Urteil des FG Hamburg vom 07.09.2012

FG Hamburg: geschlossene bauweise, aufschiebende wirkung, grundstück, treu und glauben, baulinie, befreiung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, einstellung der bauarbeiten, genehmigung

1
--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
1. Setzt ein hamburgischer Baustufenplan die geschlossene Bauweise fest, bezieht sich diese auf alle auf
dem Grundstück verwirklichten Hauptnutzungen. Eine (Tiefen-)Beschränkung der geschlossenen Bauweise
auf eine straßenparallele Randbebauung besteht nicht.
2. Die Fortgeltung von § 13 Abs. 1 Satz 3 BPVO begegnet Bedenken im Hinblick auf eine Wahrung des
rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 2. Senat, Beschluss vom 07.09.2012, 2 Bs 165/12
§ 11 Abs 1 Spalte 3 BPVO, § 13 Abs 1 S 3 BPVO
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 21. Juni 2012 wie folgt inhaltlich geändert:
Auch hinsichtlich der Häuser 4 – 6 wird der Antrag der Antragsteller zu 3. - 4. auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Baugenehmigung vom 12. Januar 2012 und den
Änderungsbescheid vom 14. März 2012 abgelehnt.
Der Antrag des Antragstellers zu 2. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche
gegen die Baugenehmigung vom 12. Januar 2012 und den Änderungsbescheid vom 14. März 2012
wird auch hinsichtlich der Häuser 5 und 6 abgelehnt.
Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers zu 2. bleibt nur angeordnet, soweit
diese Genehmigungen das dort genannte Haus 4 betreffen. Insoweit werden die Beschwerden der
Antragsgegnerin und der Beigeladenen zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im
erstinstanzlichen Verfahren tragen die Antragsteller zu 3. und 4. gesamtschuldnerisch ein weiteres Sechstel,
der Antragsteller zu 2. trägt ein weiteres Neuntel und die Antragsgegnerin und die Beigeladenen – letztere
gesamtschuldnerisch – jeweils 1/36. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 3. und 4. aus dem
erstinstanzlichen Verfahren tragen diese selbst, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 2. aus
dem erstinstanzlichen Verfahren tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladenen – letztere
gesamtschuldnerisch – zu je 1/12. Den verbleibenden Teil ihrer außergerichtlichen Kosten aus dem
erstinstanzlichen Verfahren tragen die Beteiligten jeweils selbst.
Soweit bereits das Verwaltungsgericht die Anträge der Antragsteller abgelehnt hatte, verbleibt es bei der
Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts.
3. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller zu 2. zu 1/3, die Antragsteller zu 3.
und 4. – letztere gesamtschuldnerisch – zur Hälfte und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladenen – letztere
gesamtschuldnerisch – zu je 1/12. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 2. im
Beschwerdeverfahren tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladenen – letztere gesamtschuldnerisch – zu je
1/6. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen und der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren tragen
der Antragsteller zu 2. zu 1/3 und die Antragsteller zu 3. und 4. – letztere gesamtschuldnerisch – zur Hälfte.
Den verbleibenden Teil ihrer außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst.
4. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Antragsgegnerin und die Beigeladenen gegen einen Beschluss des
Verwaltungsgerichts Hamburg, mit dem dieses die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller
zu 2. - 4. gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung dreier miteinander
verbundener sogenannter Stadthäuser im Blockinnenbereich angeordnet hat.
2
3
4
5
6
Die Beigeladenen sind Eigentümer eines nach Norden ausgerichteten Grundstücks St.-Str. 89, das ausweislich
des Baustufenplans Stellingen-Langenfelde vom 7. September 1951, erneut festgestellt am 14. Januar 1955
(Amtl. Anz. S. 61), wie der gesamte Baublock zwischen den angrenzenden Straßen als Mischgebiet mit
dreigeschossiger, geschlossener Bauweise („M 3 g“) ausgewiesen ist. Für das Gebiet gilt darüber hinaus der
Fluchtlinienplan für die Gemarkung Stellingen-Langenfelde aus dem Jahr 1911, der zuletzt im November 1926
bestätigt worden ist.
Das ca. 65 m tiefe Grundstück der Beigeladenen war vor dem Erlass des Baustufenplans zunächst mit einem
in offener Bauweise errichteten zweigeschossigen Vorderhaus zur Wohnnutzung und einer rückwärtigen im
Blockinnenbereich teilweise an die östliche Grundstücksgrenze angebauten eingeschossigen Werkstatt bebaut
worden. Auf dem westlichen Nachbargrundstück der Antragsteller zu 3. und 4., St.-Str. 87, befinden sich ein in
offener Bauweise errichtetes zweigeschossiges Vorderhaus, eine an der Grenze zu den Beigeladenen
errichtete eingeschossige Werkstatt sowie ein weiteres zweigeschossiges Werkstattgebäude im hinteren
Grundstücksbereich. Das ca. 60 m tiefe Grundstück des Antragstellers zu 2., St.-Str. 91, das östlich an das
Grundstück der Beigeladenen angrenzt, ist an der Straße mit einem viergeschossigen, in geschlossener
Bauweise errichteten Wohnhaus mit Satteldach bebaut, in dem sich eine Tordurchfahrt befindet. In zweiter
Baureihe liegt auf dem Grundstück nördlich eines asphaltierten Hofs eine in geschlossener Bauweise errichtete
eingeschossige Kfz-Werkstatt mit Büro, dahinter in dritter Baureihe ein in offener Bauweise errichteter
zweigeschossiger Schuppen. Das östlich hiervon liegende Grundstück St.-Str. 99 ist ebenfalls mit einem in
geschlossener Bauweise errichteten viergeschossigen Vorderhaus bebaut und besitzt dahinter einen
Hofbereich, in dem sich auch ein eingeschossiges, begrüntes Tiefgaragendach befindet. In zweiter Baureihe
liegt, angrenzend an die rückwärtige Bebauung des Grundstücks des Antragstellers zu 2. ein
zweigeschossiges Werkstattgebäude mit Büro und Lager, dahinter wiederum ein offener Bereich. Nördlich des
Grundstücks des Antragstellers zu 2. befindet sich im Blockinnenbereich - in West-Ost-Richtung liegend - das
von der H.-Straße erschlossene Grundstück der im erstinstanzlichen Verfahren als Antragstellerin zu 1.
beteiligten Eigentümerin. Dieses Grundstück ist mit einem in offener Bauweise errichteten ca. 33 m langen und
8 m hohen eingeschossigen Wohngebäude mit Satteldach bebaut.
Am 12. Januar 2012 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Bebauung
des Grundstücks St.-Str. 89 mit drei an der Fluchtlinie orientierten, dreigeschossigen Stadthäusern mit
zusätzlichem Staffelgeschoss in geschlossener Bauweise (Haus 1 – 3) sowie für drei im Blockinnenbereich,
unmittelbar an der östlichen Grenze zum Grundstück des Antragstellers zu 2. zu errichtende, miteinander
verbundene, dreigeschossige Stadthäuser (Haus 4 – 6) in zweiter Baureihe. Die parallel zur Straße liegenden,
5,20 m tiefen Querriegel der Häuser 4 – 6 sollen dreigeschossig und die 7 m tiefen Verbindungsbauten
zwischen diesen Querriegeln zweigeschossig errichtet werden. Zur Straßenrandbebauung auf dem Grundstück
der Beigeladenen besteht ein Abstand von ca. 7 m. Die unmittelbar an der Grundstücksgrenze liegende 29,6 m
lange Gebäudewand wurde als fensterlose Brandwand genehmigt. Sie schließt teilweise an die 13 m lange
grenzständige Brandwand der eingeschossigen Werkstatt auf dem Gebäude des Antragstellers zu 2. an und
grenzt davor auf einer Länge von ca. 12 m an den offenen Hof dieses Grundstücks zwischen dem Vorderhaus
und der Werkstatt sowie dahinter an den unbebauten Grundstücksbereich an. Genehmigt wurden zudem
Dachterrassen auf den Häusern 4 - 6, die einen Abstand von zwei Metern zur östlichen Grundstücksgrenze
aufweisen. Gegenüber dem Grundstück der Antragsteller zu 3. und 4. wird durch die Häuser 4 - 6 in offener
Bauweise der bauordnungsrechtliche Mindestabstand gewahrt. Hinsichtlich der Abweichung von der
geschlossenen Bauweise erteilte die Antragsgegnerin eine Befreiung, ebenso für das Überschreiten der
zulässigen bebaubaren Fläche um 0,03 auf 0,53. Ferner erteilte die Antragsgegnerin u.a. eine Befreiung „für die
Überschreitung der hinteren Baulinie durch die Errichtung von zwei- bis dreigeschossigen Wohnhäusern als
Hinterbebauung in zweiter Reihe“.
Mit Änderungsbescheid vom 14. März 2012 genehmigte die Antragsgegnerin u.a. die Verlängerung des
dreigeschossigen Baukörpers in Haus 5 um 1,5 m nach Westen, die Verkleinerung der Terrassen der Häuser 4,
5 und 6 sowie die Erschließung der Dachterrassen der dreigeschossigen Gebäudeteile durch außenliegende
Spindeltreppen.
Gegen die Baugenehmigung vom 12. Januar 2012 und den Änderungsbescheid vom 14. März 2012 legten die
Antragsteller zu 2. - 4. Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist. Sie haben beim
Verwaltungsgericht ebenso wie die dort als Antragstellerin zu 1. geführte Eigentümerin mit ihrem gegen das
gesamte Bauvorhaben gerichteten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer jeweiligen
Widersprüche und auf Einstellung der Bauarbeiten insbesondere geltend gemacht, der dreigeschossige,
übermächtige Gebäuderiegel im Blockinnenbereich verletze Nachbarrechte aus § 34 Abs. 1 BauGB sowie den
Gebietsprägungsanspruch. Es gebe bisher nur eine kleinteilige, eingeschossige Blockinnenbebauung, die auch
dem Willen des Plangebers entspreche.
7
8
10
11
12
13
14
9
Mit Beschluss vom 21. Juni 2012 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung der
Widersprüche der Antragsteller zu 2. – 4. bezüglich der Errichtung der Häuser 4 - 6 angeordnet und deren
Antrag im Übrigen und den Eilantrag der Antragstellerin zu 1. insgesamt abgelehnt. Zur Begründung hat es
ausgeführt:
Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstoße bezüglich der Häuser 4 - 6 gegen die nachbarschützende
Vorschrift der §§ 6 Abs. 5, 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO, da ein Abstand von 2,50 m zur Grundstücksgrenze des
Antragstellers zu 2. einzuhalten sei. Die Festsetzung der geschlossenen Bauweise im Baustufenplan
Stellingen-Langenfelde beziehe sich ausweislich der Vorstellungen des Plangebers und der bei seinem Erlass
geltenden Vorgaben zur zulässigen Bautiefe der Vordergebäude und zur Bebaubarkeit der Blockinnenbereiche
nur auf das Vorderhaus, das allein grenzständig errichtet werden dürfe. Dem Antragsteller zu 2. könne auch
nicht wegen seiner eigenen Grenzbebauung in zweiter Baureihe ein treuwidriges Verhalten vorgehalten werden,
da er sein Hintergebäude an ein zuvor errichtetes Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen angebaut
habe. Hinzu komme, dass sich die Antragsteller zu 2.- 4. auf die Verletzung des Gebietsprägungsanspruchs
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO berufen könnten. Die Eigenart der Umgebung sei nach den Vorstellungen
des Plangebers allein durch eine straßenparallele dreigeschossige Randbebauung geprägt. Auf dieses Recht
dürfe sich jedoch wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben die Antragstellerin zu 1. nicht berufen, da das
auf ihrem Grundstück in zweiter Baureihe errichtete Wohngebäude ebenfalls tief in den Baublock hineinreiche.
Ob das Rücksichtnahmegebot verletzt sei, könne somit offen bleiben.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin.
II.
Klarstellend weist das Beschwerdegericht darauf hin, dass die Antragstellerin zu 1. des erstinstanzlichen
Verfahrens nicht Beteiligte des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist. Ihr gegenüber ist der in vollem Umfang
ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. Juni 2012 formell rechtskräftig geworden, da
sie nicht innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 VwGO Beschwerde eingelegt hat. Streitgegenstand des
Beschwerdeverfahrens ist allein die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Widersprüche der Antragsteller zu 2. – 4. gegen die Baugenehmigung vom 12. Januar und der
Änderungsgenehmigung vom 14. März 2012 bezüglich der Häuser 4 – 6. Die im Namen der Antragstellerin zu
1. geltend gemachten inhaltlichen Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung gehen ins Leere.
III.
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen sind teilweise begründet. Beide haben mit ihren
Beschwerdebegründungen berechtigte Zweifel an den entscheidungserheblichen Annahmen des
Verwaltungsgerichts dargelegt (1.). Die dadurch dem Beschwerdegericht eröffnete - durch § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO nicht länger beschränkte - Prüfung ergibt, dass der noch streitbefangene Teil des Antrags des
Antragstellers zu 2. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen die
Baugenehmigung vom 12. Januar 2012 und die Änderungsgenehmigung vom 14. März 2012 gemäß §§ 80a, 80
Abs. 5 Satz 1 VwGO nur teilweise begründet (2.) und dass der gleichlautende Antrag der Antragsteller zu 3.
und 4. in vollem Umfang abzulehnen ist (3.).
1. Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen rügen sachlich zu Recht, dass das Verwaltungsgericht den
Baustufenplan hinsichtlich der räumlichen Reichweite der geschlossenen Bauweise zu eng ausgelegt und die
grenzständige Bauweise im hinteren Grundstücksbereich deshalb für rechtswidrig gehalten habe. Auch die
gleichfalls tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, ein Gebietsprägungsanspruch der Antragsteller zu 2.-
4. nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO werde durch die Genehmigung der rückwärtigen Bebauung verletzt, wird
durch die Beschwerdebegründungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zutreffend in Zweifel gezogen.
2. Der Aussetzungsantrag des Antragstellers zu 2. ist gemäß §§ 80a, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur teilweise
begründet, weil die danach gebotene Interessenabwägung ergibt, dass sein Suspensivinteresse an einer
Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung (siehe § 212a Abs. 1 BauGB) das Interesse
der Beigeladenen an einem sofortigen Baubeginn nur bezüglich des Hauses 4 überwiegt. Der Widerspruch des
Antragstellers zu 2. hat nach summarischer Prüfung nur insoweit Aussicht auf Erfolg, da die angefochtene
Baugenehmigung bezüglich der rückwärtigen Bebauung durch die Häuser 5 und 6 ihn voraussichtlich nicht in
seinen subjektiven Rechten verletzt dürfte (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a. Die nach Osten geschlossene Bauweise der im Blockinnenbereich gelegenen Häuser 4 – 6 verstößt nicht
gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 71 Abs. 2 Nr. 1 HBauO. Eine Abstandsfläche zum
15
16
17
18
19
Nachbargrundstück ist nach § 6 Abs. 1 Satz 3 HBauO nicht einzuhalten, wenn nach den (vorrangigen)
planungsrechtlichen Bestimmungen an der Grenze gebaut werden muss. Dies ist hier der Fall. Die in den
zeichnerischen Festsetzungen des Baustufenplans Stellingen-Langenfelde enthaltene Bestimmung der
geschlossenen Bauweise ist nicht auf Teile der Grundstücke im Baublock beschränkt. Sie erstreckt sich
zeichnerisch auf die gesamten Grundstücksflächen der mit „g“ markierten Grundstücke und setzt damit
planungsrechtlich fest, dass an den seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden muss. Inhaltlich bezieht
sich diese Festsetzung jedenfalls auf die Hauptnutzungen.
Die im angefochtenen Beschluss vertretene Rechtsauffassung, die geschlossene Bauweise sei im
Baustufenplan nur für die straßenparallele Randbebauung festgesetzt, nicht aber für Hauptnutzungen in zweiter
Baureihe, ist unzutreffend.
Eine derartige einschränkende Auslegung, die das Verwaltungsgericht maßgeblich aus dem
Regelungszusammenhang der Baupolizeiverordnung vom 8. Juli 1938 und zuvor geltender ortsrechtlicher
Regelungen herleitet, ist unter Berücksichtigung der bundesrechtlichen Anforderungen des § 173 Abs. 3
BBauG an die Überleitung vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes erlassener Bebauungspläne nicht
zulässig.
Sie ist nicht mit dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichender Bestimmtheit und Normenklarheit der
Festsetzungen vereinbar. Bereits aus der Rechtsnatur, dem Sinn und dem Zweck der Bebauungspläne ergibt
sich das Bedürfnis nach Bestimmtheit und Normenklarheit planerischer Festsetzungen, zumal diese den Inhalt
des Grundeigentums sowohl für die unmittelbar von der Festsetzung betroffenen Flächen als auch mittelbar für
die ihnen benachbarten Flächen bestimmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.1973, BVerwGE 42, 6 f.; OVG
Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, 2 Bs 146/12, juris; Beschl. v. 4.5.2009, NordÖR 2009, 308; Urt. v. 30.4.2008,
NordÖR 2008, 404, 405). Dies gilt sowohl für die zeichnerischen Darstellungen und die Erläuterungen hierzu als
auch für die textlichen Fassungen. Für die Planbetroffenen muss erkennbar und vorhersehbar sein, welche
Festsetzungen für welche Flächen gelten und unter welchen Voraussetzungen eine generell zulässige
Bebauung gleichwohl im Einzelfall unzulässig ist (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, a.a.O.). Vor diesem
Hintergrund sind historische Erwägungen zum Verständnis des Plangebers nicht geeignet, die Reichweite der
Festsetzung der geschlossenen Bauweise entgegen der zeichnerischen Ausweisung einzuschränken. Denn der
jeweilige Planungswille spielt nur insoweit eine Rolle, wie er in den Festsetzungen des Plans unter
Berücksichtigung einer hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist (OVG Hamburg, Beschl.
v. 4.5.2009, NordÖR 2009, 308 und Beschl. v. 16.4.2012, 2 Bs 66/12).
Soweit das Verwaltungsgericht aus den Bemerkungen zu Spalte 4, Satz 3 – 5 der Baustufentafel zu § 11 Abs.
1 BPVO zur Unterbrechung der allseitig geschlossenen Umbauung der Baublocks ableitet, dass dem
Plangeber für eine geschlossene Bauweise nur eine randständige geschlossene Bebauung vor Augen
gestanden habe, sind diese Erwägungen nicht geeignet, eine räumliche Beschränkung der festgesetzten
geschlossenen Bauweise auf vordere Grundstücksteile zu tragen. Sie sind nicht in geltendes Planungsrecht
übergeleitet. Denn die genannten Bemerkungen der Sätze 3 und 4 der Baustufentafel in § 11 Abs. 1 BPVO
werden dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht gerecht. Sie richten sich nicht an den Plangeber, sondern an die
Bauaufsichtsbehörde und überlassen es dieser ohne jedwede Vorgabe zu bestimmen, wo die Baureihe
unterbrochen werden und die festgesetzte geschlossene Bauweise der offenen Bauweise weichen soll (OVG
Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, a.a.O.). Sie ließen auch im Übrigen nicht den Schluss zu, die Festsetzung der
geschlossenen Bauweise erfasse generell den rückwärtigen Grundstücksbereich hinter einer straßenparallelen
Randbebauung nicht.
Die nicht übergeleiteten bauordnungsrechtlichen Vorschriften zur zulässigen Bautiefe eines Gebäudes, die zum
Zeitpunkt der Planerstellung gültig waren, sind nicht für die heutige, am Bestimmtheitsgrundsatz orientierte
Auslegung der Festsetzungen im Baustufenplan relevant, auch wenn sie das Verständnis des Plangebers in
den Jahren 1951 und 1955 von der Bebaubarkeit der Grundstücke mitbestimmt haben mögen (vgl. OVG
Hamburg, Beschl. v. 16.4.1996, Bs II 130/96, juris). Denn die BPVO ist nur mit ihren planungsrechtlichen
Vorschriften als Bestandteil der Bebauungspläne nach den Regelungen des BBauG übergeleitet worden. Als
Bebauungspläne i.S.v. § 30 BBauG/BauGB müssen die übergeleiteten Baustufenpläne unter Berücksichtigung
der Grundsätze des Bundesrechts ausgelegt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.8.1996, BVerwGE 101, 364 ff.;
OVG Hamburg, Urt. v. 14.12.2005, 2 Bf 124/03). Anderenfalls würden diese nicht übergeleiteten
bauordnungsrechtlichen Bestimmungen als Auslegungshilfe für planerische Festsetzungen entgegen der
gesetzlichen Überleitungsbestimmungen des § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG und des § 117 Abs. 3 Nr. 23 HBauO
1969 weiterhin Anwendung finden, obwohl das geltende Bauordnungsrecht inzwischen andere Regelungen
enthält.
20
21
22
23
24
25
Auch aus dem übergeleiteten § 14 Abs. 1 BPVO, wonach die Errichtung und Veränderung baulicher Anlagen in
mehr als 15 m Tiefe hinter der vorderen Baulinie untersagt werden kann, lässt sich nicht ableiten, inwieweit
Gebäude, sofern sie im hinteren Grundstücksbereich zulässig sind, in geschlossener oder offener Bauweise
errichtet werden sollen. Diesbezügliche Regelungen enthält die Vorschrift nicht. Dasselbe gilt für § 13 Abs. 1
BPVO, wonach die Vorderseite eines Gebäudes an der Bau- oder Straßenlinie zu errichten ist. Beide
Vorschriften betreffen die Bebaubarkeit eines Grundstücks in Bezug auf die Lage der Gebäude im Verhältnis
zur vorderen bzw. hinteren Grundstücksgrenze, nicht aber die offene oder geschlossene Bauweise, die sich auf
die seitlichen Grundstücksgrenzen bezieht (OVG Hamburg, Beschl. v. 10.2.2012, 2 Bs 245/11, juris). Dass
diese Vorschriften der BPVO eine zu dichte Bebauung der Blockinnenbereiche verhindern sollten, und sich
diese Gefahr auch durch eine Blockinnenbebauung in geschlossener Bauweise realisieren könnte, bietet keinen
Anlass, ihnen über den Wortlaut hinaus einen Regelungsgehalt bezüglich der Bauweise einer etwaigen
Blockinnenbebauung zu entnehmen.
Schließlich können auch die vom Plangeber vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des
Planerlasses keine die getroffenen Festsetzungen beschränkende oder aushebelnde Auslegung der
Ausweisungen rechtfertigen, da sie nicht in den Festsetzungen aufgenommen worden sind und anderenfalls
dem Grundsatz der Normenklarheit nicht entsprochen werden würde.
b. Entgegen der Auffassung der Antragsteller und des Verwaltungsgerichts verletzt das Vorhaben der
Beigeladenen die Antragsteller nicht in ihrem Anspruch auf Erhaltung der typischen Prägung des Baugebiets in
entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Die Vorschrift greift nur ein, wenn ein im
Baugebiet seiner Art nach allgemein zulässiges Vorhaben genehmigt wird, obwohl es im Einzelfall nach
Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Die Eigenart des
Baugebiets ergibt sich dabei aus seiner allgemeinen Zweckbestimmung, den sonstigen Festsetzungen des
Bebauungsplans und dem Planungswillen (soweit dieser in den Festsetzungen des Bebauungsplans unter
Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist) sowie der örtlichen
Situation, in die ein Gebiet „hineingeplant“ worden ist. Auf die tatsächlich vorhandene Bebauung kommt es
dagegen grundsätzlich nicht an (siehe OVG Hamburg, Beschlüsse v. 4.5.2009, a.a.O. und v. 5.6.2009,
NordÖR 2009, 310, 312). § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO stellt dabei kein Instrument dar, um das in einem Plan
festgesetzte Maß der baulichen Nutzung zu ergänzen und zu korrigieren. Die Vorschrift dient allein der
Bewahrung der Art der baulichen Nutzung.
Die Auffassung der Antragsteller, dass das Baugebiet durch eine kleinmaßstäbliche hintere Bebauung im
Blockinnenbereich geprägt sei, zu der die dreigeschossigen, großvolumigen, tief in den Baublock
hineinragenden und an der Grundstücksgrenze zu errichtenden Häuser 4 - 6 der Beigeladenen in einem
augenfälligen Widerspruch stünden, vermag hiernach einen Verstoß gegen den Gebietsprägungsanspruch nicht
zu begründen. Denn die Antragsteller stellen damit auf die gegenwärtig vorhandene Bebauung ab, die insoweit
grundsätzlich unbeachtlich ist. Die maßgeblichen Festsetzungen des Baustufenplans und des Fluchtlinienplans
lassen dagegen nicht erkennen, dass diese dem Baugebiet eine besondere Prägung dahingehend vermitteln,
eine dreigeschossige Bebauung in zweiter Baureihe im konkreten Blockinnenbereich solle ausgeschlossen
sein. Insbesondere enthält der Baustufenplan nicht die in anderen Baustufenplänen anzutreffende Festsetzung,
dass der Blockinnenbereich von jeglicher Bebauung freizuhalten ist (vgl. z.B. Baustufenplan
Harvestehude/Rotherbaum vom 6.9.1955 und Baustufenplan Eppendorf vom 14.1.1955). Darüber hinaus ist ein
Mischgebiet typischerweise durch das Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungsarten gekennzeichnet, die
unterschiedliche Formen baulicher Anlagen benötigen und deshalb das Innere eines Baublocks auch in
unterschiedlicher Tiefe beanspruchen können. Auch die Fortgeltung der festgesetzten Fluchtlinien hatte bei
Erlass der BPVO im Jahr 1938 und bei Erlass des Baustufenplans im Jahr 1951 bzw. 1955 nicht zur Folge,
dass keine zweite Baureihe errichtet werden durfte. Zwar sollten nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BPVO die
Vorderseiten der Gebäude grundsätzlich an der vorgeschriebenen Baulinie errichtet werden. Jedoch stand dem
Plangeber bei Erlass des Baustufenplans vor Augen, dass die zuständige Behörde hiervon nach § 13 Abs. 1
Satz 3 BPVO für Hauptnutzungen im Blockinnenbereich im Einzelfall Abweichungen gestatten konnte, ohne
dass diese Abweichungen grundsätzlich auf Gebäude niedrigerer Geschosszahlen beschränkt waren. Hinzu
kam die regelhafte Zulässigkeit der Errichtung von Nebenanlagen im hinteren Grundstücksbereich gemäß § 14
Abs. 1 BPVO (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 10.2.2012, a.a.O.; Urt. v. 29.8.1963, MDR 1964, 704 f.), deren
Maße die BPVO ebenfalls nicht begrenzt hat.
c. Die Genehmigung der Blockinnenbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen ist jedoch bezüglich des
Hauses 4 im Blockinnenbereich rücksichtslos und verletzt die Rechte des Antragstellers zu 2.
Die Antragsgegnerin hat im Bescheid vom 12. Januar 2012 zutreffend erkannt, dass für die Genehmigung einer
zweiten Baureihe für die Wohnbebauung als Hauptnutzung nach bauplanungsrechtlichen Vorgaben im
26
27
28
29
Fluchtlinienplan in Verbindung mit § 13 Abs. 1 BPVO die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB
erforderlich ist. In diesem Sinne ist die unter 1.3 des Baugenehmigungsbescheids vom 12. Januar 2012 erteilte
„Befreiung für die Überschreitung der hinteren Baulinie durch die Errichtung von zwei- bis dreigeschossigen
Wohnhäusern als Hinterbebauung in zweiter Reihe“ zu verstehen. Denn die Errichtung einer zweiten Baulinie
durch die Wohnhäuser 4 – 6 ist nach dem geltenden Planungsrecht unzulässig, da gemäß dem Fluchtlinienplan
in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 BPVO die Vorderseite der Gebäude (der Hauptnutzung) in der
vorgeschriebenen Baulinie (hier Fluchtlinie) zu errichten ist; eine hintere Baulinie existiert dagegen nicht.
Die Genehmigung der Häuser 4 – 6 im Blockinnenbereich wäre auch nicht im Wege der Ausnahme nach § 13
Abs. 1 Satz 3 BPVO zulässig gewesen. Danach konnte die zuständige Behörde im Einzelfall Abweichungen
von der Baulinie gestatten, ohne dass dies ausdrücklich an weitere Voraussetzungen gebunden ist. Die
Überleitung einer nicht an tatbestandliche Voraussetzungen geknüpften Abweichung von der vorderen Baulinie
in § 13 Abs. 1 Satz 3 BPVO begegnet jedoch ebenso wie die in § 13 Abs. 4 BPVO enthaltene Ausnahme von
hinteren oder seitlichen Baulinien (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 16.2.2011, 2 Bf 178/09.Z, juris) und der von
der Bauaufsichtsbehörde zu bestimmenden Unterbrechungen der geschlossenen Umbauung der Baublöcke in
den Sätzen 3 und 4 der Bemerkungen zu Spalte 4 der Baustufentafel in § 11 Abs. 1 BPVO (vgl. OVG
Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, a.a.O.) rechtsstaatlichen Bedenken im Hinblick auf das Gebot der
Bestimmtheit. Auch in § 13 Abs. 1 Satz 3 BPVO ist für den Betroffenen nicht erkennbar, unter welchen
Voraussetzungen eine generell zulässige Bebauung in zweiter Baureihe im Einzelfall unzulässig ist.
Voraussetzung der Überleitung bauplanungsrechtlicher Vorschriften der BPVO ist jedoch, dass die
übergeleiteten Vorschriften auch Inhalt eines Bebauungsplans nach dem BBauG/BauGB sein könnten
(BVerwG, Urt. v. 20.10.1972, DVBl. 1973 S. 42 f.; OVG Hamburg, Urt. v. 9.11.1995, a.a.O.). Gemäß § 31 Abs.
1 BauGB müssen Ausnahmen nach Art und Umfang ausdrücklich im Bebauungsplan bestimmt sein, was in §
13 Abs. 1 Satz 3 BPVO nicht der Fall ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.8.1996, BVerwGE 101, 364 ff.).
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die
Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern
(Nr. 1) oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu
einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Hinsichtlich des Nachbarschutzes im
Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden
Festsetzungen eines Bebauungsplans oder von nichtdrittschützenden Festsetzungen befreit wird. Weicht ein
Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, hat der Dritte einen
Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB
(grundlegend BVerwG, Beschl. v. 8.7.1998, NVwZ-RR 1999, 8; siehe auch Urt. v. 23.8.1996, BRS 58 Nr. 159;
VGH München, Beschl. v. 3.2.2012, 14 CS 11.2284, juris m.w.N.).
Für eine Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen ist nichts ersichtlich. Die Festsetzung der vorderen
Baulinie in der St.-Str. im Fluchtlinienplan der Gemarkung Stellingen-Langenfelde dient allein der
städtebaulichen Ordnung der Bebauung entlang der Straßen und nicht dazu, den rückwärtigen Raum dort
gelegener Grundstücke im Interesse der Grundstückseigentümer als Ruhezone zu schützen. Bereits
objektivrechtlich schloss diese Festsetzung nach der BPVO von 1938 eine Bebauung im rückwärtigen Bereich
im Wege der nicht an Voraussetzungen geknüpften Ausnahmeentscheidung nicht aus. Nachbarschützende
Wirkungen von Baulinien und Baugrenzen waren dem Plangeber zum Zeitpunkt des Erlasses des
Fluchtlinienplanes wie des Baustufenplans fremd. Baulinien und Baugrenzen sind selbst nach § 23 BauNVO
nicht kraft Bundesrechts grundsätzlich nachbarschützend (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.10.1989, BVerwGE 82, 343,
344). Auch § 13 Abs. 1 BPVO entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (deshalb) keinen
Nachbarschutz (OVG Hamburg, Beschl. v. 19.7.1999, 2 Bs 204/99, juris).
Bei der Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans hat der Nachbar
lediglich ein subjektiv öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen; unter welchen
Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben zu
beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15
Abs. 1 Satz 2 BauNVO entwickelt hat (BVerwG vom 8.7.1998 a.a.O.). Für den Nachbarn bedeutet das, dass er
ein Bauvorhaben, für das eine Befreiung erteilt wurde, in diesem Fall nur dann mit Erfolg angreifen kann, wenn
dieses ihm gegenüber rücksichtslos ist. Ob das der Fall ist, erfordert eine Abwägung der Schutzwürdigkeit des
Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung, der Interessen des Bauherrn und dessen, was beiden Seiten
billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot besteht nicht bereits
dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer rechtmäßigen Befreiung objektiv nicht erfüllt sind; eine
subjektive Verletzung nachbarlicher Rechte ist erforderlich. Andererseits haben die Interessen des planwidrig
handelnden Bauherrn tendenziell ein geringeres Gewicht als bei der Beurteilung einer plankonformen Bebauung
30
31
32
33
nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (BVerwG, Urt. v. 6.10.1989, BVerwGE, 82, 343; Urt. v. 5.8.1982, BVerwGE
67, 334; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.8.2011, NordÖR 2012, 84 und Beschl. v. 28.7.2009, NordÖR 2010, 72
m.w.N.).
Ob die erteilte Befreiung von § 13 Abs. 1 Satz 1 BPVO für die Häuser 4 – 6 objektiv rechtmäßig, insbesondere
gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich noch vertretbar ist, bedarf im Hinblick hierauf keiner
Entscheidung; Maßstab ist allein die Wahrung des Rücksichtnahmegebots bei der erteilten Befreiung. Ein
Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dürfte zwar hinsichtlich der Häuser 5 und 6 noch zu verneinen sein;
die Befreiung verstößt jedoch bezüglich des abteilbaren Hauses 4 gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Bei der zur Wahrung des Rücksichtnahmegebots gebotenen Interessenabwägung kann nicht isoliert auf die
Errichtung eines Bauvorhabens in zweiter Baureihe abgestellt werden; maßgeblich sind auch die weiteren
konkreten Umstände des Einzelfalls, also hier die Lage der zugelassenen zweiten Baulinie, die geschlossene
Bauweise und die Zwei- bzw. Dreigeschossigkeit der Gebäude. In einem Mischgebiet - auch nach der BPVO -
mit dreigeschossiger, geschlossener Bauweise ist ein Grundstückseigentümer im Hinblick auf die
Nachbarbebauung zwar weniger schutzwürdig als in einem Wohngebiet mit geschützten Ruhe- und
Erholungszonen, die konkret auf dem Hof des Grundstücks des Antragstellers zu 2. nicht existieren. Auch
muss ein Grundstücksnachbar, der - wie der Antragsteller zu 2. - entgegen dem Planungsrecht selbst in
zweiter Baureihe an die Grundstücksgrenze gebaut hat, dem Grundsatz von Treu und Glauben folgend
hinnehmen, dass der Nachbar dort anbaut (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 10.1.2000, 2 Bs 3/00, juris). Darüber
hinaus ist es nicht grundsätzlich als rücksichtslos gegenüber dem Nachbarn anzusehen, wenn ein in
geschlossener Bauweise zu errichtendes Gebäude nicht vollständig deckungsgleich mit dem Bestandsgebäude
des Nachbarn genehmigt wird. Mit der festgesetzten geschlossenen Bauweise ist es typischerweise
verbunden, dass grenzständige Bauten auf benachbarten Grundstücken in ihrer Lage nicht vollständig
übereinstimmen. Schließlich muss in städtischen Gebieten jeder Grundstückseigentümer grundsätzlich
hinnehmen, dass sein Grundstück und die darauf befindlichen Gebäude zu gewissen Tageszeiten von
Gebäuden in der Nachbarschaft verschattet werden und dass Nachbarn das Grundstück einsehen können
(OVG Hamburg, Beschl. v. 13.7.2012, 2 Bs 142/12, a.a.O.).
Daher dürften die von den Häusern 5 und 6 im Blockinnenbereich für das Grundstück des Antragstellers zu 2.
ausgehenden Beeinträchtigungen noch nicht das Maß der Rücksichtslosigkeit erreichen, obwohl durch ihre
Genehmigung die vordere Baulinie der rückwärtigen Zweitbebauung deutlich dichter als bei den bisherigen
Bestandsbauten in zweiter Reihe an die Blockrandbebauung herangeführt wird. Die Tiefe von 7,50 m, mit der
beide Häuser jeweils über die auf dem Grundstück des Antragstellers zu 2. vorhandene rückwärtige Bebauung
hinausreichen und die um 1 – 2 Geschosse größere Höhe als dessen Gebäude in zweiter Baureihe haben für
die Nutzung seines Grundstücks noch keine unzumutbaren Auswirkungen, zumal der vor die bisherige Baulinie
hervortretende Teil des Haus 5 hier überwiegend nur zweigeschossig ist. Die zusätzliche Verschattung in den
späteren Nachmittags- und Abendstunden durch die Häuser 5 und 6 betrifft überwiegend die eingeschossige
Kfz-Werkstatt, wo sie keine wesentlichen Beeinträchtigungen hervorruft. Die vorhandene Zweitbebauung
verhindert in diesem Grundstücksbereich auch den Eindruck der Abriegelung.
Demgegenüber entstehen durch die Genehmigung des Hauses 4 gewichtige Beeinträchtigungen des
Grundstücks des Antragstellers zu 2., die nicht auch bei einer plangemäßen Bebauung typischerweise
eintreten würden. Denn mit der Genehmigung des dreigeschossigen Hauses 4 lässt die Antragsgegnerin ein
weiteres Vorrücken der (neuen) vorderen Baulinie der rückwärtigen Zweitbebauung zu, die auf die
vorgefundenen nachbarlichen Verhältnisse keinerlei Rücksicht mehr nimmt und deshalb über das im Wege der
Befreiung von den planerischen Festsetzungen Zumutbare hinausgeht. Sie würde zu einer bis auf 6 m an die
vorhandene Blockrandbebauung vorgezogenen Baulinie führen, die in ihren Wirkungen die Unterscheidbarkeit
zwischen einer Vorderbebauung und einer rückwärtigen Bebauung in zweiter Baulinie weitgehend entfallen
lässt, da die Tiefe der zulässigen Blockrandbebauung nicht auf die des vorhandenen Gebäudes des
Antragstellers zu 2. beschränkt ist. Unter Einbeziehung des Hauses 4 sähe sich der Antragsteller zu 2.
zukünftig einem insgesamt 29 m langen grenzständigen Gebäuderiegel gegenüber, der die Durchlüftung und
Belichtung seines Grundstücks zwischen den beiden Bebauungsreihen erheblich verschlechtert. Der
Antragsteller kann dem auch nicht durch eine eigene Neugestaltung seiner rückwärtigen Bebauung entgehen.
Denn eine eigene unmittelbar an das Haus 4 angrenzende vergleichbare Bebauung auf dem Grundstück des
Antragstellers zu 2., welche diese zweite Baulinie auf dem Grundstück der Beigeladenen aufgreifen würde,
scheidet aus, da schon der erforderliche bauordnungsrechtliche Mindestabstand zum vorhandenen,
plangemäßen Vorderhaus auf seinem Grundstück hierfür nicht ausreicht. Das Haus 4 würde auf diese Weise
maßgeblich dazu beitragen, dass auf dem Grundstück des Antragstellers zu 2. dauerhaft eine dem Baublock
bisher wesensfremde Hinterhofsituation entsteht, die das Gefühl des „Eingemauertseins“ hervorruft. Wenn - wie
hier - im Bereich der geschlossenen Bauweise grundsätzlich keine Zweitbebauung zulässig ist, kann dem
34
35
36
Nachbarn eine derartige grundlegende Änderung jedenfalls nicht im Wege der Befreiung zugemutet werden.
Der Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot durch die erteilte Befreiung vom Ausschluss einer rückwärtigen
Zweitbebauung für das Haus 4 der Beigeladenen gibt allerdings keinen Anlass, die aufschiebende Wirkung
hinsichtlich der gesamten rückwärtigen Bebauung der Beigeladenen aufrecht zu erhalten. Vielmehr ist die
Anordnung auf die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Genehmigung des Hauses 4 zu
beschränken. Zwar ist eine Baugenehmigung, die sich nicht auf mehrere selbständige Bauvorhaben erstreckt,
regelmäßig nicht teilbar. Sie kann jedoch dann teilweise aufgehoben werden, wenn die Teile, auf die sich die
Aufhebung bezieht, hinweggedacht werden können, ohne dass die übrigen Teile des Bauvorhabens
bautechnisch und funktionell diesem Zustand angepasst werden müssen (OVG Hamburg, Urt. v. 14.7.2008,
NordÖR 2008, 533, 535) und der Bauherr das Vorhaben notfalls selbst als teilbar ansieht (OVG Hamburg,
Beschl. v. 17.11.2011, 2 Bs 177/11, juris). Bei den Häusern 4 – 6 handelt es sich nach allen ersichtlichen
Planungsunterlagen um jeweils unabhängig voneinander zu nutzende Gebäude. Von einer Teilbarkeit der
Baugenehmigung hinsichtlich des Hauses 4 im Blockinnenbereich gehen die Beigeladenen ausweislich des im
Beschwerdeverfahren gestellten Hilfsantrags, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche auf das Gebäude
Nr. 4 zu beschränken, selbst aus.
3. Im Hinblick auf die Antragsteller zu 3. – 4. gelten die Ausführungen unter 2 a. und 2 b. in gleicher Weise.
Anders als bezüglich des Antragstellers zu 2. ist die Genehmigung der Häuser 4 – 6 auf dem Grundstück der
Beigeladenen unter Befreiung von der Festsetzung der Baulinie für die Gebäudevorderseite gemäß § 31 Abs. 2
BauGB dagegen nicht rücksichtslos. Denn bezüglich der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit den
Beigeladenen hat die Antragsgegnerin für die Errichtung der Häuser 4 – 6 im Blockinnenbereich zusätzlich vom
Gebot der geschlossenen Bauweise befreit. Die Häuser 4 - 6 halten den erforderlichen bauordnungsrechtlichen
Abstand nach § 6 Abs. 5 HBauO zum Grundstück der Antragsteller zu 3. und 4. ein. Werden die
bauordnungsrechtlichen Mindestabstände zur Grenze des Nachbargrundstücks gewahrt, scheidet in der Regel
eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen einer Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung oder
Besonnung oder wegen entstehender Einsichtsmöglichkeiten aus (OVG Hamburg, Beschl. v. 26.9.2007,
NordÖR 2008, 73, 74). In Bezug auf die gegenwärtige Bebauung scheidet eine Beeinträchtigung sonstiger
planungsrechtlich relevanter Belange der Antragsteller zu 3. und 4. auch deshalb aus, weil auf dem Grundstück
dieser Antragsteller nahezu auf gesamter Länge zum Grundstück der Beigeladenen eine grenzständige
eingeschossige Fortsetzung des Vordergebäudes in Form eines Werkstattanbaus vorhanden ist, dessen
Bestand und Nutzung tatsächlich und rechtlich nicht beeinträchtigt wird. Etwas anderes gilt auch nicht im
Hinblick auf eine nach dem Alter des Baubestands jedenfalls nicht fernliegende zukünftige Neubebauung des
Grundstücks der Antragsteller zu 3. und 4. Denn die Beigeladenen werden eine plangemäße Neubebauung in
geschlossener Bauweise, ggfs. auch mit einer rückwärtigen Zweitbebauung, ihrerseits nicht unter Hinweis auf
das Rücksichtnahmegebot und den Gedanken des § 22 Abs. 3 BauNVO verhindern können. Nachteilige
Wirkungen für ihre Häuser 5 und 6 würden sich allein daraus ergeben, dass sie ohne zwingende Erforderlichkeit
gegenüber dem Grundstück der Antragsteller zu 3. und 4. von der vorgeschriebenen geschlossenen Bauweise
abgewichen sind.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 und 2 VwGO. Dabei hat das
Beschwerdegericht die Kostenteilung wegen der Teilbarkeit der Baugenehmigung im Hinblick auf die jeweils
selbständigen Gebäude 4 bis 6 an deren Zahl orientiert und den Erfolg der Beschwerde mit zwei Dritteln des
Streitgegenstands bemessen. Gegenüber den Beigeladenen sowie gegenüber den Antragstellern zu 3. und 4.
kann aufgrund der bestehenden Miteigentumsverhältnisse am gesamten betroffenen Grundstück das streitige
Rechtsverhältnis nur einheitlich entschieden werden, so dass sie die ihnen auferlegten Kosten als
Gesamtschuldner tragen. Bei der Streitwertfestsetzung gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG für das
Beschwerdeverfahren war zu berücksichtigen, dass der Streitgegenstand sich auf die Genehmigung der
rückwärtigen Bebauung beschränkt hat und der Antragsteller zu 1. nicht mehr Verfahrensbeteiligter ist.