Urteil des FG Hamburg vom 26.05.2014

FG Hamburg: amtshilfe, ersuchende behörde, rechtsschutz, anforderung, geoinformation, kostenfreiheit, vermessung, original, koch, amtshandlung

Rechtsprechung
Suche
Erweiterte Suche
Gerichte
Rechtsgebiete
Gesetze/Verordnungen
1
2
DRUCKEN
WEITEREMPFEHLEN
Finanzgerichtsordnung/Verwaltungsgerichtsordnung: Amtshilfe für Gerichte durch
kostenfreie Urkunden- oder Aktenvorlegung
Die Verpflichtung von Behörden gegenüber Finanz- oder Verwaltungsgerichten zur kostenfreien Vorlegung angeforderter
Urkunden oder Akten gilt auch für voll staatlich kontrollierte Rechtsträger anderer Rechtsform und entspricht dem
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und der danach gewährten umfassenden gerichtlichen
Nachprüfbarkeit des Verwaltungshandelns.
FG Hamburg 3. Senat, Beschluss vom 26.05.2014, 3 K 198/13
§ 13 FGO, § 86 FGO, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 GG, Art 103 Abs 1 GG, Art 104a Abs 1 GG, Art
104a Abs 5 GG, § 99 VwGO, § 8 VwVfG
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Zusammenhang mit der übereinstimmenden Klage-Erledigungserklärung vom 17. April
2014 werden folgende Hinweise erteilt, und zwar nicht nur den Beteiligten, sondern auch
- dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung,
- der Behörde für Stadtentwicklung (als für den vorgenannten Landesbetrieb zuständiger
oberster Aufsichtsbehörde).
I. Die an den Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung gemäß § 86 FGO gerichtete
Anforderung eines Kopie-Aktenauszugs betreffend die
Zuschreibung von 10 qm auf dem Flurstück A ...,
Grundbuch A Bd. ... Bl. ..., X-Straße ...,
Zur Hauptnavigation springen
.
Zur Suche springen
.
Zum Inhalt springen
.
Stichwort, Adresse oder Veranstaltung
Suchen
Hamburger Justiz
Justizportal Hamburg
Gerichte
Staatsanwaltschaften
Behörde für
Justiz und Gleichstellung
E-Justice
Impressum
Unternehmen
Sitemap
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
im Dezember 1975 (lt. im Grundbuch Bestandsverzeichnis am ... 1976 eingetragener
Berichtigung: Fortführungsmitteilung vom ... 1975)
hat sich nach zwischenzeitlichem Eingang der Grundakte mit der Fortführungsmitteilung
(Grundakte S. ...) und der dementsprechenden Einigung und Erledigung der Klage
ebenfalls erledigt.
Entscheidungsgründe
II. Gleichwohl besteht im Hinblick auf die mit dem Landesamt Geoinformation und
Vermessung gewechselten E-Mails zur Frage einer dortigen Kostenerhebung für den
angeforderten Aktenauszug noch Anlass zu folgender Klarstellung:
1. Behörden sind im Finanzprozess nach § 86 FGO ebenso wie im Verwaltungsprozess
nach § 99 VwGO gegenüber den Gerichten zur Vorlage angeforderter Urkunden und
Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, soweit
kein im Gesetz genannter Geheimhaltungsgrund vorliegt.
a) Diese Verpflichtung erstreckt sich im Übrigen auf alle angeforderten Original-
Unterlagen oder vollständigen Akten einschließlich Arbeits- und Handakten, Sonder- und
Anlagenbänden und trifft in allen gerichtlichen Instanzen alle deutschen Behörden ohne
Rücksicht auf ihre Stellung im Rechtsstreit (vgl. Beschlüsse OVG Brandenburg vom
22.01.2004 1 B 338/03, Juris; BFH vom 07.05.2001 VII B 199/00, HFR 2001, 1045,
BFH/NV 2001, 1366; Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 86 Rz. 4); das gilt auch für voll
staatlich kontrollierte Rechtsträger anderer Rechtsform (Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3.
A., § 99 Rz. 10 ff., 14, 17 f.).
Es ist Sache des für die Entscheidung über den jeweiligen Rechtsstreit berufenen
Gerichts, darüber zu befinden, welche Urkunden, Akten, Dokumente und Auskünfte zur
Aufklärung der Sache notwendig sind (BVerwG-Beschluss vom 15.08.2003 20 F 8/03,
NVwZ 2004, 105; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 28;
Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 15 f.).
b) Dabei kommt es hier nicht auf Unterschiede in anderen Prozessordnungen an (zu §
120 SGG vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.03.2011 L 18 AS 2267/10 B,
Juris; zu §§ 142, 273, 358a, 432, 428 ff. ZPO, Art. 35, 20 GG vgl. BVerwG-Urteil vom
23.08.1968 IV C 235.65, BVerwGE 30, 154, DÖV 1968, 836).
c) Die Verpflichtung aller Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu
Auskünften nach § 86 FGO und § 99 VwGO gegenüber den Gerichten entspricht dem
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsstaat gemäß Art.
20 GG und der danach gewährten umfassenden gerichtlichen Nachprüfbarkeit des
Verwaltungshandelns in Verbindung mit dem rechtlichen Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG
(BVerfG-Beschluss vom 27.10.1999 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, EuGRZ 2000;
Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 99 Rz. 4; Lang in Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. A., § 99 Rz. 7; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 1, 4).
d) Dem Zweck der Vorschrift entsprechend, dem Gericht eine vollständige
Sachaufklärung zu ermöglichen, ist der Begriff der Urkunde weit auszulegen und erfasst
sämtliche verkörperte Gedankenerklärungen, z. B. auch Computerdatei-Ausdrucke,
Fotokopien, Telefaxe, Gutachten oder Augenscheinsobjekte (Stiepel in Beermann/Gosch,
AO/FGO, § 86 FGO Rz. 15; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 14).
2. Die nach § 86 FGO oder § 99 VwGO angeforderten Unterlagen hat die Behörde dem
anfordernden Gericht kostenfrei zu übersenden, insbesondere ohne Berechnung von
Benutzungs- oder Verwaltungsgebühren (z. B. nach Hmb. GebG oder GebOVerm, vgl. § 4
Satz 3 HmbGDIG), so dass Kosten nur für zusätzlich von den Beteiligten - anstelle bloßer
Einsichtnahme - erbetene Abschriften anfallen können (VG Ansbach, Beschluss vom
10.07.2007 AN 2 E 0.610634, Juris).
a) Der Kostenfreiheit der Übersendung angeforderter Akten oder Unterlagen
entsprechend gehört es zum allgemeinen Verwaltungsaufwand i. S. v. Art. 104a Abs. 1
und Abs. 5 GG, eine Behördenakte anzulegen und sie bei Bedarf in einem gerichtlichen
Verfahren vorzulegen. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer Beteiligung der Behörde
am Rechtsstreit und ihren dabei entstehenden allgemeinen Kosten einschließlich Retent-
Kopiekosten nach Original-Übersendung (Hessischer VGH, Beschluss vom 08.10.1987 3
S 2317/87 mit zahlr. Nachw.; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.03.1984 6
B 986/83; zum allgemeinen Verwaltungsaufwand vgl. ferner Hessischer VGH, Urteil vom
24.11.1989 7 UE 2828/84, DB 1990, 944).
b) Die Kostenfreiheit der gerichtlichen Anforderung nach § 86 FGO oder § 99 VwGO
entspricht insoweit zugleich dem allgemeinen Grundsatz der Kostenfreiheit aus Art. 104a
Abs. 1, 5 GG auch bei der hier nicht einschlägigen Amtshilfe für Behörden gemäß §§ 4 ff.,
13
14
15
16
17
§ 8 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwVfG bzw. §§ 4 ff., § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG (vgl.
Beschlüsse OLG Düsseldorf vom 24.05.2012 I-10 W 6/12, 10 W, JurBüro 2012, 597; OLG
Sachsen-Anhalt vom 28.04.2009 1 Ws 92/09, NStZ-RR 2009, 296; Thüringer OLG vom
18.02.2008 1 Ws 333/07, JurBüro 2008, 602; LG Meiningen vom 23.01.2008 2 Qs 2/08,
Juris; Brandenburgisches OLG vom 08.02.2007 1 Ws 209/06, JMBl BB 2007, 114; VG
Lüneburg vom 04.01.2007 10 E 1/06, Juris; LG Neuruppin vom 29.06.2006 12 Qs 13/06,
Juris; LG Freiburg vom 14.10.2002 4 T 212/02, Juris; Thüringer LSG vom 12.04.1999 L 6
B 27/98 SF, Breith 1999, 657; LAG Nürnberg vom 31.01.1996 5 Ta 159/95, Juris;
Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 8; Gersdorf in Posser/Wolf, VwGO, 2.
A., § 14 Rz. 7; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. A., § 8 Rz. 7).
c) So umfasst die Amtshilfe für Gerichte nach § 13 FGO oder § 14 VwGO auch die
Übersendung der gerichtlich angeforderten Akten, Unterlagen oder Auskünfte gemäß § 86
FGO oder § 99 VwGO (vgl. BVerwG-Urteil vom 23.08.1968 IV C 235.65, BVerwGE 30,
154, DÖV 1968, 836; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 1; Redeker/von Oertzen,
VwGO, 15. A., § 99 Rz. 2).
d) Im Übrigen unterscheidet sich das Verhältnis bei der Amtshilfe für Gerichte - wie bei der
Rechtshilfe - grundlegend von der Amtshilfe zwischen Behörden. Denn anders als diese
unterliegen die Finanz- und Verwaltungsgerichte der verfassungsrechtlich verankerten
Pflicht, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, der höhere Anforderungen an die
Amtsermittlung stellt. Dem tragen die FGO und VwGO dadurch Rechnung, dass sie auf
Kostenerstattungsregelungen für die Übersendung von Urkunden und Akten sowie für die
Erteilung amtlicher Auskünfte verzichten (Geiger in Eyermann/Fröhler, VwGO, 13. A., § 14
Rz. 14; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4).
e) Nicht zu entscheiden ist hier über weitergehende Amtshilfe für Gerichte gemäß § 13
FGO oder § 14 VwGO - etwa durch Zurverfügungstellung eines Ortstermin-Sitzungsraums
oder Protokollführers - (vgl. Müller-Horn in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 5;
Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 14 Rz. 3; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 4)
und über die darauf bezogene Frage einer entsprechenden Anwendung von § 8 VwVfG
(vgl. Funke-Kaiser in Bader u. a., VwGO, 5. A., § 14 Rz. 7, 14); Funke-Kaiser in
Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 8 Rz. 5 ff., 10; Stelkens/Panzer in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, § 14 Rz. 14) oder des JVEG (vgl. Hans. OLG Hamburg,
Beschluss vom 04.12.1986, NJW 1987, 1095; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4;
Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 4; Ziekow, VwVfG, 3. A., § 8 Rz. 3).
f) Ferner ist die Anforderung von Unterlagen, Akten oder Auskünften nach § 86 FGO oder
§ 99 VwGO als kostenfreie Amtshilfe für Gerichte zu unterscheiden von Amtshilfe oder
Amtshandlungen für Behörden mit den dortigen - hier nicht vorliegenden - Fällen
- der angeforderten Auslagenerstattung für eine ausnahmsweise besonders
kostenaufwändige Amtshilfe der Behörde eines - in Abgrenzung zu § 8 Abs. 1 Satz 3
VwVfG - anderen Rechtsträgers gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG (vgl.
Urteile VG Düsseldorf vom 07.10.2011 24 K 3330/11, Juris; VG Arnsberg vom 11.11.2010,
11 K 3888/09, Juris; VG Halle vom 02.02.2010 1 A 71/09, Juris; Thüringer OVG vom
23.05.2007 1 KO 1299/05; Bayerischer VGH vom 02.04.2003 4 ZB 01.2981, KKZ 2003,
128; vom 20.07.1993 5 B 92.3624, BayVBl 1994, 243; VG München vom 16.12.1999 M 29
K 99.1991, NVwZ-RR 2000, 742; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 9)
oder
- der ersuchten weitergehenden und u. U. gemäß § 8 Abs. 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG
kostenpflichtigen "Amtshandlung" (bzw. "individuell zurechenbaren Leistung" i. S. d.
BGebG) einer Behörde in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich (vgl. Urteile Bayerischer
VGH vom 04.06.2013 5 B 11.2412, Juris, vorgehend VG Augsburg vom 13.10.2010 Au 6
K 10.209, Juris; Beschlüsse AG Augsburg vom 30.03.2007 91 M 5173/05, DGVZ 2007,
95; AG Osnabrück vom 09.06.1995 9 AU 722/95, NdsRPfl 1995, 353; OLG Karlsruhe vom
17.05.1989 11 W 59/89, Justiz 1989, 353; Hoffmann in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG,
4. A., § 8 Rz. 2);
- z. B. Staatsarchiv-Recherche (vgl. VG Gera, Urteil vom 29.03.2007 5 K 270/05 GE, 5 K
270/05, ThürVBl 2008, 22) oder
- Kataster-Amtshandlung (vgl. Urteile VG Schwerin vom 10.12.2010 7 A 706/10, Juris Rz.
21; OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 14.05.2008 1 L 166/05, NordÖR 2008, 364, Juris
Rz. 35 ff.; VG Frankfurt vom 13.02.2007 1 K 913/05, Juris Rz. 20; BVerwG vom
21.06.2006 8 C 12/05, Juris Rz. 39; Hessischer VGH vom 13.03.1991 5 UE 1719/87,
DVBl 1991, 1364, Juris Rz. 21; VGH Baden-Württemberg vom 16.07.1985 14 S 227/84,
Juris).
Dabei setzt in diesen Fällen die Kostenerstattung durch die ersuchende Behörde eine
darauf gegen letztere gerichtete Ermächtigungsgrundlage der ersuchten Behörde voraus
(vgl. Urteile VG Hannover vom 24.09.2009 10 A 2071/08, Juris; Bayerischer VGH vom
25.01.2007 4 BV 04.3156, DÖV 2007, 345; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. A., § 8 Rz. 12).
18
19
3. Infolge der Erledigung kommt es nicht mehr darauf an, dass die für den Landesbetrieb
zuständige oberste Aufsichtsbehörde für eine Verweigerung der Urkundenübersendung
durch den Landesbetrieb gemäß § 86 Abs. 2-3 FGO wie nach § 99 Abs. 2 VwGO hätte
eingeschaltet werden müssen (vgl. Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 18) und
ob oder dass nach ihrer Beiladung in einem Zwischenstreit gemäß § 86 Abs. 1-2 FGO wie
nach § 99 Abs. 1-2 VwGO entsprechend dem "in-camera-Verfahren" in der höheren
Instanz über das Vorliegen von Verweigerungsgründen hätte entschieden werden
müssen (zur erfolglosen Verweigerung wegen unverhältnismäßigen
Verwaltungsaufwands vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 30.04.2010 6 A 1341/09,
NVwZ 2010, 1112 zu 3, Juris Rz. 14 ff.).
III. Der Beschluss ergeht durch den Einzelrichter nach Übertragung vom 26. Februar 2014
gemäß § 6 FGO und ist gemäß § 128 FGO nicht anfechtbar.