Urteil des FG Düsseldorf vom 15.07.2002
FG Düsseldorf (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Eugh, Einkünfte, Mitgliedstaat, Niederlande, Diskriminierung, Veranlagung, Belgien, Steuersatz, Steuerpflichtiger)
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 17 K 4956/99 E
15.07.2002
Finanzgericht Düsseldorf
17. Senat
Urteil
17 K 4956/99 E
Der Einkommensteuerbescheid für 1997 vom 18.01.1999 wird unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 08.07.1999 insoweit
geändert, als die Einkommensteuer auf 0 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Streitig ist, ob der Mindeststeuersatz gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 Einkommensteuergesetz -
EStG - auf die Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen aus selbstständiger Arbeit
wegen Verstoßes gegen Artikel 52 des EG-Vertrages unanwendbar ist.
Die Klägerin ist niederländische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in den
Niederlanden. Sie erzielte in der Bundesrepublik Deutschland im Streitjahr 1997 aus einer
Beteiligung an einer "Y" Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR - Einkünfte aus
selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 4.623,48 DM. Der Beklagte legte diese Einkünfte bei
der Veranlagung zu Grunde. Er berücksichtigte bei der Veranlagung für 1997 außerdem
einen vortragsfähigen Verlust in Höhe von 4.276 DM. Er berechnete die Einkommensteuer
nach § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG auf 85 DM.
In den Niederlanden wurde der Besteuerung der Klägerin ein Unternehmensgewinn aus
einem niederländischen Unternehmen und der - nach niederländischen Steuerrecht
ermittelte - in Deutschland erzielte Gewinnanteil zu Grunde gelegt. Die sich ergebende
Einkommensteuer wurde zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung entsprechend dem
Anteil der einbezogenen ausländischen Einkünfte vermindert.
Gewinn aus niederländischem Gewerbebetrieb
33.524 hfl
Gewinn aus deutscher Beteiligung
5.224 hfl
38.748 hfl
Einkünfte aus niederl. Arbeitsverhältnis
4.246 hfl
42.994 hfl
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Steuerbegünstigung Eigentumswohnung Mietwert 2.937 hfl Zinsabzug 11.880
hfl
./. 8.943
hfl
34.051 hfl
Versicherungsaufwendungen
11.678 hfl
Selbstständigenfreibetrag
9.320 hfl
zu versteuerndes Einkommen
13.053 hfl
Steuerfreibetrag
7.102 hfl
Bemessungsgrundlage
5.951 hfl
Einkommensteuer
300 hfl
Abzug Doppelbesteuerung
46 hfl
zu zahlende Steuer
254 hfl
Wegen näherer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des niederländischen Steuerberaters
vom 03.05.2002 sowie des Prozessbevollmächtigten vom 27.06.2002 Bezug genommen.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer entsprechend seiner Berechnung auf 85 DM für
1997 fest. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein, den der Beklagte
durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin hat hierauf Klage erhoben. Sie begehrt die Veranlagung unter
Zugrundelegung des Einkommensteuertarifs nach § 32 a EStG und beruft sich auf die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 27.06.1996 in der
Rechtssache Asscher.
Die Klägerin weist darauf hin, dass sich selbst dann, wenn man im Rahmen einer
unbeschränkten Steuerpflicht ihr Gesamteinkommen der deutschen Besteuerung zu
Grunde legte, ein Steuersatz von nur 14,93 % ergäbe.
Einkünfte aus niederländischem Gewerbebetrieb
33.524 hfl x 0,89 29.836 DM
Gewinn aus deutscher Beteiligung 4.623 DM
Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit
4.246 hfl x 0,893.778 DM
Arbeitnehmer-Pauschbetrag 2.000 DM
Höchstbetrag Vorsorgeaufwendungen 9.311 DM
Sonderausgaben-Pauschbetrag 108,00 DM
zu versteuerndes Einkommen 26.818 DM
Steuer lt. Grundtabelle 4.006 DM
Bei dieser Berechnung seien Spenden, außergewöhnliche Belastungen und die
Steuerbegünstigung nach § 10 e EStG für das 1994 gebaute Einfamilienhaus
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unberücksichtigt gelassen worden.
Die Klägerin rügt außerdem, dass die Anwendung des Mindeststeuersatzes nach § 50 Abs.
3 Satz 2 EStG zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Einkünften
aus selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit führte. Ein beschränkt steuerpflichtiger
Arbeitnehmer werde nach der Grundtabelle ohne Anwendung von § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG
und ohne Berücksichtigung eines eventuellen Progressionsvorbehaltes besteuert. Die
Besteuerung von Arbeitnehmern zeige im Übrigen auch, dass zwischen Mindeststeuersatz
und Progressionsvorbehalt keine "Kohärenz" bestehe.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1997 dahin abzuändern, dass die
Einkommensteuer auf 0 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass die Festsetzung der Einkommensteuer unter Anwendung von § 50
Abs. 3 Satz 2 EStG der Rechtslage entspreche.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht mit einem in Deutschland
ansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar. Nach dem Urteil des EuGH in Sachen
Schumacker sei die Situation eines Gebietsansässigen grundsätzlich eine andere als die
eines Gebietsfremden. Ein Mitgliedstaat könne deshalb einem Gebietsfremden bestimmte
Steuervergünstigungen versagen, die er Gebietsansässigen gewähre. Würde der Kläger in
der Bundesrepublik nach der Grundtabelle besteuert, würde für diesen das steuerfreie
Existenzminimum, das bereits in den Niederlanden von der Steuer freigestellt werde,
doppelt berücksichtigt.
Im Fall Asscher habe der EuGH zwar eine Vergleichbarkeit zwischen einerseits einem in
Belgien ansässigen und in den Niederlanden tätigen Steuerpflichtigen und andererseits
einem in den Niederlanden ansässigen Steuerpflichtigen angenommen. Der dem Asscher-
Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt sei jedoch mit dem Sachverhalt im Streitfall nicht zu
vergleichen. Artikel 25 Abs. 3 des bilateralen Abkommens zwischen den Niederlanden und
Belgien enthalte folgende Regelung: "Die in einem Staat wohnenden natürlichen Personen
kommen im anderen Staat in den Genuss der persönlichen Abzüge, Abschläge und
Nachlässe, die dieser andere Staat seinen eigenen Gebietsansässigen wegen ihrer
Situation oder ihrer Familienlasten gewährt." Eine derartige Regelung gebe es in dem DBA
Deutschland-Niederlande jedoch nicht. Dementsprechend könne sich ein beschränkt
Steuerpflichtiger, der in den Niederlanden wohne, auch nicht in einer Situation befinden,
die der eines Gebietsansässigen vergleichbar sei. Denn bei diesem Steuerpflichtigen seien
die persönlichen Freibeträge ausschließlich in den Niederlanden zu berücksichtigen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist begründet.
Die Einkommensteuer des gemäß §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt
steuerpflichtigen Klägers beträgt nicht gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 25 % des
Einkommens, denn § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG verstößt gegen Art. 52 des EG-Vertrages
(EGV; Art. 43 EGV i. d. F. des Vertrages von Amsterdam). Die Einkommensteuer des
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Klägers bemisst sich nach dem Einkommensteuertarif des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG
einschließlich des so genannten Grundfreibetrages gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG.
Sie beträgt daher 0 EUR.
§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG ist wegen Verstoßes gegen Art. 52 des EG-Vertrages
unanwendbar (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 25.04.2002 - 11 K 5753/99 E -, JStR
2002, 462; Dautzenberg, DB 1996, 2248; Herzig/Dautzenberg, DB 1997, 8,13; Kramer, RIW
1996, 951, 954; Saß, DB 1996, 1607, 1608; de Weerth RIW 1997, 482, 484; Warterkamp-
Faupel, FR 1996, 669, 670; Strunk in Korn, Einkommensteuergesetz, § 50 Rz. 41; Froesch,
IStR 2001, 51; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Tz. 5.277; Fehrenbach,
BB 2001, 1774; Lüdicke, IStR 2001, 286). Dem EG-Recht kommt ein Vorrang vor dem
nationalen Einkommensteuerrecht zu (vgl. EuGH-Urteil vom 15.07.1964 6/64, EuGHE 10,
1251, NJW 1964, 2371-Costa/ENEL; BVerfG-Urteil vom 08.04.1987, 2 BvR 687/85,
BVerfGE 75, 223, 244). Wie der EuGH in seinem Urteil vom 27.06.1996 (Rs. C-107/94
"Asscher", EuGHE I 1996, 3089, DB 1996, 1604) entschieden hat, ist § 52 des EG-
Vertrages dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, auf einen
Angehörigen eines Mitgliedstaates, der eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Gebiet
dieses Staates und daneben eine andere selbstständige Erwerbstätigkeit in einem anderen
Mitgliedstaat, in dem er auch wohnt, ausübt, einen Einkommensteuersatz anzuwenden, der
höher ist als derjenige, der für Gebietsansässige gilt, die die gleiche Tätigkeit ausüben,
wenn kein objektiver Unterschied in der Situation dieses Steuerpflichtigen und derjenigen
der gebietsansässigen Steuerpflichtigen und der diesen gleichgestellten Personen besteht,
der geeignet wäre, eine solche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Die Ausgangssituation des vom EuGH entschiedenen Falles stimmt mit der überein, die
sich im Streitfall für die Klägerin stellt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 05.02.2001 I B
140/00, BFHE 195, 156, BStBl II 2001, 598). Auch die Klägerin ist in einem Mitgliedsstaat -
der Bundesrepublik Deutschland - beruflich tätig und wohnt in einem anderen Mitgliedstaat
- den Niederlanden -. Sie erwirtschaftet dort Einkünfte, mit denen sie der Besteuerung
unterliegt. Abweichend von in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt
steuerpflichtigen Personen wird sie mit ihren hier ermittelten Einkünften einem besonderen
Mindeststeuersatz von 25 % unterworfen, während unbeschränkt Steuerpflichtige bei einem
Einkommen von 347 DM keine Steuer zahlen. Der Senat vermag der vom Beklagten
aufgezeigten Besonderheit des DBA Belgien-Niederlande keine Bedeutung derart
beizumessen, dass der vorliegende Fall dem vom EuGH entschiedenen Fall nicht
vergleichbar wäre. Die vom EuGH als gemeinschaftswidrig angesehene mittelbare
Diskriminierung durch Anwendung unterschiedlicher belastender Steuersätze ist damit
gegeben.
Diese Diskriminierung kann nicht mit einer ansonsten bestehenden höheren
Steuerprogression für einen Inländer mit entsprechend höherem Welteinkommen
gerechtfertigt werden. Denn nach der Entscheidung des EuGH ist eine zwischen dem
Progressionsvorbehalt und dem Mindeststeuersatz im deutschen Einkommensteuerrecht
bestehende Kohärenz gemeinschaftsrechtlich kein eine Ungleichbehandlung beim Tarif
rechtfertigender Grund. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es nämlich ausreichend,
wenn der Wohnsitzstaat nach dem jeweils einschlägigen DBA berechtigt ist, in dem
anderen Staat erzielte Einkünfte bei der Berechnung der Höhe der Steuer von den übrigen
Einkünften des betreffenden Steuerpflichtigen im Wege des Progressionsvorbehaltes zu
berücksichtigen. Dies ist vorliegend der Fall. Nach Artikel 20 Abs. 3 DBA Deutschland-
Niederlande, steht den Niederlanden ein Progressionsvorbehalt in der Form eines
Bemessungsgrundlagenvorbehaltes zu. Die Niederlande sind berechtigt, nach dem
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Welteinkommensprinzip zu besteuern und auch die Einkünfte in die Bemessungsgrundlage
einzubeziehen, für welche die Bundesrepublik Deutschland ein Besteuerungsrecht hat;
jedoch wird von den Niederlanden von der errechneten Steuer der Teil der Steuer in Abzug
gebracht, der auf die Einkünfte entfällt, für die die Bundesrepublik Deutschland das
Besteuerungsrecht besitzt. Die in Abzug zu bringende Steuer errechnet sich nach dem
Verhältnis der vorgenannten Einkünfte zum Gesamteinkommen. Im Übrigen scheidet eine
Rechtfertigung der vorliegenden Diskriminierung im Fall der Klägerin auch deshalb aus,
weil bei ihrem Einkommen auch ein Inländer mit entsprechend hohem in Deutschland
erzieltem Gesamteinkommen nur einem Steuersatz von 14,93 % unterläge.
Aus dem Vorrang des EG-Rechts vor dem nationalen Einkommensteuerrecht und der
Rechtsprechung des EuGH folgt, dass der Senat uneingeschränkt berechtigt ist, das EG-
Recht in der Auslegung anzuwenden, die der EuGH in einem Verfahren zwischen anderen
Beteiligten vorgenommen hat, auch mit der Folge, dass entgegenstehende Vorschriften des
deutschen Einkommensteuerrechts nicht anzuwenden sind (vgl. Dauses, Das
Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag, S. 14 m. w. N.; Wohlfahrt in
Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 177 Tz. 71; Everling, Das
Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S.
65 f; Borchardt in Lenz, EG-Vertrag Kommentar, 2. Aufl., Art. 234 Tz. 55).
Bei der Berechnung der Einkommensteuer des Klägers ist der so genannte Grundfreibetrag
gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Zwar ist es
gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich zulässig, bestimmte Steuervergünstigungen nur
Gebietsansässigen zu gewähren (vgl. EuGH-Urteil vom 14.09.1999 C-391/97, EuGHE I
1999, 5451, BStBl II 1999, 841). Es ist jedoch nicht möglich, § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG so
auszulegen, dass der so genannte Grundfreibetrag gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG
auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist. Denn der so genannte Grundfreibetrag
gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ist lediglich ein unselbstständiger Teil des
Einkommensteuertarifs (vgl. Schöberle in Kirchhof / Söhn / Mellinghoff,
Einkommensteuergesetz, § 32 a Rdnr. B 14 ff). Eine über diesen klaren, eindeutigen
Gesetzeswortlaut hinausgehende Auslegung des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG in der Form,
dass der so genannte Grundfreibetrag auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist,
ist nicht möglich (a.A. Lüdicke, IStR 2001, 286; Wied in Blümich, Einkommensteuergesetz,
§ 50 Tz. 12).
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.