d.h. von den Kunden
weniger genutzte) Geräte ausgetauscht und durch umsatzträchtigere Automaten
ersetzt werden. Nichts anderes kann gelten, soweit die Geräte nach Ablauf der
betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer als Gebrauchtgeräte veräußert werden.
Das Gebot der Rechtssicherheit muss im Streitfall bei Abwägung aller Umstände
gegenüber den für die Analogie sprechenden Erwägungen zurücktreten. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass der Wortlaut des § 4 Nr. 28 UStG mit der Systematik der
Abzugsfähigkeit von Vorsteuerbeträgen in der vorliegenden Konstellation
offensichtlich nicht vereinbar und das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den
Wortlaut der Norm infolgedessen weniger schutzwürdig ist. Die Analogie führt auch
nicht zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Neuschöpfung oder Erweiterung
von Besteuerungstatbeständen. Vielmehr bewirkt diese eine systemkonforme
Einschränkung der grundsätzlich steuermindernd wirkenden Vorschriften des § 15
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG i.V.m. § 15a UStG.
Auf den in dem von dem Kläger vorgelegten Gutachten angeführten Einwand,
jedenfalls Art. 13 Teil B lit. c der 6. EG-Richtlinie dürfe zu Lasten des
Steuerpflichtigen bzw. ohne dessen Berufung auf diese Vorschrift nicht unmittelbar
angewendet werden, kommt es nicht an. Denn insoweit leitet der Senat die
Steuerbefreiung der streitigen Veräußerungsumsätze und die daraus folgende
fehlende „Änderung der Verhältnisse“ i.S.d. § 15a UStG nicht aus einer
unmittelbaren Anwendung einer Richtlinienvorschrift, sondern allein aus der
entsprechenden Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach § 115
Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.