Urteil des FG Hamburg vom 26.03.2014

FG Hamburg: bekleidung, angestellter, leistungsfähigkeit, nettoeinkommen, beruf, einkünfte, privatsphäre, wohnung, anwendungsbereich, steuerrecht

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Business-Kleidung ist keine typische Berufskleidung
Das Tragen von Business-Kleidung ist der allgemeinen Lebensführung i. S. d. § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen, weil es auch dem
menschlichen Bedürfnis nach Bekleidung Rechnung trägt und eine private Nutzungsmöglichkeit bei gelegentlichen
besonderen privaten Anlässen, objektiv nicht ganz oder jedenfalls nicht nahezu ausgeschlossen werden kann.
FG Hamburg 6. Senat, Urteil vom 26.03.2014, 6 K 231/12
§ 9 EStG, § 12 EStG
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen des Klägers für seine beruflich
genutzte Kleidung als Werbungskosten abziehbar sind.
Der Kläger ist seit ... bei der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg
zugelassener Rechtsanwalt. Er ist seit ... 2011 angestellter Rechtsanwalt einer
internationalen tätigen Wirtschaftsrechtssozietät. ....
In der Zeit von April bis Dezember 2011 erwarb der Kläger fünf Anzüge, zwölf Hemden,
drei Hosen und zwei Paar Schuhe im Gesamtwert von 3.830,95 € wie folgt:
ESt-Akten Bl. Rechnungsdatum Artikel Anzahl
Preis
16
21.07.2011
Anzug 1
661,00 €
21
19.09.2011
Anzug 1
534,40 €
20
26.09.2011
Anzug 1
542,40 €
5
6
7
8
9
10
11
14
03.06.2011
Anzug 1
353,00 €
14
03.06.2011
Anzug 1
374,00 €
11
27.04.2011
Hemd 1
69,90 €
15
23.06.2011
Hemd 1
69,00 €
18
05.10.2011
Hemd 1
71,20 €
23
05.12.2011
Hemd 1
89,00 €
13
09.05.2011
Hemd 1
49,95 €
11
28.04.2011
Hemd 2
139,80 €
19
26.09.2011
Hemd 2
126,40 €
12
21.04.2011
Hemd 1
69,90 €
17
21.07.2011
Hose 1
102,00 €
22
28.11.2011
Hose 2
341,00 €
12
21.04.2011
Schuhe 1
119,00 €
12
20.04.2011
Schuhe 1
119,00 €
Summe 3.830,95 €
In seiner Einkommensteuererklärung für 2011 machte er bei seinen Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit Werbungskosten u. a. für Berufskleidung in Höhe von 1.278 €
geltend. Diesen Betrag hatte der Kläger unter Berücksichtigung von Anschaffungskosten
in Höhe von 3.830,95 € und einer dreijährigen Nutzungsdauer ermittelt.
Mit Bescheid vom 13.06.2012 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2011 auf ... €
fest. Dabei berücksichtigte er Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von ... €.
In den Erläuterungen zur Festsetzung führte der Beklagte aus, dass Aufwendungen für
Bekleidung nicht als Werbungskosten abziehbar seien, weil es sich nicht um typische
Berufskleidung handele.
Am 09.07.2012 legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom
27.09.2012 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Am 29.10.2012 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor:
Die Aufwendungen für die streitgegenständliche Kleidung stellten Werbungskosten dar.
Er, der Kläger, habe die Aufwendungen für die Business-Garderobe zwecks Erwerbung
von Einnahmen getätigt. Sie seien in zeitlich engem Zusammenhang mit dem Beginn
seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt im Anschluss an die Unterzeichnung des
Anstellungsvertrages im ... 2011 und der Aufnahme seiner Tätigkeit im ... 2011 erfolgt.
Diese Ausgaben seien durch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgrund der Erwartungen
und Gepflogenheiten hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes angestellter
Rechtsanwälte in internationalen Anwaltssozietäten auch veranlasst gewesen.
Es handele sich um Aufwendungen für Arbeitsmittel und damit um Werbungskosten i. S.
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des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Unter Berücksichtigung
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Urteilen vom 10.11.1989 VI R
159/86 und vom 09.03.1979 VI R 171/77 stelle die streitgegenständliche Kleidung
berufstypische, nämlich anwaltstypische Kleidung dar.
Diese anwaltstypische Berufskleidung werde als selbstverständlich vorausgesetzt. Das
Tragen dieser Kleidung sei üblicher Standard in internationalen
Wirtschaftsrechtssozietäten und spiegele die Erwartung der Mandanten an das äußere
Erscheinungsbild von Rechtsanwälten wider. Die (anwalts-) adäquate Kleidung solle der
Position des Rechtsanwalts Ausdruck verleihen und seiner Tätigkeit den von den
Mandanten erwarteten äußeren Rahmen geben. Dem Anwalt einer internationalen
Anwaltssozietät sei es nicht möglich, seiner beruflichen Tätigkeit in Freizeitkleidung
nachzugehen. So sei bei der Internetpräsenz internationaler Rechtsanwaltssozietäten
ohne weiteres ersichtlich, dass ein jeder (männliche) Anwalt auf den dort gezeigten
Bildern mit Anzug, Anzughemd und Krawatte zu sehen sei. Dieses sei die übliche und
typische Berufskleidung. Die berufliche Verwendungsbestimmung dieser Kleidung
komme auch durch ihre Unterscheidungsfunktion zum Ausdruck; durch sie grenzten sich
die angestellten Rechtsanwälte vom nichtjuristischen Personal der Sozietät ab.
Auch heute noch gelte für vor Gericht auftretende Rechtsanwälte - neben der Robenpflicht
- eine gewohnheitsrechtliche Pflicht zum Tragen einer "Amtstracht", die ein weißes Hemd
mit weißem Langbinder erfordere. Diese standesrechtliche Pflicht sage viel darüber aus,
welches (äußerliche) Auftreten von einem Anwalt allgemein erwartet werde.
Die verfahrensgegenständliche Bekleidung erfülle in seinem, des Klägers, Fall nahezu
ausschließlich die Funktion als Berufskleidung; eine private Nutzung sei so gut wie
ausgeschlossen. Es sei nicht üblich, Anzüge als normale bürgerliche Kleidung zu tragen.
Es komme nur ausnahmsweise vor, dass im privaten Kontext Anzug getragen werde,
nämlich bei besonders festlichen Anlässen wie Hochzeiten, Konfirmationen etc.; diese
kämen typischerweise ein bis drei mal im Jahr vor.
Ein Bürger, der im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht darauf angewiesen sei,
Anzug zu tragen, besitze regelhaft allenfalls ein bis zwei Anzüge. Es sei unüblich, für
solche Anlässe eine größere Anzahl (etwa bis sieben) vorzuhalten. Deshalb sei es kaum
möglich, überhaupt hinreichend viele private Anlässe zu finden, um bei den
beschriebenen Umständen jeden Anzug im Durchschnitt auch nur mehr als ein einziges
Mal zu tragen. So seien die verfahrensgegenständlichen Anzüge nahezu ausschließlich
für die berufliche Verwendung bestimmt.
Ähnliches gelte für die Anzughemden, die sich in Schnitt und Musterung/Farbgebung
wesentlich von den Freizeithemden unterschieden. Diese in größerer Zahl (mehr als 20)
zu privaten Anlässen zu tragen, sei weder üblich noch möglich.
Aufwendungen für nicht typische Berufskleidung i. S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG seien
nicht notwendigerweise Teil der allgemeinen Lebensführung, sondern könnten
gleichwohl Werbungskosten darstellen. Denn der Wortlaut gebe die äußere Grenze der
möglichen Auslegung vor; ihm komme bei der Gesetzesauslegung außerordentlich
großes Gewicht zu. Die Nennung der typischen Berufskleidung in der vorgenannten
Vorschrift sei nur beispielhaft für jede Art denkbarer Arbeitsmittel und schließe nicht die
Berücksichtigung von Aufwendungen für untypische Berufskleidung aus.
§ 9 Abs. 1 EStG definiere in S. 1 allgemein die Werbungskosten, die in S. 3 - nicht
abschließend - näher spezifiziert würden. Die verfahrensgegenständliche Kleidung sei
ohne weiteres als ein Arbeitsmittel im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG zur Ausübung
des Anwaltsberufs in einer internationalen Sozietät anzusehen; mehr noch erfüllten diese
Aufwendungen die Definition der Werbungskosten in § 9 Abs. 1 S. 1 EStG.
Eine andere Auslegung bewirke einen Verstoß gegen das (verfassungsrechtliche)
objektive Nettoprinzip. Danach dürften die zur Erzielung von Einnahmen verwendeten
Ausgaben des Steuerpflichtigen abgezogen werden. Nur das nach Abzug der
erwerbsbedingten Aufwendungen verbleibende Nettoeinkommen stehe dem
Steuerpflichtigen zur freien Verfügung; eine Unterscheidung nach typischer oder
untypischer Berufskleidung treffe das objektive Nettoprinzip dabei nicht. Es komme allein
darauf an, ob die Kleidung als der allgemeinen Lebensführung i. S. d. § 12 Nr. 1 S. 3
EStG zugehörig anzusehen sei; das sei im Streitfall nicht gegeben.
Der Gesetzgeber dürfe das objektive Nettoprinzip nur aus gewichtigen Gründen
einschränken. Das sei im Streitfall nicht geschehen; bei korrekter Anwendung der
Regelungen des Einkommensteuergesetzes seien die verfahrensgegenständlichen
Aufwendungen als Werbungskosten steuerlich zu berücksichtigen.
Für die Abgrenzung von privat und beruflich veranlassten Aufwendungen komme es
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entscheidend auf den tatsächlichen Verwendungszweck, das heißt auf die Funktion des
Wirtschaftsgutes bei den einzelnen Steuerpflichtigen an.
Darüber hinaus erfordere der allgemeine Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) eine an der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtete
hinreichend folgerichtige Ausgestaltung der Belastungsentscheidungen des
Gesetzgebers; Ausnahmen bedürften eines besonderen sachlichen Grundes. Eine
Anwendung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG aber, die die steuerliche Berücksichtigung von
beruflich veranlassten Aufwendungen als Werbungskosten ausschlösse, stelle eine
Abweichung von den o. g., das Einkommensteuerrecht prägenden Prinzipien dar.
Ein Grund dafür, dass die verfahrensgegenständlichen Aufwendungen ungeachtet ihrer
beruflichen Veranlassung nicht als Werbungskosten steuerlich berücksichtigt werden
sollten, sei nicht ersichtlich. Zwar könne ein Grund für Ausnahmen von einer
folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher
Belastungsentscheidungen in Typisierung- und Vereinfachungserfordernissen liegen. Die
gänzliche Nichtberücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Aufwendungen
verstoße jedoch gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid für 2011 über Einkommensteuer vom 13.06.2012 und in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27.09.2012 dahingehend zu ändern, dass bei den
Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.278 €
berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 27.09.2012
vor:
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH seien als Werbungskosten nur Aufwendungen
für typische Berufskleidung abzugsfähig. Die von dem Kläger geltend gemachten Anzüge,
Hemden, Hosen und Schuhe zählten nicht dazu.
Bekleidung sei notwendigerweise von jedem anzuschaffen. Die Wahl der Kleidung werde
entsprechend den Einkommensverhältnissen, dem persönlichen Geschmack, dem
familiären und privaten Umfeld und auch nach Gewohnheiten im Berufsleben
unterschiedlich ausfallen. Die Anschaffung guter Kleidung liege heute auch privat wieder
im Trend. Dass Anzüge nur bei wenigen, besonders festlichen Gelegenheiten tragbar
seien, entspreche nicht mehr dem gängigen Gesellschafts- und Modebild. Auch die
Argumentation, ein normaler Bürger besitze typischerweise nicht mehr als ein bis zwei
Anzüge und könne auf keinen Fall mehr als 20 Anzughemden privat tragen, sei
angesichts anderer Erfahrungen nicht nachvollziehbar.
Die Anschaffung guter Kleidung sei sicherlich auch durch das Bedürfnis, bei einem als
besonders empfundenen Arbeitgeber einen guten Eindruck zu hinterlassen, geprägt. Die
auch privat tragbare Kleidung werde damit jedoch nicht zur Berufskleidung; eine
Berücksichtigung als Werbungskosten sei nicht möglich.
Am 26.03.2014 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden; auf die Niederschrift über
diesen Termin wird Bezug genommen.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten Bd. III zur Steuernummer .../.../...
vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger ist durch die Festsetzung der Einkommensteuer auf ... € nicht in seinen
Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Insbesondere
stellen die Aufwendungen des Klägers für die Anschaffung der Kleidung keine
Werbungskosten gemäß § 9 EStG bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit
dar.
1. a) Bei der Ermittlung der Einkünfte sind Aufwendungen als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1
Satz 1 EStG) oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) abzuziehen, wenn sie durch die
Einkünfteerzielung veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist dann gegeben, wenn
die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr
subjektiv zu dienen bestimmt sind, d.h. wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit
einer der Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes stehen (vgl. BFH-Beschluss vom
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04.07.1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817).
Die gesetzlichen Abzugstatbestände für Betriebsausgaben und Werbungskosten sind
Ausdruck des in § 2 Abs. 2 EStG festgelegten objektiven Nettoprinzips. Nach diesem
bemisst der Steuergesetzgeber die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht u.
a. maßgebliche objektive finanzielle Leistungsfähigkeit und unterwirft der
Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich den Saldo aus den
Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/ beruflichen) Erwerbsaufwendungen
andererseits.
b) Umgekehrt folgt aus dem objektiven Nettoprinzip, dass Aufwendungen für die
Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) grundsätzlich nicht abziehbar sind. § 9 EStG ist insoweit
eine auf Vermögensminderungen ausgerichtete Einkünfteermittlungsvorschrift, die eine
sachgerechte Trennung der Einkommensermittlungssphäre vom
Einkommensverwendungsbereich bezweckt (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach,
Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Einf. EStG Anm. 2, § 9
EStG Anm. 7).
Stehen Aufwendungen nach den Grundsätzen des Veranlassungsprinzips in keinem
ausreichenden Zusammenhang mit einer steuerrelevanten Erwerbsleistung, erfüllen sie
nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Werbungskostenbegriffs gemäß § 9 EStG.
Derartige Vermögensminderungen gehören als Privataufwendungen zum
Einkommensverwendungsbereich; insofern spricht § 12 Nr. 1 EStG für einen Teilbereich
der Einkommensverwendung, die Privatsphäre im engeren Sinne, von nichtabziehbaren
Ausgaben, soweit in den dort aufgeführten Abzugsvorschriften nichts anderes bestimmt ist
(vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz,
Kommentar, § 9 EStG Anm. 29).
Kosten der Lebensführung sind nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips durch die
Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums (§ 32a Abs. 1 Nr.
1, § 32 Abs. 6 EStG; dazu Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz. 81 ff.)
pauschal abgegolten und grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4 und des
§ 9 EStG entzogen, um eine doppelte Berücksichtigung zu vermeiden (vgl. Ruppe, DStJG
3, 1980, S. 143 f.; BFH-Beschluss vom 21.09.2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010,
672).
c) Aufwendungen für Kleidung sind ebenso wie Aufwendungen für Wohnung und
Verpflegung grundsätzlich Kosten der Lebensführung; diese sind nach § 12 Nr. 1 Satz 2
des EStG auch dann nicht abzugsfähig, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der
Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.
Die Anschaffung bürgerlicher Kleidung führt selbst dann nicht zum
Werbungskostenabzug, wenn kein Zweifel besteht, dass die konkreten Kleidungsstücke
so gut wie ausschließlich im Beruf getragen werden (vgl. BFH-Urteil vom 06.12.1990 IV R
65/90, BFHE 163, 134, BStBl II 1991, 348, 349). Die Berücksichtigung der Aufwendungen
für Bekleidung als Werbungskosten scheidet wegen des Abzugsverbots des § 12 Nr.1
Satz 2 EStG bereits immer dann aus, wenn die private Benutzung eines Kleidungsstücks
als bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegt. Auch wenn die
konkreten Kleidungsstücke ohne die beruflichen Gründe überhaupt nicht angeschafft
worden wären und sie der Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen
dienen sollen, ist das Tragen bürgerlicher Kleidung jedenfalls auch gleichzeitig
deswegen der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen, weil es dem menschlichen
Bedürfnis nach Bekleidung Rechnung trägt (BFH-Urteil vom 20.03.1992 VI R 55/89,
BFHE 168, 83, BStBl II 1993, 192).
d) Inwieweit gleichwohl ein etwa gegebener beruflicher Mehraufwand zu berücksichtigen
ist, bleibt danach in erster Linie der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen (vgl.
BFH-Beschluss vom 21.09.2009 GrS 1/06, a. a. O.).
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG ist "typische Berufskleidung" als Werbungskosten
abziehbar. Sie liegt vor, wenn sie ihrer Beschaffenheit nach objektiv nahezu
ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmt und wegen der Eigenart des
Berufs nötig ist (vgl. BFH-Urteile vom 09.03.1979 VI R 171/77, BFHE 127, 522, BStBl II
1979, 519, und vom 06.12.1990 IV R 65/90, BFHE 163, 134, BStBl II 1991, 348). Dieser in
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG ausdrücklich zugelassene Abzug der Aufwendungen für
typische Berufskleidung hat nicht nur klarstellenden, sondern auch rechtsbegründenden
Charakter; erst aus der Subsumtion unter diese Norm ergibt sich die Abzugsfähigkeit (vgl.
BFH-Urteil vom 20.11.1979 VI R 143/77, BFHE 129, 153, BStBl II 1980, 73).
Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ist die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 6 EStG nach Sinn und Zweck der Regelung des § 12 Nr. 1 EStG, zur Wahrung der
verfassungsmäßig gebotenen gleichmäßigen Besteuerung der Steuerpflichtigen und
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nach dem Gebot der Folgerichtigkeit auch restriktiv auszulegen. Nur die durch typische
Berufskleidung entstandenen Aufwendungen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG
"auch Werbungskosten", nicht jedoch solche Aufwendungen, die auch anderen
Steuerpflichtigen dadurch erwachsen, dass sie während der Ausübung ihres Berufes
bekleidet sind (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.12.2008 7 K 166/08,
EFG 2010, 707). § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG ist demzufolge eine Ausnahmevorschrift,
die Aufwendungen für bürgerliche Kleidung in ihrem Regelungsbereich nicht umfasst, da
sie nicht zu den "Aufwendungen für typische Berufskleidung" gehören.
Danach können nur solche Kleidungsstücke zur typischen Berufskleidung gehören, deren
Verwendung für Zwecke der privaten Lebensführung aufgrund berufsspezifischer
Eigenschaften so gut wie ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzung ist gegeben für
Amtstrachten (BFH-Urteil vom 24.01.1958 VI 278/56 U, BFHE 66, 303), den schwarzen
Anzug eines Leichenbestatters (BFH-Urteil vom 30.09.1970 I R 33/69, BFHE 100, 243,
BStBl II 1971, 50) und eines katholischen Geistlichen (BFH-Urteil vom 10.11.1989 VI R
159/86, BFH/NV 1990, 288), den Frack eines Kellners (BFH-Urteil vom 09.03.1979 VI R
171/77, BStBl II 1979, 519, BFHE 127, 522), weiße Arztkittel (vgl. BFH-Urteil vom
06.12.1990 IV R 65/90, BFHE 163, 134, BStBl II 1991, 348), den Cut eines
Empfangschefs (BFH-Urteil vom 18.04.1991 IV R 13/90, BFHE 164, 419, BStBl II 1991,
751), uniformähnliche Dienstkleidung der Mitarbeiter einer Luftverkehrsgesellschaft
(Hessisches Finanzgericht Urteil vom 09.03.1992 4 K 2725/90, EFG 1993, 648) sowie für
Arbeitsanzüge (z.? B. der Bergleute), Schutzhelme, Sicherheitsschuhe, Uniformen
(Thürmer in Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, EStG § 9, Rdn. 458).
Ein Abzug als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG kommt demzufolge
nur in Betracht, wenn sich der berufsbezogene Teil der Aufwendungen nach objektiven
Maßstäben zutreffend und in leicht nachprüfbarer Weise abgrenzen lässt und nicht nur
von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom
19.10.1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17; vom 27.11.1978 GrS 8/77, BFHE
126, 533, BStBl II 1979, 213 sowie Urteil vom 06.07.1989 IV R 91-92/87, BFHE 158, 221,
BStBl II 1990, 49).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die Aufwendungen des Klägers als
angestellter Rechtsanwalt für die Anschaffung von Anzügen, Hemden und Schuhen keine
Werbungskosten i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG dar.
Dies gilt selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger die Kleidung eigens zur
Nutzung im Beruf angeschafft, diese ganz überwiegend anlässlich seiner beruflichen
Tätigkeit getragen hat und die Aufwendungen infolge der beruflichen Gepflogenheiten
besonders hoch sind (vgl. BFH-Urteile vom 06.07.1989 IV R 91-92/87, BFHE 158, 221,
BStBl II 1990, 49 unter Aufgabe der teilweise gegenteiligen Ansicht im Urteil vom
11.11.1976 IV R 3/73; vom 18.04.1991 IV R 13/90 , a. a. O.).
Bei den von dem Kläger im Streitjahr zu Beginn seiner Tätigkeit als angestellter
Rechtsanwalt in einer Wirtschaftssozietät angeschafften Anzügen, Hemden und Schuhen
handelt es sich um Kleidungsstücke, wie sie allgemein zur Herrenmode gerechnet
werden.
Damit ist diese Bekleidung entgegen der Auffassung des Klägers nicht der typischen
Berufskleidung i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG zuzurechnen. Sie gehört vielmehr zu
der Art von Kleidung (Business-Kleidung), die zwar im beruflichen Umfeld des Klägers
erwartet wird, die aber ihrer Beschaffenheit nach - auch nach dem Vortrag des Klägers -
gleichermaßen bei besonderen privaten Anlässen wie Teilnahme an Empfängen,
Geburtstagen, Hochzeiten, Konfirmationen, Besuch einer Oper oder ähnlichen
Veranstaltungen getragen werden kann. Die Benutzung einer solchen Bekleidung als
normale bürgerliche Kleidung liegt im Rahmen des Möglichen und Üblichen.
Da im Streitfall eine private Nutzungsmöglichkeit der Kleidung objektiv nicht so gut wie
ausgeschlossen ist, fehlt es für die Abzugsfähigkeit der insoweit entstandenen
Aufwendungen an der erforderlichen Abgrenzbarkeit zu den nicht
berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die private Lebensführung nach
zuverlässigen objektiven und leicht nachprüfbaren Maßstäben; ohne eine derartige
Abgrenzungsmöglichkeit aber ist eine Aufteilung der Aufwendungen und ggf. teilweise
Zurechnung zu den Werbungskosten oder Betriebsausgaben mit dem Regelungsgehalt
des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG unvereinbar (vgl. BFH-Urteil vom 06.07.1989 IV R 91-92/87,
BFHE 158, 221, BStBl II 1990, 49; Beschluss vom 13.11.2013 VI B 40/13, BFH/NV 2014,
335).
Danach können die Aufwendungen des Klägers für die Business-Kleidung, die vorrangig
zur Nutzung aus beruflichen Gründen erworben wurde, nicht den Werbungskosten
zugerechnet werden, da eine private Nutzungsmöglichkeit auch nur bei gelegentlichen
besonderen privaten Anlässen, objektiv nicht ganz oder jedenfalls nicht nahezu
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ausgeschlossen werden kann.
Der erkennende Senat teilt schließlich die von dem Kläger geltend gemachten
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den begrenzten Abzug der Aufwendungen für
typische Berufskleidung nicht. Mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 3 des Grundgesetzes) wäre es nicht vereinbar, dass Steuerpflichtige, die während
der Ausübung ihres Berufes keine Businesskleidung, jedoch ebenso wie der Kläger
Jacketts, Hosen, Hemden und Schuhe tragen, die Aufwendungen für ihre Kleidung nicht
abziehen können, dem Kläger dies jedoch nur deshalb gestattet würde, weil von ihm das
Tragen dieser Kleidungsstücke in anwaltstypischer Ausführung erwartet wird (vgl.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.12.2008 7 K 166/08, a. a. O.).
II.
Die Kostentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die
Frage der Abzugsfähigkeit von Berufskleidung als Werbungskosten ist höchstrichterlich
geklärt.
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