Urteil des FG Hamburg vom 28.11.2012

FG Hamburg: soziale einrichtung, unbestimmte dauer, zahl, alter, projekt, form, familie, grundstück, konzept, unterbringung

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1. Eine Einrichtung der Jugendhilfe, in der zum Zeitpunkt der Aufnahme sechs bis zwölf Jahre alte Kinder
langfristig leben sollen, die ausschließlich von selbst nicht in der Einrichtung lebenden Fachkräften betreut
werden, dient nicht dem Wohnen i.e.S.. Es handelt sich in dieser Form um eine soziale Einrichtung, die in
einem besonders geschützten Wohngebiet nach § 10 Abs. 4 Abschnitt W Satz 3 BPVO zulässig ist, wenn es
sich um einen "kleine" Einrichtung handelt.
2. Von einer "kleinen" Einrichtung wird nur dann auszugehen sein, wenn die Zahl der zu betreuenden
Kinder und Jugendlichen grundsätzlich nicht über jene hinausgeht, die in einer großen Familie oder in
einer familienanalogen Betreuung in einer Gemeinschaft leben.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 2. Senat, Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12
§ 10 Abs 4 Abschn W S 3 BauPolV
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7.
September 2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000.—Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen
erteilte Nutzungsgenehmigung für ein Wohnprojekt für Jugendliche in einem besonders geschützten
Wohngebiet nach der hamburgischen Baupolizeiverordnung.
Die unmittelbar benachbarten Grundstücke der Antragstellerin und des Beigeladenen befinden sich im
Geltungsbereich des Baustufenplans Sasel, erneut festgestellt am 14. Januar 1955 (Amtl. Anz. S. 61), der für
sie ein Wohngebiet mit eingeschossiger offener Bebauung festsetzt und dieses zugleich gemäß § 10 Abs. 4
Abschnitt W Satz 3 BPVO als besonders geschütztes Wohngebiet ausweist, in dem gewerbliche und
handwerkliche Betriebe, Läden und Werbeanlagen unzulässig sind. Beide Grundstücke sind plangemäß mit
Wohngebäuden bebaut. Das Wohngebäude des Beigeladenen weist eine Grundfläche von 272 m² auf und
verfügt in Teilen über ein ausgebautes Dachgeschoss.
Der Beigeladene, ein Träger der Jugend- und Eingliederungshilfe, begehrte zunächst einen Vorbescheid über
die planungsrechtliche Zulässigkeit seines Vorhabens. Nachdem sich Schwierigkeiten mit benachbarten
Grundeigentümern abzeichneten, stellte er seinen Antrag auf die Erteilung einer Baugenehmigung im
vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 61 HBauO) für die Nutzung des baulich nicht zu verändernden
Gebäudes durch eine betreute Wohngruppe mit 10 Kindern und Jugendlichen um. Dem Antrag war eine
Beschreibung des Betreuungskonzepts beigefügt.
Unter dem 11. Juli 2012 erteilte die Antragsgegnerin die Baugenehmigung für die begehrte Nutzung u.a. unter
folgenden „Auflagen“:
„Zur Einhaltung der Gebietsverträglichkeit eines besonders geschützten Wohngebiets, des Baustufenplans
Sasel, wird die Anzahl der Bewohner auf maximal 8 Betreuungsplätze beschränkt. Eventuelle therapeutische
Behandlungen dürfen auf dem Grundstück nicht stattfinden. …“
Das Betreuungskonzept ist Teil der genehmigten Bauvorlagen.
Die Antragstellerin erhob gegen die Genehmigung Widerspruch und hat zeitgleich beim Verwaltungsgericht
einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gestellt. Diesen Antrag hat das
Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. September 2012 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen
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ausgeführt:
Die erteilte Baugenehmigung verletze die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren subjektiven Rechten.
Insbesondere liege kein Verstoß gegen ihren Gebietserhaltungsanspruch vor. Die genehmigte Nutzung sei
„Wohnen“ i.S.v. § 10 Abs. 4 BPVO, weil nach dem für die Beurteilung allein maßgeblichen Betreuungskonzept
der Beigeladenen alle nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür erforderlichen Voraussetzungen
erfüllt seien. Es sei von einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit der Bewohner auszugehen. Art und Umfang
der erforderlichen und vorgesehenen Betreuungsleistungen für die die Kinder und Jugendlichen der Gruppe
führten nicht dazu, dass es an einer Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen
Wirkungskreises der Bewohner fehle. Ferner wohnten die Kinder und Jugendlichen nach dem Konzept freiwillig
in der Gruppe. Etwaige Abweichungen der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks von der
Projektbeschreibung seien für die Frage einer Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die streitige
Genehmigung unbeachtlich. Subjektive Rechte der Antragstellerin aus einer entsprechenden Anwendung von §
15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauNVO würden durch die erteilte Baugenehmigung ebenfalls nicht verletzt.
Mit ihrer Beschwerde, deren Begründung sich auf Rügen zur Wahrung ihres Anspruchs auf Gebietserhaltung
beschränkt, verfolgt die Antragstellerin ihr ursprüngliches Begehren fort.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bleibt im
Ergebnis ohne Erfolg.
1. Mit ihrer Beschwerdebegründung legt die Antragstellerin allerdings den Anforderungen des § 146 Abs. 4
Sätze 3 und 6 VwGO entsprechend dar, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts ernstlichen Bedenken
begegne, bei dem „Wohnprojekt“ der Beigeladenen handele es sich um „Wohnen“ i.S.v. § 10 Abs. 4 BPVO.
Schon ihre Rüge, die Beschreibung des Betreuungskonzepts halte dem Beigeladenen die Möglichkeit offen,
auch Kinder und Jugendliche in die Gruppe aufzunehmen, für die das zuweisende Jugendamt lediglich von
einer vorübergehenden, kurzzeitigen Unterbringung bis zu einer Rückkehr zu den Eltern oder einem Wechsel in
eine Pflegefamilie ausgeht, ist geeignet, die auf Dauer angelegte Häuslichkeit in dem Projekt in Frage zu
stellen. Auch die Erwägung, die nach dem Konzept des Projekts akzeptierte ausschließliche Betreuung der
Gruppe durch (externe) Betreuer, die selbst nicht mit der Gruppe leben, stehe einer „Häuslichkeit“ für die Kinder
und Jugendlichen entgegen, ist nicht von der Hand zu weisen. Gleiches gilt für die Ausführungen, es fehle an
der hinreichenden Eigengestaltung der Lebensführung in der Gruppe, da die erforderliche sozialpädagogische
Betreuung aufgrund der schwerwiegenden Probleme der aufzunehmenden Kinder und Jugendlichen so stark in
die Lebensführung eingreifen müsse, dass diese als fremdbestimmt anzusehen sei. Deshalb sei das Vorhaben
ein solches für soziale Zwecke, das in einem besonders geschützten Wohngebiet nach der BPVO
planungsrechtlich nicht allgemein zulässig sei und über dessen Zulässigkeit das Verwaltungsgericht nicht
entschieden habe.
Legt ein Beschwerdeführer in seiner Begründung Gründe dar, die geeignet sind, die verwaltungsgerichtliche
Entscheidung zu erschüttern, folgt hieraus indessen nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines
Rechtsbehelfs, sondern hat das Beschwerdegericht lediglich ohne die prozessrechtlichen Beschränkungen des
§ 146 Abs. 4 VwGO umfassend über seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu
entscheiden.
2. Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Rechtsbehelfe gemäß §§ 80
a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung bleibt im Ergebnis weiterhin
ohne Erfolg.
Die im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung zwischen dem Interesse der
Antragstellerin zur Sicherung ihrer subjektiven Rechte die Vollziehung der Genehmigung auszusetzen und die
Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, bevor über ihre Rechtsbehelfe gegen die Genehmigung
entschieden ist, und dem Interesse des Beigeladenen gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB sogleich von der erteilten
Genehmigung Gebrauch machen zu können, obwohl ein Dritter Rechtsmittel gegen diese eingelegt hat, fällt im
Ergebnis (weiterhin) zu Lasten der Antragstellerin aus. Die dem Beigeladenen nach § 61 HBauO erteilte
Baugenehmigung als Nutzungsgenehmigung dürfte keine subjektiven Rechte der Antragstellerin verletzen (a),
so dass die Interessenabwägung zum Vorrang des Vollzugsinteresses des Beigeladenen führt (b).
a) Nach der Beschreibung des Betreuungskonzepts, die als mit der Baugenehmigung vom 11. Juli 2012
ausdrücklich genehmigte Bauvorlage deren Bestandteil ist und damit den zulässigen Nutzungsrahmen des
„Wohnprojekts“ konstitutiv bestimmt, wird es sich bei der genehmigten Nutzung des Grundstücks des
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Beigeladenen zwar voraussichtlich nicht um eine Nutzung zum „Wohnen“ i.S.v. § 10 Abs. 4 BPVO handeln
(aa). Überwiegendes spricht allerdings dafür, dass es sich hierbei um die Nutzung des Grundstücks durch eine
„kleine“ soziale Einrichtung handelt, die in einem besonders geschützten Wohngebiet nach § 10 Abs. 4
Abschnitt W Satz 3 BPVO ebenfalls allgemein zulässig ist (bb).
aa) Aus dem Betreuungskonzept des Beigeladenen lässt sich gegenwärtig nicht die hinreichende Gewissheit
gewinnen, dass es sich bei dem Jugendwohnprojekt bauplanungsrechtlich um eine Nutzung des Grundstücks
zu „Wohnbedürfnissen“ i.S.v. § 10 Abs. 4 Abschnitt W BPVO handelt. Die Nutzung eines Grundstücks zum
„Wohnen“ i.e.S. unterliegt nach dieser Regelung keinen anderen rechtlichen Voraussetzungen als nach den §§
3, 4 BauNVO. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht insoweit davon ausgegangen, dass der Begriff des
Wohnens durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des
häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ist. Diese Kriterien dienen
insbesondere der Abgrenzung von anderen Nutzungsformen, u.a. der Unterbringung, des Verwahrens unter
gleichzeitiger Betreuung, einer bloßen Schlafstätte oder anderen Einrichtungen, die dann nicht als
Wohngebäude, sondern als soziale Einrichtungen einzustufen sind (vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 25.3.1996,
NVwZ 1996, 893 f.; OVG Hamburg, Urt. v. 11.9.2009, 4 Bf 161/06, n.v.; Urt. v. 10.4.1997, NordÖR 1999, 354,
355).
Dass der Beigeladene primär das Ziel verfolgt, das Gebäude für eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen zu
nutzen, die dort „auf Dauer“ leben sollen, da sie, wie es im Betriebskonzept heißt, „eine auf längere Zeit
angelegte Lebensform benötigen“, hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt. Denn im Rahmen der
Hilfeformen des § 34 SGB VIII stellt diese Betreuung, die in Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift genannt ist, jene Form
der „Heimerziehung“ oder einer „sonstigen betreuten Wohnform“ dar, die auf ein zeitlich offenes Ende angelegt
ist und nicht lediglich (vorübergehend) auf die Rückkehr oder Überführung in familiäre Betreuungsformen
vorbereiten soll. Die angestrebte lange, unbestimmte Dauer der Aufnahme kommt im Betriebskonzept auch
dadurch zum Ausdruck, dass der Beigeladene eine Aufnahme im Alter von 6 bis 12 Jahren und einen Auszug
mit Erreichen der Volljährigkeit anstrebt. Selbst wenn sich im Einzelfall herausstellen wird, dass einzelne der
Kinder und Jugendlichen entgegen der bei ihrer Aufnahme bestehenden Absichten und Prognosen vorzeitig aus
der Gruppe ausscheiden können oder müssen, wäre dies nicht geeignet, eine auf „Dauer“ angelegte
Häuslichkeit in Frage zu stellen. Denn für dieses Tatbestandsmerkmal wird maßgeblich auf die Situation und
Prognose bei der Aufnahme in die Gruppe abzustellen sein.
Ernstlich fraglich ist allerdings, ob der Umstand unberücksichtigt bleiben darf, dass der Beigeladene in seinem
Betriebskonzept angibt, er strebe selbst zwar eine solche Belegung an, könne darüber aber nicht entscheiden,
weil die Bedarfe und Betreuungsnotwendigkeiten durch die Jugendämter der Antragsgegnerin festgelegt würden
und ihm deshalb eine Beschränkung auf diese Zielgruppe nicht möglich sei, so dass auch kurzzeitige
Aufnahmen in Betracht kämen. Wenn dies naheliegend dahin zu verstehen ist, dass sich der Beigeladene
faktisch nicht in der Lage sieht, sein primäres Konzept regelhaft gegenüber den Jugendämtern der
Antragsgegnerin durchzusetzen und/oder die Verantwortlichkeit für dessen Einhaltung möglicherweise bei der
Antragsgegnerin sieht, kann dies bereits die Verbindlichkeit und damit die hinreichende Bestimmtheit der
Konzeption in Frage stellen. Diese sind insbesondere dann von entscheidender Bedeutung, wenn die genaue
bauplanungsrechtliche Einordnung eines Vorhabens Voraussetzung für seine Genehmigungsfähigkeit im
vorgesehenen Baugebiet ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2011, NordÖR 2011, 556 f.; Urt. v. 14.7.2008,
NordÖR 2008, 533 m.w.N.). Dies bedarf indessen vorliegend keiner weitergehenden Prüfung.
Jedenfalls wird es bei der in Aussicht genommenen Gestaltung des „Wohnprojekts“ nach
bauplanungsrechtlichen Maßstäben an einer Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen
Wirkungskreises durch die Gruppenangehörigen fehlen. Denn nach dem Nutzungskonzept ist – als Regelfall -
davon auszugehen, dass die Gruppenangehörigen als Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren
aufgenommen werden, sie aufgrund ihres Vorlebens bedeutsame Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung
aufweisen, die eine Betreuung in Pflegefamilien oder eine Rückkehr in die eigene Familie (§ 34 Satz 2 Ziff. 1
und 2 SGB VIII) voraussichtlich ausschließen und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit im „Wohnprojekt“
keine familienanaloge Betreuung durch selbst auf dem Grundstück wohnende Betreuungspersonen, sondern
durch extern lebende Kräfte erfolgen wird. Das geringe Alter bei der Aufnahme und die erheblichen persönlichen
Probleme der Kinder, die Grund für die Aufnahme in die Gruppe sind, lassen nicht erkennen, dass sie über
einen erheblichen Teil ihrer angestrebten Aufenthaltszeit in der Gruppe, vor allem in den ersten Jahren, bereits
in nennenswertem Umfang zu einer Eigengestaltung von Haushaltsführung und persönlichem Wirkungskreis in
der Lage sind. Vielmehr entspricht es der regelhaften gesellschaftlichen Situation, von der bei der
Inhaltsbestimmung der unbestimmten Rechtsbegriffe auszugehen ist, dass Kinder und Jugendliche im hier in
Rede stehenden Alter von sechs bis zwölf Jahren – aber ggf. auch noch darüber hinaus – nur im dauerhaften
Zusammenleben mit zumindest einer erwachsenen Bezugsperson und unter deren verantwortlicher Anleitung
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und Führung in einem Haushalt leben können. Für die Frage, ob ein Wohnen i.e.S. des Bauplanungsrechts
vorliegt, wird deshalb darauf abzustellen sein, ob ein Grundstück/Gebäude dieser verantwortlichen
Bezugsperson als Wohnung dient. Dies ist nach der Projektbeschreibung der Beigeladenen zwar nicht
ausgeschlossen, aber keine regelhafte Bedingung des Nutzungskonzepts. Der Beigeladene will sein Vorhaben
nach der Projektbeschreibung auch dann umsetzen, wenn eine Betreuung nur durch wechselnde externe Kräfte
erfolgen kann, die sich während ihrer Dienstzeit als Arbeitnehmer um die Kinder und Jugendlichen kümmern.
Insoweit unterscheidet sich das Projekt des Beigeladenen maßgeblich von dem dem Beschluss des
Beschwerdegerichts vom 20. Januar 2009 (2 Bs 242/09, n.v.) zugrunde liegenden Sachverhalt einer
familienanalogen Wohngruppe mit einem dauerhaft im Gebäude wohnenden Betreuerpaar als Betreuungs- und
Bezugspersonen. Zugleich ist aufgrund des angestrebten geringen regelhaften Aufnahmealters ebenfalls kein
Vergleich mit einer Wohneinrichtung für minderjährige ledige Mütter und ihre Kinder möglich (OVG Hamburg,
Urt. v. 11.9.2009, 4 Bf 161/06 n.v.), die zudem dadurch gekennzeichnet war, dass nach der dortigen
Konzeption von vornherein nur eine unterstützende sozialpädagogische Betreuung bei der Pflege und
Erziehung der Kinder und der dabei auftretenden Probleme vorgesehen war.
Das Vorhaben dient auch nicht allein deshalb dem Wohnen i.e.S., weil davon auszugehen sein wird, dass im
Laufe der Zeit einige der Mitglieder der Gruppe bereits ein solches Alter erreicht haben werden, dass sie in der
Lage sind, ein Mindestmaß an selbständiger Haushaltsführung zu verwirklichen und nur auf eine ergänzende
Hilfestellung angewiesen sind, die ggf. auch durch nicht in der Gruppe lebende Betreuungspersonen geleistet
werden kann. Denn die maßgebliche Projektbeschreibung lässt es zu, dass sich über einen (längeren) Zeitraum
von unbestimmter Dauer ausschließlich oder überwiegend Kinder im Alter von unter zwölf Jahren in der Gruppe
befinden.
Die von der Antragstellerin problematisierte Frage der Freiwilligkeit des Aufenthalts der Kinder und
Jugendlichen, die nach dem Nutzungskonzept vorausgesetzt wird, kann dahinstehen.
bb) Überwiegendes spricht indessen dafür, dass es sich bei der mit der streitigen Baugenehmigung
zugelassenen Nutzung des Grundstücks um eine solche durch eine „kleine“ soziale Einrichtung handelt.
„Kleine“ soziale Einrichtungen sind auch in einem besonders geschützten Wohngebiet nach § 10 Abs. 4
Abschnitt W Satz 3 BPVO zulässig, weil sie „Wohnbedürfnissen“ dienen. Es entspricht der auch zwischen den
Beteiligten dem Grunde nach nicht streitigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts, dass der Begriff der
„Wohnbedürfnisse“ i.S.v. § 10 Abs. 4 BPVO weit auszulegen ist und über das „Wohnen“ i.e.S. hinaus auch
solche Nutzungen umfasst, die in einem Wohngebiet erwartet werden oder mit ihm verträglich sind; dies gilt
auch für „besonders geschützte Wohngebiete“ (z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2008, NordÖR 2009, 68,
69; Urt. v. 13.2.2002, NordÖR 2002, 412 f.; Urt. v. 10.4.1997, NordÖR 1999, 354, 356). Gleichermaßen hat das
Beschwerdegericht bereits entschieden, dass hierzu auch Nutzungsarten zählen können, die erstmals unter
Anwendung der Baunutzungsverordnung in der Fassung von 1990 nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in einem
reinen Wohngebiet im Ausnahmeweg zugelassen werden können.
Allerdings muss die Bestimmung der Nutzungsarten, die in einem besonders geschützten Wohngebiet neben
dem Wohnen allgemein erwartet werden oder mit ihm verträglich sind, ausschließlich anhand typisierter
Nutzungsformen erfolgen, die im Plangebiet ohne das planerische Bedürfnis nach einer weiteren Steuerung
zulässig sind (vgl. BVerwG, Urt v. 17.12.1998, BVerwGE 108, 190, 198). Solches ist regelmäßig nur dann
sichergestellt, wenn es sich um eine „kleine“ Einrichtung handelt. Dem liegt zugrunde, dass bei zahlreichen
Nutzungsarten der Umfang der Nutzung ein typenbildendes Merkmal darstellt, weil von der Nutzungsart mit
zunehmendem Umfang gebietsunverträgliche Störungen ausgehen. Dabei ist im Bereich der Baustufenpläne im
Regelfall keine andersartige, ergänzende Steuerung der Gebietsverträglichkeit einer Nutzungsart möglich (vgl.
z.B OVG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2008, NordÖR 2009, 68, 70 m.w.N. der Rspr. d. BVerwG; Urt. v.
13.2.2002, NordÖR 2002, 412, 413 f.). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Plangeber mit dem
ausdrücklichen Ausschluss aller gewerblichen Nutzungen, die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990 auch in
einem reinen Wohngebiet im Ausnahmewege zugelassen werden könnten, deutlich gemacht hat, dass
Nutzungen, die nicht dem Wohnen i.e.S. zugerechnet werden können, nur dann zulässig sein können, wenn sie
sich dieser Nutzungsart ohne Störung und Veränderung des Gebietscharakters unterordnen (vgl. OVG
Hamburg, Beschl. v. 15.10.2008, a.a.O.).
Diese Erwägungen gelten auch für eine soziale Einrichtung in Form eines betreuten Jugendwohnprojekts. Eine
solche Einrichtung ist dem Grunde nach mit dem „Wohnen“ i.e.S. verträglich. Denn es handelt sich hierbei,
wenn es sich um eine in ihrer Größe nicht weit über die Personenzahl einer großen Familie hinausgehende Zahl
von Gruppenangehörigen handelt, nicht nur um eine dem Wohnen i.e.S. nahe Erscheinungsform. Die
längerfristige Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, die nicht in ihren eigenen Familien und auch nicht in
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Pflegefamilien leben können, in einem möglichst störungsfreien Wohnumfeld liegt vielmehr auch in einem
unmittelbaren öffentlichen Interesse. Sie gibt den Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit, sich unter
denselben städtebaulichen Rahmenbedingungen zu entwickeln, wie sie anderen in einem Wohngebiet der
BPVO lebenden Kindern bei Schulbesuch und Freizeitgestaltung offen stehen. Ein gänzlicher Verweis
derartiger sozialer Einrichtungen auf die Misch- und Geschäftsgebiete der BPVO, die in den Baustufenplänen
der Antragsgegnerin vornehmlich in zentralen Lagen ausgewiesen sind, würde den öffentlichen Interessen an
einer angemessenen und von Chancengleichheit geprägten Entwicklung der betroffenen Kinder und
Jugendlichen, deren Bedürfnisse nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 und 3 BauGB in der Bauleitplanung zu berücksichtigen
sind, nicht gerecht werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei derartigen
Jugendwohnprojekten um relativ neue Formen der Erziehungshilfe handelt, die bei Erlass der Baustufenpläne
noch unbekannt waren und dem Verordnungsgeber dementsprechend nicht vor Augen gestanden haben. Die
seinerzeit ausschließlich üblichen größeren Einrichtungen von Kinder- und Jugendheimen sind, wie etwa jene
von Kirchen, Schulen und Sporteinrichtungen, in den Baustufenplänen jeweils gesondert von den
Baugebietsausweisungen, aber dennoch typischerweise umgeben von Wohngebieten i.S.v. § 10 Abs. 4
Abschnitt W BPVO festgesetzt worden. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass auch eine Einrichtung, in der
Kinder und Jugendliche nicht in einer familienanalogen Betreuungssituation leben, weil sie aufgrund ihrer
eigenen Probleme hierzu nicht in der Lage sind, mit zunehmender Größe grundsätzlich geeignet ist, in einem
Wohngebiet gebietsunverträgliche Störungen zu verursachen, die keineswegs auf immissionsschutzrechtliche
Erwägungen beschränkt werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.3.2002, BVerwGE 116, 155, 159 f.). Unter
Berücksichtigung der rechtlichen Besonderheiten im Geltungsbereich der übergeleiteten hamburgischen
Baustufenpläne kann diesem Umstand auch für soziale Projekte der vorgenannten Art in einem „besonders
geschützten Wohngebiet“ nur dadurch Rechnung getragen werden, dass es sich um „kleine“ Einrichtungen
handeln muss, weil nur sie typischerweise die Gewähr dafür bieten, dass sich die Gefahr einer
Gebietsunverträglichkeit nicht verwirklicht.
Von einem „kleinen“ Projekt wird in diesem Zusammenhang nur dann auszugehen sein, wenn die Zahl der im
Projekt zu betreuenden Kinder und Jugendlichen grundsätzlich nicht über jene hinausgeht, die in einer großen
Familie oder in einer familienanalogen Betreuung in einer Gemeinschaft leben. Diese Anzahl wird mit der in der
angegriffenen Genehmigung zugelassenen Zahl von acht Kindern und Jugendlichen voraussichtlich noch nicht
überschritten sein. Eine abschließende Klärung ist im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens zwar nicht
möglich. Überwiegendes spricht indessen dafür, dass mit dieser Anzahl die Grenze für eine in der Regel
erfolgreiche Betreuung in einer familienanalogen Betreuung noch nicht überschritten ist. So lag z.B. auch dem
Rechtsstreit, der Grundlage der Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 20. Januar 2010 (2 Bs 242/09)
war, die Betreuung von acht Kindern und Jugendlichen durch ein mit diesen gemeinsam im Hause lebendes
Betreuerpaar zugrunde. Auch im vorliegenden Fall enthält die Projektbeschreibung die Option, die Betreuung in
vergleichbarer Weise durch ein fest im Hause lebendes Betreuerpaar vorzunehmen. Für die Annahme der
Antragstellerin, aufgrund eines besonderen Betreuungsbedarfes oder anderer Besonderheiten könne vorliegend
bereits nicht mehr von einer „kleinen“ sozialen Einrichtung ausgegangen werden, bestehen keine hinreichenden
Anhaltspunkte. Dem dürfte auch entgegenstehen, dass das Projekt ohne bauliche Veränderungen in einem auf
dem Grundstück vorhandenen Gebäude verwirklicht werden soll, dass den niedrigsten regelhaften
Festsetzungsmöglichkeiten der Baustufentafel des § 11 BPVO für das Maß der in einem Baugebiet
zugelassenen Bebauung entspricht und damit auch in seiner städtebaulichen Gestalt nicht vom Gebietstypus
abweicht.
cc) Subjektive Rechte der Antragstellerin in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2
BauNVO werden durch die angegriffene Baugenehmigung voraussichtlich nicht verletzt. Insoweit wird auf die
mit der Beschwerde nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.
b) Ist nach den vorangehenden Erwägungen davon auszugehen, dass das Vorhaben des Beigeladenen in Form
einer kleinen sozialen Einrichtung dem Grunde nach in einem besonders geschützten Wohngebiet der BPVO
allgemein zulässig ist und auch die Zahl von acht Betreuungsplätzen jedenfalls bei summarischer Betrachtung
nicht offensichtlich zu einem gebietsunverträglichen Störpotential führt, gebietet die Interessenabwägung einen
Vorrang des Vollzugsinteresses des Beigeladenen. Denn würde er die Nutzung, die er inzwischen nicht zuletzt
aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufgenommen hat, nicht fortsetzen können, müssten alle
Kinder bzw. Jugendlichen, die bereits in der betreuten Gruppe leben, diese verlassen. Da dieser Umstand
typischerweise für diese mit weiteren psychologischen Schwierigkeiten verbunden ist, würde dies ihre Lage
voraussichtlich zusätzlich verschlechtern. Unabhängig von den hinzutretenden wirtschaftlichen Konsequenzen
für den Beigeladenen wäre dies ein erheblicher Nachteil für dessen Belange, obwohl ein Hauptsacheverfahren
der Antragstellerin voraussichtlich allenfalls in geringem Umfang hinsichtlich der Zahl der Betreuungsplätze zu
einem Erfolg führen könnte. Demgegenüber wiegen die Nachteile der Antragstellerin deutlich weniger schwer,
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wenn der Sofortvollzug der Baugenehmigung aus § 212 a BauGB aufrechterhalten bleibt. Denn mit der
Aufnahme der Nutzung werden keine nicht mehr rückgängig zu machenden Zustände geschaffen. Sollte sich in
einem Hauptsacheverfahren herausstellen, dass das Wohnprojekt nur dann als kleine soziale Einrichtung
angesehen werden kann, wenn die Zahl der Betreuungsplätze noch in gewissem Umfang reduziert wird, ließe
sich solches zukunftsbezogen realisieren. Der allein in Rede stehende Anspruch der Antragstellerin auf
Gebietserhaltung, der nicht an konkrete nachbarliche Störungen anknüpft, bliebe auch dann in seinem
wesentlichen Inhalt unbeeinträchtigt. Denn es ist nicht absehbar, dass die Größe der Einrichtung während des
laufenden Hauptsacheverfahrens einen Vorbildcharakter für weitere Vorhaben in diesem besonders
geschützten Wohngebiet des Baustufenplans aufweist und sich durch deren Zulassung eine etwaige
Gebietsverfremdung zu Lasten der Antragstellerin fortsetzt.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1
GKG.