Urteil des FG Hamburg vom 11.04.2014

FG Hamburg: vollziehung, vorläufiger rechtsschutz, sicherheitsleistung, berechnung der steuer, aussetzung, materielle rechtskraft, elektrischer strom, europäische atomgemeinschaft, überzeugung

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Kernbrennstoffsteuer, Verfahrensrecht: Aufhebung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtmäßigkeit des KernbrStG
1. Der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg hält das Kernbrennstoffsteuergesetz für verfassungswidrig.
Die Kernbrennstoffsteuer besteuere nicht den Verbrauch von Kernbrennstoffen oder elektrischen Strom,
sondern sei eine Steuer zur Abschöpfung der Gewinne der Kraftwerkbetreiber. Deshalb habe sich der
Bund zu Unrecht auf seine Gesetzgebungskompetenz für Verbrauchsteuern berufen (im Anschluss an den
Vorlagebeschluss des FG Hamburg an das BVerfG vom 29.1.2013, 4 K 270/11).
2. Die Unionsrechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ist ernsthaft zweifelhaft. Das in der
europäischen Energiesteuerrichtlinie verankerte Prinzip der "Output-Besteuerung" verbietet es, neben
dem elektrischen Strom selbst auch noch die Energieerzeugnisse zu besteuern, die zu seiner Produktion
eingesetzt werden. Es ist durchaus möglich, dass dieses Verbot auch die in der Richtlinie nicht
ausdrücklich genannten Kernbrennstoffe erfasst (im Anschluss an das Vorabentscheidungsersuchen des
FG Hamburg an den EuGH vom 19.11.2013, 4 K 122/13).
3. Um das Bestehen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheids zu begründen, ist der
Hinweis auf ein anhängiges Vorabentscheidungsersuchen zu den maßgeblichen Fragen an den EuGH
hinreichend, dessen Ausgang nicht vorhersehbar ist.
4. Veränderte Umstände, die die Zulässigkeit eines Änderungsantrags nach § 69 Abs. 6, Satz 2 FGO
begründen, liegen vor, wenn zu den entscheidungserheblichen Fragen zwischenzeitlich ein konkreter
Normenkontrollantrag an das BVerfG oder ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet
worden ist.
5. Für die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz wegen ernstlicher Zweifel, ob das dem
angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Gesetz unionsrechtmäßig ist, bedarf es über die in § 69 FGO
ausdrücklich benannten Voraussetzungen hinaus keines besonderen Interesses des Antragstellers an der
Gewährung von Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung.
6. Das für die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutzes wegen ernstlicher Zweifel, ob das dem
angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Gesetz verfassungsmäßig ist, von Teilen der Rechtsprechung
verlangte besondere Aussetzungs- oder Aufhebungsinteresse ist dann gegeben, wenn das Gesetz dem
BVerfG im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens zur Prüfung vorgelegt worden ist. Dies gilt
auch für Vorlagebeschlüsse eines Finanzgerichts.
Beschwerde zugelassen
FG Hamburg 4. Senat, Beschluss vom 11.04.2014, 4 V 154/13
Art 1 Abs 1 EGRL 118/2008, Art 1 Abs 2 EGRL 118/2008, Art 2 Abs 1 EGRL 96/2003, Art 2 Abs 3 EGRL 96/2003,
Art 14 Abs 1 Buchst a EGRL 96/2003, Art 100 Abs 1 GG, § 69 Abs 2 FGO, § 69 Abs 3 FGO, § 69 Abs 6 S 2 FGO,
§ 115 Abs 2 FGO, § 128 Abs 3 S 2 FGO
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung betreffend
Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung
des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 08.12.2010 (BGBl. I S. 1804 - KernbrStG -), sondern ausschließlich
über die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst rechtmäßig ist.
A. 1. Die Antragstellerin betreibt von den neun ... gegenwärtig in Deutschland noch in Betrieb befindlichen
Kernkraftwerken unter anderem das streitgegenständliche Kernkraftwerk in X. Sie ist im Besitz der dafür
erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung.
Am 16.06.2011 setzte die Antragstellerin Brennelemente in den Kernreaktor des Kernkraftwerks X ein und
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löste eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen
Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von EUR 96.347.570,-, die sie in der Folgezeit
zunächst entrichtete.
2. Auf ihren vorläufigen Rechtsschutzantrag hob das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 16.09.2011
(4 V 133/11) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung mit der Begründung auf, dass es
ernstlich zweifelhaft sei, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer eine
Gesetzgebungskompetenz zustehe. Ob das Kernbrennstoffsteuergesetz im Übrigen verfassungs- und
europarechtsgemäß sei, ließ der Senat dahingestellt.
Auf die vom Antragsgegner erhobene Beschwerde hob der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 09.03.2012
(VII B 171/11) den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 16.09.2001 auf und lehnte den Antrag auf
Aufhebung der Vollziehung unter Hinweis darauf ab, dass im Streitfall die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes in der praktischen Auswirkung einem einstweiligen Außerkraftsetzen des
Kernbrennstoffsteuergesetzes gleich käme. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG stehe indes allein dem
Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zu, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Dass ihr durch die
sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte
drohen würden, habe die Antragstellerin nicht schlüssig vorgebracht. - Zu der von der Antragstellerin ebenfalls
gerügten Europarechtswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verhält sich der Beschluss des
Bundesfinanzhofs nicht.
3. Die Antragstellerin hatte bereits am 28.11.2011 Klage gegen die Steueranmeldung und die zwischenzeitlich
ergangene Einspruchsentscheidung erhoben. Mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) hat der
beschließende Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
darüber eingeholt, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb ungültig
ist. Der Senat führt in seinem Beschluss aus, dass er zu der Überzeugung gelangt sei, das
Kernbrennstoffsteuergesetz sei formell verfassungswidrig, weil dem Bund für die Einführung der
Kernbrennstoffsteuer keine Gesetzgebungskompetenz zur Seite stehe. - Eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (Az.: 2 BvL 6/13) über die Vorlage des Senats steht noch aus.
B. In einem Parallelverfahren eines anderen Kernkraftwerksbetreibers hat der Senat zwischenzeitlich mit
Beschluss 19.11.2013 (4 K 122/13) das Verfahren ebenfalls ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts im Wege der Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Frage:
Berechtigt Art. 267 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Buchst. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV) das Gericht eines Mitgliedstaats, Fragen, die ihm im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit
eines nationalen Gesetzes über die Auslegung von Unionsrecht gestellt werden, auch dann dem Gerichtshof
der Europäischen Union vorzulegen, wenn das Gericht nicht nur einerseits Zweifel an der
Unionsrechtmäßigkeit des Gesetzes hat, sondern andererseits auch zur Überzeugung gelangt ist, das
nationale Gesetz widerspreche der nationalen Verfassung, und deswegen in einem Parallelfall bereits das
nach nationalem Recht allein zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen befugte
Verfassungsgericht angerufen hat, dessen Entscheidung aber noch nicht vorliegt?
Sofern die 1. Frage bejaht wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Frage:
2. Frage:
Stehen die zur Harmonisierung von Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in
der Union erlassenen Richtlinien RL 2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer,
die auf zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird,
entgegen? Kommt es darauf an, ob erwartet werden kann, dass die nationale Steuer über den Strompreis auf
den Verbraucher abgewälzt werden kann, und was ist gegebenenfalls unter Abwälzung zu verstehen?
Sofern die 2. Frage verneint wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Fragen:
3. Frage:
Kann sich ein Unternehmen gegen eine Steuer, die ein Mitgliedstaat zur Erzielung von Einnahmen auf die
Verwendung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom erhebt, mit dem
Einwand wehren, die Erhebung der Steuer stelle eine unionsrechtswidrige Beihilfe gemäß Art. 107 AEUV dar?
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Sofern die vorstehende Frage bejaht wird:
Stellt das deutsche Kernbrennstoffsteuergesetz, nach dem zur Erzielung von Einnahmen eine Steuer nur von
solchen Unternehmen erhoben wird, die gewerblich Strom unter Verwendung von Kernbrennstoffen erzeugen,
eine staatliche Beihilfemaßnahme im Sinne des Art. 107 AEUV dar? Welche Umstände sind bei der Prüfung
beachtlich, ob sich andere Unternehmen, bei denen Steuern nicht in gleicher Weise erhoben werden, in einer
vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden?
4. Frage:
Steht die Erhebung der deutschen Kernbrennstoffsteuer im Widerspruch zu den Regelungen des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV)?
Über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht
entschieden (Az. EuGH C-5/14).
C. Am 28.11.2013 hat die Antragstellerin, nachdem ihr erneuter Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der
angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer vom Antragsgegner wiederum abgelehnt worden war, beim
Finanzgericht Hamburg abermals um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
1. a) Sie begründet ihren Antrag zum einen mit der Europarechtswidrigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz stehe im Widerspruch zu europarechtlichen Vorschriften,
insbesondere verstoße es
- gegen das in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG enthaltene Verbot einer Inputbesteuerung bei
der Stromerzeugung,
- gegen das in Art. 1 RL 2008/118/EG enthaltene Verbot der Erhebung nicht harmonisierter
Verbrauchsteuern auf Strom,
- gegen das EURATOM-Vertragsziel der preisgleichen Versorgung zur Sicherung eines
wettbewerbsneutralen Bezuges der Brennelemente und regele eine europavertragswidrige Besteuerung
von EURATOM,
- gegen EU-Beihilferecht.
Dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO vorlägen, werde durch das
Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 wegen klärungsbedürftiger
unionsrechtlicher Rechtsfragen belegt. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes während des
Vorabentscheidungsverfahrens bedürfe es - auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - der
Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung.
Es sei nicht erforderlich, dass sie - die Antragstellerin - noch ein besonderes berechtigtes Interesse an der
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geltend mache. Ein solches Interesse werde zwar von einigen
Senaten des Bundesfinanzhofs für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal dann verlangt, wenn die Rechtmäßigkeit des Veraltungsaktes wegen Zweifeln an der
Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes in Frage gestellt werde. Begründet werde diese
Forderung mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts und zum Schutz der
öffentlichen Haushalte. Entsprechendes werde hingegen zu Recht weder in der Rechtsprechung noch im
Schrifttum in Fällen von Zweifeln an der Europarechtsmäßigkeit eines Gesetzes verlangt. Es bestehe kein
Verwerfungsmonopol bestimmter Gerichte für unionsrechtswidrige Gesetze. Der Gerichtshof der
Europäischen Union lehne es auch prinzipiell ab, in einem bloßen Fiskalinteresse einen tragfähigen
Rechtfertigungsgrund für eine Verletzung der Grundfreiheiten wie der Versagung von Eilrechtsschutz zu
sehen.
b) Die Antragstellerin begründet ihren Antrag zum anderen mit der Verfassungswidrigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz sei formell und materiell verfassungswidrig, einerseits wegen
mangelnder Gesetzgebungskompetenz des Bundes, andererseits wegen Verstoßes gegen die Grundrechte
aus Art. 3 und 14 GG.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs folge aus dem Umstand, dass ein Gericht dem
Bundesverfassungsgericht eine Norm im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur Aufhebung vorgelegt
habe, die Verpflichtung zur Gewährung der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des auf der
Grundlage dieser Norm ergangenen Bescheids. Die Aussetzungs- bzw. Aufhebungspflicht sei unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Vorlagen oberster
Bundesgerichte beschränkt. Eine solche Beschränkung wäre rechtswidrig, denn sie würde das Gebot
effektiven Rechtsschutzes verletzen. Außerdem würde dadurch ein Rechtssuchender, dessen
Hauptsacheverfahren bereits durch ein Instanzgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden sei,
ungerechtfertigt gegenüber demjenigen diskriminiert, dessen Rechtsstreit erst am Ende des Instanzenzuges
durch ein Bundesgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werde.
c) Die Beschwerdeentscheidung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B 171/11) stehe
der Stellung eines neuen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung nicht entgegen.
Zwar habe der Bundesfinanzhof in jenem Beschluss eine Aufhebung der Vollziehung zu ihren, der
Antragstellerin, Gunsten abgelehnt. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass jener Entscheidung in rechtlicher
Hinsicht ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Zum einen habe die mit der Beschwerde
angegriffene Eilrechtsschutzgewährung durch das Finanzgericht lediglich auf Zweifeln an der formellen
Verfassungsgemäßheit des Kernbrennstoffsteuergesetzes beruht, die zudem nur das Ergebnis einer
vorläufigen Prüfung gewesen sei. Inzwischen liege mit dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats
vom 29.01.2013 (FG Hamburg, 4 K 270/11, s. o.) eine gerichtliche Entscheidung über die
Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes vor. Zum anderen stehe mit dem
Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 (FG Hamburg, 4 K 122/13, s. o.)
fest, dass die Europarechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ebenfalls zweifelhaft sei.
Die Beschwerdeentscheidung des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 sei richtigerweise so zu verstehen,
dass Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Bescheids im Hinblick auf eine
Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes zwar grundsätzlich zu versagen sei, dies jedoch
nicht gelte, wenn entweder ein derart offenkundiger Verfassungsverstoß gegeben sei, dass das Gesetz die
formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trage, oder - sofern ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1
GG noch nicht vorliege - die Vollziehung des Bescheids für den Steuerpflichtigen einen wesentlichen Nachteil
darstelle. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Entscheidung des VII. Senats ein noch restriktiveres
Verständnis des § 69 FGO zugrunde liege, zumal der VII. Senat keinen Anlass gesehen habe, den Großen
Senat des Bundesfinanzhofs (§ 11 Abs. 2 FGO) anzurufen, wozu er anderenfalls im Hinblick auf eine dann
festzustellende Abweichung seines Beschlusses von der Rechtsprechung anderer Senate verpflichtet
gewesen wäre.
d) Sie - die Antragstellerin - ist auch der Ansicht, dass ihr einstweiliger Rechtsschutz ohne
Sicherheitsleistung zu gewähren sei. Unstreitig gebe es aktuell keine Anzeichen, dass sie im gegenwärtigen
Zeitpunkt die Steuer nicht mehr entrichten könne. Allgemeine Erwägungen über die Möglichkeit einer
Vermögensverschlechterung bis zur Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigten die Anordnung einer
Sicherheitsleistung nicht. Sie weist darauf hin, dass bereits aufgrund der Bedingungen für die Erteilung einer
kerntechnischen Genehmigung nach § 7c Abs. 2 Atomgesetz bei ihr als Genehmigungsinhaberin das
Vorhalten angemessener finanzieller Mittel zur Erfüllung ihrer Pflichten in Bezug auf die nukleare Sicherheit
gewährleistet und damit zugleich ihre steuerliche Leistungsfähigkeit gegeben sei. Die Eigenkapitalquote des
Genehmigungsinhabers sei nicht ausschlaggebend. Zu berücksichtigen sei im Übrigen zu ihren Gunsten,
dass sie in den Y-Konzern, der zum 31.12.2012 ein Eigenkapital von über EUR ... Mio. aufgewiesen habe,
eingebunden sei und dass diese Einbindung auch eine Verlustübernahmeverpflichtung beinhalte. Allein aus
seinem Teilgeschäft mit der Weiterleitung von Energie erziele der Konzern jährlich ein "EBITDA" ("earnings
before interest, taxes, depreciation and amortization" = "Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen (auf
Sachanlagen) und Abschreibungen (auf immaterielle Vermögensgegenstände)") von über EUR ... Mio., mithin
ein Betrag, der für sich bereits die jährlichen Kernbrennstoffsteuerforderungen übersteige. Die Antragstellerin
weist darauf hin, dass die Bundesregierung selbst keine Zweifel an einem Einstehen des Konzerns habe, wie
sich aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im November 2011 nach den Stilllegungs- und Abbaukosten
von Kernkraftwerken im Fall der Insolvenz der Betreiber ergebe, in der die Bundesregierung ohne weitere
Begründung auf die Haftung der vier großen Energieversorger Deutschlandes verwiesen habe, zu denen auch
die Y SE gehöre.
Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung der am 08.07.2011 angemeldeten und gezahlten
Kernbrennstoffsteuer in Höhe von EUR 96.347.570 ohne Sicherheitsleistung für den Zeitraum ab Fälligkeit der
angemeldeten Kernbrennstoffsteuer bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung über den Abschluss
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des Klageverfahrens aufzuheben.
2. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen,
hilfsweise die Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen.
Entscheidungsgründe
Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig und unbegründet.
a) Da im vorliegenden Rechtsstreit durch den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B
171/11) einstweiliger Rechtsschutz bereits unanfechtbar versagt worden sei, könne der vorliegende Antrag
nur auf der Grundlage von § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig sein, dessen Voraussetzungen allerdings nicht
erfüllt seien. Gegenstand der allein in Betracht kommenden Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg über
die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht und das Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der
Europäischen Union seien lediglich die im damaligen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof bereits
vorgetragenen und bekannten Aspekte; die zeitlich späteren Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg
vertieften lediglich die seinerzeitigen rechtliche Erwägungen.
b) Der Antrag sei zudem unbegründet.
Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit
Vorschriften höherrangigen Rechts. Von ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 69 FGO könne nur dann die
Rede sein, wenn das Obsiegen des Betroffenen im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich
sei wie sein Unterliegen.
Der Umstand, dass überhaupt ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union
gerichtet worden sei, begründe für sich keine derart qualifizierten Zweifel, denn formelle Voraussetzung eines
Vorabentscheidungsersuchens sei lediglich die bloße Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Die von der
Antragstellerin und dem Finanzgericht Hamburg vorgetragenen Bedenken würden indes durch eine Vielzahl
gewichtiger Argumente ausgeräumt.
Insbesondere sei die Richtlinie RL 2003/96/EG wegen ihres Wortlauts nicht direkt, aber auch nicht analog
anwendbar, weil der Grundsatz der schrittweisen Harmonisierung einer Anwendungsanalogie entgegenstehe.
Im Übrigen ergebe sich aus der Systematik der Richtlinie, ihren Zielen und ihrer Entstehungsgeschichte unter
Berücksichtigung des Willens der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten, dass Kernbrennstoffe von der
Richtlinie RL 2003/96/EG bewusst ausgeschlossen worden seien. Der Anwendungsbereich der
Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG werde auch nicht durch die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL
2008/118/EG erweitert. Kernbrennstoffe unterfielen nicht den harmonisierten Verbrauchsteuern. Anders als
das Finanzgericht Hamburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen erwäge, handele es sich bei der
Kernbrennstoffsteuer auch nicht um eine direkte oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom, denn die
Kernbrennstoffsteuer sei sowohl bei der Entstehung als auch bei der Berechnung unabhängig von der
tatsächlich verbrauchten und verbrauchsteuerpflichtigen Strommenge. Weiterhin ergäben sich auch keine
ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem europäischen Beihilferecht und mit
den Vorschriften über die europäische Atomgemeinschaft.
Die gegen die Verfassungsmäßigkeit vorgetragenen Argumente überzeugten gleichfalls nicht.
c) Im Übrigen müsse bei der Anwendung des in § 69 FGO normierten Anordnungsermessens selbst im
unterstellten Fall des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes
mit höherrangigem Recht berücksichtigt werden, dass ein atypischer Fall vorliege, weil es nicht allein um eine
möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung der Verwaltung, sondern um die Gesetzesentscheidung des
demokratisch legitimierten Gesetzgebers gehe. Die dementsprechend vorzunehmende Abwägung von
Aussetzungsinteresse einerseits und Vollzugsinteresse andererseits sei bereits durch den Bundesfinanzhof
in seinem Beschluss vom 09.03.2012 vorgenommen und vorläufiger Rechtsschutz zu Recht versagt worden.
Dass dies nicht nur im Hinblick auf verfassungs-, sondern auch in Bezug auf unionsrechtliche Fragen gelte,
ergebe sich aus der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Gerichtshofs bei der Europäischen
Union vom 13.06.2006 in der Rechtssache Unibet (C-432/05).
d) Einstweiliger Rechtsschutz sei gegebenenfalls nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren, weil die
Durchsetzung des Steueranspruchs aufgrund konkreter Anhaltspunkte gefährdet wäre, falls die
Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliege.
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Zwar habe die Antragstellerin bislang alle Steuerforderungen beglichen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage
einer Gefährdung sei jedoch der Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Da aller Voraussicht nach in dem
Hauptsacheverfahren eine rechtskräftige Entscheidung erst in drei Jahren zu erwarten sei, gerechnet ab dem
Erlass des Vorabentscheidungsersuchens durch den beschließenden Senat, müsse die
Gefährdungsprognose die bis dahin zu erwartenden Entwicklungen mitberücksichtigen.
Dabei sei zu bedenken, dass die Antragstellerin über verhältnismäßig wenig Eigenkapital verfüge. Die
Antragstellerin habe im letzten veröffentlichen Jahresabschluss zum 31.12.2012 Eigenkapital von nur rund
EUR ... Mio. ausgewiesen. Ihre Eigenkapitalquote habe damit weniger als 2 % der Bilanzsumme betragen
und damit unter den in der Energiewirtschaft üblichen 40 % gelegen.
Für die Zukunft bestünden erhebliche Risiken im Hinblick auf hohe Kosten für die Entsorgung von
Brennelementen und für die Stilllegung und Beseitigung von nuklearen Anlagen. Die Antragstellerin habe
hierfür Rückstellungen in Höhe von über EUR ... Mio. und über EUR ... Mio. gebildet. Soweit sich diese
Kosten gegenüber den Schätzungen auch nur verhältnismäßig geringfügig erhöhen sollten, wäre die Deckung
der Mehrkosten durch das geringe Eigenkapital kaum darstellbar. Zudem bestehe aufgrund des anhaltend
niedrigen Zinsniveaus ein Korrekturbedarf nach Erhöhung der Rückstellungen. Ein weiterer Korrekturbedarf
könne sich auch aus der zu erwartenden gesetzlichen Neubewertung der Sicherheitsanforderungen an die
Endlagerung hochradioaktiver Abfälle bis 2016 ergeben.
Zu berücksichtigen sei die Höhe der Kernbrennstoffsteuerforderungen; die Antragstellerin schulde nicht nur
die in diesem Verfahren streitgegenständliche Steuer, sondern für die bereits abgelaufene Zeit bis zum Ende
des Jahres 2013 allein oder als Gesamtschuldner insgesamt Kernbrennstoffsteuer in Höhe von rund EUR ...
Mio. Zudem entstehe zu Lasten der Antragstellerin zukünftig jährlich weitere Kernbrennstoffsteuer in Höhe
von rund EUR ... Mio. Sollte einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden, die Antragstellerin im
Hauptsacheverfahren in geschätzten drei Jahren aber unterliegen, müsste sie eine Steuerschuld von bis zu
EUR ... Mio. zuzüglich Zinsen von 6 % pro Jahr zahlen.
Zusammenfassend bestehe daher ein erhebliches Risiko, dass die Antragstellerin im Falle einer Aufhebung
und Aussetzung der Vollziehung bei einer Entscheidung der Hauptsache im Jahr 2016 für die dann
aufgelaufenen Steuerschulden nicht werde einstehen können, zumal die wirtschaftliche Entwicklung der
Antragstellerin vor dem Hintergrund der Energiewende unsicher sei.
Auf die Leistungsfähigkeit der Konzernmutter der Antragstellerin komme es rechtlich nicht an. Außerdem
könne die Konzernstruktur, aus der sich nach Ansicht der Antragstellerin eine Haftung der Konzernmutter
ergeben solle, jährlich geändert werden. Selbst wenn es eine Einstandspflicht der Konzernmutter geben
würde, wäre eine die geforderte Sicherheitsleistung rechtfertigende Steueranspruchsgefährdung gegeben,
denn auch die Wirtschaftslage der Konzernmutter habe sich - zum Teil aus denselben Gründen wie bei der
Antragstellerin - bereits in einem im Verhältnis zu der Höhe der in Rede stehenden
Kernbrennstoffsteuerforderungen gegen sämtliche Konzerngesellschaften wesentlichen Maß verschlechtert
und es drohe eine noch weitere Verschlechterung.
D. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des
Antragsgegners verwiesen.
II. Der Antrag hat Erfolg. Er ist gemäß § 69 Abs. 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig (1) und gemäß §
69 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit (2) und
an der Verfassungsmäßigkeit (3) der angefochtenen Steueranmeldung. Weitere Voraussetzungen sind für die
Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die unionsrechtlichen Zweifel nicht erforderlich
(4a) bzw. im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel jedenfalls nunmehr gegeben (4b).
Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen (5).
Die Beschwerde ist zuzulassen (6).
1. Der Antrag ist als Änderungsantrag gemäß § 69 Abs. 3, Abs. 6 FGO zulässig.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag die Vollziehung ganz oder
teilweise aussetzen. Da die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in
materielle Rechtskraft erwächst, kann das Gericht nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Aussetzungsbeschlüsse
über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder
Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter
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Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Es steht dem Antragsteller frei, jederzeit einen neuen
Antrag zu stellen. Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings an die Voraussetzungen des §
69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden.
a) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind im Streitfall erfüllt.
Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit des Antrags entweder von veränderten Umständen (§ 69 Abs. 6
Satz 2 Alt. 1 FGO) oder von zwar unveränderten Umständen abhängig, die aber im ursprünglichen Verfahren
ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind (§ 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO). "Umstände" in diesem
Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung
entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage
inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche
Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.2013, V B 68/13;
Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl., § 69 Rz 199; Seer, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, § 69 FGO Rz 166, jeweils
m. w. N.).
Vorliegend kann sich die Antragstellerin auf in zweifacher Hinsicht veränderte Umstände im Sinne des § 69
Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO berufen, die ihren erneuten vorläufigen Rechtsschutzantrag zulassen. Diese
veränderten Umstände liegen zum einen darin, dass der beschließende Senat das
Kernbrennstoffsteuergesetz zwischenzeitlich mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) dem
Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorgelegt hat. Zum
anderen haben sich die Umstände zusätzlich dadurch verändert, dass der beschließende Senat
zwischenzeitlich auch für dieses Verfahren entscheidungserhebliche Rechtsfragen im Rahmen eines
Vorabentscheidungsersuchens dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat (Beschluss vom 19.11.2013, 4 K
122/13). Für die Zulässigkeit des Antrags ist dabei ohne Bedeutung, inwieweit diese Beschlüsse jeweils in
dem Hauptsacheverfahren der Antragstellerin gegen die auch im vorliegenden Antragsverfahren
streitgegenständliche Steueranmeldung ergangen ist oder aber in einem Parallelverfahren der Antragstellerin
oder eines anderen Betreibers eines Kernkraftwerkes. So wie die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes sämtliche Anfechtungsverfahren gegen Anmeldungen bzw. Festsetzungen von
Kernbrennstoffsteuer betrifft, so sind die vom Senat dem Europäischen Gerichthof vorgelegten
unionsrechtlichen Zweifelsfragen in gleicher Weise auch für den Ausgang der von der Antragstellerin gegen
die streitgegenständliche Steueranmeldung erhobenen Anfechtungsklage entscheidungserheblich.
Ob für die Zulässigkeit eines Antrags gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eine erneute behördliche Ablehnung
gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO erforderlich ist, kann dahinstehen, weil die Antragstellerin am 25.06.2013
einen erneuten Antrag beim Antragsgegner gestellt hatte, den dieser am 19.08.2013 abgelehnt hat.
b) Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen nimmt der beschließende Senat den von der Antragstellerin
gestellten (erneuten) vorläufigen Rechtsschutzantrag zum Anlass, den in der Sache 4 V 133/11 ergangenen
und zwischenzeitlich vom Bundesfinanzhof im Beschwerdeverfahren VII B 171/11 aufgehobenen Beschluss
von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO zu ändern. Die Änderung des die Aussetzung der
Vollziehung ablehnenden BFH-Beschlusses von Amts wegen ist ebenfalls in zweifacher Hinsicht
sachgerecht. Zum einen, weil der Senat - nachdem er in den ersten Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes
zunächst wegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes gewährt hat, die der
Bundesfinanzhof in seinen Aufhebungsbeschlüssen nicht in Abrede genommen hat - nunmehr die Frage der
formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes dem Bundesverfassungsgericht im
Rahmen einer konkreten Normenkontrolle aufgrund ausführlich dargelegter Überzeugung von der
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Entscheidung vorgelegt hat. Zum anderen ist die Änderung durch
den Senat von Amts wegen aber auch deswegen sachgerecht, weil er auch den Europäischen Gerichtshof
nach Art. 267 AEUV zur Auslegung der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen
angerufen hat, und die von der Antragstellerin in Bezug auf das Kernbrennstoffsteuergesetz vorgebrachten
europarechtlichen Einwände nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung eines vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens waren.
c) Das Finanzgericht Hamburg ist für einen erneuten Antrag der Antragstellerin zuständig.
Zuständig für die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 FGO ist als Gericht der
Hauptsache regelmäßig das Finanzgericht. Wegen der eingeschränkten Kompetenzen eines
Beschwerdegerichts ist das Finanzgericht auch dann für die Entscheidung nach § 69 Abs. 6 FGO zuständig,
wenn der Bundesfinanzhof bereits über eine Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO gegen eine frühere
Entscheidung des Finanzgerichts zum vorläufigen Rechtsschutz entschieden hat, selbst wenn seine
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Entscheidung von der des Finanzgerichts abweicht (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung
Finanzgerichtsordnung, FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 25.03.1993, I S 5/93).
Eine Bindung des Finanzgerichts an die Beschwerdeentscheidung gibt es im Rahmen von § 69 Abs. 6 FGO
nicht (BFH, Beschluss vom 26.03.1980, I B 11/80).
Zu einer Zuständigkeitsverlagerung auf den Bundesfinanzhof kann es nur kommen, wenn die Hauptsache
inzwischen beim Bundesfinanzhof anhängig ist (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung,
FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 28.08.2003, VIII S 26/02; BFH, Beschluss vom
26.09.2008, VIII B 37/08; vgl. auch BFH, Beschluss vom 13.10.1999, I S 4/99 m. w. N), was hier nicht der
Fall ist.
Eine Zuständigkeitsverlagerung auf das Bundesverfassungsgericht infolge der Vorlage des
Hauptsacheverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erfolgt nicht.
2. Die materiellen Voraussetzungen für eine Aufhebung der Vollziehung sind zunächst im Hinblick auf das
Unionsrecht gegeben.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines
angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen oder aufheben, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Verwaltungsaktes bestehen oder - was vorliegend nicht in Betracht kommt und auch von der
Antragstellerin nicht geltend gemacht wird - seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen
Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit
in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von
Rechtsfragen besteht und sich der Verwaltungsakt bei abschließender Klärung dieser Fragen als rechtswidrig
erweisen kann (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12;
Beschluss vom 26.09.2007, I B 53, 54/07; Beschluss vom 30.10.2008, II B 58/08, Beschluss vom
02.04.2009, II B 157/08, jeweils m. w. N.). Zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes ist es nicht
erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit
überwiegen (BFH, Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im
summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern es ist im Regelfall die Vollziehung
auszusetzen (BFH, Beschluss vom 13.03.2012, I B 111/11; Beschluss vom 19.05.2010, I B 191/09).
b) Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen
Steueranmeldung, weil nach Ansicht des beschließenden Senats die Europarechtmäßigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes zweifelhaft ist.
aa) Der Senat kann unentschieden lassen, ob es für die Annahme ernstlicher Zweifel bereits ausreicht, dass
ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist, dessen
Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalls erheblich ist. Ernstliche Zweifel sind jedenfalls dann
anzunehmen, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne
des Antragsstellers entscheiden wird (so BFH, Beschluss vom 05.05.1994, V S 11/93). Es reicht, dass im
Hinblick auf ein streiterhebliches Vorabentscheidungsersuchen die Möglichkeit besteht, dass der Gerichtshof
der Europäischen Union eine Verletzung von Unionsrecht bejahen wird (BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B
100/97).
Zur Rechtfertigung der Annahme begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids
genügt allerdings, dass dem Gericht des Eilverfahrens die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens zur
Vorabentscheidung - im Eilverfahren ist ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der
Europäischen Union nicht statthaft - geboten erscheint, falls der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens
nicht vorhersehbar ist und insoweit von einer Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage
auszugehen ist oder von ihr jedenfalls ausgegangen werden kann (BFH, Beschluss v. 25.09.2008, XI S 4/08;
dem folgend FG Düsseldorf, Beschluss vom 13.02.2009, 4 V 3976/08 A(Z)).
Nur soweit ein Gericht - bei Anhängigkeit eines erheblichen Vorabentscheidungsersuchens eines anderen
Gerichts - zu dem Ergebnis kommt, dass seiner Ansicht nach keinerlei Zweifel daran bestehen, dass eine
Auslegung des Unionsrechts ergibt, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht unionsrechtswidrig ist,
das Gericht also ausschließen kann, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne des
Antragsstellers entscheiden wird, ist es nicht zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet,
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sondern kann ihn trotz der Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens in der maßgeblichen Frage
versagen (vgl. im Ergebnis Hessisches FG, Beschluss vom 17.05.2013, 1 V 337/13; FG Münster, Beschluss
vom 18.01.2013, 5 V 3800/12U; unklar FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.05.2012, 14 V 3826/11,
das die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz im Wesentlichen durch einen Hinweis auf ein
Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs begründet).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung bestehen.
In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union hat der Senat das
Bestehen von Zweifeln an der Unionsrechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes begründet. Der Senat
nimmt Bezug auf den gesamten Inhalt seines Vorabentscheidungsersuchens vom 19.11.2013, aus dem sich
ergibt, dass der beschließende Senat es für möglich hält, dass das Unionsrecht in einer Weise auszulegen
ist, das der Einführung der Kernbrennstoffsteuer entgegensteht. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist es
nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im
Sinne der Antragstellerin entscheiden wird.
bb) Darüber hinaus - worauf es allerdings nach dem Ausgeführten nicht mehr entscheidend ankommt - hält es
der beschließende Senat im Hinblick auf das im Vorabentscheidungsersuchen angesprochene
Richtlinienrecht überdies sogar für wahrscheinlich, dass das Kernbrennstoffsteuergesetz jedenfalls gegen die
Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG bzw. gegen die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG
verstößt und die Steueranmeldung der Antragstellerin damit nicht rechtmäßig ist.
Nach dem Ergebnis der Prüfung des Senats spricht einiges dafür, dass die zur Harmonisierung von
Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in der Union erlassenen Richtlinien RL
2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer, die auf zur gewerblichen Erzeugung
von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird, entgegen stehen.
(1) Gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, die
bei der Stromerzeugung verwendeten "Energieerzeugnisse" von der Steuer zu befreien. Im Sinne einer
"Output-Besteuerung" wird im Anwendungsbereich der Richtlinie RL 2003/96/EG also insoweit lediglich der
erzeugte Strom der Energiesteuer unterworfen, es werden aber nicht die hierfür verwendeten
"Energieerzeugnisse" besteuert mit dem Ziel, das dem Verbrauchsteuerregime der Union insgesamt zugrunde
liegende Prinzip einer Besteuerung des Verbrauchers nur im Bestimmungsland unter Vermeidung einer
Mehrfachbesteuerung durch zusätzliche Besteuerung im Ursprungsland des Verbrauchsgutes zu
verwirklichen (vgl. zum Konzept der Output-Besteuerung im Rahmen der Harmonisierung der
Strombesteuerung Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281 m. w. N, vgl. insbes. Kube, IStR 2012, 553, 555, m. w. N., u.
a. unter Bezugnahme des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der
gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM
(97) 30, S. 5).
Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 2 Abs. 1 RL 2003/96EG zur Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser
Richtlinie einen Katalog von Waren aufgelistet, die als Energieerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie gelten.
Kernbrennstoffe sind in diesem Katalog nicht enthalten und damit nach dem (reinen) Wortlaut dieser
Vorschrift keine Energieerzeugnisse im Sinne der Richtlinie, zumal sie auch unter keine der in Art. 2 Abs. 3
Unterabs. 2 und 3 RL 2003/96/EG enthaltenen Erweiterungen zu subsumieren sind (vgl. Jatzke, ZfZ 2010,
278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555 f.). Dass die Anwendung der zitierten Vorschrift bzw. des Prinzips der
Output-Besteuerung auf Atomstrom überhaupt ausgeschlossen ist, also keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur
Steuerbefreiung für die zur Erzeugung von Atomstrom eingesetzten Kernbrennstoffe besteht, ist allerdings
unionsrechtlich zweifelhaft. Denn es sprechen gewichtige Gründe dafür, zu erwägen, ob die RL 2003/96/EG
oder jedenfalls die Regelung in Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96/EG gleichwohl, etwa im Wege der Analogie, auf
Kernbrennstoffe angewendet werden kann (so Kube, IStR 2012, 553, 556; auch Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281
erwägt die Anwendung von Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96 EG auf die Stromerzeugung mittels Kernbrennstoffen,
verneint sie allerdings im Ergebnis).
Argumente für eine solche Anwendung sind den Gesetzesmaterialien der Richtlinie zu entnehmen, so dem
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur
Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM (97) 30, S. 5 (vgl. im Einzelnen Kube, IStR
2012, 553, 556) sowie dem Bericht des Europäischen Parlaments über den Entwurf einer Richtlinie des Rates
zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen
und elektrischem Strom vom 11.09.2003 (A5-0302/2003). In diesem Bericht ist festgehalten, der Rat habe
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sich auf eine "umfassende Richtlinie zur Energiebesteuerung geeinigt ..., die alle Energieformen umfasst".
Diese Feststellung spricht gegen die Annahme, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Katalog in Art. 2 RL
2003/96/EG die Kernkraft bewusst aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie habe ausnehmen wollen
und dass der Aufzählung der Energieerzeugnisse eine abschließende Bedeutung zukommen solle. Zwar
könnte der Umstand, dass in die sodann verabschiedete Richtlinie entgegen der in dem zitierten Bericht
angestrebten Erfassung aller Energieformen die Atomkraft nicht ausdrücklich aufgenommen worden ist, für
eine Meinungsänderung der Organe sprechen. Die Nichtaufnahme könnte sich jedoch ebenso damit erklären
lassen, dass eine ausdrücklich Regelung der Geltung der Output-Besteuerung auch für Atomstrom deswegen
für nicht erforderlich erachtet wurde, weil die Kernbrennstoffe mit dem Vertrag zur Gründung der
Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) bereits einem Sonderregime unterworfen sind, aufgrund dessen sie
als im Eigentum der Europäischen Atomgemeinschaft stehend (Art. 86 EAGV) nicht am normalen Handels-
und Warenverkehr teilnehmen und daher auch zu keiner Zeit in einen freien Verkehr gelangen, was jedoch
regelmäßig Anknüpfungspunkt für die Erhebung von Verbrauchsteuern ist (vgl. etwa RL 2008/118/EG, 8.
Erwägungsgrund).
Nach Ansicht des beschließenden Senats kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das
Richtlinienrecht, das im Zuge schrittweiser Harmonisierung erlassen wird, einer erweiternden Auslegung oder
Analogie in keinem Fall zugänglich ist, wie der Antragsgegner meint (zur Zulässigkeit eines
Analogieschlusses Kube, IStR 2012, 553, 556).
Vor diesem Hintergrund sieht der beschließende Senat über das für die Gewährung von vorläufigem
Rechtsschutz hinreichende Bestehen von Zweifeln hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die
Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegten Auslegungsfragen im Sinne der
Antragstellerin beantwortet werden; eine die Zweifelsfragen weiter vertiefende Prüfung ist im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes nicht angezeigt.
(2) Sofern die Besteuerung der Kernbrennstoffe nicht bereits infolge einer Anwendbarkeit der RL 2003/96/EG
ausgeschlossen ist, spricht nach Ansicht des beschließenden Senats einiges dafür, dass ihr jedenfalls die
durch RL 2008/118/EG erfolgte Harmonisierung von Verbrauchsteuern entgegensteht.
Diese Richtlinie legt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die
mittelbar oder unmittelbar auf den Verbrauch der dort aufgeführten und als "verbrauchsteuerpflichtige Waren"
definierten Waren, nämlich neben den Energieerzeugnissen und elektrischem Strom gemäß RL 2003/96/EG
noch auf Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren, erhoben werden.
Der beschließende Senat neigt dazu, dass die Kernbrennstoffsteuer als eine im Sinne von Art. 1 RL
2008/118/EG indirekte Steuer auf elektrischen Strom anzusehen ist (a) und dass durch Art. 1 Abs. 1 und
Abs. 2 RL 2008/118/EG das Steuerfindungsrecht der Mitgliedstaaten für indirekte Steuern auf
verbrauchsteuerpflichtige Waren beschränkt wird (b).
(a) Der beschließende Senat hält es für möglich, dass der Begriff der indirekten Steuern in Art. 1 Abs. 2 RL
2008/118/EG so auszulegen ist, dass die Kernbrennstoffsteuer, deren Erhebungstatbestand an das
Verwenden von Kernbrennstoffen bei der gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom anknüpft, auch als
indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren ist.
Der Begriff der indirekten Steuern ist im Unionsrecht nicht legal definiert. Für die Annahme, dass es sich bei
der Kernbrennsteuer um eine indirekte Steuer im Sinne der Richtlinie handelt, spricht Folgendes:
(aa) In Art. 4 Abs. 2 RL 2003/96/EG - einer in einem engen Regelungszusammenhang mit der
Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG stehenden Vorschrift (s. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 RL
2008/118/EG) - wird der "Steuerbetrag" als die Gesamtheit der als indirekte Steuern erhobenen Abgaben
definiert, die zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr direkt oder indirekt anhand der Menge an
Energieerzeugnissen und elektrischem Strom berechnet werden. Dies spricht nach Ansicht des Senats dafür,
dass indirekte Steuern auf elektrischen Strom auch im Sinne der Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL
2008/118/EG alle diejenigen Steuern sind, deren Höhe sich jedenfalls indirekt nach der Menge des erzeugten
und an die Konsumenten abgegebenen elektrischen Stroms bestimmt und somit hierzu proportional sind (so
wohl auch Kube, IStR 2012, 553, 554).
Das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom
andererseits ist zwar nicht streng proportional, denn die Menge des in einem Kernkraftwerksreaktor nach dem
Einsetzen von Brennelementen erzeugten Stroms ergibt sich nicht unmittelbar aus der Menge der
Kernbrennstoffe, sondern kann nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin je nach Art des
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eingesetzten Kernbrennstoffs und seiner Beschaffenheit schwanken und hängt auch von dem zwischen
verschiedenen Kraftwerken differierenden Wirkungsgrad des Reaktors ab. Daraus ergibt sich aber zugleich,
dass sich das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom
andererseits regelmäßig einer Proportionalität annähert.
Der Senat neigt dem Verständnis zu und hält es durchaus für möglich, dass, um von einer indirekten Steuer
auf Strom im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie RL 2008/118/EG zu sprechen, zwar eine gewisse
Proportionalität der Steuer zur Menge des Stroms grundsätzlich erforderlich ist, insoweit aber eine bloß
ungefähre Proportionalität ausreicht. Unter Berücksichtigung des Richtlinienziels der Harmonisierung dürften
unwesentliche Ungenauigkeiten in der Steuerbemessung ohne Bedeutung sein. Bei Maßgeblichkeit einer
strengen Proportionalität bestünde ansonsten sogar die Gefahr, dass dieses Richtlinienziel verfehlt würde
bzw. umgangen werden könnte. Entsprechend wird vertreten, dass durch die Kernbrennstoffsteuer der
Stromverbrauch mittelbar besteuert werde, weil der Verbrauch von Kernbrennstoffen in direktem, kausalem
Zusammenhang mit der Menge des erzeugen und seinerseits verbrauchten Stroms stehe (vgl. Kube, IStR
2012, 553, 558, m. w. N).
Der beschließende Senat berücksichtigt dabei auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Union vom 10.06.1999 in der Rechtssache C-346/97 zur Vorgängervorschrift in Art. 1 der RL 92/12. In dieser
Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine mittelbare Steuer auf den Verbrauch einer
Ware bereits bejaht, sofern ein unmittelbarer, untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Warenverbrauch
einerseits und dem Steuertatbestand andererseits besteht. Ein solcher Zusammenhang dürfte vorliegend
bestehen, weil die Kernbrennstoffsteuer bei Verwendung der Kernbrennstoffe zur Erzeugung von elektrischem
Strom erhoben wird und elektrischer Strom nach seiner Erzeugung mangels hinreichender
Speichermöglichkeit grundsätzlich auch verbraucht wird.
(bb) Der beschließende Senat erwägt allerdings auch, ob die in Art. 1 RL 2008/118/EG verwendeten Begriffe
der mittelbaren Erhebung und der indirekten Steuer etwa voraussetzen, dass die Steuer einen anderen als
den Steuerschuldner belasten.
Der Senat geht davon aus, dass eine Steuer, die auf ein bei der Herstellung einer Ware eingesetztes
Produktionsmittel (hier den Kernbrennstoff) erhoben wird, im Hinblick auf die hergestellte Ware grundsätzlich
eine indirekte (vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG) bzw. eine mittelbar auf ihren Verbrauch erhobene (vgl. Art.
1 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/118/EG) Steuer sein kann. Denn im Allgemeinen werden von produzierenden
Unternehmen die im Zusammenhang mit der Warenproduktion anfallenden Steuern - ebenso wie die
sonstigen Produktionskosten - beim Vertrieb der Waren eingepreist und damit auf den Verbraucher überwälzt,
der dadurch indirekt mit der Steuer belastet wird. Die Kernbrennstoffsteuer wird nach § 2 Abs. 1 KernbrStG
nur auf solche Kernbrennstoffe erhoben, die zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet
werden, so dass auch eine Steuer, die an den Einsatz von Kernbrennstoffen anknüpft, grundsätzlich zu einer
Belastung des Stromverbrauchers im Sinne einer indirekten Besteuerung führen könnte.
Sollte es auf die Belastung des Stromverbrauchers ankommen, wäre zu fragen, ob davon auszugehen ist,
dass es den steuerpflichtigen Unternehmen gelingen kann, die Kernbrennstoffsteuer tatsächlich auf ihre
Abnehmer abzuwälzen.
Im Rahmen seiner Überprüfung, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz in Übereinstimmung mit der deutschen
Verfassung erlassen wurde, hat der beschließende Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 29.0.2013 (4 K
270/11, s. o.) geprüft, ob die Kernbrennstoffsteuer im Sinne des Verbrauchsteuerbegriffs des deutschen
Grundgesetzes auf Überwälzung auf den privaten Verbraucher angelegt ist; der Senat hat diese Prüfung im
Ergebnis verneint.
Der Senat erkennt jedoch, dass der Begriff der indirekten Steuern im Unionsrecht nicht unbedingt mit dem
kompetenzrechtlichen Verbrauchsteuerbergriffs des deutschen Grundgesetzes übereinstimmen muss, zumal
der im Unionsrecht verwendete Begriff anders als der im Grundgesetz verwendete Begriff funktional der
Abgrenzung gegenüber dem Begriff der direkten Steuern dient (so auch in Art. 110 ff. AEUV; nach Kube,
IStR 2012, 553, 554, ist die indirekte Erhebungsweise in Form der Belastung durch Überwälzung keine
konstitutive Voraussetzung für das Eingreifen des Verbrauchsteuerregimes der Union). Direkte Steuern
knüpfen üblicherweise an die Person des Steuerpflichtigen an, nicht jedoch an Waren oder Dienstleistungen,
nach denen indirekte Steuern regelmäßig bemessen werden. Die Abgrenzungsfunktion des unionsrechtlichen
Begriffs der indirekten Steuern wird bei seiner Auslegung nicht unbeachtet bleiben können. Selbst unter
Berücksichtigung ihrer gewinnabschöpfenden Wirkung ist die Kernbrennstoffsteuer wegen ihrer
warenbezogenen Erhebung keinesfalls eine klassische direkte Steuer.
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Der beschließende Senat hat auch die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem
Urteil vom 24.10.2013 (C-440/12) in seine Überlegungen einbezogen. In jenem Vorabentscheidungsersuchen
war im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer nach der Bedeutung des Begriffs der Abwälzbarkeit gefragt
worden. In dem dortigen Ausgangsfall war es dem klagenden Unternehmer, einem Betreiber von
Glücksspielgeräten, aufgrund eines gesetzlichen Verbots verwehrt, den Preis für seine Dienstleistung um die
Mehrwertsteuer zu erhöhen. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in diesem
Urteil reicht es jedoch für die Abwälzbarkeit aus, wenn sich die geschuldete Mehrwertsteuer aus der
Anwendung des gesetzlichen Mehrwertsteuersatzes auf die Nettokasse als Bemessungsgrundlage ergibt;
dann werde die Steuer auch tatsächlich von den Endverbrauchern gezahlt und es könne nicht erkannt
werden, dass die Preisregulierung die Abwälzung der Mehrwertsteuer auf die Endverbraucher verhindere
(EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-440/12, Rz. 50 f.).
Der beschließende Senat geht davon aus, dass diese Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen
Union zur Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer auf die Verbrauchsteuern übertragen werden können, so dass
eine unionsrechtliche Abwälzbarkeit einer Waren- oder Dienstleistungsteuer immer dann schon gegeben wäre,
wenn die Steuer das Entgelt für eine Ware oder Dienstleistung nicht übersteigt. Da im vorliegenden Fall nicht
vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass der von der Antragstellerin für ihren Atomstrom
erzielte Preis grundsätzlich nicht ausreichen kann, um die erhobenen Steuern zu zahlen, dürfte, falls die
Urteilsdeutung des beschließenden Senats zutreffend sein sollte, der Kernbrennstoffsteuer die
unionsrechtliche Abwälzbarkeit nicht fehlen und sie könnte also eine indirekte Steuer im Sinne von Art. 1 RL
2008/118/EG sein.
(b) Der beschließende Senat bezweifelt, dass die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer, wenn sie denn als
mittelbare oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG anzusehen sein
sollte, auf Art. 1 Abs. 1 oder 2 RL 2008/118/EG gestützt werden kann und geht davon aus, dass die
Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, außerhalb des Regelungsbereichs dieser beiden Vorschriften weitere
Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erfinden.
(aa) Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG könnte Rechtsgrundlage für die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer
allenfalls im Zusammenhang mit der Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG sein. Es ist bereits dargelegt
worden, dass diese Richtlinie gemäß dem Wortlaut ihrer Anwendungsvorschrift in Art. 2 keine
Kernbrennstoffe erfasst. Würde die Richtlinie indes anders auszulegen oder anzuwenden sein, dürften die
Kernbrennstoffe jedenfalls nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 1 RL 2003/96/EG steuerbefreit sein (s. o.).
Zwar stellt Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 2 RL 2003/96/EG es den Mitgliedstaaten frei, zur Stromerzeugung
eingesetzte Energieerzeugnisse aus umweltpolitischen Gründen doch zu besteuern. Freilich ist diese
Voraussetzung hier nicht erfüllt, denn die Gesetzesbegründung des Kernbrennstoffsteuergesetzes stellt nicht
auf umweltpolitische Gründe ab, sondern nennt als Gesetzeszweck die Schaffung von Einnahmen für den
allgemeinen Haushalt.
(bb) Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG dürften ebenfalls nicht
gegeben sein. Nach Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG können Mitgliedstaaten für besondere Zwecke auf
verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die
Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs
und die steuerliche Überwachung mit den gemeinschaftlichen Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die
Mehrwertsteuer - ausgenommen die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen - vereinbar sind. Kein
besonderer, sondern ein allgemeiner Steuerzweck im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie ist allerdings die
Absicht, mit einer Steuer Einnahmen zu erzielen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.2000, C-437/97, Rz. 33; Urteil
vom 24.02.2000, C-434/97 m. w. N.; vgl. Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; vgl. Kube, IStR 2012, 553, 558f m. w.
N.). Demnach wird die Kernbrennstoffsteuer nicht für besondere Zwecke erhoben, denn sie wurde ausweislich
der Gesetzesbegründung eingeführt, weil aus Gründen der Haushaltskonsolidierung des Bundes zusätzliche
Einnahmequellen erschlossen werden sollten.
(cc) Der beschließende Senat ist der Auffassung, dass der Richtliniengeber in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG
die Erhebung anderer indirekter Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren als die in Art. 1 Abs. 1 RL
2008/118/EG geregelten Steuern zwar einerseits ausdrücklich zulässt - "können erhoben werden" -, zugleich
aber diese Zulassung materiell beschränkt auf solche indirekten Steuern, die zum einen "für besondere
Zwecke" erhoben werden und zum anderen mit den dort näher bezeichneten unionsrechtlichen Vorschriften
vereinbar sind (vgl. zur Beschränkung des nationalen Steuerfindungsrechts durch Art. 1 RL 2008/118/EG
Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555). Das zugrunde gelegt, dürfte eine Erhebung
indirekter Steuern im Übrigen nicht zulässig sein.
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Der beschließende Senat neigt diesem Verständnis aus folgendem Grunde zu: Hätte es den Mitgliedstaaten
generell und voraussetzungslos freistehen sollen, neben den Steuern, die durch die in Art. 1 Abs. 1 RL
2008/118/EG genannten Richtlinien eine Regelung erfahren haben, noch weitere indirekte Steuern auf
verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erheben, so bliebe die Regelung in Abs. 2 der Vorschrift, die die
Erhebung weiterer Steuern innerhalb des dort näher bestimmten Rahmens für zulässig erklärt, ohne
Anwendungsbereich.
In diesem Zusammenhang merkt der beschließende Senat an, dass er allerdings nicht mit der Antragstellerin
der Ansicht ist, dass Deutschland bereits wegen einer "umfassenden Energiezuständigkeit" der Europäischen
Union aufgrund des Vertrags von Lissabon oder eines "generellen Verbots einer sogenannten
Inputbesteuerung von elektrischem Strom", aufgrund einer "strukturellen Harmonisierungspflicht bzw. Vorab-
Sperrwirkung einer noch nicht umgesetzten Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten" oder
wegen eines etwaigen "CO2-Preissignals" unmittelbar oder im Rahmen einer Auslegung der angesprochenen
Richtlinien an der Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen zur Stromerzeugung
gehindert ist.
3. Nach Ansicht des Senats ist eine Aufhebung der Vollziehung weiterhin auch wegen ernstlicher Zweifel an
der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennsteuergesetzes zu gewähren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer
Rechtsnorm bereits dann zu bejahen, wenn der Bundesfinanzhof die Rechtsnorm im Rahmen eines konkreten
Normenkontrollverfahrens dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat (BFH, Beschluss vom 11.06.2003,
IX B 16/03; BFH, Beschluss vom 31.01.2007, VIII B 219/06).
Dies gilt nach Ansicht des beschließenden Senats auch dann, wenn der Vorlagebeschluss nicht durch den
Bundesfinanzhof, sondern nur durch ein Finanzgericht erfolgt. Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass ein Vorlagebeschluss durch den Senat eines Finanzgerichts unzulässig oder offenkundig unbegründet
ist, in dem Beschluss also im Hinblick auf die strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen die Überzeugung des
vorlegenden Senats unter Berücksichtigung des Standes der Rechtsprechung und der Literatur die
Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit umfassend dargelegt ist, begründet auch ein solcher
Vorlagebeschluss ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, der auf den betreffenden
Rechtsnormen beruht (so FG Köln, Beschluss vom 04.07.2012, 13 V 1292/12 unter Bezugnahme auf Gosch
in Beermann/Gosch, AO/FGO, FGO § 69 Rz. 130; Koch in Gräber, FGO, § 69 Rz. 90).
Wie sich aus dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats vom 29.01.2013 ergibt, an dem der Senat
festhält und auf den er insoweit Bezug nimmt, haben sich die in dem ursprünglichen Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund vorläufiger Prüfung ergebenden Zweifel an der formellen
Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes zwischenzeitlich im Hauptsacheverfahren ("bei
detailliert ... begründeter Prüfung", vgl. insoweit Gärditz, ZfZ 2014, 18) zur Überzeugung von der
Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verdichtet.
4. Das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung
verpflichtet zur Gewährung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes. Weitere Voraussetzungen sind nicht
zu erfüllen.
a) Bei europarechtlichen Zweifeln bedarf es ohnehin keines - bei verfassungsrechtlichen Zweifeln zwischen
den BFH-Senaten streitigen - besonderen Interesses des Antragstellers am vorläufigen Rechtsschutz, das
dem öffentlichen Interesse an geordneter Haushaltsführung vorgeht.
Soweit von einzelnen Senaten des Bundesfinanzhofs vertreten wird (vgl. etwa BFH, Beschluss vom
27.05.2004, III B 127/03, m. w. N.), dass für eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von
Steuerbescheiden wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der ihnen zugrunde liegenden Vorschrift ein
zusätzliches berechtigtes Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu verlangen ist, wird
dieses Erfordernis auf die Fälle der Geltendmachung von Verletzungen des Unionsrecht nicht übertragen
(BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; BFH, Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; BFH, Beschluss
vom 05.05.1994, V S 11/93).
Bereits in seinem Beschluss vom 05.05.1994 gewährte der Bundesfinanzhof (V S 11/93) vorläufigen
Rechtsschutz im Hinblick auf Zweifel an der Übereinstimmung des nationalen Rechts mit europäischem
Richtlinienrecht, die er mit Beschluss vom selben Tag (Az.: V R 23/93) zum Gegenstand eines
Vorabentscheidungsersuchens machte - und dies, obwohl er, wie in den Gründen seines
Vorabentscheidungsersuchens dargelegt, die aufgezeigten Zweifel im Ergebnis nicht für durchgreifend
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gehalten hat.
Dieser Entscheidung wurde in späteren Entscheidungen ausnahmslos gefolgt (BFH, Beschluss vom
14.02.2006, VIII B 107/04; BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; Hessisches FG, Beschluss vom
22.10.2008, 7 V 2514/08; FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2000, 4 V 5995/00; vgl. auch BFH,
Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 14.10.2004, 6 V
655/04; FG Berlin, Beschluss vom 26.01.2001, 7 B 8348/00; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung
Finanzgerichtsordnung, § 98 FGO).
Unerheblich ist, dass sich die Ausführungen in den späteren Entscheidungen teilweise auf die Möglichkeit der
Verletzung von primärem Unionsrecht beziehen. So formuliert etwa der Bundesfinanzhof in dem Beschluss
vom 24.03.1998 (I B 100/97), die Geltendmachung eines berechtigten Interesses an der Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung
könne nicht gefordert werden, wenn die Verletzung des EG-Vertrags ernstlich in Betracht komme. Da sich der
I. Senat des Bundesfinanzhofs in dieser Entscheidung zur Begründung seiner Ansicht allerdings ausdrücklich
auf die zitierte Entscheidung des V. Senats vom 05.05.1994 (V S 11/93) bezieht und sich ihr anschließt,
kann in der Formulierung keine Einschränkung dahin gehend gesehen werden, dass die
Aussetzungsvoraussetzungen bei Zweifeln an der Übereinstimmung nationalen Rechts mit primärem
Unionsrecht weitergehend sind als bei solchen, die nur das sekundäre Recht - hier das Richtlinienrecht -
betreffen.
b) Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist die zum Teil geforderte weitere
Rechtsschutzvoraussetzung des besonderen Interesses jedenfalls nunmehr gegeben.
Zwar hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs seine Entscheidung vom 09.03.2012 (VII B 171/11), mit der er
den Beschluss des beschließenden Senats vom 16.09.2011 aufhob, sowie seine entsprechenden weiteren
Beschlüsse in den Parallelverfahren damit begründet, dass eine im Streitfall gebotene Abwägung des für eine
Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der antragstellenden Betreiber von
Kernkraftwerken wegen der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes
einerseits und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten
Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts
andererseits, zur Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes führe, weil das Rechtsschutzinteresse der
Betreiber der Kernkraftwerke keinen Vorrang genieße.
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass, soweit in der Rechtsprechung für die Gewährung von vorläufigem
Rechtsschutz wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsgrundlage überhaupt jenseits der
geschriebenen Tatbestandsmerkmale des § 69 FGO noch ein vorrangiges Rechtsschutzinteresse des
Steuerpflichtigen verlangt wird, in einem Vorlagebeschluss durch den Bundesfinanzhof an das
Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. GG ein Vorrang begründender Umstand erkannt wird (vgl.
BFH, Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 23.04.2012, III B
187/11; BFH, Beschluss vom 01.04.2010, II B 168/09). Nach der entsprechenden Rechtsprechungsänderung
des insoweit bisher bei verfassungsrechtlichen Zweifeln eher restriktiv vorläufigen Rechtsschutz
gewährenden II. Senat des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13) kommt es insoweit
auch nicht (mehr) darauf an, ob zu erwarten ist, dass das Bundesverfassungsgericht nicht lediglich die
Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz aussprechen und dem Gesetzgeber eine
Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird. Ein Vorlagebeschluss eines Senats des
Bundesfinanzhofs begründet demnach grundsätzlich einen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz.
Ob der Vorlagebeschluss eines Finanzgerichts in gleicher Weise wie ein Vorlagebeschluss eines Senats des
Bundesfinanzhofs den teilweise von der Rechtsprechung verlangten Vorrang begründet, ist zwar, soweit
ersichtlich, noch nicht entschieden worden, ist aber nach Ansicht des beschließenden Senats grundsätzlich
zu bejahen.
Der beschließende Senat nimmt insoweit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es
hat zwar entschieden, dass durch den Erlass eines Vorlagebeschlusses durch ein Finanzgericht andere
Finanzgerichte oder jedenfalls der Bundesfinanzhof nicht daran gehindert werden, die gegen die
Verfassungsmäßigkeit der im Ausgangsverfahren erheblichen Vorschrift durch das vorlegende Finanzgericht
vorgebrachten Gründe einer sachlichen Prüfung zu unterziehen und unter Bezugnahme auf die bisherige
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung gegebenenfalls zu der Würdigung zu gelangen, dass der
Vorlagebeschluss wegen offenkundiger Unbegründetheit erfolglos bleiben werde und daraufhin die Gewährung
von vorläufigem Rechtsschutz zu versagen, weil ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Rede
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stehenden Vorschrift offensichtlich fehlen (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2013, 1 BvR 821/13). Im
Umkehrschluss entnimmt der Senat diesen Ausführungen jedoch, dass im Rahmen eines Verfahrens des
vorläufigen Rechtsschutzes für die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
streitgegenständlichen Bescheids bestehen, der Inhalt des Vorlagebeschlusses einer Prüfung zu unterziehen
und zu würdigen und für den Fall, dass im Ergebnis das Vorliegen ernstlicher Zweifel nicht verneint werden
kann, vorläufiger Rechtsschutz ohne weiteres zu gewähren ist.
Andernfalls würde es zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung derjenigen Steuerpflichtigen kommen,
auf deren Anfechtung bereits das Finanzgericht die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des
zugrunde liegenden Gesetzes gewinnt, gegenüber denjenigen, bei denen erst der Bundesfinanzhof im
Rechtsmittelverfahren zu diesem Ergebnis kommt. Letztere erhielten vorläufigen Rechtsschutz ohne
Interessenvorrang, bei Ersteren müsste diese Rechtsschutzvoraussetzung noch zusätzlich erfüllt sein.
5. Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen.
Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 2
Satz 3 FGO dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge einer Aussetzung oder Aufhebung der
Vollziehung vor allem dadurch entstehen können, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache
letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert
ist (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m. w. N.).
Besteht eine entsprechende Gefahr im konkreten Fall nicht, ist für die Anordnung einer Sicherheitsleistung
kein Raum (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m.
w. N.; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO, Rdnr. 388), denn die Anordnung der
Sicherheitsleistung stellt eine Ausnahme vom Regelfall dar (Gosch in Beermann/Gosch, § 69 FGO Rdnr.
206).
Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung
aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Es ist Sache
der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre
Mitwirkungspflicht reicht. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung ergibt sich hieraus, dass grundsätzlich
die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen
muss - wenn sich diese Umstände nicht bereits aus dem Vortrag des Antragstellers ergeben - und der
Steuerpflichtige ggf. Umstände vortragen muss, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde
entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (BFH, Beschluss vom 10.02.2010, V S 24/09 m. w. N.;
BFH, Beschluss vom 07.09.2007, V B 95/07; BFH, Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; Dumke in
Schwarz, FGO, § 69, Rdnr. 106 m. w. N.).
Vorliegend hat der Antragsgegner keine Umstände hinreichend substantiiert vorgebracht, die die Anordnung
einer Sicherheitsleistung als erforderlich erscheinen lassen.
Der Antragsgegner selbst räumt ein, dass die gegenwärtige finanzielle Situation der Antragstellerin keine
Gefährdung des streitgegenständlichen Abgabenanspruchs begründet.
Eine Gefährdung des Anspruchs kann allerdings, wie der Antragsgegner zutreffend geltend macht, auch
gegeben sein, wenn mit dem Eintritt solcher Umstände künftig ernsthaft zu rechnen ist. Dabei ist der Begriff
der Gefährdung nicht erst dann erfüllt, wenn eigene Maßnahmen des Steuerpflichtigen - wie das
Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen, fehlerhafte Vermögensspekulationen und anderes mehr - die
Gefahr der Uneinbringlichkeit der Steuer begründen, sondern bereits dann, wenn die Liquiditätslage des
Steuerpflichtigen die alsbaldige Begleichung einer Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen
Feststellung fraglich erscheinen lassen muss (BFH, Beschluss vom 22.06.1967, I B 7/67). Dafür müssen
aber konkrete Anhaltspunkte und nicht nur Vermutungen vorliegen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Es reicht
nicht aus, auf die voraussichtliche - hier tatsächlich eher längere - Verfahrensdauer oder die - hier tatsächlich
sehr erhebliche - Höhe des Steueranspruchs schlicht hinzuweisen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Bei der
Beurteilung einer Gefährdung der Steueransprüche kommt es gegebenenfalls auf die Relation der
Steuerforderungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Steuerpflichtigen an (vgl. BFH,
Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; FG Düsseldorf, Beschluss vom 03.07.2002, 15 V 6331/01). Die
vom Antragsgegner insbesondere in Bezug genommene Eigenkapitalquote ist nicht mehr als nur eine Facette
bei der Beurteilung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und trägt daher die Feststellung einer
Gefährdungssituation für sich nicht. Die weiteren Erwägungen des Antragsgegners, dass die Antragstellerin
die Brennelemente-Entsorgung und Anlagenstilllegung trotz bereits gebildeter Rückstellungen nicht werde
tragen können, rechtfertigen die Anordnung einer Sicherheitsleistung ebenfalls nicht. Denn sie sind nicht
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hinreichend konkret, sondern eher spekulativer Natur. Dies gilt auch im Hinblick auf sich möglicherweise
verschlechternde Rahmenbedingungen aufgrund verschärfter gesetzlicher Verantwortlichkeit für den
hochradioaktiven Abfall, zumal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch keine
Großunternehmen der Atomindustrie durch gesetzliche Maßnahmen in den Ruin getrieben worden sind und
auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Maßnahmen zukünftig in rechtmäßiger Weise
erfolgen können. Im Übrigen begründet die Äußerung des Antragsgegners, die wirtschaftliche Entwicklung der
Antragstellerin in den nächsten drei Jahren sei unsicher, für sich noch keine hinreichend konkrete
Gefährdungssituation, sie erschöpft sich vielmehr in einer bloßen Vermutung.
Auch den weiteren Vortrag des Antragsgegners, die Antragstellerin werde die Kernbrennstoffsteuer nach
gegebenenfalls klagabweisender Entscheidung des Hauptsacheverfahrens deswegen nicht zahlen können,
weil die Steuer so hoch sei, hält der Senat im Hinblick auf die Prognose der zukünftigen Zahlungsfähigkeit
der Antragstellerin für reine Spekulation. Dass die Berechnung der Höhe der gegebenenfalls zukünftig zu
zahlenden Kernbrennstoffsteuer für sich genommen nachvollziehbar ist, ist nicht ausreichend - zumal diese
Berechnung unter der nicht belegten Prämisse steht, dass das streitgegenständliche Kernkraftwerk überhaupt
weiter betrieben werden wird.
Nur ergänzend merkt der Senat Folgendes an: Sollte indes in der Höhe der Kernbrennstoffsteuer eine
konkrete Ursache für die von dem Antragsgegner befürchtete Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der
Schuldner der Kernbrennstoffsteuer in einem solchen Maß sein, dass die Erfüllung des
Kernbrennstoffsteueranspruchs gefährdet wird - wovon der Senat mangels hinreichend konkreter Darlegung
durch den Antragsgegner indes nicht ausgeht -, so würde dieser Umstand weitere ernsthafte Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer begründen, etwa im Hinblick auf die
Unzulässigkeit einer erdrosselnden Besteuerung. Die Erfolgsaussichten für die Klage der Antragstellerin
würden entsprechend steigen und die wirkliche Gefahr des Steuerausfalls also sinken und mit ihr auch das
Bedürfnis nach einer Sicherheitsleistung (vgl. BFH, Beschluss vom 19.10.2010, XI B 60/09; Seer in
Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO, Rdnr. 109 m. w. N.).
6. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last, § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 1
Satz 1 FGO, § 151 Abs. 3 FGO analog, § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO (vgl. FG Hamburg,
Beschluss vom 10.01.2012, 4 V 288/11, mit weiterer Begründung).
Der Senat lässt die Beschwerde gegen diesen Beschluss nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zu.
Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 FGO u. a. zuzulassen,
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.
Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1977 (GrS 4/77) ist die
Beschwerde auch dann zuzulassen, wenn sich die maßgebliche Rechtsfrage nicht auf die Auslegung des §
69 FGO (also auf die Frage, ob vorliegend ernsthafte rechtliche Zweifel gegeben sind), sondern auf die
zugrunde liegende Rechtsfrage bezieht, derentwegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden. Dabei handelt es sich um eine seitdem ständige
Rechtsprechung (vgl. BFH, Beschluss vom 06.02.2009, IV B 125/08; BFH, Vorlagebeschluss vom
29.04.1999, IV R 40/97; vgl. BFH, Beschluss vom 07.04.1992, VII B 56/91; a. A. FG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 07.10.2008, 6 V 6161/08).
Der Große Senat hat in seiner Entscheidung vom 28.11.1977 u. a. ausgeführt, dass für eine in dem
dargelegten Sinne bestehende Beschwerdezuständigkeit des Bundesfinanzhofs in Verfahren auf Aussetzung
/ Aufhebung der Vollziehung ein Bedürfnis bestehe. Es könne sich bei solchen Verfahren um Rechtssachen
von weittragender Bedeutung handeln. Nicht selten würden die Entscheidungen veröffentlicht. Es wäre, auch
im Hinblick auf die unvermeidlich längere Dauer der Revisionsverfahren, nicht tragbar, wenn sich in diesen
wichtigen - obschon nur die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes betreffenden - Verfahren eine
unterschiedliche Entscheidungspraxis der Finanzgerichte entwickeln könnte, etwa dergestalt, dass einzelne
Finanzgerichte Steuergesetze wegen angenommener Verfassungswidrigkeit für nicht anwendbar halten oder
von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, des
Gemeinsamen Senats, des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs abweichen,
oder dass sie in einer neuartigen Rechtsfrage von grundsätzlicher, d.h. allgemeiner Bedeutung entscheiden.
Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde zuzulassen.
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Im Hinblick auf die europarechtlichen Zweifel ist zu berücksichtigen, dass das Finanzgericht Baden-
Württemberg seine vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschlüsse vom 10.01.2012 (11 V 2661/11 und
11 V 4024/11) damit begründet hat, dass die Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes bei
summarischer Prüfung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen primäres oder sekundäres
Gemeinschaftsrecht verstoße.
Auch wenn das Finanzgericht Baden-Württemberg die nach Ansicht des beschließenden Senats erhebliche
europarechtliche Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer eine indirekte Steuer auf Strom im Sinne von Art. 1 Abs.
1, Abs. 2 RL 2008/118/EG ist und ihre Erhebung sich daher an den sich aus diesen Regelungen ergebenden
Beschränkungen messen lassen muss, nicht erörtert hat, ist jedenfalls im Hinblick darauf, dass das
Finanzgericht Baden-Württemberg die Fragen der Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes im Ergebnis grundlegend anders beantwortet hat, nämlich dass insoweit keine
ernsthaften Zweifel besehen, die Beschwerde gegen diesen Beschluss, mit dem die Vollziehung der
angefochtenen Steueranmeldung aufgehoben wird, zuzulassen.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel berücksichtigt der beschließende Senat die
Grundsätzlichkeit der Frage, ob ein Anspruch auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wegen
bestehender Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes voraussetzt, dass ein Vorrang des
individuellen Interesses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesses an einer geordneten
Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts
festgestellt werden kann und ein solcher Vorrang jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn ein Finanzgericht das
Gesetz dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle zur Prüfung vorgelegt hat.