Urteil des FG Hamburg vom 19.09.2012

FG Hamburg: ware, zollbefreiung, stoff, form, cas, zollfreiheit, eisen, verunreinigung, bestandteil, anteil

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Zolltarif
Bei Etidronsäure, die als wässrige Lösung mit einem Wasseranteil von 40 % eingeführt wird, handelt es
sich um eine reine Substanz im Sinne des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
17.02.2011 (C-11/10), so dass nach Teil I Titel II lit. C Nr. 1. 1), Abschnitt II, Anhang 3 VO Nr. 1006/2011 der
Zusatzcode 2500 für zollfrei einzuführende Waren zu vergeben ist.
NZB, Az.: VII B 197/12
FG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 19.09.2012, 4 K 75/12
Teil 1 Titel 2 Buchst C Nr 1. 1 EGV 1006/2011, Abschn 2 EGV 1006/2011, Anh 3 EGV 1006/2011
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Zollbefreiung.
Die Klägerin führt die Ware Hydroxyethandiphosphonsäure (auch bezeichnet als Etidronsäure, HEDP) aus ...
ein. Bestandteile der Ware sind neben Etidronsäure noch Wasser (max. 40%), Essigsäure (max. 1%),
Phosphorsäure (phosphorige Säure, max. 2%), Spuren von Eisen-Ionen (im Regelfall 0,0005%, max. 0,0025%)
und Salzsäure (berechnet als Chlorid, max. 0,02%). Es handelt sich, wie die Klägerin in der Klagebegründung
ausführt, bei der importierten Ware um eine wässrige Lösung, die 60% Etidronsäure enthält (daher auch
bezeichnet als HEDP-60). Die Herstellung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst reagieren die flüssigen
Ausgangsprodukte Phosphortrichlorid und Essigsäure bei hohen Temperaturen zu Polykondensaten, einer
glasartig anfallenden Masse, die hoch konzentrierte Salzsäure enthält. In einem zweiten Reaktionsschritt wird
diese Masse bei Temperaturen um 80 °C mit Wasser umgesetzt, wodurch die gewünschte Etidronsäure
gebildet wird. Wasser wird im Überschuss eingesetzt, um einerseits Zwischenprodukte vollständig in
Etidronsäure umzuwandeln und andererseits um die entstandene Salzsäure durch Destillation aus dem Produkt
zu entfernen. Die Etidronsäure ist unter der CAS RN 2809-21-4 im Anhang 3 der Kombinierten Nomenklatur, in
der pharmazeutische Stoffe, für die Zollfreiheit gilt, benannt sind, aufgelistet.
Am 23.03.2012 erteilte der Beklagte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft, mit der die Etidronsäure
antragsgemäß in die Warennummer 2931 9090 eingereiht wurde. Weiter wurde der Zusatzcode 2501 vergeben,
der für "alle übrigen Waren" gilt, die nicht als pharmazeutische Stoffe der Tabellen 1 bis 4 (zollfrei) einzuführen
sind.
Mit ihrer am ... 2012 bei Gericht eingegangenen (Sprung-)Klage wendet sich die Klägerin lediglich gegen die
Vergabe des Zusatzcodes 2501. Sie meint, es müsse der Zusatzcode 2500 für zollfrei einzuführende
pharmazeutische Stoffe vergeben werden. Die Ware werde mit der CAS RN 2809-21-4 unter der Bezeichnung
"Etidronsäure" genannt und sei somit vom Zoll befreit. Dass die Etidronsäure tatsächlich nur 60 % der
Gesamtsubstanz ausmache, sei unerheblich, weil dies der Stoff sei, der der Ware ihren wesentlichen Charakter
verleihe. Pharmazeutische Substanzen müssten zwar grundsätzlich in reiner Form vorliegen, um in den
Genuss der Zollfreiheit zu kommen, jedoch seien Verunreinigungen unerheblich, die nach dem eigentlichen
Herstellungsprozess in der Grundsubstanz als herstellungsbedingte Rückstände vorhanden seien. Nur
Substanzen, die der Grundsubstanz nachträglich hinzugefügt würden, führten dazu, dass die pharmazeutische
Substanz nicht mehr in Reinform vorliege. Bei dem Wasseranteil in der streitgegenständlichen Ware handele
es sich um eine Verunreinigung aus Rückständen. Nur mit Hilfe des zugeführten Wassers könnten die
wertvollen, im ersten Reaktionsschritt erzeugten Polykondensat-zwischenprodukte vollständig in die
gewünschte Grundsubstanz "Etidronsäure" umgesetzt werden. Erst durch diesen Reaktionsschritt entstehe
"Etidronsäure". Zwar könne der Wasseranteil durch Destillation, Ausfällung und Trocknung reduziert werden,
allerdings besitze auch die kristalline Etidronsäure in festem Zustand aufgrund ihres hygroskopischen
Verhaltens immer noch einen erheblichen Wassergehalt. Wasser sei damit Teil der Grundsubstanz
"Etidronsäure". Würde man den Wassergehalt nicht als Verunreinigung aus Rückständen im Sinne der
Definition des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 17.02.2011, C-11/10) einstufen, gäbe es
überhaupt keine Etidronsäure in reiner Form - dann liefe der Anhang 3 der Kombinierten Nomenklatur leer. Aus
der genannten Entscheidung ergebe sich nicht, dass als Verunreinigungen aus Rückständen nur marginale
oder geringe Mengen im Sinne einer Restfeuchte zulässig seien. Außerdem würden sich die chemischen und
physiologischen Eigenschaften der Etidronsäure durch die Menge des Wassers nicht verändern, die chemische
Struktur bleibe unabhängig vom Wasseranteil gleich. Aus Rn. 1 d) der Anmerkungen zu Kapitel 29 ergebe sich
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Struktur bleibe unabhängig vom Wasseranteil gleich. Aus Rn. 1 d) der Anmerkungen zu Kapitel 29 ergebe sich
zudem, dass wässrige Lösungen wie das entsprechende chemische Erzeugnis selbst einzureihen seien. Daher
sei HEDP-60 wie Etidronsäure einzureihen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die verbindliche Zolltarifauskunft vom 23.03.2012 (DE .../...-1) dahin
abzuändern, dass die von ihr eingeführte Ware 1,1-Hydroxy-1,1-diphosonsäure (Etidronsäure) in die
Position 2931 9090 unter Anwendung des Zusatzcodes 2500 für zollfrei einzuführende
pharmazeutische Erzeugnisse eingereiht wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat der Sprungklage mit Schriftsatz vom 29.05.2012 zugestimmt. In der Sache trägt er vor,
Etidronsäure sei in Anhang 3 der Kombinierten Nomenklatur als zollfreier pharmazeutischer Stoff genannt, dies
gelte allerdings nur für den reinen Stoff Etidronsäure. Nach dem von der Klägerin zitierten Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht erforderlich, dass die weiteren Stoffe nachträglich zugegeben
worden seien. Das Urteil sei daher für die streitgegenständliche Ware relevant. Richtig sei, dass Hydrate der in
Anlage 3 genannten Stoffe ebenfalls zollfrei seien, das gelte jedoch nicht für wässrige Lösungen. Tatsächlich
handele es sich im Streitfall um eine Mischung aus Etidronsäure und Wasser. Beide Stoffe besäßen eigene
CAS-Nummern (Etidronsäure 2809-21-4 und Wasser 7732-18-5). Bei einem Mischungsverhältnis von 60:40
könne das Wasser nicht lediglich als Verunreinigung bezeichnet werden. Dass die Ware tatsächlich nicht aus
einer Substanz zusammengesetzt sei, sei schon dadurch erkennbar, dass Etidronsäure ein Feststoff sei, die in
Rede stehende Ware jedoch eine Flüssigkeit. Bei der Zollbefreiung für pharmazeutische Produkte handele es
sich um eine Sonderregelung, die unabhängig von der zolltariflichen Einreihung sei. Die Anmerkungen zu
Kapitel 29 der Kombinierten Nomenklatur könnten daher nicht angewandt werden.
Im Erörterungstermin vom 31.08.2012 haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig (I.) und begründet (II.).
I.
Die Klage, mit der die Klägerin die Erteilung einer (geänderten) verbindlichen Zolltarifauskunft begehrt, ist
gemäß § 45 Abs. 1 FGO ohne Vorverfahren zulässig, da der Beklagte innerhalb eines Monats nach Zustellung
der Klageschrift dem Gericht gegenüber zugestimmt hat.
II.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft, in der der Zusatzcode 2500
vergeben wird.
Mit der verbindlichen Zolltarifauskunft vom 23.03.2012 (DE .../...-1) hat der Beklagte die streitgegenständliche
Ware (Etidronsäure 60%) antragsgemäß in die Position 2931 9090 eingereiht. Streitig ist zwischen den
Beteiligten lediglich, ob der Zusatzcode 2500, der für zollfrei einführbare pharmazeutische Stoffe vergeben
wird, oder der Zusatzcode 2501, der für alle übrigen Waren vergeben wird, zur Anwendung kommt. Im Hinblick
auf das Vorbringen der Beteiligten merkt der Senat Folgendes an:
Etidronsäure der Warennummer 2931 9090 ist in der Kommission vom 27.09.2011 zur Änderung von Anhang I
der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den
Gemeinsamen Zolltarif (VO Nr. 1006/2011) unter der CAS RN (Chemical Abstracts Service Registry Numbers)
als pharmazeutischer Stoff, für den Zollfreiheit gilt, aufgeführt. Für diese Stoffe ist geregelt, dass der
Zusatzcode 2500 zu verwenden ist. Bei der streitgegenständlichen Ware handelt es sich trotz des
Wasseranteils von 40 % um Etidronsäure in diesem Sinne.
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Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 17.02.2011 (C-11/10) zur VO nur 2658/87, der
Vorgängerverordnung zur VO Nr. 1006/2011, erkannt, dass in den anzuwendenden Bestimmungen nicht
ausdrücklich vorgesehen sei, dass pharmazeutische Erzeugnisse, um die für die in Anhang 3 aufgelisteten
pharmazeutischen Substanzen vorgesehene Zollbefreiung beanspruchen zu können, in reiner Form vorliegen
müssten. Die Bestimmungen, die die Anwendung einer Zollbefreiung vorsähen, seien jedoch als
Ausnahmevorschriften eng auszulegen. Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausgeführt, die
Zollbefreiung komme nur pharmazeutischen Substanzen zugute, die - abgesehen von eventuellen in diesen
Substanzen vorhandenen Verunreinigungen aus Rückständen - in reiner Form vorlägen, denen also keine
anderen Substanzen hinzugefügt worden seien. Als solche Verunreinigungen aus Rückständen könnten
Substanzen nicht angesehen werden, die der Grundsubstanz in unterschiedlichen Mengen hinzugefügt worden
seien und die als solche nicht Teil der Substanz oder des Erzeugnisses seien, aus dem die Substanz
gewonnen worden sei.
Legt man diesen Maßstab zu Grunde, muss die streitgegenständliche Ware - die zu 60% aus Etidronsäure, zu
40% aus Wasser und in sehr geringen Anteilen aus Essigsäure, Phosphorsäure, Eisen-Ionen und Salzsäure
besteht - als Etidronsäure in diesem Sinne angesehen werden.
Bei den sehr geringen Anteilen von Essigsäure, Phosphorsäure, Eisen-Ionen und Salzsäure handelt es sich um
Verunreinigungen aus Rückständen, die der Vergabe des Zusatzcodes 2500 nicht entgegenstehen. Es handelt
sich dabei um Substanzen, die für den Herstellungsvorgang unstreitig erforderlich waren und bei denen es sich
insoweit um Rückstände handelt, als sie nicht vollständig in der Reaktion zur Herstellung der Etidronsäure
aufgegangen sind. Auch der Beklagte hält diese Rückstände nicht für erheblich.
Aber auch der Wasseranteil von 40% hindert die Vergabe des Zusatzcodes 2500 nicht. Wie auch im
Erörterungstermin vom 31.08.2012 von der Klägerin dargestellt wurde, muss zur Herstellung von Etidronsäure
notwendigerweise Wasser eingesetzt werden. Danach muss, da die bei der Herstellung ablaufende Reaktion
noch nicht bis ins Letzte bekannt und daher unklar ist, welche Wassermenge mindestens benötigt wird,
zwingend Wasser im Überschuss, also mehr als erforderlich, zugeführt werden, damit sichergestellt wird, dass
sich die Etidronsäure vollständig ausbildet. Dieser Sachverhalt wurde seitens des Vertreters des Bildungs- und
Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung im Erörterungstermin auch ausdrücklich bestätigt.
Ebenfalls unstreitig ist, dass Etidronsäure durch Reduktion des Wassers eine feste, kristalline Struktur
bekommt, die jedoch wegen ihres hygroskopischen Charakters gleichwohl noch Wasserreste enthält und sich
an der Luft wieder verflüssigt. Auch die vom Vertreter des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der
Bundesfinanzverwaltung vorgelegte Warenprobe war, obwohl es sich um ein Pulver handelte, als Hydrat, also
als wasserhaltig, gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund kann das Wasser nicht als Substanz angesehen
werden, die der Etidronsäure im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
hinzugefügt worden wäre, vielmehr ist es eine für den Herstellungsprozess notwendige und auch in dem fertig
hergestellten Erzeugnis zwangsläufig vorhandene Substanz, deren Anteil unterschiedlich groß sein kann, die
aber letztlich, wenn nicht gar als Bestandteil der Ware, so doch zumindest als herstellungsbedingter Rückstand
angesehen werden muss.
Aus dem Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union vom 17.02.2011 (C-11/10) ergibt sich auch, dass für
die Vergabe des Zusatzcodes 2500 schädlich nur Substanzen sind, die der Grundsubstanz hinzugefügt worden
und nicht Teil des Erzeugnisse sind. Wie der vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedene Fall zeigt,
muss es sich um Substanzen handeln, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Herstellung des
Erzeugnisses stehen. In jenem Sachverhalt wurden der Ware "Citosin" Ascorbinsäure und Weinsteinsäure
zugesetzt, um die Haltbarkeit zu verlängern. Dieser Zweck hätte auch durch eine Vakuumverpackung erreicht
werden können. Die Substanzen Ascorbinsäure und Weinsteinsäure wurden vom Gerichtshof der Europäischen
Union als für die Zollbefreiung schädlich angesehen, weil sie nicht Teil der Grundsubstanz seien. Der Streitfall
ist jedoch anders gelagert, da das Wasser Teil der Grundsubstanz Etidronsäure ist und nicht - als
"Fremdsubstanz" - zu einem Zweck zugeführt wurde, der für die Herstellung unerheblich ist. Dass der
Wasseranteil nicht vor der Einfuhr reduziert worden ist, hält der Senat nicht für erheblich. Da Wasser
notwendiger Bestandteil der Etidronsäure ist, kann es für die Frage der Reinheit nicht entscheidend auf die
Größe des Wasseranteils ankommen. Ob der Fall anders zu beurteilen wäre, wenn das Wasser einen noch
größeren oder gar dominierenden Anteil ausmachen würde, muss der Senat im Streitfall nicht entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe
des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.