Urteil des FG Hessen vom 22.09.2010

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 134/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 227 AO, § 51 FGO, § 155
FGO, § 227 ZPO, Art 116 GG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Steuerbeträgen aus Anlass der
behaupteten fehlenden Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland und der
behaupteten Nichtigkeit des Umsatzsteuergesetzes. Mit Schreiben vom
17.02.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden:
‚FA’) „aus staatsrechtlichen Gründen die Erstattung sämtlicher von mir gezahlten
Steuerbeträge zuzüglich einem Pauschalwert für private Mehrwertsteuer und
sämtlicher Kraftfahrzeugsteuern nebst 1 % Zinsen monatlich ab Zahltag“. Zur
Begründung führte er an, die Organe und Behörden der Bundesrepublik
Deutschland seien handlungsunfähig. Das Grundgesetz (GG) sei nach den
Forderungen der Alliierten niemals ratifiziert worden. Durch die Aufhebung des Art.
23 GG im Zuge der Wiedervereinigung sei das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland erloschen.
Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.02.2007 ab und wies den
hiergegen am 10.03.2007 eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom
13.12.2007 als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die am 16.01.2008
erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und vorträgt, eine
erste Besprechung mit dem FA habe ergeben, dass ohne weiteres bekannt sei,
dass das Umsatzsteuergesetz unheilbar nichtig sei. Auch dem Gericht fehle die
erforderliche Legitimation nach deutschem Recht und nach Besatzungsrecht. Der
Kläger regt die Anordnung des Ruhens des Verfahrens an und führt hierzu aus, er
habe nur vorsorglich zur Fristwahrung Klage eingereicht, um mit dem FA über die
Rechtsgrundlagen weiter verhandeln zu können.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das FA zu verpflichten, sämtliche von ihm gezahlten Steuerbeträge zuzüglich
eines Pauschalwerts für private Mehrwertsteuer und sämtlicher
Kraftfahrzeugsteuern nebst 1 % Zinsen monatlich ab Zahltag zu erstatten.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss des Senats vom 30.07.2008 ist der Rechtsstreit dem Einzelrichter
zur Entscheidung übertragen worden. Auf die vorgelegten Steuerakten (1 Band
Umsatzsteuerakten, 1 Sonderband Antrag auf Erstattung sämtlicher Steuern), die
Akten des Verfahrens 6 V 135/08 zum Antrag des Klägers auf Aussetzung der
Vollziehung sowie auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze der
Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 22.02.2008 (Bl. 46 ff. der Akten des Verfahrens 6 V 135/08) hat
der Kläger einen Antrag „auf Feststellung des Verdachts der Befangenheit
sämtlicher Spruchkörper der Verwaltungsbehörde Finanzgericht Hessen“ gestellt.
Der Kläger ist der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2010, zu der er laut
Postzustellungsurkunde vom 30.07.2010 ordnungsgemäß und unter Hinweis
gemäß § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geladen worden war, fern
geblieben. Nachdem bereits ein für den 20.05.2010 anberaumter Termin zur
mündlichen Verhandlung auf Antrag des Klägers wegen kurzfristig angeführter
gesundheitlicher Hinderungsgründe aufgehoben worden war, hat der Kläger mit
Schriftsatz vom 20.09.2010 auch die Aufhebung des Termins am 22.09.2010 aus
gesundheitlichen Gründen beantragt. Bereits mit gerichtlicher Verfügung vom
23.07.2010 war dem Kläger aufgegeben worden, den Hinderungsgrund zukünftig
durch Vorlage eines amtsärztlichen Attestes glaubhaft zu machen, aus dem sich
die Schwere und die voraussichtliche Dauer der Erkrankung ergibt, sofern auch der
Termin am 22.09.2010 aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrgenommen
werden könne. Diese Verfügung erging, nachdem der Kläger der gerichtlichen
Aufforderung vom 19.05.2010 nicht nachgekommen war, den Zeitpunkt der
voraussichtlichen Wiederherstellung seiner Verhandlungsfähigkeit mitzuteilen. Die
Verfügung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attestes hat das Gericht mit
Schreiben vom 16.09.2010 aus Anlass einer telefonischen Anfrage des Klägers
wiederholt und ihm zusätzlich aufgegeben, glaubhaft zu machen, dass die am
16.09.2010 telefonisch angekündigte Untersuchung in der „Gerinnungsambulanz“
am 22.09.2010 nicht verlegt werden kann. Ein amtsärztliches Attest hat der Kläger
nicht vorgelegt. Auch die Unmöglichkeit der Verlegung des ambulanten
Untersuchungstermins am 22.09.2010, zu der er mit Schreiben der Kerckhoff-Klink
vom 20.09.2010 eingeladen worden ist, hat er nicht glaubhaft gemacht. Auf die
am 21.09.2010 per Fax eingereichten Schreiben der Kerckhoff-Klinik und des S.S.
vom jeweils 20.09.2010 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung
sämtlicher von ihm gezahlter Steuerbeträge nebst Zinsen und eines
„Pauschalwerts für private Mehrwertsteuer“. Das FA hat seinen entsprechenden
Antrag rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Einwendungen des Klägers sind abwegig. Es
bestehen keine Zweifel, dass das GG auch nach dem Beitritt der ehemaligen DDR
zur Bundesrepublik Deutschland noch fortbesteht und als solches Grundlage für
die Verabschiedung von Steuergesetzen sein kann (BFH vom 28.04.2010 – VI B
167/09, BStBl. II 2010, 747). Nichts anderes gilt hinsichtlich der sonstigen vom
Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Hoheitsgewalt der Bundesrepublik
Deutschland. Es ist zwar zutreffend, dass das Deutsche Reich weder mit der
Kapitulation im Jahre 1945 noch aus Anlass der Ausübung fremder Staatsgewalt
durch die Alliierten untergegangen ist. Das Deutsche Reich besitzt Rechtsfähigkeit,
ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation nicht handlungsfähig. Die
Bundesrepublik Deutschland ist nicht „Rechtsnachfolger“ des deutschen Reiches,
sondern als Staat mit dem im Jahre 1871 gegründeten deutschen Staat identisch
bzw. (in Hinblick auf die räumliche Ausdehnung) teilidentisch (BVerfG vom
31.07.1973 – 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1). An dieser Subjektidentität hat sich durch
das Inkrafttreten des GG nichts geändert. Diese ist vielmehr durch das Festhalten
an der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 116 GG) und der damit verbundenen
Identität des Staatsvolkes als Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates
dokumentiert worden (BVerfG vom 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137
unter C. I. 3. b.). Selbst im Falle der Annahme der behaupteten
„Legitimationslücke“ seitens des Verfassungsgebers bzw. des Fehlens eines
plebiszitären Legitimationsaktes könnte dies nicht zur Folge haben, bis zum
Ergehen eines solchen Legitimationsaktes die tatsächliche Staatspraxis des
Erlasses von Gesetzen auf der Grundlage des GG außer Acht zu lassen und auf
deren Grundlage erlassene Vollzugsakte als rechtswidrig zu verwerfen (BFH vom
21.02.2002 – VII B 281/01, BFH/NV 2002, 952; BFH vom 28.04.2010 – VI B 167/09,
BStBl. II 2010, 747). Das Umsatzsteuergesetz als solches ist auch nicht aus
anderen Gründen nichtig. Es kann insbesondere dahinstehen, ob Teile des
Umsatzsteuergesetzes (z. B. § 27b UStG) gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs.
1 Satz 2 GG verstoßen, da dieser Umstand noch nicht zur Nichtigkeit des
gesamten Gesetzes führen würde (BFH vom 09.01.2009 – V B 23/08, BFH/NV
2009, 801).
Über die Klage war durch Urteil des nach dem Geschäftsverteilungsplan
zuständigen Einzelrichters zu entscheiden. Die Einwendungen des Klägers zur
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zuständigen Einzelrichters zu entscheiden. Die Einwendungen des Klägers zur
Befangenheit sämtlicher Spruchkörper des Hessischen Finanzgerichts sind
rechtsmissbräuchlich und als Ablehnungsgesuch i. S. v. § 51 FGO i. V. m. § 44 der
Zivilprozessordnung (ZPO) unzulässig (BFH vom 31.08.1999 – V B 53/97, BFH/NV
2000, 244). Einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch gesonderten
Beschluss nach § 51 FGO i. V. m. §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 ZPO bedurfte es insoweit
nicht (BFH vom 11.02.2003 – VII B 330/02, BStBl. II 2003, 422). Auf die
Ausführungen im Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung in
dem Verfahren 6 V 135/08 vom 03.03.2008 wird Bezug genommen. Eine
Legitimation des entscheidenden Gerichts nach Besatzungsrecht ist aus den oben
aufgeführten Gründen nicht erforderlich. Sie ergibt sich aus den allgemeinen
Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Deutschen Richtergesetzes,
des Hessischen Richtergesetzes und der Finanzgerichtsordnung.
Für eine erneute Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nach § 155
FGO i. V. m. § 227 ZPO bestand kein Anlass. Nach Aufhebung des aus kurzfristig
vorgebrachten Gesundheitsgründen beanstandeten Termins am 20.05.2010 ist
der Kläger der gerichtlichen Verfügung vom 19.05.2010, die voraussichtliche Dauer
und die Beseitigung seiner angeblichen Verhandlungsunfähigkeit mitzuteilen, nicht
nachgekommen. Auch der Auflage, für den Fall der weiteren gesundheitsbedingten
Verhinderung ein amtsärztliches Attest vorzulegen, ist er nicht nachgekommen.
Die kurz zuvor ausgestellte und zur Begründung des Verlegungsantrags vom
21.09.2010 vorgelegte Bescheinigung der Klinik über einen am 22.09.2010
vorgesehenen Termin zur ambulanten Untersuchung war zur Aufhebung des
Termins zur mündlichen Verhandlung am 22.09.2010 folglich ebenso wenig
ausreichend wie das vorgelegte Attest des S.S.. Hat das Finanzgericht vom Kläger
für den Fall eines erneuten Verlegungsantrags die Vorlage eines amtsärztlichen
Attestes verlangt und kommt der Kläger dem nicht nach, so ist ein erheblicher
Verlegungsgrund i. S. d. § 155 FGO i. V. m. § 227 ZPO regelmäßig nicht glaubhaft
gemacht (BFH vom 21.04.2008 – XI B 206-207/07, BFH/NV 2008, 1191). Dessen
ungeachtet hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass die privatärztlich
bescheinigten Untersuchungen und Maßnahmen bezüglich seiner
Unterschenkelvenenthrombose unaufschiebbar waren. Die vom Kläger beantragte
Anordnung der Verfahrensruhe nach § 155 FGO i. V. m. § 251 ZPO kam ebenfalls
nicht in Betracht, da die erforderliche Zustimmung des FA fehlt und ein wichtiger
Grund, der ein Ruhen des Verfahrens zweckmäßig erscheinen lassen könnte, nicht
erkennbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.