Urteil des FG Hamburg vom 12.12.2012

FG Hamburg: fahrzeug, eigentum, treuhänder, verwaltung, verwertung, einspruch, verkehr, kopie, steuerpflichtiger, abgabenordnung

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Kraftfahrzeugsteuer, Insolvenzverfahren: Kraftfahrzeugsteuerbescheid zu Lasten der
Insolvenzmasse
Ein Insolvenzverwalter/Treuhänder ist nicht verpflichtet, dem Finanzamt den Eigentümer eines Kfz zu
nennen. Die Mitteilung, dass das Fahrzeug nicht im Eigentum der Insolvenzschuldnerin steht, reicht
regelmäßig aus.
FG Hamburg 2. Senat, Urteil vom 12.12.2012, 2 K 234/12
§ 1 Abs 1 Nr 1 KraftStG, § 7 Nr 1 KraftStG, § 35 InsO, § 55 InsO, § 304 InsO
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen zu Lasten der Insolvenzmasse erlassenen Kraftfahrzeugsteuerbescheid.
Die Klägerin ist Treuhänderin über das Vermögen der A, über das mit Beschluss vom 13.10.2012 das
Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Seit dem Juli 2009 ist auf die Insolvenzschuldnerin ein VW-Golf mit dem amtlichen Kennzeichen HH XX
zugelassen. Dem folgend hatte der Beklagte gegenüber der Schuldnerin Kraftfahrzeugsteuer von jährlich 94 €
festgesetzt. Nach der Eröffnung der Insolvenzverfahrens setzte der Beklagte gegenüber der Schuldnerin die
Kraftfahrzeugsteuer bis zum 12.10.2011 auf 19 € herab und setzte mit Bescheid vom 22.11.2011 gegenüber
der Klägerin als Treuhänderin für die Zeit vom 13.10.2011 bis 28.07.2012 die Kraftfahrzeugsteuer auf 74 € und
ab 29.07.2012 auf jährlich 94 € fest.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.12.2011 Einspruch ein und führte zur Begründung aus, dass
das Fahrzeug zugunsten der Schuldnerin aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei, weil es nicht im
Eigentum der Schuldnerin stehe und somit nicht zur Insolvenzmasse gehöre. Die Kfz-Steuer sei auch nicht
deshalb als Masseverbindlichkeit zu beurteilen, weil die Schuldnerin Halterin der Fahrzeuges sei. Die
Rechtsposition des Haltens sei nach geänderter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kein Vermögen
im Sinne von § 35 der Insolvenzordnung (InsO). Sie fügte dem Schreiben eine Kopie des Fahrzeugbriefs bei,
nach dem das Fahrzeug 2001 auf B zugelassen worden war.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 24.07.2012 als unbegründet zurück. Die
Klägerin habe nicht den Nachweis erbracht, dass das Fahrzeug nicht im Eigentum der Insolvenzschuldnerin
stehe. Die Behauptung, dass das Kfz nicht zur Insolvenzmasse gehöre, reiche nicht aus, die Angaben aus
dem Zentralen Fahrzeugregister sowie die Unterlagen der Zulassungsbehörde zu widerlegen.
Am 24.08.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Mitteilung, dass das Fahrzeug
nicht zur Insolvenzmasse gehöre und zugunsten der Schuldnerin freigegeben worden sei, ausreichend sei. Der
Beklagte habe kein Überprüfungs- oder Kontrollrecht, ob die Freigabe zu Recht erfolgt sei. Der angefochtene
Bescheid sei aufzuheben, da Steuern für Gegenstände, die nicht zur Insolvenzmasse gehörten, nicht gegen
die Insolvenzmasse festgesetzt werden dürften. Sie, die Klägerin, sei auch auf Grund ihrer
Mitwirkungspflichten nicht verpflichtet, Nachweise über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen zu Fragen der
Massezugehörigkeit dem Beklagten vorzulegen.
Die Klägerin beantragt,
den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 22.11.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 24.07.2012
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an der Rechtmäßigkeit des Kraftfahrzeugsteuerbescheids fest. Der Beklagte habe nach der
Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 08.09.2011, II R 54/10) zu prüfen, ob das Fahrzeug überhaupt zur
Insolvenzmasse gehört habe und ob hinsichtlich des Fahrzeugs eine echte Freigabe erfolgt sei. Die dazu
erforderlichen Tatsachen seien unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Dem entsprechend sei die
Klägerin um Ergänzung ihres Vortrags gebeten worden. Diese Mitwirkungspflichten habe die Klägerin mit dem
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Verweis auf Einsichtnahme in die Insolvenzakte beim Amtsgericht Hamburg nicht erfüllt. Auch die Vorlage
einer Kopie des Kfz-Briefes des vorherigen Fahrzeughalters könne zur Aufklärung des Sachverhalts nicht
beitragen.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 22.11.2012 jeweils ihre Zustimmung zu einer Entscheidung im
schriftlichen Verfahren gegeben.
Dem Gericht hat die Akte des Beklagten zu der Steuernummer HH-XX vorgelegen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Gericht konnte nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, denn die Beteiligten haben hierzu ihre Zustimmung erteilt.
II.
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der angefochtene Kraftfahrzeugsteuerbescheid und die
Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu
Unrecht gegenüber der Klägerin zu Lasten der Insolvenzmasse Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) unterliegt das Halten von Fahrzeugen zum
Verkehr auf öffentlichen Straßen der Kraftfahrzeugsteuer. Steuerschuldner ist bei einem inländischen Fahrzeug
die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassenen ist (§ 7 Nr. 1 KraftStG). Mit der Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) das Recht des Schuldners, das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter über, der als
Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) die steuerlichen Pflichten
des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, soweit seine Verwaltung reicht. Als Vermögensverwalter ist der
Insolvenzverwalter Steuerpflichtiger und richtiger Bekanntgabe- und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit
denen eine Finanzbehörde bestehende Masseverbindlichkeiten geltend macht. Demgegenüber sind
Steuerforderungen, die sich gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners richten, gegen den Schuldner
festzusetzen (BFH-Urteil vom 13.04.2011, II R 49/09, BStBl II 2011, 944; BFH-Beschluss vom 08.09.2009, II
B 63/09, BFH/NV 2010, 68).
Für das Verbraucherinsolvenzverfahren gelten die allgemeinen Vorschriften der Insolvenzordnung entsprechend
(§ 304 Abs. 1 S. 1 InsO). Die Aufgaben des Insolvenzverwalters werden dann von dem Treuhänder
wahrgenommen (§ 313 Abs. 1 InsO).
Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des
Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der
Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
Kraftfahrzeugsteuer ist als Abgabenforderung im Sinne der zweiten Tatbestandsalternative den in anderer
Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten zuzuordnen,
soweit sie die Insolvenzmasse betrifft. Dies ist der Fall, wenn die Abgabenforderung selbst einen Bezug zur
Insolvenzmasse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BFH-Urteil vom
13.04.2011, II R 49/09, BStBl II 2011, 944; BVerwG-Urteil vom 16.12.2009, 8 C 9/09, NJW 2010, 2152).
Die Insolvenzmasse erfasst nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der
Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Maßgebend für die Festsetzung
der Kraftfahrzeugsteuer zu Lasten der Insolvenzmasse ist, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist. Die
bisherige Rechtsprechung, wonach die Rechtsposition des Haltens zur Insolvenzmasse gehört, hat der BFH
aufgegeben (vgl. BFH-Urteile vom 13.04.2011, II R 49/09, BStBl II 2011, 944; vom 08.09.2011, II R 54/10
BStBl II 2012, 149). Dem schließt sich der Senat an.
Nach Mitteilung der Klägerin gehört das auf die Insolvenzschuldnerin zugelassene Kfz nicht zur
Insolvenzmasse, weil es nicht in deren Eigentum steht. Die Klägerin hat insoweit keine echte Freigabe eines
Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse erteilt, sondern lediglich bestehende Eigentumsrechte
anerkannt und damit einen massefremden Gegenstand dem Aussonderungsberechtigten freigegeben (vgl.
Lwowski/Peters in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 35 Rn. 86; Schumacher in Frankfurter
Kommentar zur InsO, 6. Aufl. 2011, § 35 Rn. 30). Anders als in dem der Entscheidung des BFH vom
08.09.2011 (II R 54/10, a. a. O.) zugrunde liegenden Sachverhalt war nicht zu entscheiden, ob eine Freigabe
nach § 35 Abs. 2 InsO im Zusammenhang mit einer selbstständigen Tätigkeit erfolgt. Ebenso wenig stellte
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sich die Frage, ob es sich um einen unpfändbaren Gegenstand im Sinne von § 36 Abs. 1 InsO handelte.
Da die Kraftfahrzeugsteuer an die Haltereigenschaft anknüpft und es nicht darauf ankommt, wer Eigentümer
des Fahrzeuges ist, bedurfte es grundsätzlich keiner weiteren Informationen, um die Kraftfahrzeugsteuer
gegenüber dem richtigen Steuerschuldner festzusetzen. Dabei ist davon auszugehen, dass ein
Insolvenzverwalter oder Treuhänder der Aufsicht des Insolvenzgerichts unterliegt und nicht unberechtigt
Gegenstände aus der Insolvenzmasse aussondert oder freigibt. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall
nicht von diesen Grundsätzen ausgegangen werden kann, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
Der Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 22.11.2011 zu Lasten der Insolvenzmasse war somit aufzuheben, denn
das Fahrzeug war nicht Teil der Insolvenzmasse.
III.
Der Beklagte hat nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten und die Abwendungsbefugnis folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.