Urteil des FG Hamburg vom 28.02.2014

FG Hamburg: wohnung, anfang, entsendung, entsandter arbeitnehmer, familie, aufenthalt, gerichtsakte, einspruch, schwiegermutter, eigentum

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Einkommensteuerrecht, Kindergeld: Kindergeldberechtigung während einer Entsendung ins
Ausland (Nicht-EU)
Der steuerrechtliche Wohnungsbegriff stellt auf die tatsächliche Gestaltung ab und knüpft insbesondere
an äußere Merkmale an. Ein ins Nicht-EU Ausland entsandter Arbeitnehmer behält seinen inländischen
Wohnsitz bei, wenn er regemäßig während der Sommer- und Weihnachtsferien mehrere Wochen sich im
Inland aufhält.
FG Hamburg 6. Senat, Urteil vom 28.02.2014, 6 K 179/12
§ 7 BGB, § 8 AO, § 79a Abs 3 FGO, § 79a Abs 4 FGO, § 90 Abs 2 FGO, § 32 Abs 1 Nr 1 EStG, § 62 Abs 1 Nr 1
EStG
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld für die drei Kinder des Klägers für den Zeitraum
Januar 2007 bis einschließlich Mai 2010.
Der Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder, A, geb. am ..., B, geb. am ... und C, geb. am ... .
Vom 16.08.2004 bis 31.07.2005 war der Kläger von seinem Arbeitgeber -D GmbH & Co. KG - zu der
Gesellschaft E Holding nach F und vom 01.08.2005 bis 31.08.2010 zu der Gesellschaft G Ltd. nach H
entsandt worden. Nach seiner Rückkehr am 01.09.2010 war der Kläger noch bis 31.12.2010 bei der D GmbH
& Co. KG beschäftigt. Der Kläger lebt mit seiner Familie seit Anfang 2011 in Hamburg.
Die Kindergeldzahlungen wurden Anfang 2005 eingestellt, nachdem der Kläger Mitte 2004 seine Entsendung
nach ... mitgeteilt hatte. Ab Juni 2010 war für die beiden Kinder C und B Kindergeld erneut festgesetzt
worden.
Die vom Kläger und seiner Familie vor seinem Aufenthalt genutzte Wohnung in der X-Straße in ... K steht im
Eigentum der Ehefrau des Klägers. Diese Wohnung war im streitigen Zeitraum weder vermietet noch wurde
sie anderweitig genutzt. In dem Gebäude wohnt auch die Schwiegermutter des Klägers, die Zeugin L, in der
Einliegerwohnung.
Die Tochter A kehrte in 2007 nach Deutschland zurück und lebte ab Juni 2007 bis Juni 2010 im Hause ihrer
Mutter in der X-Straße und wurde von ihrer Großmutter betreut, die auch das Kindergeld für A in dem
Zeitraum Juni 2007 bis Juni 2010 erhielt.
Am 30.09.2011 beantragte der Kläger erneut Festsetzung von Kindergeld für seine drei Kinder mit der
Begründung, er habe seinen deutschen Wohnsitz auch während der Zeit seiner Entsendung nach ... nicht
aufgegeben.
Mit Bescheid vom 27.01.2012 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung bis Februar 2012 ab mit der
Begründung, der Kläger habe keine ausreichenden Nachweise für das Beibehalten seines deutschen
Wohnsitzes erbracht.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 06.02.2012 Einspruch ein und führte dazu aus, dass die
Wohnung mehrfach in den Sommerferien und den Weihnachtsferien regelmäßig benutzt worden sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 24.07.2012 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und
führte hierzu aus, dass der Kläger im streitigen Zeitraum weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland gehabt habe. Bei einem ins Ausland versetzten Arbeitnehmer sei ein inländischer
Wohnsitz widerlegbar zu vermuten, wenn er seine Wohnung im Inland beibehalte. Hierzu müsse er über Jahre
hinweg jährlich regelmäßig zweimal zu bestimmten Zeiten über einige Wochen die Wohnung nutzen. Der
Kläger habe Nachweise über seine Heimflüge o. ä. oder über die regelmäßige Benutzung der Wohnung trotz
Aufforderung nicht vorgelegt. Im Übrigen sei der Kläger weder gem. § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz
(EStG) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig noch werde er vom Finanzamt gem. § 1 Abs. 3 EStG als
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unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Die Feststellungen des Finanzamtes zur unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht seien für das Kindergeldverfahren grundsätzlich bindend. Der Kläger habe auch die
Frage, wonach er während seines Aufenthaltes im Ausland uneingeschränkt der deutschen
Einkommensteuerpflicht unterliege oder als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werde, mit
nein beantwortet. Ein Nachweis des Finanzamtes, der etwas Anderes bescheinige, sei nicht vorgelegt
worden.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 20.08.2012, beim Finanzgericht eingegangen am gleichen
Tage, Klage, mit dem Ziel der Kindergeldfestsetzung für seine drei Kinder während seiner Entsendung nach
...
Zur Begründung führt er aus, er habe während seiner Entsendung seinen inländischen Wohnsitz beibehalten.
Die Wohnung in K sei regelmäßig in den Sommer- und Weihnachtsferien für längere Zeit wie folgt genutzt
worden:
- von Mitte Dezember 2004 bis Anfang Januar 2005;
- drei bis vier Tage im April 2005;
- vom 20.06.2005 bis Mitte August 2005;
- zwei bis drei Tage im November 2005 aufgrund eines Managementmeetings;
- Mitte Dezember 2005 bis Anfang Januar 2006;
- zwei bis drei Tage im Januar 2006 während eines Meetings in Deutschland;
- 20.06.2006 bis Anfang August 2006;
- zwei bis drei Tage im November 2006, wiederum anlässlich eines Managementmeetings;
- Mitte Dezember 2006 bis Anfang Januar 2007;
- ab Mitte Juni 2007 bis Anfang August 2007;
- zwei bis drei Tage im November 2007, wiederum anlässlich eines Managementmeetings;
- vom 08.12.2007 bis Ende Januar 2007 wegen eines Meetings in Deutschland und diverser
Vorstellungsgespräche bei der Firma M;
- Mitte Juni 2008 bis Anfang August 2008;
- zwei bis drei Tage im November 2008 aufgrund eines Managementmeetings;
- vom 06. Dezember 2008 bis Ende Dezember 2008;
- zwei bis drei Tage im Februar 2009 wegen eines Meetings in Deutschland;
- vom 20.06.2009 bis Anfang August 2009;
- zwei bis drei Tage im Oktober 2009 aufgrund eines Managementmeetings;
- Anfang Dezember - und zwar nicht vor dem 05.12. - 2009 bis Anfang Januar 2010;
- Ostern 2010 vom 27. März 2010 bis 09. April 2010.
Der Kläger beantragt,
den streitgegenständlichen Bescheid vom 27.01.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung
vom 24.07.2012 dahingehend zu ändern, dass für A Kindergeld für den Zeitraum Januar 2007 bis
einschließlich Mai 2007 und für die Kinder B und C für den Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich
Mai 2010 festgesetzt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Kläger abzuweisen.
Sie hält die Klage für unbegründet. Die vorgelegten Nachweise über Kontenbewegungen und in Deutschland
stattgefundene Arztbesuche seien bisher nicht ausreichend, um die Beibehaltung des inländischen
Wohnsitzes zu belegen.
Das Gericht hat die Schwiegermutter des Klägers, Frau L, als Zeugin vernommen. Für das Ergebnis der
Beweisaufnahme und des vorausgehenden Erörterungstermins wird auf die Protokolle vom 18.07.2013 (Bl. 55
ff. Gerichtsakte) und vom 06.08.2013 (Bl. 71 ff. Gerichtsakte) Bezug genommen.
Dem Gericht hat die Kindergeld-Akte Nr. ... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
I.
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Die Entscheidung erfolgt ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin, nachdem die Beteiligten
auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin
einverstanden erklärt haben (§§ 79a Abs. 3 + 4 und § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
II.
Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27.01.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom
24.07.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als die Kindergeldfestsetzungen für
seine drei Kinder A, B und C bis Februar 2012 abgelehnt worden ist.
Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter A für den Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich
Mai 2007 und für seine Kinder B und C für den Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich Mai 2010, denn der
Kläger hatte in diesem Zeitraum auch während seiner Entsendung nach ... seinen deutschen Wohnsitz
beibehalten.
1. Für Kinder im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) hat Anspruch auf Kindergeld,
wer gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Seinen
Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass
er sie beibehalten und benutzen wird (§ 8 Abgabenordnung - AO -). Der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff ist
objektiviert, er stellt, im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen (§ 7
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), sondern auf die tatsächliche Gestaltung ab und knüpft insgesamt an
äußere Merkmale an, ohne subjektiven Momenten oder Absichten Raum zu geben (BFH Urteil vom
23.11.1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182).
a) § 8 AO setzt zunächst voraus, dass eine Wohnung vorhanden ist, die der Steuerpflichtige innehat, d. h.
über die er tatsächlich verfügen kann. Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers vor, die Wohnung in
K steht im Eigentum seiner Ehefrau.
b) Darüber hinaus muss dem Steuerpflichtigen die Wohnung als Bleibe dienen, dass er sie ständig oder doch
mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt (vgl. BFH II R 139/87 a. a. O. mit weiteren
Nachweisen). Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinanderfolgenden kürzeren
Zeiträumen zur Erholungszwecken macht nach allgemeiner Rechtsprechung eine Wohnung nicht zur Bleibe
(vgl. BFH Urteil vom 06.03.1968 I 38/65, BFHE 92, 5, BStBl II 1968, 439).
Der Kläger hat die Wohnung in K mit seiner Familie während seiner Zeit seiner Entsendung nach ...
regelmäßig jeweils in den Sommer- und Weihnachtsferien für mehrere Wochen im Jahr genutzt. Diese
Nutzung war auch möglich, da das Haus trotz Entsendung nahezu vollständig möbliert gewesen blieb. Nach
den Bekundungen der Zeugin L hielten sich der Kläger und seine Familie im Sommer immer jeweils sechs bis
sieben Wochen und während der Weihnachtsferien etwa vier Wochen im Jahr in K auf. An dem
Wahrheitsgehalt dieser Aussagen zu zweifeln, bestehen auch unter Berücksichtigung der nahen persönlichen
Beziehung der Zeugin zu dem Kläger und seiner Familie für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte. Die Zeugin
machte ihre Angaben ruhig und bestimmt. Ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens kann
insoweit nicht unterstellt werden. Die Bekundungen der Zeugin über die regelmäßigen Aufenthalte des
Klägers und seiner Familie in K werden im Übrigen auch gestützt von den vom Kläger vorgelegten Unterlagen
über stattgefundene Arztbesuche und in Deutschland getätigten Kontoabhebungen. Aus dem Vorstehenden
ergibt sich, dass der Kläger seinen Wohnsitz im Inland und auch während seiner Entsendung nach ...
beibehalten hat. Er hat den entsprechend Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld in folgendem Umfang:
Die Festsetzungsfrist von Kindergeld beträgt gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf
des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Wird wie hier, eine Steuervergütung
nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Antrag
gestellt wird.
Der Antrag des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld wurde im September 2011 gestellt, sodass
frühestens ab Januar 2007 eine Festsetzung noch möglich war. Für die Tochter A besteht deshalb ein
Anspruch für den Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich Mai 2007, denn sie kehrte im Juni 2007 nach
Deutschland zurück und lebte anschließend im Haushalt ihrer Großmutter, die für sie Kindergeld bezog. Für
die beiden anderen Kinder B und C besteht zugunsten des Klägers ein Anspruch auf Kindergeldfestsetzung
für den Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich Mai 2010; für den anschließenden Zeitraum wurde zugunsten
der Ehefrau des Klägers Kindergeld für diese beiden Kinder festgesetzt, sodass ein weiterer Anspruch des
Klägers nicht besteht.
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Der angegriffene Bescheid der Beklagten kann somit keinen Bestand haben und ist wie oben aufgeführt
entsprechend abzuändern.
III.
Die Kostenentscheidung sowie die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135, 151 FGO i. V. m. § 708 Nr. 11
und § 711 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür gem. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.