Urteil des FG Hamburg vom 08.11.2012

FG Hamburg: grundstück, übereinstimmung, fahren, gebäude, genehmigung, unternehmen, bebauungsplan, zahl, unzumutbarkeit, vorrang

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Auch in dem als "Wohngebiet" festgesetzten Baugebiet eines übergeleiteten hamburgischen
Baustufenplans haben die Nachbarn die von Stellplätzen und Garagen einer rechtlich zulässigen
Wohnbebauung ausgehenden Belästigungen oder Störungen im Regelfall hinzunehmen, soweit nicht
ausnahmsweise besondere örtliche Verhältnisse Veranlassung geben, diese als unzumutbar zu bewerten.
Zu letzteren zählt nicht eine Pfeifenstielzufahrt, die der Erschließung einer Bebauung mit
Einfamilienhäusern in zweiter Reihe dient.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 2. Senat, Beschluss vom 08.11.2012, 2 Bs 230/12
§ 10 Abs 4 Abschn W BauPolV
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26.
September 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers führt in der Sache nicht zum Erfolg.
1. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4
Satz 3 und 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern und dem
Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses
auf dem Flurstück … der Gemarkung Groß Flottbek vorläufigen Rechtsschutz gemäß §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO
zu gewähren. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht und mit zutreffenden Gründen davon ausgegangen, dass
die angefochtene Baugenehmigung nicht gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt und deshalb dem
Interesse des Beigeladenen an der unverzüglichen Verwirklichung seines Vorhabens gegenüber dem
Suspensivinteresse des Antragstellers der Vorrang gebührt.
a) Soweit der Antragsteller bemängelt, dass sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt habe,
dass auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, namentlich die Grundflächenzahl, im Einzelfall
nachbarschützenden Charakter haben könnten, greift seine Rüge nicht durch. Sie wäre allenfalls dann von
Bedeutung, wenn das genehmigte Vorhaben das im Baustufenplan i.V.m. den übergeleiteten Vorschriften der
Baustufentafel in § 11 Abs. 1 BPVO festgesetzte Maß der baulichen Nutzung überschritte. Das legt der
Antragsteller jedoch selbst nicht dar und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist dem
Beschwerdevorbringen zu entnehmen, aufgrund welcher besonderen Umstände davon auszugehen sein sollte,
dass die Festsetzung der bebaubaren Fläche hier ausnahmsweise zumindest auch dazu bestimmt ist, den
Interessen der Nachbarn zu dienen.
b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt das Vorhaben des Beigeladenen auch nicht gegen das
planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Recht allein auf die
Auswirkungen des mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Juli 2012 genehmigten Vorhabens abgestellt.
Denn nur die sofortige Vollziehung dieses Baugenehmigungsbescheids und die inzident zu prüfende Frage, ob
er den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten verletzt, sind Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Selbst wenn man dem Vorbringen des Antragstellers folgen und berücksichtigen würde, dass ein Vorbescheid
für die Errichtung von insgesamt vier Einfamilienhäusern auf dem Grundstück existiert und zumindest drei
davon auch tatsächlich errichtet werden sollen, ergäbe sich aber keine andere Bewertung. Es entspricht der
ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (vgl. z.B. OVG Hamburg, Urt. v. 30.4.2008, NordÖR 2008,
404, 406; Beschl. v. 16.8.2011, 2 Bs 132/11; Beschl. v. 30.9.2011, 2 Bs 108/11), dass die Nachbarn die von
den Stellplätzen und Garagen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Belästigungen oder
Störungen im Regelfall hinzunehmen haben, soweit nicht ausnahmsweise besondere örtliche Verhältnisse
Veranlassung geben, diese als unzumutbar zu bewerten (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 20.3.2003, NVwZ 2003,
1516; Urt. v. 7.12.2000, BauR 2001, 914). Allein der Umstand, dass die Zu- und Abfahrt hier über einen rund 35
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m langen Pfeifenstiel entlang der westlichen Grenze des Grundstücks des Antragstellers verläuft, vermag
keine auf den örtlichen Verhältnissen beruhende Unzumutbarkeit zu begründen. Sogenannte
Pfeifenstielgrundstücke sind zur Erschließung hinterer Bauflächen in Wohngebieten nicht unüblich, weshalb
auch die mit der Befahrung des Pfeifenstiels verbundenen Beeinträchtigungen der angrenzenden
Nachbargrundstücke regelmäßig nicht als rücksichtslos angesehen werden können (vgl. OVG Hamburg, Urt. v.
19.3.2008, 2 Bf 428/03 m.w.N.). Dabei macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob der Zu- und
Abfahrtsverkehr von einem oder von vier Einfamilienhäusern hervorgerufen wird. Auch in letzterem Falle ist die
Zahl der zu erwartenden Fahrzeugbewegungen als gering einzuschätzen und lässt keine ein zumutbares Maß
übersteigenden Immissionen erwarten. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass auch mit
Schwerlastverkehr zu rechnen sei, ist seine Befürchtung - von der Bauphase abgesehen - schon in
tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Die fehlende Möglichkeit, im straßennahen Bereich Abfallbehälter
aufzustellen, gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass Großfahrzeuge der Müllabfuhr deshalb bis in den
hinteren Grundstücksbereich fahren werden. Im Übrigen müsste dies ebenso hingenommen werden wie
allenfalls gelegentlich zu erwartender Lieferverkehr mit größeren Fahrzeugen.
c) Soweit der Antragsteller des Weiteren die Prüfung vermisst, ob sich das Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 Satz
1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, übersieht er bereits in objektiv-rechtlicher Hinsicht,
dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach dem Baustufenplan Groß Flottbek/Othmarschen und dem
Fluchtlinienplan Groß Flottbek 17 richtet. Ob die im vorderen Bereich festgesetzte Baufluchtlinie nach dem
Willen des Plangebers als erschöpfend anzusehen ist mit der Folge, dass das Grundstück grundsätzlich in
seiner gesamten Tiefe bebaut werden darf (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 12.1.1968, BVerwGE 29, 49; OVG
Hamburg, Beschl. v. 28.7.2009, NordÖR 2010, 72, 73 f.), oder ob sich die überbaubare Fläche ergänzend nach
dem Maßstab des § 34 Abs. 1 BauGB bestimmt, kann dabei offen bleiben. Denn jedenfalls vermittelt § 34 Abs.
1 Satz 1 BauGB ohnehin keinen generellen Nachbarschutz, sondern nur unter den einschränkenden
Voraussetzungen des im Einfügenserfordernis enthaltenen Rücksichtnahmegebots (vgl. u.a. BVerwG, Beschl.
v. 13.11.1997, ZfBR 1998, 166). Dass dieses hier in Bezug auf die Lage des Baukörpers verletzt wäre, legt der
Antragsteller nicht dar.
d) Ebenso wenig kann der Antragsteller mit Erfolg geltend machen, dass der aus der Erhaltungsverordnung
nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB hervorgehende planerische Wille, die städtebauliche Eigenart des
Gebiets zu erhalten, nachbarschützend sei. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend und in Übereinstimmung mit
der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (vgl. z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.4.2009, 2 Bs
40/09, NordÖR 2009, 356, 357 m.w.N.; Beschl. v. 11.12.2009, 2 Bs 204/09, zu der auch hier maßgeblichen
Erhaltungsverordnung Groß Flottbek; Beschl. v. 20.2.2012, 2 Bs 14/12, juris, Rn. 22) ausgeführt, dass die
Erhaltungsverordnung allein städtebaulichen und damit öffentlichen Interessen dient. Die Beschwerde zeigt
insoweit keine neuen Gesichtspunkte auf. Sollte der Antragsteller meinen, dass die Erhaltungsverordnung
ergänzend zur Auslegung des Planungswillens heranzuziehen sei, der seinerseits unter bestimmten
Voraussetzungen ein Kriterium für die Bestimmung der Eigenart des Baugebiets i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1
BauNVO darstellt, so übersieht er bereits den Umstand, dass die Erhaltungsverordnung erst im Jahre 1997 und
damit Jahrzehnte nach der Feststellung des Baustufenplans erlassen worden ist. Sie knüpft zudem allein an
die tatsächlich vorhandene Bebauung an, während diese für die Eigenart des Baugebiets i.S.d. § 15 Abs. 1
Satz 1 BauNVO gerade unerheblich bzw. nur insoweit beachtlich ist, als sie sich im Rahmen der durch die
Festsetzungen des Bebauungsplans zum Ausdruck gebrachten städtebaulichen Ordnungsvorstellungen für das
Baugebiet hält (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 5.6.2009, NordÖR 2009, 310, 312 und v. 4.5.2009, NordÖR
2009, 308, 309 f., jew. m.w.Nachw.).
e) Der Einwand des Antragstellers, die Errichtung von drei großen Baukörpern auf einem Grundstück, das
zuvor nur mit einem Gebäude bebaut gewesen sei, widerspreche der Eigenart des Baugebiets, geht schließlich
schon deshalb fehl, weil es im vorliegenden Rechtsstreit allein um die Genehmigung für die Errichtung eines
Einfamilienhauses geht. Im Übrigen ist § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auch kein Instrument, um das in einem
Bebauungsplan festgesetzte Maß der baulichen Nutzung zu ergänzen oder zu korrigieren und eine danach
zulässige Verdichtung der Bebauung zu unterbinden. Die Vorschrift dient allein der Bewahrung der Art der
baulichen Nutzung. Das Merkmal „Umfang“ in § 15 Abs.1 Satz 1 BauNVO ist deshalb nur dann von Bedeutung,
wenn Quantität in Qualität umschlägt, also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung
erfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.3.1995, NVwZ 1995, 899, 900; OVG Hamburg, Beschl. v. 4.5.2009, NordÖR
2009, a.a.O., 310; Beschl. v. 10.5.2012, 2 Bs 129/12).
2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1
GKG.