Urteil des FG Düsseldorf vom 13.06.2007

FG Düsseldorf: eugh, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, gleichbehandlung im unrecht, verweigerung der auslieferung, treu und glauben, zusage, kommission, kontingentierung, produktion

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 1215/06 VTa
Datum:
13.06.2007
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1215/06 VTa
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Klägerin stellt unter anderem vorportionierten Feinschnitttabak her, der zum
Einschieben in eine Zigarettenpapierhülse bestimmt ist. Den vorportionierten Feinschnitt
vertreibt sie unter der Bezeichnung "......" zum Preis von 2,25 EUR je Packung und unter
den Bezeichnungen "..........", ".........." sowie ".........." zum Preis von 2 EUR je Packung. In
der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wurden derartige Erzeugnisse nach
dem Steuersatz für Feinschnitt besteuert. Die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften (Kommission) vertrat die Auffassung, dass vorportionierter Feinschnitt,
der in der Bundesrepublik unter dem Namen ".........." verkauft wurde, wie Zigaretten zu
versteuern sei, und erhob deshalb am 30. April 2004 beim Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) Klage gegen die Bundesrepublik. Die Erhebung der Klage in
der Rs. C-197/04 wurde am 26. Juni 2004 im Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C
168/3 bekannt gemacht. Generalanwalt A schlug in seinen Schlussanträgen vom 14.
Juli 2005 in der Rs. C-197/04 vor festzustellen, dass die Bundesrepublik durch die
Anwendung des Steuersatzes für Feinschnitttabak für selbst gedrehte Zigaretten auf
Tabakstränge, die unter dem Namen "..........." verkauft worden seien, gegen ihre
Verpflichtungen aus Art. 4 Absatz 1 Unterabs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 95/59/EG
(Richtlinie 95/59/EG) des Rates vom 27. November 1995 über die anderen
Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften - ABl EG - Nr. L 291/40) und aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/79/EWG
(Richtlinie 92/79/EWG ) des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der
Verbrauchsteuern auf Zigaretten (ABl EG Nr. L 316/8) verstoßen habe. Das beklagte
Hauptzollamt setzte die Klägerin mit Schreiben vom 31. Oktober 2005 davon in
Kenntnis, dass die Verkündung eines Urteils des EuGH in der Rs. C-197/04 für den 10.
November 2005 angekündigt worden sei. Unter der Voraussetzung, dass der EuGH den
Schlussanträgen des Generalanwalts folge, sei damit ab dem 10. November 2005
vorportionierter Feinschnitt als Zigaretten zu versteuern.
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Mit Urteil vom 10. November 2005 entschied der EuGH in der Rs. C-197/04 (Slg. 2005,
I-9739), dass die Bundesrepublik durch die Anwendung des Steuersatzes für
Feinschnitttabak für selbst gedrehte Zigaretten auf Tabakstränge, die unter dem Namen
"................" verkauft würden, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Absatz 1 Unterabs. 1
Buchstabe b der Richtlinie 95/59/EG und aus Art. 2 Absatz 1 der Richtlinie 92/79/EWG
des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten
verstoßen habe. Das beklagte Hauptzollamt teilte den Beziehern von Steuerzeichen für
Feinschnittsteuerzeichen daraufhin mit einem Rundschreiben vom 15. November 2005
mit, dass unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen des EuGH-Urteils für die
betroffenen Betriebe und der Verfahrensabläufe bei der Abstimmung mit der
Kommission bis zum 31. März 2006 die Herstellung von vorportioniertem Feinschnitt
unter Verwendung von Feinschnittsteuerzeichen fortgesetzt werden könne. Bis dahin
sei auch der weitere Bezug von Steuerzeichen für Feinschnitt möglich. Es sei jedoch
sicherzustellen, dass Feinschnittzigaretten vor dem 1. April 2006 in den steuerrechtlich
freien Verkehr übergeführt würden. Der Klägerin, die mit einem Schreiben vom 7.
November 2005 die Ansicht vertreten hatte, dass eine den Schlussanträgen des
Generalanwalts folgende Entscheidung des EuGH noch umgesetzt werden müsse und
dabei Anpassungsregelungen zu erlassen seien, teilte das beklagte Hauptzollamt unter
Bezugnahme auf sein Rundschreiben unter dem 18. November 2005 mit, dass der
Bezug von Steuerzeichen und die Versteuerung von vorportioniertem Feinschnitt unter
Verwendung von Feinschnittsteuerzeichen weiterhin bis zum 31. März 2006 möglich
sei.
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Am 28. November 2005 setzte das beklagte Hauptzollamt die Klägerin fernmündlich
davon in Kenntnis, dass sie mit Wirkung ab dem 11. November 2005 bis zum Ablauf der
Übergangsfrist am 31. März 2006 monatlich nur noch etwa 51.000 Bogen Steuerzeichen
für vorportionierten Feinschnitt beziehen könne. Ferner teilte das Bundesministerium der
Finanzen (BMF) der Klägerin mit Schreiben vom 22. Dezember 2005 mit, dass es
notwendig geworden sei, die Bezüge von Feinschnittsteuerzeichen für vorportionierten
Feinschnitt anhand einer Durchschnittsmethode zu begrenzen, um einen Aufbau von
Lagerbeständen und ein weiteres Anwachsen des Marktes für derartige Produkte zu
verhindern.
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Die Klägerin bestellte mit Steueranmeldung vom 29. Dezember 2005 zum 2. Januar
2006 120.000 Bogen Steuerzeichen für Feinschnitt zu einem Packungspreis von 2 EUR
und 10.000 Bogen Steuerzeichen für Feinschnitt zu einem Packungspreis von 2,25
EUR. Mit Bescheid vom 5. Januar 2006 lehnte das beklagte Hauptzollamt die Lieferung
von 15.500 Bogen Steuerzeichen für Feinschnitt zu einem Packungspreis von 2 EUR
und von 3.000 Bogen Steuerzeichen für Feinschnitt zu einem Packungspreis von 2,25
EUR ab. Zur Begründung verwies es darauf, dass nach dem Urteil des EuGH vom 10.
November 2005 kein Anspruch mehr auf den Bezug von Feinschnittsteuerzeichen für
Feinschnittzigaretten bestehe. Die der Klägerin im Rahmen der Übergangsregelung für
das Auslaufen der Produktion gewährten Mengen an Feinschnittsteuerzeichen seien mit
der bewilligten Entnahme aufgebraucht.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie vortrug: Sie habe
nach der durch die Schreiben vom 15. und 18. November 2005 verlautbarten
Übergangsregelung einen Anspruch auf die unbeschränkte Auslieferung der bestellten
Steuerzeichen für Feinschnittzigaretten. Von einer Kontingentierung des
Steuerzeichenbezugs sei in der Übergangsregelung keine Rede gewesen. Zur
Vermeidung eines Schadensersatzprozesses werde um schnellstmögliche Auslieferung
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der bestellten Steuerzeichen gebeten.
Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 16. Februar 2006
zurück und führte aus: Nach dem Ergehen des EuGH-Urteils vom 10. November 2005 in
der Rs. C-197/04 sei die Bundesrepublik verpflichtet gewesen, für vorportionierten
Feinschnitt keine Feinschnittsteuerzeichen mehr auszugeben. Demgemäß sei die
Verwaltungspraxis geändert worden und eine Übergangsfrist bis zum 31. März 2006
gewährt worden. Diese Übergangsfrist sei jedoch nicht uneingeschränkt eingeräumt
worden, worüber bereits in der Ausgabe Nr. 46 der Zeitschrift "Die Tabak Zeitung" vom
18. November 2005 berichtet worden sei. Eine unbegrenzte Auslieferung von
Feinschnittsteuerzeichen wäre dem EuGH-Urteil vom 10. November 2005
zuwidergelaufen. Die Übergangsfrist habe lediglich einem geregelten Auslaufen
derartiger Erzeugnisse und einer Anpassung der Produktion gedient. Die Klägerin
könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Durch das EuGH-Urteil sei die
Rechtsprechung nicht verschärft worden, weil erstmals Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst.
b der Richtlinie 95/59/EG ausgelegt worden sei. Die Kommission habe zudem bereits in
einer Presseerklärung vom 18. Dezember 2003 mitgeteilt, dass sie wegen der
Besteuerung von "selbstgemachten" Zigaretten gegen die Bundesrepublik ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe. Dennoch habe sich die Klägerin
entschlossen, auf Grund der Marktentwicklung neue Produktionsmaschinen
anzuschaffen, was ihr unternehmerisches Risiko gewesen sei. Für die Berechnung ihrer
Durchschnittsbezüge seien hohe und niedrigere Extremwerte außer Acht gelassen
worden. Ihre Konkurrenten hätten keine höheren Kontingente an
Feinschnittsteuerzeichen erhalten, weil auch für sie die Bezugsmenge in der Höhe
festgesetzt worden sei, die durchschnittlich im abgelaufenen Zeitraum unter
Außerachtlassung von Extremwerten bezogen worden sei. Die Klägerin habe überdies
ihre Geschäftsverbindungen zu ihren Großkunden erst ausgebaut, als absehbar
gewesen sei, wie der EuGH in der Rs. C-197/04 entscheiden würde.
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Die Klägerin hat am 16. März 2006 Klage erhoben, mit der sie zunächst in erster Linie
beantragt hat, das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung seines ablehnenden
Bescheids vom 5. Januar 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.
Februar 2006 zu verpflichten, ihr gegen Zahlung des Steuerwertes 15.500 Bogen
Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2 EUR und 3.000 Bogen
Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2,25 EUR für vorportionierten Feinschnitt
auszuliefern. Sie trägt vor: Wegen der starken Nachfrage nach vorportioniertem
Feinschnitt habe sie auf Grund einer im Januar 2005 getroffenen
Investitionsentscheidung im Februar 2005 eine weitere Produktionsmaschine bestellt,
die sie allerdings erst im September 2005 habe in Betrieb nehmen können. Während sie
in dem Zeitraum vom Januar bis zum August 2005 monatlich im Durchschnitt 51.000
Bogen Feinschnittsteuerzeichen bezogen habe, habe sich ihr Bezug von
Feinschnittsteuerzeichen in den Monaten September, Oktober und November 2005 auf
jeweils mehr als 100.000 Bogen erhöht. Das beklagte Hauptzollamt habe bei der
Kontingentierung des Steuerzeichenbezugs nicht ihren seit September 2005
gewonnenen erhöhten Marktanteil berücksichtigt, sondern habe willkürlich den
durchschnittlichen Bezug von Steuerzeichen in dem Zeitraum vom Januar bis zum
September 2005 zugrunde gelegt. In diesem Zeitraum habe sie jedoch nur eine
Produktionsmaschine einsetzen können und die ihr als Steuerzeichenkontingent
eingeräumten Feinschnittsteuerzeichen zu einem erheblichen Teil nicht in Anspruch
genommen. Demgegenüber hätten ihre Mitbewerber bis zur Erhöhung der Tabaksteuer
zum 1. September 2005 unverhältnismäßig große Mengen an altversteuerten
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Feinschnittzigaretten hergestellt, gelagert und in den Verkehr gebracht. Dies habe zur
Folge, dass ihre Mitbewerber während der Übergangsfrist höhere Kontingente an
Feinschnittsteuerzeichen erhalten hätten, so dass sie noch bis zum Ablauf des Jahres
2006 den Großhandel mit preisgünstigen Feinschnittzigaretten hätten beliefern können.
Ihre Investitionsentscheidung vom Januar 2005 sei schutzwürdig, weil seinerzeit noch
nicht ersichtlich gewesen sei, dass Feinschnittzigaretten ab dem 1. April 2006 nicht
mehr zum Feinschnittsteuersatz hätten hergestellt und angeboten werden können. Vor
Bekanntwerden der Schlussanträge des Generalanwalts in der Rs. C-197/04 hätten
noch gute Aussichten für ein Obsiegen der Bundesrepublik in dem gegen sie
eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren bestanden. Nach dem Bekanntwerden der
Schlussanträge des Generalanwalts sei die Inbetriebnahme der zweiten
Produktionsmaschine nicht mehr zu verhindern gewesen. Ihr seien weder die
Pressemitteilung der Kommission vom 18. Dezember 2003, noch die Bekanntmachung
der Klageerhebung im Amtsblatt der Europäischen Union, noch der Artikel in der
Zeitschrift "Die Tabak Zeitung" bekannt gewesen. Mit den ihr zugeteilten Steuerzeichen
habe sie ihre Produktion von vorportioniertem Feinschnitt nicht bis zum Auslaufen der
Übergangsfrist zum 31. März 2006 aufrechterhalten können. Die Kontingentierung des
Steuerzeichenbezugs habe als massiver Eingriff in ihre unternehmerische
Handlungsfreiheit und den Wettbewerb einer gesetzlichen Grundlage bedurft, die nicht
vorhanden gewesen sei. Darüber hinaus habe die Kontingentierung gegen die
Übergangsregelung verstoßen, die bis zum 31. März 2006 gegolten habe. Nach den
Schreiben des beklagten Hauptzollamts vom 15. und 18. November 2005 habe sie
davon ausgehen können, dass sie unbeschränkt Feinschnittsteuerzeichen bis zum 31.
März 2006 habe beziehen können. Von einer Kontingentierung sei in diesen Schreiben
keine Rede gewesen. Sie habe auf die bisherige Rechtslage vertrauen können, weil die
Bundesregierung bis zum Ergehen des EuGH-Urteils vom 10. November 2005 die
Versteuerung der "......" als Feinschnitt als rechtmäßig angesehen habe. Das EuGH-
Urteil in der Rs. C-197/04 habe zudem einer Umsetzung in den Mitgliedstaaten bedurft.
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Da eine Belieferung mit Feinschnittsteuerzeichen nach Ablauf der bis zum 31. März
2006 geltenden Übergangsfrist nicht mehr möglich sei, habe sich der von ihr
angefochtene Bescheid erledigt. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung
der Rechtswidrigkeit des erledigten Bescheids, weil sie beabsichtige, eine
Amtshaftungsklage zu erheben. Hierauf habe sie bereits am 28. November 2005 und im
Einspruchsverfahren hingewiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. festzustellen, dass der Bescheid vom 5. Januar 2006 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2006 rechtswidrig war;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt es vor: Bereits zu Beginn der Produktion der Feinschnittzigaretten
durch die Klägerin sei das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik
eingeleitet gewesen. Sie habe deshalb mit einem für die Bundesrepublik nachteiligen
Ausgang des beim EuGH anhängigen Verfahrens in der Rs. C-197/04 rechnen müssen.
Sie habe jedoch auf die Einräumung einer großzügigen Übergangsfrist mit
unbeschränkter Produktionsmöglichkeit spekuliert. Eine unbegrenzte Belieferung mit
Feinschnittsteuerzeichen sei in den Schreiben vom 15. und 18. November 2005 nicht
zugesagt worden. Vielmehr sei zunächst nur das Ende der Übergangsfrist festgelegt
worden. Die noch zu beziehenden Steuerzeichen seien auf der Grundlage der
durchschnittlich in den Monaten Januar bis Oktober 2005 bezogenen Steuerzeichen
firmenspezifisch ermittelt und den betroffenen Beziehern fernmündlich mitgeteilt worden.
Eine Ausweitung der Produktion einzelner Hersteller sei nicht beabsichtigt gewesen
und wäre dem Sinn und Zweck der Übergangsfrist zuwidergelaufen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist zulässig. Die Zulässigkeit des von der Klägerin verfolgten
Feststellungsantrags richtet sich nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung
(FGO). Diese Bestimmung ist auf eine Verpflichtungsklage, die sich erledigt hat,
entsprechend anzuwenden (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile 11. August 1998 VII R
72/97, BStBl II 1998, 750; vom 29. Januar 2003 XI R 82/00, BStBl II 2003, 550). Die von
der Klägerin zunächst erhobene Verpflichtungsklage hat sich erledigt. Mit dem Ablauf
der vom beklagten Hauptzollamt in seinen Schreiben vom 15. und 18. November 2005
eingeräumten Frist für den weiteren Bezug von Feinschnittsteuerzeichen für
vorportionierten Feinschnitt kommt unter Berücksichtigung des für die Bundesrepublik
verbindlichen EuGH-Urteils in Slg. 2005, I-9739 eine Auslieferung derartiger
Steuerzeichen an die Klägerin für die von ihr beabsichtigte Verwendung nicht mehr in
Betracht.
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Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an
der von ihr begehrten Feststellung. Für ein berechtigtes Interesse genügt jedes
konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher,
wirtschaftlicher oder ideeller Art, sofern die begehrte Feststellung geeignet ist, in einem
der genannten Bereiche zu einer Verbesserung der Position des Klägers zu führen
(BFH-Urteil in BStBl II 1998, 750). Ein berechtigtes Interesse kann gegeben sein, wenn
ein Beteiligter wegen der erledigten Ablehnung seines Begehrens durch die Behörde
einen Schadensersatzprozess wenn nicht schon anhängig gemacht hat, so doch mit
hinreichender Sicherheit anhängig machen will, sofern die Entscheidung des
Finanzgerichts für diesen Schadenersatzprozess von Bedeutung ist und der
Schadensersatzprozess nicht offensichtlich aussichtslos ist (BFH-Urteil in BStBl II 1998,
750). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin hat bereits im
Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass sie bei einer Verweigerung der
Auslieferung der von ihr bestellten Steuerzeichen eine Amtshaftungsklage erheben
werde. Ferner hat sie den ihr entgangenen Gewinn mit 3.968.849 EUR beziffert, den sie
als Schaden geltend zu machen beabsichtigt (Seite 25 ihres Schriftsatzes vom 16. März
2006, Bl. 55 GA).
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 5. Januar 2006 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2006 war rechtmäßig. Das beklagte
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Hauptzollamt hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin auf ihre Steueranmeldung vom
29. Dezember 2005 15.500 Bogen Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2 EUR
und 3.000 Bogen Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2,25 EUR für
vorportionierten Feinschnitt auszuliefern.
Die Klägerin hatte keinen gesetzlichen Anspruch auf die Auslieferung der von ihr
bestellten Steuerzeichen. Auf Grund der von ihr übersandten Steueranmeldung (§ 12
Abs. 2 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes - TabStG -) konnte sie für den von ihr
hergestellten vorportionierten Feinschnitt nur Steuerzeichen für Zigaretten (§ 2 Abs. 2
TabStG) beziehen. Nach dem für die Bundesrepublik verbindlichen EuGH-Urteil in Slg.
2005, I-9739 steht fest, dass es sich bei dem vorportionierten Feinschnitt um Zigaretten
i.S. des Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 95/59/EG handelt. Die der
Bundesrepublik durch Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/59/EG eingeräumte
Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2001 war abgelaufen. Anders als die Klägerin
meint, bedurfte das EuGH-Urteil in Slg. 2005, I-9739 keiner "Umsetzung" in
einzelstaatliches Recht, weil § 2 Abs. 2 Nr. 2 TabStG Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b
der Richtlinie 95/59/EG entspricht. Auf Grund des EuGH-Urteils hatte die
Bundesrepublik lediglich ihre bislang abweichende Verwaltungspraxis, vorportionierten
Feinschnitt als Feinschnitt zu versteuern, zu ändern (Art. 228 Abs. 1 des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft). Da der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2005,
I-9739 die zeitlichen Wirkungen seiner Entscheidung nicht begrenzt hat (hierzu etwa:
EuGH-Urteil vom 19. März 2002 Rs. C-426/98, Slg. 2002, I-2793 Rdnr. 40 ff.), hatte die
Bundesrepublik das Erkenntnis spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Verkündung am 10.
November 2005 an zu beachten.
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Die Klägerin hatte auch auf der Grundlage der Schreiben des beklagten Hauptzollamts
vom 15. und 18. November 2005 keinen Anspruch auf die Auslieferung der von ihr
bestellten weiteren 15.500 Bogen Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2 EUR
und 3.000 Bogen Feinschnittsteuerzeichen für Packungen zu je 2,25 EUR für
vorportionierten Feinschnitt. Diese Schreiben sind zwar als Zusage werten, bis zum 31.
März 2006 weiterhin Feinschnittsteuerzeichen für vorportionierten Feinschnitt beziehen
zu können. Eine derartige Zusage kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu
einer Verdrängung des gesetzten Rechts führen (BFH-Beschluss vom 28. August 2002
V B 71/02, BFH/NV 2003, 4). Der Inhalt einer verbindlichen Zusage der Finanzbehörde
ist in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch
Auslegung zu bestimmen (BFH-Urteil vom 16. November 2000 XI R 28/99, BStBl II
2001, 303). Im Streitfall kann dahinstehen, ob das beklagte Hauptzollamt mit seinen
Schreiben vom 15. und 18. November 2005 nur die Verwendung von
Feinschnittsteuerzeichen für vorportionierten Feinschnitt bis zum 31. März 2006
zugesagt hat und sich eine mengenmäßige Einschränkung noch vorbehalten hat oder
ob es sich um die Zusage eines unbeschränkten Bezugs von Feinschnittsteuerzeichen
gehandelt hat. Denn unstreitig hat das beklagte Hauptzollamt bereits am 28. November
2005 seine Zusage dahingehend eingeschränkt, dass die Klägerin die
Feinschnittsteuerzeichen nur noch in einem begrenzten Umfang beziehen konnte. Die
Gründe hierfür hat das BMF der Klägerin mit seinem Schreiben vom 22. Dezember 2005
erläutert. Die der Klägerin mitgeteilte mengenmäßige Beschränkung stellt jedenfalls
eine Änderung der erteilten Zusage dar, die mit Wirkung für die Zukunft - hier bezüglich
der Steueranmeldung vom 29. Dezember 2005 - auch bei der Erteilung einer
verbindlichen Zusage auf Grund einer Außenprüfung nach § 207 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) zulässig gewesen wäre. § 207 Abs. 2 AO ist entsprechend auf
andere verbindliche Zusagen anzuwenden (Seer in Tipke/Kruse, AO Vor § 204 Rdnr.
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42; Intermann in Pahlke/Koenig, AO § 204 Rdnr. 84; vgl. auch zu § 207 Abs. 1 AO das
BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 82/94, BStBl II 1996, 518, 522).
Die somit zumindest nachträgliche Änderung der der Klägerin erteilten Zusage war nicht
aus Gründen des Vertrauensschutzes unzulässig. Auf Vertrauensschutz kann sich die
Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie ihre im Januar 2005 getroffene
Investitionsentscheidung, eine zweite Produktionsmaschine anzuschaffen, nicht im
Vertrauen auf die ihr erst mit den Schreiben des beklagten Hauptzollamts vom 15. und
18. November 2005 erteilte Zusage hat tätigen können. Unbeschadet dessen konnte die
Klägerin bereits im Januar 2005 nicht mehr darauf vertrauen, nach der Verkündung des
Urteils des EuGH in der Rs. C-197/04 überhaupt noch Feinschnittsteuerzeichen für
vorportionierten Feinschnitt beziehen zu können. Die Erhebung der Klage der
Kommission in der Rs. C-197/04 wurde am 26. Juni 2004 im Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. C 168/3 bekannt gemacht. Als gewerbliche
Wirtschaftsteilnehmerin, die das beim EuGH anhängige Verfahren in der Rs. C-197/04
unmittelbar betraf, konnte sich die Klägerin spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr
auf Unkenntnis berufen (BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 VII R 20/03, BFHE 205, 366).
Vielmehr musste sie im Hinblick auf das anhängige Verfahren in der Rs. C-197/04 damit
rechnen, dass der EuGH dem Klagebegehren der Kommission entsprechen würde. Sie
konnte auch nicht darauf vertrauen, dass der EuGH die zeitlichen Wirkungen seiner
Entscheidung über den Zeitpunkt der Verkündung seines Urteils hinaus einschränken
würde. Denn eine solche Einschränkung kommt nur ausnahmsweise in Betracht (EuGH-
Urteil in Slg. 2002, I-2793 Rdnr. Rdnr. 42) und hätte vom EuGH allenfalls mit Wirkung für
die Zeit vor der Verkündung seines Urteils am 10. November 2005 ausgesprochen
werden können (EuGH-Urteil vom 12. September 2000 Rs. C-359/97, Slg. 2000, I-6355
Rdnr. 90).
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Da sich die Klägerin mithin nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, kann sie auch aus
dem BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78 (BStBl II 1979, 455) und dem BFH-
Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BStBl II 1984, 751) nichts für ihren
Rechtsstandpunkt herleiten. Es liegt im Streitfall zudem keine verschärfende
Rechtsprechung vor, weil der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2005, I-9739 erstmals über
die Auslegung des Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 95/59/EG
entschieden hat. Soweit die Klägerin geltend macht, die "Kontingentierung" des
Steuerzeichenbezugs habe einer gesetzlichen Grundlage bedurft, ist sie auf § 2 Abs. 2
Nr. 2 TabStG und das für die Bundesrepublik verbindliche EuGH-Urteil in Slg. 2005, I-
9739 zu verweisen. Danach hatte sie spätestens seit dem 10. November 2005
überhaupt keinen gesetzlichen Anspruch mehr auf den Bezug von
Feinschnittsteuerzeichen für vorportionierten Feinschnitt. Aus diesem Grunde kann es
auch nicht als willkürlich angesehen werden, dass das beklagte Hauptzollamt bei der
Bemessung der durchschnittlich monatlich bezogenen Feinschnittsteuerzeichen Zeiten
einer Produktionssteigerung unberücksichtigt gelassen hat. Das beklagte Hauptzollamt
weist zutreffend darauf hin, dass ein anderes Vorgehen gerade dem Sinn der
eingeräumten Frist, ein geregeltes Auslaufen der Herstellung und des Vertriebs von
vorportionierten Feinschnitt unter Verwendung von Feinschnittsteuerzeichen zu
erreichen, zuwidergelaufen wäre. Soweit die Klägerin behauptet, ihre Mitbewerber
hätten bis zur Erhöhung der Tabaksteuer zum 1. September 2005 unverhältnismäßig
große Mengen an altversteuerten Feinschnittzigaretten hergestellt, gelagert und in den
Verkehr gebracht, so dass sie während der Übergangsfrist höhere Kontingente an
Feinschnittsteuerzeichen erhalten hätten, kann sie auch daraus nichts für sich herleiten.
Unbeschadet dessen, dass nicht ersichtlich ist, dass dies dem beklagten Hauptzollamt
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bekannt war, vermittelt Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland keinen Anspruch auf eine "Gleichbehandlung im Unrecht" (BFH-Beschluss
vom 12. Dezember 2000 V B 66/00, BFH/NV 2001, 296). Das beklagte Hauptzollamt ist
überdies auch nach dem Vorbringen der Klägerin von gleichen Maßstäben
ausgegangen, indem es die monatlich durchschnittlich in dem Zeitraum vom Januar bis
zum August 2005 von den Herstellern bezogenen Steuerzeichenmengen zugrunde
gelegt hat. Da das Vertrauen der Klägerin darauf, dass sich ihre
Investitionsentscheidung vom Januar 2005 auf Dauer bezahlt machen würde, nicht
schutzwürdig war, musste das beklagte Hauptzollamt die deutliche Erhöhung der von ihr
ab September 2005 hergestellten Mengen an vorportionierten Feinschnitt nicht mehr
berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht
zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Dies ist
von der Klägerin auch nicht näher dargelegt worden.
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