Urteil des FG Düsseldorf vom 20.06.2008
FG Düsseldorf: unternehmer, gesamtumsatz, anfang, einspruch, vollstreckung, liebhaberei, vorsteuerabzug, rechtssicherheit, abgrenzung, erstellung
Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 3124/07 U
Datum:
20.06.2008
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3124/07 U
Tenor:
Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 9.5.2007 und die
Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 1
des Umsatzsteuergesetzes UStG.
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Der Kläger eröffnete zum 2.1.2006 einen Gewerbebetrieb zum Handel und zur
Reparatur von Unterhaltungselektronik. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung
schätzte er den Gesamtumsatz seines Unternehmens im Jahr 2006 auf 45.000 EUR und
im Jahr 2007 auf 50.000 EUR. Die Höhe des geschätzten Umsatzes beruhte auf einem
vom Prozessbevollmächtigten erstellten Businessplan aus August 2005, den der Kläger
hatte erstellen lassen, um von der Bundesagentur für Arbeit die entsprechenden
Förderungen für Existenzgründer zu erhalten.
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Für das Jahr 2006 gab der Kläger monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Der
Jahresumsatz 2006 belief sich tatsächlich auf 11.479 EUR zuzüglich1.836,64 EUR USt,
insgesamt auf 13.315,64 EUR. Aufgrund abziehbarer Vorsteuerbeträge ergab sich eine
Umsatzsteuerzahllast von 733,69 EUR. Im Zusammenhang mit der Abgabe seiner
Umsatzsteuerjahreserklärung beantragte der Kläger sodann, gemäß § 19 Abs. 1 UStG
von der Erhebung der Umsatzsteuer abzusehen, weil der Jahresumsatz 2006
tatsächlich weniger als 17.500 EUR betragen habe und im laufenden Kalenderjahr 2007
voraussichtlich 50.000 EUR nicht übersteigen werde. Zudem habe er, was unstreitig ist,
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voraussichtlich 50.000 EUR nicht übersteigen werde. Zudem habe er, was unstreitig ist,
sämtliche Rechnungen ohne offenen Ausweis von Umsatzsteuer erstellt.
Mit Bescheid vom 9.5.2007 setzte das beklagte Finanzamt FA gleichwohl die
Umsatzsteuer für 2006 entsprechend der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen
auf 733,69 EUR fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch begründete der Kläger
dahingehend, dass er auch nachträglich zur Besteuerung als Kleinunternehmer nach §
19 Abs. 1 UStG optieren könne.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 wies das FA den Einspruch des Klägers als
unbegründet zurück. Der Kläger habe von Anfang an der Regelbesteuerung unterlegen,
weil seinen eigenen Angaben nach der voraussichtliche Umsatz über 17.500 EUR
gelegen habe. Grundvoraussetzung für die Kleinunternehmerregelung bei Neugründung
sei gemäß Abschn. 246 Abs. 4 der Umsatzsteuerrichtlinien –UstRl-, dass der
voraussichtliche Umsatz 17.500 EUR nicht übersteige. Eine nachträgliche Änderung der
einmal getroffenen Wahl sei nicht möglich. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird
auf die Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 hingewiesen.
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Mit seiner hiergegen gerichteten Klage begehrt der Kläger weiterhin, für das Streitjahr
2006 von der Erhebung der Umsatzsteuer gemäß § 19 Abs. 1 UStG abzusehen. Zur
Begründung wiederholt er seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und führt
ergänzend aus, dass das Gesetz den Zeitpunkt und die Form der Wahl zum
Kleinunternehmer iSv § 19 UStG nicht eindeutig bestimme. Gleiches gelte für die von
der Finanzverwaltung in den Richtlinien entwickelten Grundsätze. Bei der Auslegung
der Vorschrift sei deren materieller Charakter als Steuerbefreiung zu berücksichtigen, so
dass letztlich der Unternehmer im Rahmen seiner Jahressteuererklärung entscheiden
müsse, ob er § 19 UStG in Anspruch nehme.
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Der Kläger beantragt,
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den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 9.5.2007 und die
Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das FA habe zu Recht Umsatzsteuer für das Jahr 2006 festgesetzt. Der Kläger
unterliege der Regelbesteuerung, weil er seiner Auffassung nach voraussichtlich einen
Gesamtumsatz von 45.000 EUR erzielen würde. Unter Berücksichtigung von Abschnitt
246 Abs. 4 UStR sei eine andere Beurteilung nicht möglich.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die
dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Das FA hat dem Kläger zu Unrecht die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des
§ 19 Abs. 1 UStG versagt. Die Voraussetzungen für die Nichterhebung nach § 19 Abs. 1
UStG liegen vor.
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Gemäß § 19 Abs. 1 UStG wird für Umsätze iS des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die
geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Gesamtumsatz des Vorjahres
17.500 EUR nicht überschritten hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 EUR
voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die Vorschrift regelt nicht, wie bei
Neugründungen von Unternehmen zu verfahren ist. Nach Sinn und Zweck der
gesetzlichen Regelung ist jedoch in dem Fall, in dem ein Unternehmer neu beginnt, auf
den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres, also des Erstjahres,
abzustellen, der 17.500 EUR nicht überschreiten darf (stdg. Rspr seit BFH, Urteil vom
22.11.1984 V R 170/83, BStBl II 1985, 142). Im Streitfall belief sich der prognostizierte
Umsatz auf 45.000 EUR, der tatsächlich erzielte jedoch lediglich auf 13.315,64 EUR.
Auch die Folgen einer unrichtigen Prognose sind gesetzlich nicht geregelt.
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Grundsätzlich ist der Unternehmer an die von ihm erstellte Prognose über die Höhe der
zu erzielenden Umsätze gebunden. Dies gebietet bereits das Gebot der
Rechtssicherheit und zeigt sich auch an den Rechtsfolgen des § 19 Abs. 1 UStG:
Verzichtet der Unternehmer auf die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung,
kann er Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis erstellen und den
Vorsteuerabzug aus unternehmensbezogenen Lieferungen und Leistungen geltend
machen; beantragt er hingegen die Anwendung des Kleinunternehmerprivilegs, darf er
insbesondere keine Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis erstellen, muss
aber auch keine Umsatzsteuer abführen.
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Voraussetzung für die Bindung des neugründenden Unternehmers an die von ihm
erklärte Umsatzprognose ist jedoch, dass dieser realistische Erwartungen zugrunde
lagen. Ob dies der Fall ist, kann rückwirkend anhand objektiver Anhaltspunkte überprüft
werden, vergleichbar der Fallgestaltung bei der Abgrenzung zwischen Gewinnerzie-
lungsabsicht und Liebhaberei, in der auch rückwirkend anhand objektiver Umstände
überprüft werden kann, ob das Geschäftsmodell tatsächlich Erfolgsaussichten hatte oder
überwiegend aus privaten Motiven betrieben wurde. Im Streitfall war die Prognose
objektiv unrichtig. Ihr haben offensichtlich unzutreffende Annahmen zugrunde gelegen.
Hierfür spricht bereits die große Differenz zwischen beabsichtigten 45.000 EUR und
tatsächlich erzielten knapp 13.000 EUR Umsätzen. Weiterer Anhaltspunkt für eine
überoptimistische Planung ist, dass Anlass der Erstellung des Businessplans die
geplante Selbständigkeit des Klägers war, um aus der Arbeitslosigkeit
herauszukommen, und der Kläger in den ersten 6 Monaten seiner Selbständigkeit einen
Lebensunterhaltszuschuss vom Arbeitsamt erhielt. Dass der geringen Höhe der
tatsächlich erzielten Umsätze besondere Umstände zugrunde gelegen haben könnten,
die vorher nicht einplanbar waren, wie z.B. Erkrankung des Unternehmers o.ä., war
ebenfalls nicht der Fall. Der Kläger erzielte monatlich relativ gleichmäßige Umsätze
zwischen 800 EUR und 1.300 EUR netto. Lediglich im Dezember erzielte er einen
höheren Umsatz, was jedoch auf das Weihnachtsgeschäft zurückzuführen sein dürfte.
Zudem erteilte der Kläger von Anfang an keine Rechnungen mit offenem
Umsatzsteuerausweis, was ebenfalls als Indiz dafür zu werten ist, dass er tatsächlich
nicht damit rechnete, Umsätze in der im Businessplan genannten Höhe zu erzielen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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