Urteil des FG Hamburg vom 05.02.2013

FG Hamburg: juristische person, grundstück, kindergarten, öffentliche aufgabe, wirtschaftliche tätigkeit, werk, unterhaltung, evangelische kirche, religiöse erziehung, ratio legis

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Grunderwerbsteuer: Kirchlicher Kindergarten kann Betrieb gewerblicher Art sein
1. Für einen Aufgabenübergang i. S. des § 4 Nr. 1 GrEStG genügt es, wenn die konkret auf dem veräußerten
Grundstück ausgeübte öffentlich-rechtliche Aufgabe auf den Erwerber übergeht. Ein derartiger
Aufgabenübergang liegt vor, wenn eine Kirchengemeinde die Trägerschaft für einen kirchlichen
Kindergarten auf einen Kirchenkreis überträgt.
2. Ein von einem kirchlichen Träger in Hamburg betriebener Kindergarten ist ein Betrieb gewerblicher Art.
Rev., Az.: II R 11/13
FG Hamburg 3. Senat, Urteil vom 05.02.2013, 3 K 74/12
§ 4 Nr 1 GrEStG, § 4 Abs 1 KStG, § 4 Abs 5 KStG, Art 140 GG, Art 137 Abs 3 WRV, Art 137 Abs 5 WRV
Tatbestand
A. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Übertragung eines für einen Kindergarten genutzten
Grundstücks von einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde auf den Kläger nach § 4 Nr. 1
Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) grunderwerbsteuerfrei ist.
I.
1. Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde A (im Folgenden: Kirchengemeinde) war Eigentümerin des in
der X-Straße in Hamburg-A belegenen Grundstücks. Das Grundstück war mit einer Kapelle, der ... Kapelle, mit
angegliedertem Gemeindehaus und einem Pastorat bebaut. In dem Verbindungsbau zwischen dem
Gemeindehaus und dem Pastorat mit einer Fläche von ca. 40 qm befand sich ein evangelischer Kindergarten
("Ev. Kindergarten B") mit 22 Betreuungsplätzen. Die in dem Kindergarten betreuten Kinder nutzten die
sanitären Anlagen des Gemeindehauses und das nicht aufgeteilte Außengelände auf dem Grundstück mit.
2. Der Rechtsvorgänger des Klägers, der Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis C gründete ein rechtlich
unselbständiges Werk, das Evangelische Kindertagesstättenwerk C (Kita-Werk). Die Ordnung des Kita-Werks
vom ... 2007 (Grunderwerbsteuerakten -GrEStA- Bl. 36 ff.) enthielt u. a. folgende Regelungen:
§ 2 Zweck
Zweck des Kita-Werks ist es,
a. Für die Kindertagesstättenarbeit im Kirchenkreis die Rahmenbedingungen zu gestalten und für deren
Qualität zu sorgen,
b. die Träger der Kindertagesstätten in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung vor Ort zu unterstützen,
c. die Arbeit der Kindertagesstätten durch Übernahme des finanziellen Risikos abzusichern,
d. die Personalverantwortung (Anstellung, Entlassung und Entwicklung) im Zusammenwirken mit den
Trägern und Leitungen der Kindertagesstätten wahrzunehmen,
e. die Kooperation der Träger untereinander und mit dem Kita-Werk fortzuentwickeln und zu fördern,
f. den Kirchenkreis und seine Kindertagesstättenträger gegenüber kirchlichen, diakonischen und
staatlichen Stellen und gegenüber der Öffentlichkeit in allen Belangen der Kindertagesstättenarbeit zu
vertreten.
(...)
§ 4 Austritt aus dem Kita-Werk
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(1) Ein Träger kann seinen Austritt aus dem Kita-Werk schriftlich mit einjähriger Frist zum Ende eines
Kalenderjahres erklären.
(...)
§ 7 Trägerversammlung
(1) Der Trägerversammlung gehören an
a. als Vertreter der Träger je ein Mitglied pro Kindertagesstätte, das vom Kirchenvorstand oder dem
sonstigen Leitungsorgan des Trägers aus seiner Mitte gewählt wird, (...)
(...)
§ 10 Aufgaben der Trägerversammlung
Die Trägerversammlung hat folgende Aufgaben:
a. Sie entscheidet über die Grundlagen der Kindertagesstättenarbeit im Kirchenkreis und legt die Ziele
dieser Arbeit fest.
b. Sie wählt die Mitglieder des Vorstandes.
(...)
c. Sie kann Anträge und Anregungen an den Vorstand des Kita-Werkes und an den Kirchenkreisvorstand
richten.
(...)
§ 12 Aufgaben der Träger
(1) Die Träger nehmen ihre Verantwortung vor Ort wahr. Dazu gehören insbesondere
a. die Erarbeitung und Aktualisierung der Kita-Konzeption in Umsetzung des gemeinsamen Leitbildes,
b. die pädagogische, religionspädagogische und interkulturelle Gestaltung der Kita-Arbeit gemeinsam mit
der Kita-Leitung,
c. die Pflege einer intensiven Einbeziehung der Kindertagesstätte in das Leben der Kirchengemeinde,
d. die Unterstützung der Kindertagesstätte in ihrem Orts- und Stadtteilbezug und in ihrer Eltern- und
Öffentlichkeitsarbeit,
e. die Unterhaltung der Gebäude und des Inventars, soweit dieses dem Kita-Werk zur Verfügung gestellt
wird,
f. die Errichtung, Angebotsveränderung oder Schließung von Kindertagesstätten (...).
(2) Die Träger wirken an Personalmaßnahmen des Kita-Werkes (...) mit.
(3) In Situationen, in denen sofortiges Handeln erforderlich ist, kann der Träger stellvertretend für das Kita-
Werk vorläufige Maßnahmen treffen. Diese sind der Geschäftsführung des Kita-Werkes unverzüglich
anzuzeigen."
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Mit Aufgabenübertragungsvertrag vom ... 2007 (Anlage K 5, Finanzgerichtsakten -FGA- Anlagenband) übertrug
die Kirchengemeinde rückwirkend zum ... 2007 die Personal- und Finanzverantwortung für den Kindergarten im
Wege der Auftragsverwaltung auf das Kita-Werk und trat diesem bei. In dem Vertrag war vereinbart, dass die
Arbeitsverhältnisse mit den in der Kindertagesstätte tätigen Mitarbeitern und alle sonstigen den Betrieb der
Kindertagesstätte betreffenden Verträge, die bestehenden Forderungen und Verbindlichkeiten, die
Verantwortlichkeit für die laufende Bauunterhaltung und Schönheitsreparaturen und das Eigentum am Inventar
auf das Kita-Werk übergehen sollten. Die Kirchengemeinde blieb aber Eigentümerin des Grundstücks und
vermietete dieses an das Kita-Werk. Für die religionspädagogische Arbeit und die theologische Ausrichtung der
Kindertagesstätte blieb die Kirchengemeinde verantwortlich. Der Kindergarten wurde in religionspädagogischer
Hinsicht weiterhin durch den Pastor der Kirchengemeinde betreut. Wegen des Inhalts dieser Arbeit wird auf die
vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 07.12.2012 überreichte Anlage A zum
Aufgabenübertragungsvertrag und auf die Konzeption des Kindergartens B Bezug genommen (FGA
Anlagenband) und wegen der weiteren Einzelheiten im Zusammenhang mit der Aufgabenübertragung auf den
Übertragungsvertrag die Ordnung des Kita-Werks.
In vergleichbarer Weise wurde mit den drei weiteren christlichen Kindertagesstätten an anderen Standorten im
Gebiet der Kirchengemeinde verfahren.
3. Da der Kindergarten nach Auffassung der Kirchengemeinde nur im Falle einer Erweiterung der
Betreuungskapazitäten und damit einhergehend auch des Gebäudes wirtschaftlich betrieben werden konnte
und die Kirchengemeinde nicht in der Lage war, diese Erweiterung selbst zu finanzieren, beschloss der Kläger,
den Kindergarten zu übernehmen und auf eigene Kosten zu erhalten und zu erweitern.
Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom ... 2011 (Anlage K 4, FGA Anlagenband) veräußerte die
Kirchengemeinde das in der X-Straße in Hamburg-A belegene Grundstück zum Preis von € 806.200,00 an den
Kläger.
In § 6 Abs. 4 des Kaufvertrages wurde Folgendes vereinbart:
"Es ist kirchengemeindliche Aufgabe nach § 7 Abs. 3 der Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-
Lutherischen Kirche (VerfNEK) durch die Unterhaltung von christlich geprägten Kindergärten die christliche
Gemeinschaft unter ihren Gliedern einschließlich deren Kindern zu fördern und die Kinder im christlichen
Glauben zu unterweisen sowie dem Nächsten und seinen Kindern in der Gemeinschaft zu dienen. Hierdurch
wird besonders der Dienst der Kirche in der Öffentlichkeit und Gesellschaft gefördert. Die Parteien sind darin
einig, dass zusammen mit dem Übergang des Eigentums am Grundstück die kirchliche Aufgabe der
Unterhaltung christlich geprägter Kindergärten für den Standort X-Straße und seines Einzugsgebietes in
Hamburg-A von der Kirchengemeinde (als Verkäuferin) auf den Kirchenkreis (als Käuferin) übergeht."
In § 10 des Vertrages heißt es weiter:
"Dem Verkäufer ist bekannt, dass der Käufer auf dem Vertragsgegenstand einen KITA-Neubau errichten will.
(...)".
4. Ebenfalls am ... 2011 schloss der Kläger als Vermieter mit der Kirchengemeinde als Mieterin einen
Mietvertrag über das auf dem veräußerten Grundstück befindliche Pastorat nebst Stellplatz (Anlage zum
Schriftsatz vom 16.01.2013, FGA Anlagenband). Das Pastoratsgebäude soll nach der Planung des Klägers
und der Kirchengemeinde jedenfalls bis zur Pensionierung des darin wohnenden Pastors erhalten bleiben.
Die ... Kapelle wurde Anfang 2012 entwidmet und zusammen mit dem Gemeindehaus und dem
Verbindungsbau abgerissen.
Die Baugenehmigung für den vom Kläger geplanten Kindergartenneubau wurde im ... 2012 erteilt. Wegen der
Lage und Größe des Neubaus und des Pastorats wird auf den dem Bauantrag beigefügten und vom Kläger in
der mündlichen Verhandlung am 07.12.2012 eingereichten Lageplan Bezug genommen (FGA Anlagenband).
Während der Baumaßnahmen war und ist der Kindergarten in einem provisorischen Bau auf dem Grundstück
untergebracht.
Die auf dem bisherigen Gemeindezentrum installierte Photovoltaikanlage wurde abgebaut und soll auf dem
neuen Kindergartengebäude wieder installiert werden. Der Netzeinspeisungsvertrag wurde auf den Kläger
übertragen.
5. Auf den Inhalt der Präambel und der Art. 1, 7, 25, 57 und 58 der Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-
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Lutherischen Kirche (-VerfNEK-; am 27.10.2012 aufgegangen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Norddeutschland -Nordkirche-) vom 12.06.1976, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.11.2009, wird Bezug
genommen (FGA Bl. 61 ff.).
II.
1. Der Beklagte setzte die Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks mit Bescheid vom 02.09.2011
auf € 36.279,00 fest.
2. Mit Schreiben vom 14.09.2011 legte der Kläger Einspruch gegen diesen Bescheid ein und wies zur
Begründung darauf hin, dass der Erwerb gemäß § 4 Nr. 1 GrEStG steuerfrei sei. Da nach Auffassung der
Kirchengemeinde ein wirtschaftlicher Betrieb des Kindergartens in der X-Straße nur im Falle einer
Kapazitätserweiterung möglich gewesen sei, die die Kirchengemeinde jedoch nicht habe finanzieren können,
habe er, der Kläger, beschlossen, das Grundstück und den Betrieb der Kindertagesstätte zu übernehmen und
die Kindertagesstätte zu erweitern. Während die Trägerschaft für den Kindergarten auch nach der
Aufgabenübertragung auf das Kita-Werk (Auftragsverwaltung gemäß § 58 VerfNEK) im Jahr 2007 noch bei der
Kirchengemeinde verblieben sei, sei die kirchliche Aufgabe der Unterhaltung christlich geprägter Kindergärten
für den Standort des dort bereits vorhandenen Kindergartens zusammen mit dem Grundstück gemäß Art. 57
VerfNEK von der Kirchengemeinde auf ihn, den Kläger, übergegangen und zu seiner öffentlichen Aufgabe i. S.
des Art. 25 VerfNEK geworden.
3. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 03.04.2012 als unbegründet zurück. Die
Aufgabe der Unterhaltung christlich geprägter Kindergärten habe der Kirchengemeinde sowohl vor als auch
nach der Grundstücksübertragung oblegen und sei somit nicht auf den Kläger übergegangen. Denn die
Trägerschaft für die übrigen drei Kindergärten sei bei der Kirchengemeinde verblieben.
III.
Der Kläger hat am 02.05.2012 Klage erhoben. Er trägt vor, die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach
§ 4 Abs. 1 GrEStG seien erfüllt. Sowohl die Kirchengemeinde als auch er selbst, der Kläger, seien juristische
Personen des öffentlichen Rechts (Art. 3 Abs. 2 VerfNEK, Art. 140 Grundgesetz -GG- i. V. m. Art. 137 Abs. 5
Weimarer Reichsverfassung -WRV-). Der Betrieb eines Kindergartens sei eine öffentliche Aufgabe im Sinne der
Befreiungsvorschrift. Der Betrieb des evangelischen Kindergartens in der ... Kapelle sei vollständig von der
Kirchengemeinde auf ihn, den Kläger, übergegangen. Dabei handele es sich nicht lediglich um eine bloße
Aufgabenabstimmung, sondern - im Gegensatz zu dem der Entscheidung des BFH vom 01.09.2011 (II R
16/10) zugrunde liegenden Fall - um eine intrakonfessionelle Aufgabenübertragung. Die bisher von dem in dem
nach wie vor auf dem Grundstück befindlichen Pastorat lebenden Pastor wahrgenommene
religionspädagogische Arbeit im Kindergarten werde in dem neuen Kindergarten künftig von einer Pastorin in
seinem, des Klägers, Auftrag durchgeführt. Das Konzept werde allerdings möglicherweise etwas geändert, weil
im Einzugsgebiet des Kindergartens viele Migranten lebten, die anderen Religionsgemeinschaften angehörten.
Für die Steuerbefreiung genüge wegen der maßgeblichen grundstücksbezogenen Betrachtungsweise ein
Übergang nur einer Aufgabe, deren Erfüllung das veräußerte Grundstück diene. Die Übertragung der
Trägerschaft für sämtliche von der Kirchengemeinde unterhaltenen Kindergärten sei dagegen ebenso wenig
erforderlich wie der Übergang sämtlicher auf dem Grundstück durchgeführten Aufgaben. Daher sei unschädlich,
dass die Pastoratsnutzung nicht auf ihn, den Kläger, übergegangen sei. Verlangte man einen Übergang auch
unwesentlicher Nebenaufgaben, stünde dies im Gegensatz zur ratio legis der Befreiungsvorschrift und
beinhaltete zudem einen unzulässigen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Der
Aufgabenübergang sei nicht Folge des Grundstückserwerbs, sondern das Grundstück sei aus Anlass des
Aufgabenübergangs übertragen worden.
Schließlich diene das Grundstück nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art (BgA). Bei kirchlichen
Kindergärten stehe - auch nach Auffassung der Finanzverwaltung - die pastorale Aufgabenwahrnehmung im
Vordergrund, die private Unternehmen nicht in gleicher Weise erfüllen könnten. Diese Tätigkeit diene nach dem
kirchlichen Selbstverständnis der Erfüllung ihres Verkündigungsauftrags und zähle damit zum öffentlichen
Bereich.
Der Kläger beantragt, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.09.2011 - betreffend das Grundstück X-Straße
in Hamburg-A- in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.04.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, für einen
Aufgabenübergang i. S. des § 4 Nr. 1 GrEStG genüge es nicht, dass die erwerbende Person mit der Nutzung
des Grundstücks in einem bestimmten örtlichen Bereich vergleichbare Aufgaben erfülle wie die übergebende
Person. Die Beurteilung der Steuerfreiheit sei aufgaben- und nicht grundstücksbezogen vorzunehmen. Die
öffentlich-rechtliche Aufgabe der Unterhaltung christlich geprägter Kindergärten sei nicht insgesamt von der
Kirchengemeinde auf den Kläger übergegangen, sondern nur für einen bestimmten örtlichen Bereich, nämlich
für die Kindertagesstätte am Standort X-Straße, und damit für nur eine von insgesamt vier Kindertagesstätten.
Aber selbst bei einer grundstücksbezogenen Betrachtung sei nicht von einem Aufgabenübergang auszugehen.
Von den vor der Grundstücksübertragung insgesamt vier auf dem Grundstück ausgeübten Aufgaben seien zwei
vor der Übertragung aufgegeben worden (Unterhaltung des Gemeindehauses und der Kirche). Die Unterhaltung
des Pastorats, in dem der nach wie vor für die Kirchengemeinde tätige Pastor wohne, sei als dritte Aufgabe
nicht übergegangen, sondern bei der Kirchengemeinde verblieben. Zudem sei der Kindergarten insgesamt neu
gebaut worden.
Schließlich diene das Grundstück überwiegend einem BgA. Dabei sei auch der Betrieb der Photovoltaikanlage
zu berücksichtigen.
Der Senat hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 04.09.2012 der Einzelrichterin übertragen, die ihn durch
Beschluss vom 12.12.2012 auf den Senat zurückübertragen hat.
Auf die Sitzungsniederschriften der mündlichen Verhandlungen vom 07.12.2012 (FGA Bl. 77 ff.) vor der
Einzelrichterin und vom 05.02.2013 (FGA Bl. 105 ff.) vor dem Senat wird Bezug genommen.
Dem Gericht hat ein Band Grunderwerbsteuerakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Der Beklagte hat die Übertragung des Grundstücks zu
Recht der Grunderwerbsteuer unterworfen.
1. Der Abschluss des Kaufvertrages über das Grundstück in der X-Straße ist ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG steuerbarer Erwerbsvorgang, weil hierdurch der Anspruch des Klägers auf Übereignung des
Grundstücks begründet wurde.
2. Dieser Vorgang ist nicht gemäß § 4 Nr. 1 GrEStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift ist von der Besteuerung
ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts (a.), wenn
das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben (b.) oder aus Anlass von
Grenzänderungen von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem
Betrieb gewerblicher Art dient (c.).
a. Zwar sind der Kläger und die Kirchengemeinde Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG
i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV.
b. Auch wurde das Grundstück aus Anlass des Übergangs öffentlich-rechtlicher Aufgaben von der
Kirchengemeinde auf den Kläger übertragen.
aa. Nach seinem aus dem Wortlaut ersichtlichen Sinn und Zweck soll § 4 Nr. 1 GrEStG den Wechsel des
Trägers einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe von Grunderwerbsteuer freihalten, sofern mit diesem
Trägerwechsel auch ein (rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher) Übergang des Eigentums an Grundstücken
verbunden ist. Ein "Übergang" von Aufgaben liegt nur vor, wenn die übernehmende juristische Person des
öffentlichen Rechts eben die Funktionen wahrnimmt, welche bisher die übergebende juristische Person
wahrgenommen hat (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 14; Pahlke/Franz, GrEStG, Kommentar, 4.
Aufl., § 4 Rz. 9, jeweils m. w. N.). Daher ist kein Übergang öffentlich-rechtlicher Aufgaben gegeben, wenn
juristische Personen des öffentlichen Rechts ihre Tätigkeiten aufeinander abstimmen, aber nach wie vor
dieselben Aufgaben haben (BFH-Urteil vom 17.05.1989 II R 98/86, BFH/NV 1990, 263).
bb. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 05.11.2009 (3 K 71/09, EFG 2010, 1154) einen Aufgabenübergang
angenommen, wenn ein Kirchengrundstück von einer Kirchengemeinde auf eine konfessionsverschiedene,
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ökumenisch verbundene Religionsgemeinschaft übertragen wird. Der BFH hat diese Entscheidung mit Urteil
vom 01.09.2011 aufgehoben (II R 16/10, BFHE 235, 182, BStBl II 2012, 148) und zur Begründung ausgeführt:
Da Religionsgemeinschaften je ihre eigenen Angelegenheiten wahrnähmen, verbleibe die Aufgabe der
Kirchengemeinde zur (konfessionsgebundenen) Abhaltung von Gottesdiensten und zur seelsorgerischen
Betätigung in einem derartigen Fall in vollem Umfang bei ihr und gehe weder ganz noch teilweise auf die
Erwerberin über. Allein der mit dem Grundstücksgeschäft verfolgte Zweck, den sakralen Charakter des
Kirchengebäudes durch eine weitere - wenn auch nunmehr konfessionsverschiedene - Nutzung für religiöse
Zwecke zu bewahren, begründe keinen Übergang einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe.
cc. Der Senat bleibt bei seiner im Urteil vom 05.11.2009 (3 K 71/09, EFG 2010, 1154) dargelegten Auffassung,
dass es für einen Aufgabenübergang i. S. des § 4 Nr. 1 GrEStG genügt, wenn (nur) die auf dem übertragenen
Grundstück ausgeübte Aufgabe übergeht, und kein abstrakter Übergang eines gesamten Aufgabenbereiches
erforderlich ist. Nach der Begründung der aufhebenden BFH-Entscheidung war die dortige
Konfessionsverschiedenheit von Veräußerer und Erwerber entscheidungserheblich und nicht die
Grundstücksbezogenheit eines etwaigen Aufgabenübergangs (so wohl auch Pahlke, BFH/PR 2012, 31; gegen
eine grundstücksbezogene Betrachtung möglicherweise Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 5/2012 Anm. 4,
die als Beispiel für einen Aufgabenübergang den Fall anführt, dass mehrere Kirchengemeinden
zusammengelegt und aus diesem Anlass Kirchengrundstücke auf eine Kirchengemeinde übertragen werden,
die danach das gesamte Gebiet der bisherigen Kirchengemeinden betreut). Zur Begründung der vom
erkennenden Senat weiterhin befürworteten grundstücksbezogenen Beurteilung des Aufgabenübergangs wird
zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Senatsurteil vom 05.11.2009 Bezug genommen
(3 K 71/09, EFG 2010, 1154).
dd. Im Streitfall wurde das Eigentum an dem Grundstück aus Anlass des Übergangs einer öffentlichen Aufgabe
übertragen.
aaa. Die Unterhaltung eines kirchlichen Kindergartens ist eine (kirchlich-) öffentlich-rechtliche Aufgabe (FG
München, Urteil vom 10.03.2004 4 K 2439/03, EFG 2005, 63).
bbb. Dass die Kirchengemeinde die Verwaltung des Kindergartens in der X-Straße bereits durch den Abschluss
des Aufgabenübertragungsvertrages vom ... 2007 auf den Kläger übertragen hatte (oben A.I.2.), steht der
Annahme eines Aufgabenübergangs nicht entgegen.
Zum einen ist ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Übergang der Aufgaben und dem
Übergang des Grundstücks nicht erforderlich (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 20). Es ist daher
unschädlich, dass die insgesamt mit dem Betrieb des Kindergartens verbundenen Aufgaben im Streitfall
sukzessive und beginnend in 2007 übertragen wurden. Zum anderen verblieben trotz des im Jahr 2007 mit dem
Beitritt zum Kita-Werk vollzogenen Übergangs der Verwaltung des Kindergartens weiterhin öffentlich-rechtliche
Aufgaben bei der Kirchengemeinde, die erst mit Abschluss des Grundstückskaufvertrages auf den Kläger
übertragen wurden. So ist die von der Kirchengemeinde bis zur Grundstücksveräußerung wahrgenommene
religionspädagogische Betreuung der in dem Kindergarten in der X-Straße betreuten Kinder eine (kirchlich-)
öffentlich-rechtliche Aufgabe einer Kirchengemeinde (vgl. Art. 7 Abs. 3 VerfNEK). Darüber hinaus handelte es
sich bei dem Beitritt zum Kita-Werk nicht um eine endgültige Aufgabenübertragung, sondern um die
Begründung einer Auftragsverwaltung gemäß Art. 58 VerfNEK (§ 3 Abs. 4 der Ordnung des Kita-Werks, oben
A.I.2.). Die Kirchengemeinde hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, ihren Austritt aus dem Kita-Werk zu
erklären (§ 4 der Ordnung) und die Verwaltung des Kindergartens wieder vollständig selbst zu übernehmen. Das
Rechtsverhältnis war daher mit einer Verpachtung vergleichbar (s. dazu unten c.hh.). Die Kirchengemeinde
blieb weiterhin Trägerin des Kindergartens und trug letztlich die Verantwortung für dessen Unterhaltung. Neben
der religionspädagogischen Betreuung der Kinder nahm die Kirchengemeinde die weiteren in § 12 der Ordnung
des Kita-Werks aufgeführten Aufgaben wahr und nahm außerdem als Mitglied der Trägerversammlung Einfluss
auf die Entscheidungen des Kita-Werks (§ 10 der Ordnung). Diese (kirchlich-) öffentlich-rechtliche Aufgabe der
Unterhaltung eines kirchlichen Kindergartens auf dem Grundstück in der X-Straße übertrug die
Kirchengemeinde erst gemäß § 6 Abs. 4 des Kaufvertrages (oben A.I.3.) auf den Kläger.
ccc. Wegen der gebotenen grundstücksbezogenen Betrachtung (oben cc.) führt der Umstand, dass die
Kirchengemeinde die Trägerschaft für die weiteren drei Kindergärten im Gemeindegebiet behielt, nicht zur
Annahme einer bloßen Aufgabenabstimmung zwischen Gemeinde und Kläger. Entscheidend ist vielmehr, dass
das übertragene Grundstück vor und nach der Übertragung und trotz des Neubaus durchgehend zum Betrieb
eines Kindergartens genutzt wurde.
ee. Die öffentlich-rechtliche Aufgabe wurde schließlich auch aus Anlass der Grundstücksveräußerung
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übertragen. Die Trägerschaft für den Kindergarten ging im unmittelbaren (zeitlichen, personen- und
aufgabenbezogenen, s. hierzu Senatsurteil vom 05.11.2009 3 K 71/09, EFG 2010, 1154) Zusammenhang mit
dem Grundstück auf den Kläger über.
c. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG sind im Streitfall allerdings deshalb
nicht erfüllt, weil das übertragene Grundstück überwiegend zum Betrieb einer Kinderbetreuungseinrichtung
genutzt wurde und wird und diese Einrichtung ein BgA ist.
aa. Mit der Beschränkung der Steuerbefreiung auf Grundstücke, die nicht überwiegend einem BgA dienen,
sollen Umstrukturierungen im gewerblichen Bereich der öffentlichen Hand denen in der Privatwirtschaft zur
Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gleichgestellt werden (Franz in Pahlke/Franz, GrEStG, 4. Aufl., § 4
Rz. 4, 14; Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 22).
bb. Da das GrEStG keine eigene Definition dieses Begriffes enthält, ist auf die Definition in § 4 Abs. 1
Körperschaftsteuergesetz (KStG) zurückzugreifen (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 23). BgA
sind danach alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen
außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen
Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Teilnahme am allgemeinen
wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.
cc. Zu den BgA gehören jedoch nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen
(Hoheitsbetriebe). Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen
Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung
spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken
dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung
verpflichtet ist. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die
Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine
Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht
wesentlich unterscheidet (BFH-Urteil vom 07.11.2007 I R 52/06, BFHE 219, 563, BStBl II 2009, 248). Lässt
sich eine Tätigkeit nicht klar dem hoheitlichen oder dem wirtschaftlichen Bereich zuordnen, ist nach § 4 Abs. 5
KStG auf die überwiegende Zweckbestimmung abzustellen. Eine überwiegend hoheitliche Zweckbestimmung
liegt nur vor, wenn die beiden Tätigkeitsbereiche derart ineinandergreifen, dass eine genaue Abgrenzung nicht
möglich oder nicht zumutbar ist, wenn also die wirtschaftliche Tätigkeit unlösbar mit der hoheitlichen Tätigkeit
verbunden ist und eine Art Nebentätigkeit im Rahmen der einheitlichen, dem Wesen nach hoheitlichen Tätigkeit
darstellt (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 24; Sauter in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 4 Rz. 52).
dd. Nach ihrem in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV verankerten Selbstbestimmungsrecht
ordnen und verwalten die Kirchen ihre Angelegenheiten - innerhalb der Schranken des für alle geltenden
Gesetzes - selbständig. Die korporierten Religionsgemeinschaften unterscheiden sich zwar grundlegend von
den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis.
Ihnen werden aber mit dem Körperschaftsstatus (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV) hoheitliche
Befugnisse bei der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung gewährt (BVerfG-Urteile vom
19.12.2000 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, NJW 2001, 429; vom 14.05.1986 2 BvL 19/84, BVerfGE 72,
278, NJW 1987, 427). Zu den verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben der kirchlichen Körperschaften des
öffentlichen Rechts gehören nicht nur Lehre, Seelsorge, Gottesdienst und Sakramentenspendung; dazu zählen
auch alle Tätigkeiten, zu denen diese Kirchen nach ihrem Selbstverständnis berufen sind, ein Stück Auftrags
der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen (BVerfG-Urteile vom 13.12.1983 2 BvL 13/82 u. a.,
BVerfGE 66, 1, BGBl I 1984, 486; vom 16.10.1968 1 BvR 241/66, BVerfGE 24, 236, NJW 1969, 31). Hierzu
gehören die religiöse Erziehung sowie Äußerungen zu Fragen des religiösen und weltanschaulichen Lebens
(BFH-Urteil vom 13.08.1986 II R 246/81, BFHE 147, 299, BStBl II 1986, 831).
ee. Die Religionsgesellschaften sind bei der selbständigen Ordnung ihrer Angelegenheiten jedoch an die
Schranken des für alle geltenden Gesetzes gebunden (Art. 140 GG i. V. m. mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV).
Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen und allgemeine Gesetze sowie ihre Durchsetzung durch die
staatlichen Gerichte stehen in einem Wechselverhältnis, dem durch entsprechende Güterabwägung Rechnung
zu tragen ist. Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirchen besonderes Gewicht beizumessen (BVerfG-
Beschluss vom 18.09.1998 2 BvR 1476/94, NJW 1999, 349). Aus der Bindung an das für alle geltende Gesetz
folgt aber, dass die Tätigkeit der Religionsgesellschaften auch bei Berücksichtigung des verfassungsrechtlich
geschützten weitgefassten kirchlichen Öffentlichkeitsauftrages in gleicher Weise wie alle anderen der
Besteuerung unterliegen, soweit nicht Sondervorschriften eingreifen (BFH-Urteile vom 18.10.1989 II R 209/83,
BFHE 159, BStBl II 1990, 190; vom 22.07.1987 II R 204/84, BFHE 150, 285, BStBl II 1987, 725; vom
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13.08.1986 II R 246/81, BFHE 147, 299, BStBl II 1986, 831).
ff. In Bezug auf kirchliche Einrichtungen ist ein Betrieb, der überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt
dient, i. S. des § 4 Abs. 5 KStG folglich ein Betrieb, der überwiegend der Erfüllung des Auftrags der öffentlich-
rechtlichen Religionsgemeinschaften dient, und damit nach dem kirchlichen Selbstverständnis v. a. dem
Verkündigungsauftrag (Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KStG, § 4 Rz. 109 "Religionsgemeinschaften des
öffentlichen Rechts"; Bott/Seite in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 257.1). Die Grenze zum BgA und damit zur
Steuerpflicht wird dort überschritten, wo die kirchliche Einrichtung mit ihren Angeboten und Leistungen in einen
privatwirtschaftlichen Wettbewerb tritt und der Bezug zum kirchlichen Verkündigungsauftrag demgegenüber
zurücktritt (z. B. bei kirchlich betriebenen Erholungsheimen oder Kantinen; Meier/Semelka in
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 KStG Rz. 140 "Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts").
gg. Der im Streitfall übertragene Kindergarten ist ein BgA.
aaa. Die Unterhaltung kirchlicher Kindergärten soll nach dem kirchlichen Selbstverständnis der religiösen
Bildung und Glaubenserziehung dienen (Schön, DStZ 1999, 701, m. w. N.). Daraus wird z. T. gefolgert, dass
sie dem öffentlichen Bereich zuzuordnen seien. Denn die mit dem religionspädagogischen Konzept verfolgten
Inhalte könnten nicht ohne weiteres von privatwirtschaftlichen Unternehmen verwirklicht werden, so dass
kirchliche mit anderen Kindergärten nicht in einem Wettbewerb stünden (Schön, DStZ 1999, 701, m. w. N.;
Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 KStG Rz. 140 "Kindergarten"; OFD Münster,
Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, S. 32, Anlage K 8, FGA Anlagenband; OFD
Niedersachsen, Vfg. vom 15.01.2013, FGA Bl. 100 f.).
bbb. Nach Auffassung des BFH sind von einer Kommune betriebene Kindergärten keine Hoheitsbetriebe,
sondern BgA. Zwar sei die Kindertagesbetreuung und deren bedarfsgerechter Ausbau eine öffentliche Aufgabe
der Daseinsvorsorge. Zu ihrer Erfüllung stünden aber neben öffentlichen, kirchlichen und freigemeinnützigen
Leistungsträgern gleichermaßen privatgewerbliche Anbieter zur Verfügung. Ausschlaggebend für die
Qualifikation als BgA sei allein, dass die jeweiligen Kindergarten- und Kindertagesstättenbetreiber unter den
entsprechenden fachlichen und personellen Voraussetzungen tatsächlich wie potentiell in gleicher oder
jedenfalls vergleichbarer Weise aufträten und ihr Angebot dem gleichen "Kundenkreis" anböten. Aus
steuerlicher Sicht könne es deswegen keinen Unterschied machen, ob eine (auch öffentliche) Aufgabe in
Gestalt eines Eigen- oder Regiebetriebs, eines BgA oder in einer privatrechtlichen Struktur wahrgenommen
werde. Hier wie dort komme es allein darauf an, ob die Aufgabenerfüllung einem öffentlichen Leistungserbringer
eigentümlich sei oder ob die Leistungen auch in einem wirtschaftlichen Wettbewerb erbracht würden. Die
besondere und verpflichtende Aufgabenlage, denen unmittelbar nur öffentliche Leistungserbringer unterworfen
seien, lasse den wirtschaftlichen Charakter der betreffenden Unternehmen ebenso wie solcher Mitbewerber,
welche den Grundversorgungsanforderungen nicht ausgesetzt seien, unberührt. Der Annahme der
erforderlichen Einnahmeerzielungsabsicht stehe nicht entgegen, dass die Kindergartenbeiträge nach sozialen
Gesichtspunkten gestaffelt und durch Verwaltungsakt festgesetzt würden (BFH-Urteil vom 12.07.2012 I R
106/10, BFH/NV 2012, 1896). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an. Auf die vom BFH
offen gelassene Frage der Gemeinnützigkeit kommt es im Bereich des Grunderwerbsteuerrechts, das keine
allgemeine Steuerbefreiung für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Einrichtungen vorsieht, nicht an.
ccc. Aus denselben Gründen ist auch ein kirchlicher Kindergarten unter den in Hamburg geltenden
Bedingungen und bei der im Steuerrecht grundsätzlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung als BgA zu
qualifizieren. Dem Einwand des Klägers und der in der Literatur und von der Verwaltung vertretenen
Auffassung, bei kirchlichen Kindergärten stehe im Gegensatz zu anderen Kindergärten die pastorale
Aufgabenwahrnehmung stets im Vordergrund, ist jedenfalls in Bezug auf die Verhältnisse in Hamburg nicht zu
folgen (vgl. Gosch, BFH/PR 2012, 401).
(1) Für die Qualifizierung als BgA kommt es nicht darauf an, dass die anderen Träger die religiöse Betreuung
nicht ebenfalls leisten könnten (s. oben aaa.). Da ein kirchlicher Kindergarten sowohl eine "hoheitliche" i. S.
einer pastoralen Aufgabe wahrnimmt als auch die wirtschaftliche Aufgabe der Tagesbetreuung von Kindern
gegen Entgelt und da beide Aufgaben unlösbar miteinander verbunden sind, kommt es für die Frage, ob ein
Hoheitsbetrieb vorliegt, darauf an, ob die wirtschaftliche Tätigkeit eine Art Nebentätigkeit im Rahmen einer
einheitlichen, dem Wesen nach hoheitlichen Tätigkeit darstellt (s. oben cc.). Bei der im Steuerrecht gebotenen
wirtschaftlichen Betrachtung nimmt die religiöse Betreuung der Kinder (gemäß Anlage A zum
Aufgabenübertragungsvertrag, FGA Anlagenband, oben A.I.2.) beispielsweise durch wöchentliche Andachten
keinen derart großen Raum ein und verursacht keinen derartigen Mehraufwand, dass die Kinderbetreuung
selbst nur eine Art Nebentätigkeit wäre. Aus Sicht der Eltern als Kunden des Kindergartens ist die
Tagesbetreuung ihrer Kinder vielmehr die Hauptleistung und -tätigkeit des Kindergartenträgers.
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In vergleichbarer Weise hindern, wie dargelegt, auch die zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen,
denen kommunale Kindergartenträger im Gegensatz zu allen anderen Trägern unterliegen, deren Einordnung
als BgA nicht.
(2) Entscheidend ist, dass auch die kirchlichen Kindergärten im wirtschaftlichen Wettbewerb zu den anderen -
kommunalen, freigemeinnützigen und privatgewerblichen - Trägern stehen und eine steuerliche Privilegierung
nur der kirchlichen Träger deshalb zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde, die von der Einschränkung in
§ 4 Nr. 1 GrEStG bzgl. der BgA gerade verhindert werden soll (s. oben aa.).
In Hamburg sind sowohl die von der Freien und Hansestadt Hamburg an die Träger der
Kinderbetreuungseinrichtungen gezahlten Kostenerstattungen als auch die von den Familien zu zahlenden
Eigenanteile für alle an das sog. "Kita-Gutscheinsystem" angeschlossenen Kinderbetreuungseinrichtungen
einheitlich festgelegt (vgl. §§ 7 ff., 21 Hamburger Kinderbetreuungsgesetz vom 27.04.2004, HmbGVBl. 2004,
211, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.06.2011, HmbGVBl. 2011, 271). Die kirchlichen Kindergärten
müssen daher nicht mehr von ihren Trägern in einem Umfang finanziell unterstützt werden, der eine
Wettbewerbssituation ausschließen könnte. Der mit der religiösen Betreuung der Kinder verbundene finanzielle
Aufwand ist nach Einschätzung des erkennenden Senats auch nicht wesentlich größer als der Aufwand
anderer Träger für spezielle, über die reine Betreuung der Kinder hinausgehende Angebote beispielsweise im
musikalischen oder sprachlichen Bereich oder der finanzielle Aufwand kommunaler Träger für die
Wahrnehmung besonderer sozialer Aufgaben.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die kirchlichen Kindergärten ihr Angebot an denselben "Kundenkreis"
richten wie die anderen Träger, weil sie auch Kinder anderer Konfessionen oder konfessionslose Kinder
annehmen (vgl. Konzeption des Kindergartens B, FGA Anlagenband).
Mit dem Angebot von Kinderbetreuungsplätzen für Kinder jeder Konfession zu einheitlich geregelten Preisen
begibt sich die evangelische Kirche in Hamburg daher in den Geltungsbereich des für alle geltenden
Steuergesetzes. Auch wenn man dem kirchlichen Selbstverständnis das verfassungsrechtlich gebotene
Gewicht beimisst, ließe sich die bei einer Steuerbefreiung nur der kirchlichen Träger eintretende
Wettbewerbsverzerrung hierdurch nicht rechtfertigen.
hh. Der Qualifikation des Kindergartens als BgA der Kirchengemeinde steht nicht entgegen, dass die
Kirchengemeinde die Verwaltung und damit den Betrieb des Kindergartens bereits im Jahr 2007 auf das Kita-
Werk übertragen hatte.
Nach § 4 Abs. 4 KStG gilt die Verpachtung eines BgA ebenfalls als BgA. In Fällen der Verpachtung eines BgA
durch eine Gemeinde ist daher darauf abzustellen, ob die Einrichtung bei der verpachtenden Gemeinde einen
BgA darstellen würde (BFH-Urteil vom 25.10.1989 V R 111/85, BStBl II 1990, 868; Viskorf in Boruttau,
GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 26 f.).
Auch wenn das Rechtsverhältnis zwischen der Kirchengemeinde und dem Kläger vor der
Grundstücksübertragung nicht als Pachtverhältnis vereinbart und bezeichnet wurde, ist die genannte Vorschrift
sinngemäß anwendbar. Die Kirchengemeinde überließ dem Kläger den Betrieb des Kindergartens im Wege der
Auftragsverwaltung und erhielt als Gegenleistung Mietzahlungen. Wenn der Kindergarten, entsprechend der
vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung, aber ein BgA ist, ist dieses Rechtsverhältnis der
Verpachtung des BgA gleichzustellen.
Davon abgesehen ist für die Beurteilung, ob das Grundstück überwiegend von einem BgA genutzt wird, auf die
Zeit nach der Grundstücksübertragung abzustellen (s. nachfolgend ii.). Der Kläger betreibt den Kindergarten
seitdem aber insgesamt selbst.
ii. Das Grundstück dient auch überwiegend einem BgA.
aaa. Wann eine überwiegende Nutzung für einen BgA vorliegt, ist im Einzelfall in erster Linie nach dem
Verhältnis der von der jeweiligen Nutzung in Anspruch genommenen Grundstücksfläche oder Nutzfläche eines
Gebäudes zu beurteilen (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl., § 4 Rz. 29). Nach Auffassung des
erkennenden Senats ist dabei vorrangig auf die Nutzung nach der Grundstücksübertragung abzustellen. Das
ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut ("dient") und daraus, dass der Grundstückserwerber bei einem
Grundstückskauf die Grunderwerbsteuer gemäß § 13 Nr. 1 GrEStG auch - und nach den vertraglichen
Vereinbarungen im Innenverhältnis regelmäßig sogar allein - schuldet, so dass sich eine Befreiung vorrangig
auf das Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Erwerber und dessen Konkurrenten auswirken würde.
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bbb. Nach der Grundstücksübertragung dient das streitgegenständliche Grundstück überwiegend dem neu zu
errichtenden Kindergarten, der eine deutlich größere Nutzfläche aufweisen und eine größere Grundstücksfläche
beanspruchen wird als das Pastorat (s. Lageplan, FGA Anlagenband; oben A.I.4.).
ccc. Im Verhältnis dazu fällt die Übernahme der Stromerzeugung mit der Photovoltaikanlage, die ebenfalls als
BgA zu qualifizieren ist (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 22.03.2010 16 K 11189/08, EFG 2010, 1263),
durch den Kläger nicht entscheidend ins Gewicht.
II.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
2. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.