Urteil des FG Hamburg vom 06.09.2012

FG Hamburg: steuer, handelsvertreter, beratung, pflege, unternehmen, leiter, beratervertrag, einspruch, akte, versicherungsnehmer

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Einkommensteuergesetz: Rückstellungen wegen nachlaufender Betreuung von
Versicherungsverträgen
1. Ein Versicherungsmakler befindet sich nur dann in einem Erfüllungsrückstand, wenn er auf Grund einer
inhaltlich eindeutigen Individualvereinbarung dazu verpflichtet ist, die von ihm vermittelten
Versicherungsverträge zu betreuen und abzuwickeln.
2. Eine konkrete Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen ergibt sich nicht aus einer
Vereinbarung zwischen dem selbständigen Vermögensberater und der Vermögensberatungsgesellschaft
über eine allgemeine Pflicht zur ständigen Pflege des betreuten Kundenstamms unter Einhaltung der
Bratungsstandards der Gesellschaft.
NZB, Az.: X B 209/12
FG Hamburg 2. Senat, Urteil vom 06.09.2012, 2 K 90/12
§ 5 Abs 1 EStG, § 249 Abs 1 HGB, § 84 HGB, § 86 HGB, § 92 HGB
Tatbestand
Die Kläger begehren die Berücksichtigung von Rückstellungen für die nachlaufende Betreuung von Verträgen
über Kranken- und Lebensversicherungen.
Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1) ist seit ...
selbständiger Handelsvertreter und hat jeweils einen Gewerbebetrieb als "A-Vermögensberater" (Steuer-Nr.
.../.../...) und als Leiter einer Geschäftsstelle (Steuer-Nr. .../.../...) der A Finanzdienstleistungen AG (im
Folgenden A) in Hamburg.
Seine Rechte und Pflichten als A-Vermögensberater sind in den Streitjahren 2005 und 2006 gegenüber der A
mit Vertrag vom ... 2002 geregelt. Danach vermittelt der Kläger zu 1) als selbständiger Gewerbetreibender die
A-Dienstleistungen und die von A freigegebenen Finanzprodukte, die in der Provisionsordnung aufgeführt sind.
Er ist berechtigt und auch verpflichtet, sich bei Wahrnehmung seiner Tätigkeit der Einrichtung und des
Personal derjenigen Geschäftsstelle zu bedienen, welcher er zugeordnet ist (§ 2 Abs. 3 des Vertrages). Weiter
heißt es in § 2 Abs. 5 des Vertrages:
"Alle Kunden, die der Consultant im Rahmen seiner A-Tätigkeit gewinnt oder übertragen bekommt, sind Kunden
von A und ihm lediglich zu Beratung und Betreuung anvertraut. ...."
Die Vergütung erfolgt in Form von Provisionen und Honoraren, die ausschließlich über A zu beziehen sind. Der
Anspruch auf Provisionen und Honorare besteht, sobald A einen Anspruch gegenüber der jeweiligen
Vertragsgesellschaft hat. Hilfspersonen darf der Kläger nach dem Vertrag ausschließlich im Rahmen seiner
eigenen persönlichen Organisation beschäftigen. In § 9 des Vertrags heißt es dazu:
"Tätigkeiten, die unmittelbar die Arbeit des Consultant nach § 1 Abs. 2 bzw. die Tätigkeit eines
Geschäftsstellen-Sekretariats betreffen, dürfen nicht auf diese Hilfspersonen übertragen werden. Der
Consultant hat sicherzustellen, dass seine Hilfspersonen keinen Zugang zu den Kundenakten, der A-EDV oder
A-internen Informationen erhalten. Die Geschäftsstelle ist als Beschäftigungsort ausgeschlossen."
Hinsichtlich der Provisionen und Honorare im Einzelnen wird auf die Provisionsordnung verwiesen. Auf den
Inhalt des Vertrags und der Provisionsordnung wird ergänzend Bezug genommen.
In den Streitjahren war der Kläger zu 1) der Geschäftsstelle-1 zugewiesen, deren Leiter er auch ist. Er hat eine
gewerberechtliche Zulassung nach §§ 34c und 34 d der Gewerbeordnung (GewO) als Handelsvertreter sowie
als Versicherungsmakler.
Als A-Vermögensberater betreute der Kläger in dem Streitjahr 2005 ca. ... Kunden und hatte ... Verträge über
Lebensversicherungen und Krankenversicherungen im Bestand. Für diese Versicherungen wird, anders als bei
Sachversicherungen, bei Vertragsabschluss eine Einmalprovision an den Makler gezahlt.
Seine Mutter und seine Ehefrau, die Klägerin zu 2), sind bei ihm als Teilzeitbeschäftigte angestellt. Sie sind
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nach Angaben der Kläger mit Aufgaben aus dem Bereich der Bestandspflege betraut.
Die Rechte und Pflichten als Leiter der Geschäftsstelle-1 wurden mit Vertrag vom ... 2002 geregelt. Danach
obliegt dem Kläger zu 1) die finanziell eigenverantwortliche und rentable Führung der Geschäftsstelle. Nach § 2
des Vertrages umfasst dies insbesondere die Überwachung, Anleitung und Steuerung des Sekretariats, die
Betreuung und Führung der Mitarbeiter einschließlich der Einarbeitung, Aus- und Weiterbildung. Einstellungen
und Entlassungen von der Geschäftsstelle unterstellten Mitarbeitern haben in Abstimmung mit dem Vorstand
der A zu erfolgen (§ 4 des Vertrages).
In der Geschäftsstelle sind zwei Sekretärinnen beschäftigt. Des Weiteren gehören ihr ... A-Berater an, die als
selbstständige Versicherungsmakler und Handelsvertreter tätig sind. Die nichtselbständigen Mitarbeiter haben
Arbeitsverträge mit A, die auch die Lohnsteuer abführt. Die Geschäftsstelle hat aus den ihr vertraglich
gebührenden Provisionszuweisungen die Kosten der Mitarbeiter einschließlich der Kosten des
Geschäftsstellenleiters sowie die laufenden Kosten der Geschäftsstelle zu tragen.
In der Geschäftsstelle wurden im Streitjahr 2005 ... Verträge über Kranken- und Lebensversicherungen betreut.
Von dem Provisionsaufkommen erhält in etwa 60 % der Berater, 20 % die A-Zentrale und 20 % die
Geschäftsstelle.
Mit den Steuererklärungen für die Streitjahre erklärte der Kläger zu 1) Gewinne als A-Vermögensberater und
Verluste aus der A-Geschäftsstelle. Bei der Gewinnermittlung der Gewerbebetriebe hatte er jeweils
Rückstellungen für eine nachlaufende Betreuung der Kranken- und Lebensversicherungsverträge gebildet.
Aufgrund eigener Erhebungen hatte er den Aufwand für die Betreuung der Kranken- und
Lebensversicherungsverträge in Höhe der Hälfte der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter ermittelt. Dem entsprechend
veranschlagte er die Rückstellungen bei der A-Vermögensberatung mit einem Betrag von ... € pro
Versicherungsvertrag und bei der A-Geschäftsstelle mit einem Betrag von ... € pro Versicherungsvertrag. Die
durchschnittliche Laufzeit der Verträge setzte er mit 20 Jahren an, so dass er abgezinst für die A-
Vermögensberatung zu einer Rückstellung in 2005 in Höhe von ... € und in 2006 in Höhe von ... € sowie für die
A-Geschäftsstelle in 2005 von ... € gelangte.
Der Beklagte erkannte die Rückstellungen nicht an und setzte mit Steuerbescheiden vom 08.05.2007 den
Gewerbesteuermessbetrag für die A-Vermögensberatung (Steuer-Nr. .../.../...) für 2005 auf ... € und die
Einkommensteuer für 2005 auf ... € fest. Mit Vorauszahlungsbescheid für 2006 setzte der Beklagte für Zwecke
der nachträglichen Vorauszahlung den Gewerbesteuermessbetrag ebenfalls auf ... € fest. Für den
Gewerbebetrieb der Geschäftsstelle stellte der Beklagte einen vortragsfähigen Gewerbeverlust fest.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger zu 1) bzw. die Kläger zu 1) und zu 2) am 04.06.2007 Einspruch ein.
Mit Einspruchsentscheidungen vom 21.06.2007 wies der Beklagte die Einsprüche gegen den
Einkommensteuerbescheid, den Gewerbesteuermessbescheid und den Vorauszahlungsbescheid als
unbegründet zurück. Über den Einspruch gegen den Bescheid über den vortragsfähigen Gewerbeverlust ist
noch nicht entscheiden worden.
Am 28.06.2007 haben die Kläger Klage erhoben.
Mit Gewerbesteuermessbescheid für 2006 vom 16.12.2008 setzte der Beklagte für die A-Vermögensberatung
(Steuer-Nr. .../.../...) den Gewerbesteuermessbetrag auf ... € fest.
Nachdem das Verfahren auf Antrag der Beteiligten zwischenzeitlich geruht hat, ist es im Januar 2012 wieder
aufgenommen worden.
Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Klage vor, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
Rückstellungen für eine nachlaufende Betreuung von abgeschlossenen Versicherungsverträgen auch im
Streitfall anzuerkennen seien. Bei den Lebens- und Krankenversicherungsverträgen seien häufig Änderungen
einzupflegen, wie z. B. auf Grund von veränderten Lebensumständen. Auch gäbe es häufiger Anfragen, ob
Beitragszahlungen herabgesetzt oder ausgesetzt werden könnten. Diese Tätigkeiten würden im Gegensatz zu
den Sachversicherungen nicht mit den bei diesen Versicherungen jährlich gezahlten Bestandsprovisionen
abgedeckt. Die A erwarte aber, dass der Versicherungsmakler weiterhin seine Kunden berate und betreue. Dies
komme in den neuen Verträgen, wie sie seit 2010 abgeschlossen würden, deutlicher zum Ausdruck. Seine
Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag endeten nicht mit der Vermittlung. Die Kläger nehmen hierfür Bezug
auf ein zur Akte gereichtes Schreiben der A vom 26.03.2012. Gegenüber den Kunden werde er, der Kläger zu
1), als Versicherungsmakler mit den daraus folgenden Pflichten tätig. Mit dem Kunden werde ein
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Versicherungsmaklervertrag entsprechend dem zur Akte gereichten Muster geschlossen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ergebe sich auch aus dem Handelsvertreterrecht
eine Nachbetreuungspflicht. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe (9 U 141/08), wonach
der Versicherungsmakler zur Nachbetreuung seiner Kunden verpflichtet sei, sei auch auf den
Versicherungsvertreter zu übertragen, da die Tätigkeit identisch sei. Inzwischen habe auch der BFH
ausdrücklich festgestellt, dass eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstand zu bilden sei, wenn der
Versicherungsvertreter die Abschlussprovision für die weitere Betreuung erhalten habe. In den Beraterverträgen
ab 2012 habe die A explizit die Pflicht zur Bestandspflege und laufenden Betreuung geregelt. Die umfassende
und bestmögliche Kundenbetreuung zähle unabhängig von der anzuwendenden Fassung des Beratervertrags
zu den wichtigsten Grundsätzen der A. Dies sei schon der Präambel seines ursprünglichen Beratervertrags aus
1999 zu entnehmen. Auch sähen die Versicherungsvereinbarungen zwischen der A und den Versicherern die
laufende Betreuung und Bestandspflege vor. Es existiere damit zumindest eine tatsächliche
Nachbetreuungspflicht.
Die Betreuung der Verträge führe auch zu einer wirtschaftlichen Belastung für das Unternehmen. Die
Schätzung zur Höhe der Rückstellungen für zukünftige Personalkosten sei sachgerecht an der Rest-
Lebensarbeitszeit des Klägers zu 1) von 20 Jahren angelehnt, denn die Lebensversicherungsverträge hätten
eine durchschnittliche Restlaufzeit von ca. 30 Jahren. Eine manuelle Erfassung der auf die nachlaufende
Betreuung der Verträge verwendeten Arbeitszeit habe ergeben, dass 70 % der Arbeitszeit seiner Angestellten
darauf verwendet werde. Für die Schätzung der Rückstellung seien 50 % des Zeitaufwands zugrunde gelegt
und damit einer Restunsicherheit hinreichend Rechnung getragen worden.
Die Kläger zu 1) und zu 2) beantragen, den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 08.05.2007 und die
Einspruchsentscheidung vom 21.06.2007 in der Weise zu ändern, dass ein Gewinn aus Gewerbebetrieb unter
Ansatz von Rückstellungen in Höhe von ... € bei der Gewinnermittlung der A-Vermögensberatung (Steuer-Nr.
.../.../...) und in Höhe von ... € bei der Gewinnermittlung der A-Geschäftsstelle (Steuer-Nr. .../.../...)
berücksichtigt werden und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Der Kläger zu 1) beantragt, den Gewerbesteuermessbescheid für 2005 (Steuer-Nr. .../.../...) vom 08.05.2007
und die Einspruchsentscheidung vom 21.06.2007 sowie Gewerbesteuermessbescheid für 2006 (Steuer-Nr.
.../.../...) vom 16.12.2008 in der Weise zu ändern, dass Rückstellungen in 2005 in Höhe von ... € und in 2006 in
Höhe von ... € berücksichtigt werden und der Gewerbesteuermessbetrag für 2005 und 2006 entsprechend
niedriger festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass der streitige Sachverhalt grundsätzlich mit dem durch das BFH-Urteil XI
R 63/03 entscheidenden Sachverhalt vergleichbar sei. Unter Bezugnahme auf das Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF-Schreiben) vom 28.11.2006 bestünde im vorliegenden Fall jedoch kein
Aufwand, der die begehrte Rückstellung rechtfertige. Die Bildung einer Rückstellung sei nur dann zulässig,
wenn die erhaltenen Abschlussprovisionen auch für die weitere Betreuung der Kunden gezahlt würden.
Der Kläger zu 1) sei weder gesetzlich noch vertraglich zur nachlaufenden Betreuung seiner Bestandkunden
verpflichtet gewesen, so dass er sich nicht in einem Erfüllungsrückstand befunden habe. Weder aus §§ 84, 86
des Handelsgesetzbuches (HGB) noch aus §§ 34c, 34d der Gewerbeordnung (GewO) ergäben sich gesetzliche
Nachbetreuungspflichten für den Kläger zu 1). Der BFH habe in seinen Entscheidungen vom 28.07.2004 (XI R
63/03) und vom 09.12.2009 (X R 41/07) eine gesetzliche Nachbetreuungsverpflichtung ebenfalls nicht gesehen.
Auch werde der Kläger zu 1) durch den Vertrag mit der A nicht zu einer Nachbetreuung verpflichtet.
Der Höhe nach seien die gebildeten Rückstellungen nachvollziehbar.
Dem Gericht haben vorgelegen die Einkommensteuerakte, die Gewerbesteuerakte, die Bilanz- und
Bilanzberichtsakte und die Rechtsbehelfsakte zu der Steuernummer .../.../... sowie die Gewerbesteuerakte, die
Bilanz- und Bilanzberichtsakte und die Rechtsbehelfsakte zu der Steuernummer .../.../.... Wegen weiterer
Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und die Protokolle über den Erörterungstermin und die mündliche
Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig. Der Gewerbesteuermessbescheid 2006 (Steuernummer .../.../...) hat den
Vorauszahlungsbescheid für 2006 ersetzt und ist gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl.
BFH-Urteil vom 23.04.2009, IV R 73/06, BStBl II 2010, 40, 42).
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II.
Die Klage hat jedoch keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Kläger
nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Recht die Rückstellungen für einen Erfüllungsrückstand auf Grund
einer nachlaufenden Betreuung der Verträge über Kranken- und Lebensversicherungen abgelehnt.
1. Nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit § 249 Abs. 1 S. 1 HGB als
Ausdruck eines handelsrechtlichen Grundsatzes ordnungsgemäßer Buchführung sind für ungewisse
Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem
schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist unter
anderem aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder
Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist (BFH-Urteil vom 09.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010,
860; Beschluss des Großen Senats vom 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl. II 1997, 735).
Ein Erfüllungsrückstand liegt vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber einem
Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin
vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Der BFH knüpft den Begriff des
Erfüllungsrückstands herkömmlicherweise eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung.
Darüber hinaus hat er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen
lassen, allerdings vorausgesetzt, mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung wird nicht nur
an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten. Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt ist,
bestimmt sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des
bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten (Sach-)Leistung.
Erfüllungsrückstand setzt nicht die Fälligkeit der vertraglich noch geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag
voraus (BFH-Urteile vom 09.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vom 28.07.2004, XI R 63/03, BStBl. II,
2006, 866; Beschluss des Großen Senats vom 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl. II 1997, 735, m. w. N.).
Leistungen, die der Steuerpflichtige gegenüber seinen Kunden ohne Rechtspflicht erbracht hat, sind für die
Bemessung der Rückstellung irrelevant (BFH-Urteile vom 19.07.2011, X R 26/10, BFHE 234, 239, BFH/NV
2011, 2147; vom 19.07.2011, X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).
2. Der Kläger zu 1) befand sich zum Bilanzstichtag in keinem Erfüllungsrückstand, weil er weder gesetzlich
noch vertraglich verpflichtet war, die von ihm vermittelten Versicherungserträge zu betreuen und abzuwickeln.
Dies gilt sowohl für die A-Vermögensberatung (a) als auch für die A-Geschäftsstelle (b).
a) Die Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für eine nachlaufende Betreuung der Kranken- und
Lebensversicherungsverträge liegen bei der A-Vermögensberatung nicht vor.
(1) Der Kläger zu 1) ist nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften zu einer fortlaufenden Nachbetreuung seiner
Kunden verpflichtet.
Unzweifelhaft ergibt sich die Verpflichtung zur Nachbetreuung nicht aus § 34c oder § 34 d GewO, denn diese
Vorschriften regeln die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis als
Anlageberater durch die zuständige Behörde bzw. als Versicherungsvermittler durch die Industrie- und
Handelskammer. Sie regeln nicht die Aufgaben und Pflichten gegenüber den Kunden oder dem Unternehmen,
für das Geschäfte vermittelt werden.
Auch aus den Vorschriften des HGB ergibt sich keine gesetzliche Verpflichtung zur Kundenbetreuung. Die §§
84, 86 HGB enthalten allgemeine Voraussetzungen betreffend das Verhältnis zwischen Handelsvertreter und
dem Unternehmer, für den Geschäfte vermittelt werden. In diesem Rahmen können vertragliche
Zusatzpflichten, wie die Pflicht zur allgemeinen Markt-, Bestand- und Kundenpflege u. ä. vereinbart werden. Es
bedarf dann einer entsprechenden inhaltlich eindeutigen Individualvereinbarung (vgl. BFH-Urteile vom
09.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vom 19.07.2011, X R 26/10, BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147).
Aus den gesetzlichen Regelungen folgt über die Vermittlungs- und Abschlussbemühungen hinaus keine
allgemeine Verpflichtung zur Kundenpflege (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 35. Auflage 2012, § 86 Rn. 13).
Etwas anderes gilt auch nicht für die gesetzlich geregelten Pflichten eines Versicherungsvertreters nach § 92
HGB. Auch für diesen bedarf es einer vertraglich eindeutigen Individualvereinbarung über Zusatzpflichten, um
einen eine Rückstellung rechtfertigenden Erfüllungsrückstand zu begründen (vgl. BFH-Urteile vom 09.12.2009,
X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vom 19.07.2011, X R 26/10, BFHE 234, 239, BFH/NV 2011, 2147). Aus § 92
Abs. 4 i. V. m. § 87 a HGB ergibt sich lediglich, wann ein Versicherungsvertreter Anspruch auf die Provision
hat, nicht jedoch, welche Leistungen damit abgegolten werden.
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Allein aus der Stellung als unabhängiger Versicherungsmakler - der Kläger zu 1) und auch die A sind als
Versicherungsmakler zugelassen - ergeben sich keine nachlaufenden Betreuungspflichten gegenüber dem
Versicherungsnehmer auf Grund eines vermittelten Versicherungsvertrags. Derartige Pflichten können auch
nicht der von den Klägern zitierten Rechtsprechung entnommen werden. Ein unabhängiger
Versicherungsmakler ist grundsätzlich nicht an einen Versicherer gebunden und wird im Interesse des von ihm
betreuten Versicherungsnehmers tätig. Soweit nach der Rechtsprechung des BGH den Versicherungsmakler
aus dieser Stellung in Bezug auf den vermittelten Versicherungsvertrag gewisse Beratungs- und
Betreuungspflichten treffen, sind dies Pflichten im Zusammenhang mit der Vermittlung eines
Versicherungsvertrags. Aus den von den Klägern angeführten Entscheidungen des BGH (vom 14.06.2007 III
ZR 269/96, NJW-RR 2007, 1503 und vom 16.07.2009, III ZR 21/09 im Nachgang zu OLG Karlsruhe 9 U 141/08,
NJW-RR 2009, 1688) ergeben sich keine allgemeinen Nachbetreuungspflichten auf Grund gesetzlicher
Bestimmungen. Soweit der BGH in dem Verfahren III ZR 21/09 zum Pflichtenkreis der Versicherungsmaklers
auch die Hilfestellung bei der Regulierung eines Versicherungsschadens zählt, liegt dem eine
Sachversicherung zugrunde, bei der regelmäßig eine Bestandsprovision wegen der umfangreicheren
nachlaufenden Betreuungsarbeiten vorgesehen ist. Der der Entscheidung zugrunde liegende
Versicherungsvertrag ist insoweit nicht mit den hier streitgegenständlichen Lebens- und
Krankenversicherungsverträgen vergleichbar.
(2) Eine Verpflichtung zur Nachbetreuung ergibt sich nicht auf Grund einer Individualvereinbarung des Kunden
mit dem Versicherungsmakler.
Nach dem Vortrag des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung wird mit jedem Kunden ein
Versicherungsmaklervertrag entsprechend dem vorgelegten Musterformular vereinbart. Vertragspartner sind der
Kunde und die A, die ihre Leistung in der Regel durch einen A-Consultant erbringt. In diesem Vertrag sind
jedoch keine konkreten Pflichten des Versicherungsmaklers gegenüber dem Kunden bestimmt. Soweit unter
Ziffer 2 geregelt ist, dass die Leistungen der A durch die von den Versicherungsgesellschaften gezahlten
Courtagen abgegolten werden und deshalb dem Versicherungsnehmer durch die Zusammenarbeit mit A keine
zusätzlichen Kosten entstehen, können daraus keine konkreten Betreuungspflichten hergeleitet werden, die
einen Erfüllungsrückstand begründen könnten.
(3) Eine Nachbetreuungspflicht lässt sich auch nicht dem Beratervertrag des Klägers zu 1) mit der A vom
21.01.2002 entnehmen. In diesem, in den Streitjahren geltenden Vertrag ist keine über die allgemeine
Betreuung und Kundenpflege hinausgehende konkrete Verpflichtung zur Nachbetreuung vereinbart worden.
Dies haben die Kläger mit Schriftsatz vom 16.05.2012 auch eingeräumt. Soweit die Verträge zwischen der A
und ihren Handelsvertretern ab 2010 eine Regelung betreffend die Betreuung und Pflege des Kundenstamms
enthalten, bedarf es keiner Klärung, ob sie eine ausreichende Grundlage für eine Rückstellung bildet. Dieser
Mustervertrag betrifft weder das Vertragsverhältnis des Klägers zu 1) mit der A noch die Streitjahre.
Die in § 2 des Beratervertrages vom 21.01.2002 enthaltenen Verpflichtungen des Consultant treffen keine
Regelung über Art und Umfang der Betreuung der Kunden. Auch den weiteren Bestimmung sowie der
Provisionsordnung, die Bestandteil des Beratervertrags ist, können keine konkreten Vereinbarungen über eine
weitere Betreuung der Kunden nach Vermittlung und Abschluss einer Lebens- oder Krankenversicherung
entnommen werden, die mit der gezahlten Abschlussprovision abgegolten werden. Vielmehr lässt die
Gewährung einer Betreuungsprovision für fondsgebundene Lebensversicherungen des Tarifs F 30 (Ziffer 2. der
Provisionsrichtlinie Lebensversicherung) vermuten, dass in besonderen Konstellationen ein bestehender
Betreuungsbedarf mit einer gesonderten Provision abgegolten wird, die im Regelfall zu leistende
Abschlussprovision aber nicht auch für einen bestehenden Nachbetreuungsbedarf gezahlt wird. Folgerichtig
enthält der geltende Beratervertrag auch keine Sanktion bei Verletzung konkreter Nachbetreuungspflichten. Der
Einwand des Klägers, dass es sich bei diesem Lebensversicherungsvertrag um einen Sonderfall handelt,
wiederlegt noch nicht die Vermutung, dass bei zu erwartendem besonderem Nachbetreuungsaufwand eine
Bestandsprovision in den Tarif aufgenommen wird.
Der Anspruch der A, eine gute und umfassende Kundenbetreuung zu gewährleisten, den sie nach ihren
Leitlinien oder der Präambel in neueren Verträgen auch an ihre Handelsvertreter weiter gibt, löst noch keine
vertragliche Verpflichtung zur Nachbetreuung vermittelter Kranken- und Lebensversicherungsverträge aus.
Dieser allgemeine Anspruch an die Qualität der Beratung und Betreuung von Kunden kann nicht Grundlage
einer Rückstellung für einen bestehenden Erfüllungsrückstand sein. Vielmehr erfolgt eine gute
Kundenbetreuung und -beratung auch im Interesse einer Kundenzufriedenheit und dient damit der Ermöglichung
weiterer Vermittlungsgeschäfte. Soweit also aus diesem allgemeinen Interesse eine Betreuung der Kunden
erfolgt, ist sie für die Bildung einer Rückstellung irrelevant (vgl. BFH-Urteile vom 19.07.2011, X R 26/10, BFHE
234, 239, BFH/NV 2011, 2147; vom 19.07.2011, X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).
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Eine Nachbetreuungspflicht für abgeschlossene Kranken- und Lebensversicherungsverträge ergibt sich auch
nicht aus dem Schreiben der A an den Kläger vom 26.03.2012. In diesem Schreiben legt A lediglich seine
Rechtsauffassung zu den aus seiner Rechtsstellung als unabhängiger Versicherungsmakler folgenden
Pflichten eines A-Vermögensberaters dar. Über den auch diesem Schreiben zu entnehmenden allgemeinen
Anspruch an eine umfassende Kundenbetreuung hinaus enthält es keine, die vertragliche Vereinbarung evtl.
konkretisierenden Pflichten. Soweit auf die Regelung in § 2 Abs. 5 des Beratervertrages vom 21.01.2002
hingewiesen wird, ergibt sich daraus nur die allgemeine Verpflichtung zur Beratung und Betreuung der
"anvertrauten" Kunden.
(4) Darüber hinaus ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger zu 1) als A-Vermögensberater
Kosten für eine Nachbetreuung entstanden sind. Soweit der Kläger zu 1) Mitarbeiter angestellt hat, muss
bezweifelt werden, ob sie in dem vorgetragenen Umfang für eine Betreuung der Kranken- und
Lebensversicherungsverträge tätig geworden sind. Denn nach § 9 des Beratervertrags vom 21.01.2002 darf der
Consultant Hilfspersonen ausschließlich zu Hilfstätigkeiten im Rahmen seiner eigenen persönlichen
Organisation beschäftigen. Die Hilfspersonen dürfen keinen Zugang zu Kundendaten, der A-EDV oder A-
internen Informationen erhalten. Daraus folgt, dass die Hilfspersonen nur in ganz geringem Umfang für eine
Nachbetreuung eigesetzt werden können, der sich möglicherweise nur auf einen Telefondienst beschränkt.
Denn insbesondere die Pflege der Bestandsdaten wird - auch nach Angaben des Klägers zu 1) - von der A-
Geschäftsstelle wahrgenommen und kann von den Hilfskräften der A-Vermögensberatung nicht vorgenommen
werden, ebenso wenig wie eine Beratung im Hinblick auf die vom Kläger zu 1) vorgetragenen Anfragen zu
Vertragsanpassungen oder -umstellungen.
Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da bereits dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Bildung der
Rückstellungen nicht vorliegen.
b) Ebenfalls liegen die Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für eine nachlaufende Betreuung der
Kranken- und Lebensversicherungsverträge bei der A-Vermögensberatung nicht vor.
(1) Die gesetzlichen Vorschriften betreffend den Handelsvertreter und Versicherungsmakler verpflichten nicht
zu einer Nachbetreuung der Kunden. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II 2. a) Bezug genommen.
(2) Eine Verpflichtung zur nachlaufenden Betreuung der vermittelten Kranken- und
Lebensversicherungsverträge durch die A-Geschäftsstelle ergibt sich auch nicht aus vertraglichen Regelungen.
Der Geschäftsstellenleitervertrag des Klägers zu 1) vom 25.02.2002 enthält derartige Pflichten nicht. Vielmehr
regelt er die Aufgaben und Befugnisse im Hinblick auf die Geschäftsstellenleitung und trifft keine Aussagen zu
den in der Geschäftsstelle betreuten Versicherungsverträgen.
Nachbetreuungspflichten für die Geschäftsstelle ergeben sich auch nicht aus den gesetzlichen oder
vertraglichen Pflichten der in der Geschäftsstelle betreuten Versicherungsmakler. Hierzu wird auf die
Ausführungen unter II. 2. a) Bezug genommen.
Sofern einzelne Berater mit der A Verträge entsprechend dem vorgelegten Mustervertrag aus 2010 haben
sollten, der in § 2 Abs. 6 die Pflicht des Consultants zur ständigen Pflege des von ihm betreuten
Kundenstamms unter Beachtung der A Beratungsstandards vorsieht, kann dem auch keine
Nachbetreuungspflicht konkreter Versicherungsverträge entnommen werden. Denn die Regelung verpflichtet die
Berater entsprechend dem allgemeinen Anspruch und Standard von A die Kunden zu betreuen, enthält jedoch
keine konkrete Nachbetreuungspflicht in Bezug auf bestimmte vermittelte Verträge in der Weise, dass ein
Erfüllungsrückstand entstehen kann. Die Regelung zielt auch hinsichtlich der Sanktion, bei nicht
ordnungsgemäßer Betreuung die Kunden anderen Beratern zuzuweisen, auf die Pflichten als Handelsvertreter
gegenüber A ab. Es wird keine Aussage über die nach Vermittlung von Lebens- oder Krankenversicherungen
gezahlten Abschlussprovisionen getroffen und in diesem Zusammenhang zu erbringende weitere Leistungen.
(3) Schließlich ist auch fraglich, ob von der A-Geschäftsstelle überhaupt eine dem Kläger zuzurechnende
nachlaufende Betreuung der Kranken- und Lebensversicherungsverträge erfolgt oder ob diese nicht letztlich
durch die A erbracht wird. Soweit von den Sekretärinnen der Geschäftsstelle die Bestandsdaten gepflegt
werden, die nach Angaben des Klägers zu 1) einen wesentlichen Anteil der Nachbetreuung der
Versicherungsverträge ausmachen, stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich Leistungen der Geschäftsstelle
sind. Denn die nichtselbständigen Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind Angestellte der A. Zwar werden nach
dem Geschäftsstellenleitervertrag die Personalkosten des Sekretariats der Geschäftsstelle belastet, denn sie
hat aus den Provisionszuweisungen die Geschäftsstellenkosten zu tragen. Nach dieser vertraglichen
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Konstellation sind jedoch die Kosten der Geschäftsstelle und insbesondere die Personalkosten von dem
Arbeitgeber A zu tragen, unabhängig davon, ob die Geschäftsstelle diese erbringen kann. Insoweit ist
zweifelhaft, ob die durch die Betreuung der Versicherungsverträge entstehenden Kosten tatsächlich von der
Geschäftsstelle getragen werden, da sie bei dieser nur einen durchlaufenden Posten bilden. In gleicher Weise
hätte A der Geschäftsstelle einen geringeren Provisionsanteil zuweisen und die Personalkosten nicht weiter
belasten können. Im Ergebnis wird durch A die auf der Geschäftsstelle zu leistende Betreuung der
Versicherungsverträge sichergestellt.
Nach allem haben die Kläger nicht darlegen können, dass im Hinblick auf die vermittelten Kranken- und
Lebensversicherungsverträge ein Erfüllungsrückstand in Form einer noch zu erbringenden Betreuungsleistung
besteht. Weder auf Grund gesetzlicher noch vertraglicher Verpflichtungen besteht in Bezug auf die vermittelten
Versicherungsverträge eine ungewisse Verbindlichkeit.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass grundsätzlich auch nach Abschluss der Kranken- oder
Lebensversicherungsverträge in gewissem Umfang gegenüber den Kunden Beratungs- und
Betreuungsleistungen erbracht werden. Diese folgen jedoch aus dem allgemeinen Interesse der Kundenbindung
und Kundenzufriedenheit, die dem Abschluss neuer Verträge und der Gewinnung neuer Kunden dienen.
III.
Die Kläger haben nach § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.