Urteil des FG Düsseldorf vom 27.03.2006

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Finanzgericht Düsseldorf, 4 V 452/06 A (VTa)
Datum:
27.03.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 V 452/06 A (VTa)
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin handelt unter anderem mit versteuertem vorportionierten (Tabak-
)Feinschnitt. Sie gab auf Grund der Verordnung zur Erhebung einer Nachsteuer auf
vorportionierten Feinschnitt vom 16. November 2005 (BGBl I, 3165) (Nachsteuer-VO)
eine Tabaksteueranmeldung vom 9. Dezember 2005 über ihre Bestände an derartigen
Erzeugnissen am 1. September 2005 ab.
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Gegen diese Steueranmeldung legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte
die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung brachte sie vor: Die Steueranmeldung
sei rechtswidrig, weil die Nachsteuer-VO unwirksam sei. Die Nachsteuer-VO sei
widersprüchlich und unbestimmt. Es sei nicht klar, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der
Inbesitznahme des Feinschnitts zwischen dem 1. September und dem 15. Dezember
2005 abzustellen sei. Der Steueranmeldungsvordruck verstärke diese Unsicherheit.
Nach der Kopfzeile des Vordrucks seien die Bestände zum 1. September 2005
anzumelden, während im Einleitungssatz auf den Zeitraum nach dem 31. August 2005
abgestellt werde. Aus dieser Unbestimmtheit folge die Gefahr einer Doppelbesteuerung,
weil jede Ware einmal bei einem Steuerlagerinhaber, bei einem Großhändler und bei
einem Einzelhändler erfasst werden könne. Ferner stelle das Inkrafttreten der
Nachsteuer-VO zum 1. September 2005 eine unzulässige echte Rückwirkung dar, die
gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoße. Die von der Nachsteuer-VO
betroffenen Steuerpflichtigen hätten zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens keine Möglichkeit
gehabt, sich auf die für sie noch unbekannten Regelungen einzustellen. Darüber hinaus
verstoße die Erhebung einer Steuer durch den Erlass einer Rechtsverordnung gegen
den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Der Gesetzgeber müsse selbst über die
Erhebung der Steuer entscheiden und dürfe diese Entscheidung nicht auf die
vollziehende Gewalt delegieren. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die
Ermächtigung in § 31 Nr. 18 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) nicht hinreichend
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konkretisiere, wann der Erlass einer Nachsteuerverordnung zulässig sei. Durch die
eingeführte Nachsteuer komme es zudem zu einer endgültigen Belastung der
Steuerlagerinhaber sowie der Groß- und Einzelhändler. Denn nach § 26 TabStG sei die
Abgabe von Tabakwaren zu einem über dem auf den Steuerzeichen angegebenen
Packungspreis oder dem sich daraus ergebenden Kleinverkaufspreis unzulässig. Da
die Waren zum Zeitpunkt der Verkündung der Nachsteuer-VO bereits verkauft gewesen
seien, könne die Steuer nicht mehr auf die Verbraucher abgewälzt werden. Die
Tabaksteuer erhalte dadurch den Charakter einer Verkehrsteuer. Die Nachsteuer-VO
verstoße überdies gegen Gemeinschaftsrecht. Im Unterschied zu Art. 22 der Richtlinie
(EG) 2003/96 (RL 2003/96) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der
gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und
elektrischem Strom (ABl EU Nr. L 283/51) sähen die Richtlinien, welche die
Tabaksteuer beträfen, die Erhebung einer Nachsteuer nicht vor. Nach Art. 6 Abs. 2 der
Richtlinie (EWG) 92/12 (RL 92/12) des Rates vom 25. Februar 1992 über das
allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl EG Nr. L 76/1) sei der Steuersatz maßgebend,
der im Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in dem betreffenden Mitgliedstaat
gelte. Dies sei der bis zum 31. August 2005 geltende Steuersatz. Eine
Steuerentstehung, die auf den Besitz von Tabakwaren abstelle, sehe das
Gemeinschaftsrecht nicht vor.
Der Antragsgegner lehnte mit Verfügung vom 2. Januar 2006 eine Aussetzung der
Vollziehung ab. Ferner wies er den Einspruch gegen die Steueranmeldung mit
Entscheidung vom 5. Januar 2006 zurück und führte aus: Der Gesetzgeber habe durch
die Formulierung "zur Sicherung des Tabaksteueraufkommens" in § 31 Nr. 18 TabStG
selbst entschieden, dass eine Nachsteuer festgesetzt werden solle, wenn das
Tabaksteueraufkommen auf Grund des Umfangs der Bevorratung mit Feinschnitt sinke.
Die Erhöhung der Steuersätze zum 1. September 2005 in § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3 TabStG
sei ausreichend bestimmt. Die Nachsteuer-VO verstoße nicht gegen das
Rückwirkungsverbot. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der bisherigen
Rechtslage habe schon im Hinblick auf die Ankündigungswirkung der Einfügung des §
31 Nr. 18 TabStG durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes
und anderer Verbrauchsteuergesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I, 2924) nicht
bestanden. Darüber hinaus seien die Verbände durch ein Schreiben der Zentralen
Steuerzeichenstelle Bünde vom 1. Juni 2005 unter Hinweis auf § 31 Nr. 18 TabStG
darüber informiert worden, dass sich ab dem 1. September 2005 ausschließlich
neupreisige Waren im Handel befinden dürften. Es habe erst nach dem 1. September
2005 entschieden werden können, ob von der Ermächtigung in § 31 Nr. 18 TabStG
habe Gebrauch gemacht werden müssen. Erst dann habe festgestellt werden können,
ob und in welchem Umfang sich noch altpreisige Waren im Handel befunden hätten. Die
dabei zutage getretene übermäßige Bevorratung bei vorportioniertem Feinschnitt, der
bis zum 31. August 2005 versteuert worden sei, habe zu nicht mehr vertretbaren
Steuerausfällen geführt. Letztlich habe die kaufmännische Entscheidung der Hersteller
und Händler, Vorräte an altversteuertem vorportionierten Feinschnitt anzulegen, dazu
geführt, dass von der Ermächtigung in § 31 Nr. 18 TabStG Gebrauch gemacht worden
sei. Die Abwälzbarkeit der Steuer auf den Verbraucher gehöre zwar grundsätzlich zum
Wesen der Verbrauchsteuer. Mehr als die Möglichkeit der Abwälzbarkeit verlange das
Wesen der Verbrauchsteuer jedoch nicht. Wäre eine Bevorratung nur in dem Umfang
erfolgt, der eine Nachsteuer nicht erforderlich gemacht hätte, hätten die Normadressaten
die erhöhte Steuer über den neuen Kaufpreis abwälzen können. Die Nachsteuer-VO
stehe auch mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang. Mit der Überführung einer
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verbrauchsteuerpflichtigen Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr sei die steuerliche
Erfassung der Tabakwaren noch nicht abgeschlossen. Durch die Nachsteuer-VO werde
kein neuer Steuerentstehungstatbestand begründet, sondern nur die Höhe der
Verbrauchsteuerbelastung korrigiert. Art. 22 RL 2003/96 sei vor dem Hintergrund zu
sehen, dass mit der RL 2003/96 neue harmonisierte Verbrauchsteuern eingeführt und
die Mindeststeuern harmonisierter Verbrauchsteuern sowie bisherige einzelstaatliche
Regelungen zu nicht harmonisierten Verbrauchsteuern geändert worden seien.
Die Antragstellerin hat am 2. Februar 2006 in dem Verfahren 4 K 450/06 VTa Klage
erhoben und am selben Tag den vorliegenden Antrag gestellt. Sie wiederholt im
Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. Darüber hinaus trägt sie vor: Allein
die in § 31 Nr. 18 TabStG vorgesehene Ermächtigung habe nicht ausgereicht, um das
Vertrauen in den Bestand der bisherigen Rechtslage zu beseitigen. Dem
Steuerpflichtigen könne nicht angesonnen werden, darüber zu spekulieren, ob, wann
und wie der Verordnungsgeber von einer Ermächtigung Gebrauch mache. Auch das
Schreiben der Steuerzeichenstelle Bünde vom 1. Juni 2005 habe das Vertrauen in den
Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht erschüttern können. Es sei unklar, ob alle
Normadressaten Kenntnis von dem Schreiben erlangt hätten. Das Schreiben habe auch
keine Aussage darüber enthalten, dass das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
beabsichtige, von der Ermächtigung des § 31 Nr. 18 TabStG Gebrauch zu machen. Die
Untätigkeit des Verordnungsgebers habe bis weit nach dem 31. August 2005
angedauert, obwohl der Erlass einer Nachsteuerverordnung bis zum 31. August 2005
ohne weiteres möglich gewesen wäre. Entgegen der vom Antragsgegner vertretenen
Auffassung werde durch § 2 der Nachsteuer-VO ein neuer Steuerentstehungstatbestand
geschaffen, der an den Besitz der Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt anknüpfe. Art. 3
RL 2003/96 enthalte eine Ausnahmeregelung für die Erhebung der Nachsteuer. Aus
dem Fehlen einer derartigen Regelung für andere Verbrauchsteuern folge, dass nach
dem Gemeinschaftsrecht die Erhebung einer Nachsteuer bei Tabakwaren nicht zulässig
sei.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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1. die Vollziehung ihrer Tabaksteueranmeldung vom 9. Dezember 2005 in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2006 auszusetzen;
2. hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einspruchsentscheidung.
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II.
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Der Antrag ist unbegründet.
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Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner
Rechtmäßigkeit bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Solche Zweifel bestehen, wenn bei summarischer
Prüfung des Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden
Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten,
die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken
(Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 11. August 2005 VII B 244/04, BStBl II 2006,
201). Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung gelangt
der Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit der Steueranmeldung der
Antragstellerin, die nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) einer
Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, keine ernstlichen
Zweifel bestehen. Insbesondere ist für den Senat nicht ernstlich zweifelhaft, dass die
Nachsteuer-VO, soweit sie sich auf den 1. September 2005 als den Zeitpunkt bezieht,
zu dem der vorportionierte Feinschnitt sich im Besitz eines Steuerlagerinhabers, Groß-
oder Einzelhändlers befunden hat, wirksam ist und nicht gegen höherrangiges Recht
verstößt.
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Anders als die Antragstellerin meint, ist die Nachsteuer-VO inhaltlich hinreichend
bestimmt. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Erfordernis hinreichender
Bestimmtheit einer Norm verlangt, dass der von ihr Betroffene die Rechtslage so
erkennen können muss, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag
(Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 27. Juli 2005 1 BvR 668/04, Neue
Juristische Wochenschrift 2005, 2603). Das ist hinsichtlich der "Entstehung" der
Nachsteuer gemäß § 2 Abs. 1 Nachsteuer-VO indessen der Fall. Hiernach "entsteht" die
Nachsteuer für vorportionierten Feinschnitt, für den die Tabaksteuer in Höhe des nach §
4 Abs. 1 Nr. 3 TabStG bis zum 31. August 2005 geltenden Steuertarifs entstanden ist
und der sich nach dem 31. August 2005 im Besitz eines Steuerlagerinhabers, Groß-
oder Einzelhändlers befindet oder befunden hat. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung
ergibt sich ohne weiteres, dass eine Inbesitznahme der vorgenannten Tabakwaren nach
dem 31. August 2005 und damit ab dem 1. September 2005, 0.00 Uhr zur Erhebung der
Nachsteuer führt. Soweit nach dem Inhalt des Steueranmeldungsvordrucks Unklarheiten
bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts der Inbesitznahme des vorportionierten
Feinschnitts bestehen sollten, berühren diese nicht den Inhalt der maßgeblichen Norm
des § 2 Abs. 1 Nachsteuer-VO.
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Eine andere Frage als die der inhaltlichen Bestimmtheit ist diejenige, ob § 2 Abs. 1
Nachsteuer-VO über die gesetzliche Ermächtigung des § 31 Nr. 18 TabStG hinausgeht.
Denn nach der letztgenannten Bestimmung ist das BMF ermächtigt worden, eine
Nachsteuer für Feinschnitt festzusetzen, für den die Steuer in Höhe des bis zum 31.
August 2005 geltenden Steuertarifs entstanden ist und der sich am 1. September 2005
im Besitz eines Steuerlagerinhabers, Groß- oder Einzelhändlers befindet. Soweit nach §
2 Abs. 1 Nachsteuer-VO auch eine Inbesitznahme von Feinschnitt nach dem 1.
September 2005 erfasst wird, könnte allenfalls eine Teilunwirksamkeit der Nachsteuer-
VO vorliegen. Denn nach den in § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und § 125 Abs. 4
AO niedergelegten Rechtsgrundsätzen ist ein Rechtsakt jedenfalls dann nicht
insgesamt unwirksam, wenn die Unwirksamkeitsgründe einen abgrenzbaren Teil
erfassen und feststeht, dass der übrige Rechtsakt auch ohne diesen Teil erlassen
worden wäre (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. Juli 2002 3 B 84.02,
Sammlung Lebensmittelrechtlicher Entscheidungen 44, 78). So liegt der Streitfall, weil
davon auszugehen ist, dass das BMF jedenfalls eine Nachsteuer für Feinschnitt hat
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festsetzen wollen, für den die Steuer in Höhe des bis zum 31. August 2005 geltenden
Steuertarifs entstanden ist und der sich am 1. September 2005 im Besitz eines
Steuerlagerinhabers, Groß- oder Einzelhändlers befunden hat. Die Steueranmeldung
der Antragstellerin wäre von einer möglichen Teilunwirksamkeit des § 2 Abs. 1
Nachsteuer-VO nicht betroffen, weil sie sich trotz des mißverständlichen Wortlauts des
Vordrucks erkennbar nur auf Feinschnitt bezieht, der sich am und nicht nach dem 1.
September 2005 in ihrem Besitz befunden hat.
Ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit der Nachsteuer-VO bestehen auch nicht deshalb,
weil sie nach ihrem § 4 rückwirkend zum 1. September 2005 in Kraft getreten ist. Hierin
ist zwar eine echte Rückwirkung zu erblicken. Eine solche wird von einer Rechtsnorm
entfaltet, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen
Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent
geworden ist (BVerfG-Beschlüsse vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343,
353 sowie vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241). Die Rückwirkung ist
jedoch nach den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen zur Rückwirkung von Gesetzen
gerechtfertigt; diese Grundsätze gelten auch für die Rückwirkung von
Rechtsverordnungen (BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 1977 2 BvR 499/74 und 1042/75,
BVerfGE 45, 142, 167). Danach ist eine (echte) Rückwirkung unter anderem zulässig,
wenn ein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung nicht begründet war
(BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 258 sowie vom 25. Mai 1993 1 BvR 1509,
1648/91, BVerfGE 88, 384, 404).
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Das Vertrauen der von der Nachsteuer-VO Betroffenen in die Fortgeltung des bisherigen
Rechts war jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr schutzwürdig, in dem auf Grund der
vorgegebenen rechtlichen Situation mit einer neuen Regelung gerechnet werden
musste (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 88, 384, 404). Dies war mit der Verkündung des
Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und anderer Verbrauchsteuergesetze
vom 23. Dezember 2003 am 29. Dezember 2003 (BGBl I, 2924) der Fall. Damit wurde
die Ermächtigung des § 31 Nr. 18 TabStG eingefügt. Hiernach mussten die
Steuerlagerinhaber sowie die Groß- und Einzelhändler mit der Einführung einer
Nachsteuer für Feinschnitt zum 1. September 2005 rechnen. Zwar hat das BMF von der
Ermächtigungsnorm nach dem 31. August 2005 zunächst keinen Gebrauch gemacht.
Da in § 31 Nr. 18 TabStG indessen die Grundsatzentscheidung getroffen wurde, für
welche Zeitpunkte eine Nachsteuer für Feinschnitt festgesetzt werden konnte, war das
Vertrauen der hiervon Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht
mehr schützenswert (BFH-Urteil vom 8. November 2000 I R 10/98, BStBl II 2001, 349,
351 - zum Wegfall des Vertrauens in den Fortbestand der bisherigen, durch eine
Rechtsverordnung geregelten Rechtslage bei einer Änderung der gesetzlichen
Ermächtigungsnorm -). Überdies gehören Nachversteuerungsregelungen, die auf eine
einmalige Verbrauchsbesteuerung ausgerichtet sind, zum typischen Instrumentarium
des Gesetzgebers und sind in der Vergangenheit mehrfach bei Erhöhungen von
Steuersätzen eingeführt worden. Die Erwartung, dass das geltende Steuerrecht
fortbestehen und eine Nachversteuerung zur Sicherung der Einnahmen aus einer
Steuererhöhung nicht vorgenommen wird, wird von der Verfassung daher nicht
geschützt (BVerfG-Beschlüsse vom 28. Januar 1970 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375, 385
f.; vom 2. Mai 1985 2 BvR 285/85, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1985, 364,
365; BFH-Urteil vom 15. April 1987 VII R 108/82, BFH/NV 1988, 132).
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Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung verstößt die Festsetzung
der Nachsteuer durch den Erlass der Nachsteuer-VO nicht gegen den Grundsatz des
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Vorbehalts des Gesetzes. § 31 Nr. 18 TabStG genügt den Anforderungen des Art. 80
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) und der bundesstaatlichen
Kompetenzverteilung. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG kann unter anderem ein
Bundesminister durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.
Dabei müssen gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten
Ermächtigung im Gesetz hinreichend bestimmt werden. Sinn dieser Regelung ist es,
das Parlament daran zu hindern, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende
Körperschaft zu entäußern. Es soll nicht einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der
vollziehenden Gewalt übertragen können, ohne die Grenzen dieser Befugnis bedacht
und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass schon aus
der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem hiervon Betroffenen
gegenüber zulässig sein soll (BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und 3/86,
BVerfGE 78, 249, 272). Darüber hinaus wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers
im Verhältnis zum Verordnungsgeber im Hinblick auf den Vorrang des Gesetzes dann
nicht mehr gewahrt, wenn die erteilte Ermächtigung es dem Adressaten überlässt, nach
Belieben von ihr Gebrauch zu machen, und erst dadurch das Gesetz anwendbar wird.
Die Inanspruchnahme des Art. 80 Abs. 1 GG setzt voraus, dass überhaupt eine - wenn
auch möglicherweise im einzelnen unvollständige - Regelungsentscheidung des
Gesetzgebers vorliegt, die es näher auszufüllen oder auszuführen gilt (BVerfG-
Beschluss in BVerfGE 78, 249, 273).
Durch § 31 Nr. 18 TabStG ist das BMF ermächtigt worden "zur Sicherung des
Tabaksteueraufkommens" unter anderem für Feinschnitt, der sich am 1. September
2005 im Besitz von Steuerlagerinhabern sowie von Groß- und Einzelhändlern befunden
hat, eine Nachsteuer festzusetzen. Damit hat der Gesetzgeber selbst entschieden, dass
zum 1. September 2005 eine Nachsteuer für Feinschnitt festzusetzen ist, wenn dies zur
Sicherung des Tabaksteueraufkommens erforderlich ist. Diese Ermächtigung ist auch
hinreichend bestimmt. Das Erfordernis der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen
hindert den Gesetzgeber nicht, in einer Ermächtigungsnorm derartige unbestimmte
Rechtsbegriffe zu verwenden (BVerfG-Beschluss vom 27. Juni 2002 2 BvF 4/98,
BVerfGE 106, 1, 19). Es lässt sich auch ohne weiteres im Wege der Auslegung
feststellen, dass das BMF von der Ermächtigung Gebrauch machen sollte, wenn es zu
einer Gefährdung des Eingangs der erhöhten Steuer sowie zu ungerechtfertigten
Steuervorteilen für Unternehmen mit großen Lagerkapazitäten durch Vorratskäufe und
Vorausversteuerungen kommen sollte.
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Der Umstand, dass die Antragstellerin und andere von der Nachsteuer-VO betroffene
Unternehmen diese möglicherweise nicht mehr auf die Verbraucher abwälzen konnten,
berührt die Wirksamkeit dieser Verordnung nicht. Denn die Abwälzbarkeit einer
Verbrauchsteuer gehört nicht in jedem Fall zum Wesensmerkmal dieser Steuerart (BFH-
Urteile vom 26. Juni 1984 VII R 60/83, BFHE 141, 369, 375 sowie in BFH/NV 1988,
132). Es kommt zudem nicht darauf an, ob die Verbrauchsteuer im Einzelfall auf den
Verbraucher abgewälzt werden kann (BVerfG-Beschluss vom 12. Januar 1978 1 BvR
825/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1978, 116; BFH-Urteil vom 26. April
1977 VII R 114/74, BFHE 122, 20, 24).
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Ernstliche Zweifel bestehen nach Ansicht des Senats auch nicht daran, dass die
Nachsteuer-VO mit Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Unbeschadet dessen, dass
Art. 6 Abs. 1 RL 92/12 nicht einer einzelstaatlichen Bestimmung entgegensteht, die
hinsichtlich der Steuerentstehung an den Besitz einer verbrauchsteuerpflichtigen,
jedoch noch nicht versteuerten Ware anknüpft (Gerichtshof der Europäischen
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Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 5. April 2001 Rs. C-325/99, Slg. 2001, I-2729
Rdnr. 42), begründet § 2 Abs. 1 Nachsteuer-VO trotz seines insoweit möglicherweise
mißverständlichen Wortlauts keinen neuen Steuerentstehungstatbestand. Die durch die
Nachsteuer-VO festgesetzte (§ 31 Nr. 18 TabStG) Nachsteuer knüpft vielmehr an die in
Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 1 RL 92/12 bis zum 31. August 2005 entstandene
Steuer an und führt lediglich zur Erhebung der Steuer in Höhe des
Belastungsunterschieds zu dem ab dem 1. September 2005 geltenden Steuersatz.
Der Senat versteht Art. 6 Abs. 2 Satz 1 RL 92/12 auch nicht dahin, dass die
Mitgliedstaaten hiernach ausschließlich den Verbrauchsteuersatz anwenden dürfen, der
im Zeitpunkt der Entstehung der Verbrauchsteuer gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 92/12
gegolten hat. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 RL 92/12 verweist hinsichtlich des anzuwendenden
Verbrauchsteuersatzes lediglich auf die der Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten
unterliegenden einzelstaatlichen Bestimmungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH
bezweckt die RL 92/12 nur, in bestimmtem Umfang den Besitz, den Verkehr und die
Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu regeln, um zu gewährleisten, dass die
Entstehungsvoraussetzungen für den Verbrauchsteueranspruch in allen Mitgliedstaaten
identisch sind (EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-2729 Rdnr. 39). Obgleich der
Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 6 Abs. 1 RL 92/12 sichergestellt hat, dass die
Regelungen über die Entstehung des Steueranspruchs in allen Mitgliedstaaten
einander entsprechen, hat er davon abgesehen, die Bestimmungen für die Erhebung
und Einziehung der Verbrauchsteuer durch die Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Mit
Art. 6 Abs. 2 hat er den Mitgliedstaaten vielmehr ausdrücklich die Befugnis zur
Festlegung dieser Bestimmungen belassen (EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-2729 Rdnr. 40).
Im Unterschied zur RL 2003/96 enthält die RL 92/12 auch keine Regelungen über die
anzuwendenden Verbrauchsteuersätze. Derartige Bestimmungen enthalten
Tabakwaren betreffend die Richtlinie (EWG) 92/79 des Rates vom 19. Oktober 1992 zur
Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten (ABl EG Nr. L 316/8) und die
Richtlinie (EWG) 92/80 des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der
Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten (ABl EG Nr. L 316/10). Diese
Richtlinien sehen indessen lediglich Mindestverbrauchsteuersätze vor. Daher kann sich
die Antragstellerin für die Begründung ihrer Auffassung auch nicht auf die
ausschließlich Energieerzeugnisse und elektrischen Strom betreffenden Art. 3 und 22
RL 2003/96 berufen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist nicht
zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 128 Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 FGO nicht
vorliegen. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass zu den im Streitfall zu
entscheidenden Rechtsfragen noch keine Entscheidung des BFH oder eines
Finanzgerichts vorliegt, als solcher noch nicht die Zulassung der Beschwerde wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (BFH-
Beschluss vom 12. Mai 2005 V B 146/03, BStBl II 2005, 714). Über die Wirksamkeit der
Nachsteuer-VO wird gegebenenfalls abschließend im Hauptsacheverfahren zu
entscheiden sein.
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