Urteil des FG Hamburg vom 30.11.2012

FG Hamburg: grad des verschuldens, eigenes verschulden, geringes verschulden, einspruch, zoll, geschäftsführer, unterlassen, kontrolle, nummer, sorgfaltspflicht

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Verfahrensrecht: Erlass von Säumniszuschlägen
Zur Ermessenreduzierung auf Null bei Entscheidung über einen Antrag auf Erlass von Säumniszuschlägen
unter Berücksichtigung der AO-DV Zoll.
NZB, Az.: VII B 94/13
FG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 30.11.2012, 4 K 70/12
§ 227 AO, Ziff 7.2.3b AO-DV Zoll
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Erlass von Säumniszuschlägen.
I.
1. Die Klägerin ist angemeldeter Lieferer für Erdgas. Sie hat nach den Bestimmungen des § 39 Abs. 3
Energiesteuergesetzes (EnergieStG) aufgrund des von ihr gewählten Abrechnungsmodus monatliche
Vorauszahlungen auf ihre Steuerschuld zu leisten. Am 31. Mai des folgenden Kalenderjahres ist jeweils die
tatsächlich geschuldete Steuer anzumelden und unter Anrechnung der Vorauszahlung ist ein ggf. noch zu
zahlender Restbetrag zum 25. Juni fällig.
2. Die Klägerin hatte im Juli 2009 beim Beklagten einen Abbuchungsauftrag für Lastschriften erteilt (Blatt 1 der
Beklagtenakte), auf den der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 03.09.2009 (Blatt 4 Beklagtenakte) eine
Lastschriftteilnehmernummer mitteilte. In diesem Schreiben wird unter anderem darauf hingewiesen, dass
Bescheide, die von Amts wegen ergehen und von denen der Lastschriftteilnehmer vor Erteilung des Bescheids
keine Kenntnis habe, nicht in das Abbuchungsauftragsverfahren einbezogen würden. Werde Einzug der
einzelnen Steuerbeträge gewünscht, möge in Feld 3 der Steueranmeldung die erteilte
Lastschriftteilnehmernummer angegeben werden. Eine Nichtangabe habe die Bedeutung, dass der Teilnehmer
im konkreten Fall nicht am Lastschrifteinzugsverfahren teilnehmen wolle. Im Folgenden zog der Beklagte die
Vorauszahlungen der Klägerin im Lastschriftverfahren ein, ohne dass es dafür jeweils die Angabe der
Lastschriftennummer der Klägerin bedurfte.
3. Die formularmäßige Energiesteueranmeldung für den Zeitraum 2010, für den der Beklagte auf die schon
laufend Vorauszahlungen vom Konto der Klägerin eingezogen hatte, wurde mit Schreiben vom 25.05.2011 an
den Beklagten gesendet. In der Anmeldung war ein Zahlbetrag von ... € errechnet worden. Fälligkeitstag war
Montag, der 27.06.2011. Die Lastschriftteilnehmernummer der Klägerin war auf dem entsprechenden Feld des
Anmeldeformulars nicht eingetragen worden.
Nachdem in der Finanzbuchhaltung der Klägerin bemerkt worden war, dass der Abschlusszahlungsbetrag
entgegen der dortigen Erwartung nicht vom Hauptzollamt abgebucht worden war, setzte sich die Klägerin mit
dem Beklagten in Verbindung und veranlasste die Überweisung des Abschlussbetrags, der am 04.07.2011
gutgeschrieben wurde.
II.
1. Am 06.07.2011 stellte die A AG, die Konzernmutter der Klägerin als und ihr steuerlicher Bevollmächtigter,
den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge für die verspätete Zahlung in Höhe von ... € (Blatt 9 f. der
Gerichtsakte). Auf Seiten der Klägerin sei man intern davon ausgegangen, dass das vereinbarte
Lastschriftverfahren auch für die Steuerschuld aus der streitgegenständlichen Energiesteueranmeldung gelte.
Die Angabe der Lastschriftteilnehmernummer sei in der Anmeldung versehentlich vergessen worden. Wie einer
als Anlage beigefügten internen Email zu entnehmen sei, sei die Klägerin von ihrer Konzernmutter auf den
voraussichtlichen Lastschrifttermin hingewiesen worden. Erst bei der routinemäßigen Kontrolle der offenen
Posten durch die Buchhaltung sei aufgefallen, dass der Betrag nicht abgebucht worden sei, worauf sofort mit
dem Beklagten Kontakt aufgenommen worden sei.
2. Der Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom 18.07.2011 abgelehnt (Blatt 6 ff. der Gerichtsakte). Zwar
könnten nach der AO-DV Zoll einem bisher pünktlichen Steuerzahler, dem ein offenbares Versehen unterlaufen
sei, Säumniszuschläge erlassen werden. Es könne offen bleiben, ob von dieser Vorschrift auch einfache
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Arbeitsfehler erfasst würden, denn hier liege kein einfacher Fehler mehr vor, sondern ein Organisations- bzw.
Überwachungsverschulden. Die Energiesteueranmeldung sei nicht ausschließlich bei der Klägerin bearbeitet
worden. Sie sei der Konzernmutter erstellt, von dort an die Klägerin übermittelt, von einem Mitarbeiter bei der
Klägerin ausgedruckt, und nach Unterzeichnung durch den Geschäftsführer der Klägerin an die Konzernmutter
zurückgesandt und von dort dem Beklagten zugeleitet worden. Damit seien wenigstens drei Bearbeiter mit der
Anmeldung befasst gewesen. Dass keinem von ihnen aufgefallen sei, dass der Vordruck unvollständig
ausgefüllt worden war, lasse nur den Schluss zu, dass nach Erstellung der Steueranmeldung zu keinem
Zeitpunkt noch einmal eine abschließende Kontrolle stattgefunden habe.
3. Gegen die Ablehnung wurde unter dem 03.08.2011 Einspruch erhoben (Blatt 33 ff. der Beklagtenakte). Auf
den Inhalt der Einspruchsbegründung wird Bezug genommen.
Während des Einspruchsverfahrens zum Erlassantrag erfolgte eine umfangreiche Korrespondenz zwischen den
Beteiligten. Auf Antrag der Klägerin wurde am 07.09.2011 ein Abrechnungsbescheid über die
Säumniszuschläge erlassen, gegen den sie am 16.09.2011 (Blatt 49 der Beklagtenakte) Einspruch einlegte.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25.11.2011 als unbegründet zurück (Blatt
64 ff. Beklagtenakte).
Nachdem die Abrechnung der Säumniszuschläge mit Ablauf der Klagefrist für die Einspruchsentscheidung vom
25.11.2011 bestandskräftig geworden war, nahm der Beklagte das Einspruchsverfahren zum Erlassantrag
wieder auf und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27.03.2012 als unbegründet zurück. In
der Begründung führt der Beklagte aus, dass aus seiner Sicht bei der Klägerin nicht nur ein leichter Verstoß
gegen ihre Sorgfaltspflichten vorliege, der als "offenbares Versehen" nach AO-DV Nr. 7.2.3.b) einen Erlass
hätte begründen können. Hier habe ein Dritter, die Konzernmutter, für die Klägerin die Verpflichtung
übernommen, die Energiesteueranmeldung zu fertigen. Ausweislich des Anschreibens der Konzernmutter sollte
bei der Klägerin die Anmeldung nur noch unterzeichnet werden. Der Mitarbeiter der Klägerin, bei dem das
Anschreiben der Konzernmutter angekommen sei, habe offenbar keinen Auftrag zur Überprüfung gehabt, und
der Geschäftsführer der Klägerin habe offensichtlich ebenfalls ohne weitere Prüfung unterschrieben. Die
Klägerin habe sich darauf verlassen, dass die Konzernmutter sowohl für die pünktliche Steueranmeldung als
auch für eine Zahlung sorge. Der Fehler der Konzernmutter sei im Verhältnis zur Klägerin der Fehler eines
Dritten sei damit keine geeignete Grundlage, um der Klägerin die Säumniszuschläge zu Lasten der
Allgemeinheit zu erstatten.
Wegen des genauen Inhalts wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
III.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 24.04.2012, bei Gericht eingegangen am 26.04.2012, Klage erhoben. Bei
der Nichtangabe der Lastschriftteilnehmernummer im Energiesteueranmeldeformular habe es sich um ein
offenbares Versehen gehandelt. Die Konzernmutter als diejenige, die für die Klägerin die Anmeldung erstellt
habe, habe schlicht vergessen die Nummer einzutragen und sei auch nach Absenden der Anmeldung davon
ausgegangen, die Steuerschuld würde zum Fälligkeitstag im Rahmen des Lastschriftverfahrens vom Konto der
Klägerin eingezogen werden. Bei der bisherigen Abwicklung des Zahlungsverkehrs für die festgesetzten
Vorauszahlungen habe es bis dahin keine Unregelmäßigkeiten gegeben. Die Klägerin habe mit der Einrichtung
des Abbuchungsverfahrens im Zahlungsverkehr mit Beklagten alles denkbar Mögliche unternommen, um ihren
Verpflichtungen pünktlich nachzukommen. Das offensichtliche Versehen dürfe im Rahmen der
Ermessensentscheidung über den Erlassantrag nicht anders beurteilt werden als das unbeabsichtigte
Überschreiten eines Zahlungsziels durch einen Steuerpflichtigen, der die Steuerschuld durch Banküberweisung
vornehme, dem Säumniszuschläge erlassen würden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18.07.2011 und der
Einspruchsentscheidung vom 27.03.2012 zu verpflichten, den Antrag auf Erlass der
Säumniszuschläge für Energiesteuer 2010 positiv zu bescheiden;
hilfsweise,
den Antrag neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt zur Begründung seines Ablehnungsantrags Bezug auf seine Einspruchsentscheidung. Der
Beklagte weist noch einmal darauf hin, dass nicht der Klägerin ein Fehler unterlaufen sei, sondern ihrer
Konzernmutter, die mit der kompletten Abwicklung der Energiesteueranmeldung beauftragt worden sei. Die
klägerischen Ausführungen im Einspruchsverfahren hätten deutlich gemacht, dass die Klägerin selbst keine
Kontrolltätigkeit ausgeübt habe und ihr das Fehlen der Nummer deswegen nicht aufgefallen sei. Das
Unterlassen der Kontrolle stelle einen gravierenden Organisations- bzw. Überwachungsmangel dar und nicht
lediglich einen leichten Verstoß gegen die bei der Steuerzahlung gebotene Sorgfaltspflicht. Zu berücksichtigen
sei, dass es sich nicht um normales Tagesgeschäft gehandelt habe, sondern um die Jahresanmeldung mit
erheblicher finanzieller Auswirkung und dass von Seiten des Beklagten die Klägerin hinsichtlich der Modalitäten
der Teilnahme am Lastschriftverfahren unmissverständlich insbesondere auch auf die Wirkung einer nicht
angegebenen Lastschriftnummer hingewiesen worden sei.
3.
Dem Gericht lag neben den Schriftsätzen der Beteiligten nebst Anlagen ein Ordner mit der Beklagtenakte vor.
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 30.11.2012 wird Bezug genommen.
Das Verfahren ist durch Senatsbeschluss vom 10.09.2012 dem Berichterstatter gemäß § 6 FGO als
Einzelrichter übertragen worden.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet gemäß § 6 FGO durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind
ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1
Finanzgerichtsordnung). Die Klage ist auch insoweit begründet, als die Klägerin die Verpflichtung des
Beklagten begehrt, ihren Erlassantrag positiv zu bescheiden, § 101 Satz 1 FGO.
I.
1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch
Säumniszuschläge gehören (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren
Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache
selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d. h. wirtschaftlichen Verhältnissen (persönliche Gründe)
begründet sein.
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die durch das Gericht nur
nach Maßgabe des § 102 FGO überprüft werden kann. Soweit die Finanzbehörden ermächtigt sind, nach ihrem
Ermessen zu entscheiden, überprüfen die Finanzgerichte (nur), ob der angefochtene Verwaltungsakt
rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO).
2. Gleichwohl kann das Gericht ausnahmsweise ein Verpflichtung zum Erlass aussprechen, wenn der
Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als
ermessensgerecht in Betracht kommt - sogenannte Ermessensreduzierung auf Null (vgl. FG Hamburg, Urteil
vom 02.07.2010, 6 K 193/09 m. w. N.).
3. Sind Ermessensrichtlinien erlassen, überprüfen die Finanzgerichte, ob sich die Behörde an die Richtlinie
gehalten hat, ob die erlassene Ermessensrichtlinie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob sie
von dem Ermessen in eine dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, denn
die Verwaltung ist in geeigneten Fällen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen
der nachgeordneten Behörden lenken und binden (BFH, Urteil vom 11.04.2006, VI R 64/02). Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH sind die in den Billigkeitsrichtlinien für die Zollbehörden entwickelten Grundsätze, da
sie den Niederschlag von Rechtsgedanken beinhalten, die eine jahrzehntelange Ermessensausübung auf dem
Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern aus dem Wesen dieser Abgaben hervorgebracht hat, unter dem
Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichheitssatzes auch bei der
gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen als Material für die Rechtsfindung von Bedeutung
(BFH, Urteil vom 14.02.1989, VII R 189/85, m. w. N.).
4. Eine solche Richtlinie ist in der AO-DV Zoll zu § 227 AO enthalten. Unter Textziffer 7.2.3.b) können
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Säumniszuschläge von der Finanzverwaltung gegenüber einem bisher pünktlichen Steuerzahler erlassen
werden, dem ein offenbares Versehen unterlaufen ist. Weiter heißt es dort, diese Regelung finde nur dann
Anwendung, wenn lediglich eine kurze Überschreitung der Frist vorliege und der Steuerpflichtige spätestens
nach der ersten Mahnung des Hauptzollamtes gezahlt habe. Unter einem "offenbaren Versehen" sei ein
allenfalls leichter Verstoß gegen die bei der Steuerzahlung gebotene Sorgfaltspflicht zu verstehen. Ein
etwaiges Verschulden seines Bevollmächtigten müsse sich der Steuerpflichtige wie eigenes Verschulden
zurechnen lassen.
Es bestehen keine Zweifel daran, dass diese Ermessenrichtlinie die gesetzlichen Grenzen einhält und daher
bei der Entscheidung des Streitfalls herangezogen werden kann.
II.
Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze hat der Beklagte den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge zu
Unrecht abgelehnt. Im Streitfall war der Ermessensspielraum des Beklagten auf Null reduziert, so dass letztlich
nur ein Erlass der Säumniszuschläge als ermessensgerechte Entscheidung in Betracht kommt.
1. Bei der Beurteilung, ob ein Erlass ausgesprochen werden muss, ist zu berücksichtigen, dass die zitierte
Ermessensrichtlinie dadurch, dass sie gewisse Bedingungen für die Bejahung eines erlassrechtfertigenden
Sachverhalts nennt, das Ermessen begrenzt, indem zum einen Fälle, die diese Bedingungen nicht erfüllen,
ohne weiteres als nicht erlasswürdig ausgeschieden werden, indem zum anderen aber Fälle, die diese
Bedingungen erfüllen, als grundsätzlich erlassfähig angesehen werden müssen.
Es ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die in der Ermessensrichtlinie Bedingungen - unstreitig bis auf
die Frage der Verschuldensschwere - erfüllt sind. Die Klägerin hatte zuvor ihre Steuerpflichten jeweils
rechtzeitig erfüllt. Die Ermessensrichtlinie verlangt, dass eine Zahlung bis zu dem Zeitpunkt auf dem auf eine
erste Mahnung zu reagieren ist, erfolgt. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin noch nicht einmal angemahnt
worden, sondern hat ihre Säumnisse kurzfristig nach dem Fälligkeitstermin selbst entdeckt, unverzüglich von
sich aus dem Hauptzollamt angezeigt und sofort für eine Zahlung gesorgt.
Streitig zwischen den Beteiligten sei allein die Frage, wie schwer im vorliegenden Fall der Verstoß gegen die
Sorgfaltspflichten wiegt.
2. Zunächst ist festzustellen, dass der Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt hat, weil er erstens in
Verkennung des Regelungsgehalts der Ermessensrichtlinie von einem unzutreffenden Inhalt des Merkmals des
leichten Sorgfaltspflichtverstoßes ausgegangen ist, sondern ermessensrichtlinienwidrig einen zu strengen
Prüfungsmaßstab angelegt hat und aufgrund dessen zu einer unzutreffenden Subsumtion des von ihm
zugrunde gelegen Fehlverhalten der Klägerin unter den Ermessensrichtlinienbegriff des leichten Verstoßes
gekommen ist. Zum zweiten hat der Beklagte das Fehlverhalten selbst nicht zutreffend, jedenfalls für die
vorzunehmende Subsumtion nicht genau genug bestimmt.
a) Der Beklagte ist von einem unzutreffenden Inhalt des Merkmals des leichten Verstoßes gegen
Sorgfaltspflichten ausgegangen.
Es ist zu erkennen, dass die Ermessenrichtlinie, indem sie ein offenbares Versehen des Steuerpflichtigen
voraussetzt, das sie als einen leichten Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten definiert, zunächst einmal davon
ausgeht, dass das Vorliegen eines verschuldeten Sorgfaltspflichtverstoßes einen Erlass nicht per se
ausschließt. Indem durch die Ermessensrichtlinie der Erlass in Fällen leichter Sorgfaltsverstöße typisierend
geregelt ist, gibt die Ermessenrichtlinie unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes der über einen
Erlassantrag der entscheidende Behörde für deren Ermessenausübung vor, dass nicht bereits das Verschulden
selbst dem Erlass entgegensteht und weitergehend, dass nicht nur in atypischen Ausnahmefällen eine solche
zum Erlass berechtigende Situation des leichten Verstoßes denkbar ist. Ansonsten wäre der Erlass der
konkreten Ermessensrichtlinie, deren Wesen offensichtlich ist, als typisch erkannte Fälle zu regeln, durch den
Ermessensrichtliniengeber nicht angezeigt gewesen.
Der Beklagte ist ausweislich seiner Begründung der Ablehnung davon ausgegangen, dass ein Verschulden
grundsätzlich dem Erlass entgegensteht. Ein verschuldeter Pflichtverstoß, der Voraussetzung eines Erlasses
nach § 227 AO i. V. m. der zitierten Richtlinie ist, ist indes unter Berücksichtigung des Inhalts des Begriffs der
Verschuldens nur denkbar, wenn dem Pflichtigen ein pflichtgemäßes Verhalten möglich gewesen wäre und es
ihm vorgeworfen werden kann, dass er sich nicht pflichtgemäß verhalten hat. Indem der Beklagte im
vorliegenden Fall als Begründung für sein Prüfungsergebnis, dass ein nicht nur leichter Pflichtenverstoß
vorliegt, angibt, die Klägerin habe es unterlassen, dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zum Pflichtenverstoß
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kommt, obwohl es ihr möglich gewesen wäre, macht sie den Umstand des Verschuldens zum
Ausschlussmerkmal gegen das Vorliegen eines nicht nur leichten Pflichtenverstoßes in Verkennung, dass
auch der nur leichte Pflichtverstoß nur im Falle eines Verschuldens vorliegt. Unter Zugrundelegung dieses
fehlerhaften Maßstabs, der dem Tatbestandsmerkmal des "leichten" Verstoßes keine eigenständige Bedeutung
beimisst, bliebe kein Raum für von der Ermessensrichtlinie erfasste Sachverhalte.
Die Sorgfaltspflicht des Steuerpflichtigen erstreckt sich im Hinblick auf seine Zahlpflichten darauf, die Zahlung
rechtzeitig zu leisten. Es ist hier offenkundig, insbesondere auch unter Berücksichtigung des
Geschehensablaufs, dass der Beklagte willens und in der Lage gewesen ist, die Zahlung pünktlich zu leisten.
Zur Nichtzahlung ist es allein deswegen gekommen, weil unterlassen wurde, auf der Steueranmeldung die
Lastschriftverfahrensnummer anzugeben.
Der Beklagte hat ihrer Rechtsanwendung ein nicht hinreichend klar bestimmtes Fehlverhalten zugrunde gelegt.
Der konkrete Pflichtenverstoß kann seine Ursache zunächst darin gehabt haben, dass beim Fertigen der
Steueranmeldung nicht bedacht worden ist, dass die Erfüllung der sich infolge der Angaben in der
Steueranmeldung ergebenden Zahlungspflicht noch einer weiteren Handlung der Klägerin bedarf. Der
Sorgfaltsverstoß läge dann darin, dass nicht erkannt worden ist, dass bei der Steueranmeldung, anders als bei
den Steuervoranmeldungen, die Angabe der Lastschriftnummer erforderlich ist, oder dass diese Kenntnis nicht
präsent gehalten worden ist. Ein anderer Sorgfaltsverstoß läge vor, wenn die Steueranmeldung hingegen in
Kenntnis des Umstandes erfolgt ist, dass es einer solchen Handlung noch bedarf, es dann aber vergessen
oder übersehen worden wäre, auf dem Anmeldeformular die Nummer tatsächlich einzutragen.
Ohne die Alternativen klar zu benennen geht der Beklagte offenbar eher von der zweiten Alternative aus. Der
Vorwurf, dass die Anmeldung von drei Personen bearbeitet worden sei, ohne dass die Unvollständigkeit
aufgefallen wäre, deutet darauf hin. Ebenso das Bemerken des Beklagten in der Korrespondenz des
Einspruchsverfahrens, dass der Klägerin aufgrund des schriftlichen Hinweises des Beklagten bewusst
gewesen sei, dass in der Steueranmeldung die Lastschriftnummer angegeben werden müsse, andernfalls der
Steuerpflichtige erkläre, dass er nicht am Lastschriftverfahren teilnehmen wolle.
Zutreffend ist der von der Klägerin geschilderte und vom Beklagten nicht bestrittene Geschehensablauf jedoch
plausibel in der ersten Alternative zu deuten. Die Klägerin trägt vor, man sei davon ausgegangen, dass der
Steuerbetrag vom Beklagten abgebucht werde, weil die Klägerin am Lastschriftverfahren teilnehme und der
Betrag wie die Vorauszahlungen ohne weiteres abgebucht würde.
Es ist festzustellen, dass jedenfalls in der ersten Alternative ein nur leichter Sorgfaltsverstoß vorliegt.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es sich insbesondere auch im Hinblick auf den erheblichen
Steuerbetrag von über ... Mio. € um einen Sachverhalt gehandelt hat, der grundsätzlich besondere
Aufmerksamkeit verlangt. Bedacht werden muss aber insbesondere, dass hier die Klägerin einen Antrag
gestellt hatte, am Lastschriftverfahren teilzunehmen. Die Klägerin hatte insoweit alles Erforderliche veranlasst,
damit jederzeit ihre Steuerschulden rechtzeitig gezahlt werden, indem die Finanzbehörden Zugriff auf ihr Konto
erhielten.
Weiter ist zu bedenken, dass die Klägerin bei vorhergehenden Zahlungen die Erfahrung hatte machen können,
dass auch ohne Angabe der Lastschriftnummer die Zahlungen erfolgt sind. Dass die streitgegenständliche
Zahlung nicht erfolgt ist, lag in erster Linie daran, dass der Beklagte von sich aus für den streitigen Betrag von
der Einzugsermächtigung keinen Gebraucht gemacht hat. Wenn es im Hinweisschreiben des Beklagte heißt,
die Nichtangabe der Lastschriftteilnehmernummer bedeute, dass der Steuerpflichtige im konkreten Fall nicht
am Lastschrifteinzugsverfahren teilnehmen möchte, ist dies eine einseitige Erklärung des Beklagten. Zwar ist
dem Beklagten zuzugeben, dass er insoweit die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass er für
Jahressteuerzahlungen aufgrund von Steueranmeldungen das Abbuchungsauftragsverfahren nicht anwende.
Allerdings ist zum einen das Schreiben des Beklagten vom 03.09.2009 (Blatt 4 Beklagtenakte) hinsichtlich
dieses Punktes nicht mit der wünschenswerten Klarheit formuliert. Vielmehr ist erst durch Subsumtionsleistung
zu ergründen, was mit dem Text gemeint ist. Zum anderen ist zu bedenken, dass selbst wenn der
Steuerpflichtige die Bedeutung dieser Einschränkung in der Nutzung des Lastschriftverfahrens durch den
Beklagten dahingehend verstanden hat, dass im Falle von Steueranmeldungen kein Einzug durch den
Beklagten erfolgt, sofern nicht noch einmal die Lastschriftnummer angegeben wird, zwar erwartet werden kann,
dass der Steuerpflichtige das Wissen um diese Abweichung vom Normalfall jederzeit präsent hält, es aber
nachvollziehbar ist und jedenfalls auch deswegen einen nur leichten Sorgfaltspflichtverstoß darstellt, wenn
dieses einmal nicht gelingt, weil das Steueranmeldeformular des Beklagten insoweit keinerlei Hinweise zur
Erfüllung der Zahlungspflichten bei Erteilung von Lastschriftaufträgen enthält.
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Es kann nicht erkannt werden, dass ein anderer Maßstab anzulegen ist, weil hier der Geschäftsführer selber
nicht allein an der Erstellung der Steueranmeldung beteiligt gewesen ist. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben,
dass bei der Beteiligung von mehreren Personen, wie sie im konkreten Fall vorgelegen hat, sich die
Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein solcher Fehler entdeckt wird. Es kann der Klägerin aber nicht
sorgfaltspflichterhöhend zum Vorwurf gemacht werden, dass sie ihre Arbeitsabläufe arbeitsteilig organisiert hat,
wenn dadurch die Gefahr der Pflichtverletzung sich nicht erhöht und in dem streitgegenständlichen Geschehen
realisiert hat. Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.
3. Auch im Fall des leichten Verstoßes gegen Sorgfaltspflichten verbleibt es nach der Formulierung der
Ermessenrichtlinie bei dem Ermessen der Behörde, so dass das Gericht grundsätzlich gehindert sein könnte,
über den Erlassantrag nach seiner Vorstellung von einem leichten Verstoß zu entscheiden.
Hier liegt allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
Die Ermessensrichtlinie ist so konzipiert, dass bei Vorliegen gewisser Bedingungen ein Erlass ausgesprochen
werden kann. Dem Verschuldensmaßstab des "leichten Verstoßes" kommt eine Doppelfunktion zu als er zum
einen eine weitere Bedingung dafür ist, dass überhaupt ein Erlass in Betracht zu ziehen, zum anderen aber
deutlich macht, dass das Maß des Verschuldens wesentliches Kriterium dafür sein soll, ob es auch tatsächlich
zum Erlass kommt.
Der vorliegende Fall ist auch noch innerhalb des Rahmens des leichten Verschuldens aus den genannten
Gründen durch ein besonders geringes Verschulden gekennzeichnet. Da aufgrund der Gesamtbetrachtung des
vorliegenden Falles kaum noch Fälle denkbar sind, in denen ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten noch
leichter wiegt als hier, gewährt die mit der Ermessensrichtlinie manifestierte Verwaltungspraxis der Klägerin
einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Fällen von Verstößen mit dem hiesigen Fall vergleichbaren Gewicht.
In diesen Fällen wird es grundsätzlich zu einem Erlass kommen müssen, damit der in der Ermessensrichtlinie
vorgesehenen Erlassmöglichkeit, die sich am Grad des Verschuldens orientiert, entsprochen und überhaupt der
der Ermessensrichtlinie zugemessene Anwendungsbereich ausgefüllt wird.
Besondere Umstände, die hingegen einem Erlass gleichwohl noch entgegenstehen könnten, sind nicht
gegeben. Angesprochen hat der Beklagte insoweit nur die Forderungshöhe. Zwar ist diese in der Tat
beträchtlich. Doch ist zu berücksichtigen, dass bei jedem Fall der Säumnis die Forderungshöhe bei der Frage
des Verschuldens berücksichtigt werden könnte. Dass die Ermessensrichtlinie die Forderungshöhe indes nicht
als Kriterium nennt, ist daher so zu verstehen, dass ihr bei der Ermessensausübung im Anwendungsbereich
der Richtlinie keine Bedeutung zukommt; mit einer Berücksichtigung im vorliegenden Fall also gegen den
Gleichheitssatz verstoßen würde.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 135, 115 FGO.