Urteil des FG Düsseldorf vom 07.09.2007

FG Düsseldorf: allgemeine lebenserfahrung, multiple sklerose, kapitalvermögen, einkünfte, mitwirkungspflicht, immobilie, vollziehung, spanien, ankauf, geschäft

Finanzgericht Düsseldorf, 9 K 3577/05 E,F
Datum:
07.09.2007
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 3577/05 E,F
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die Kläger Geldvermögen verzinslich angelegt haben und ob das
Finanzamt zu Recht Kapitaleinkünfte im Wege einer Schätzung angesetzt hat.
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Die Kläger tätigten in den Streitjahren 1999 bis 2001 in nicht unerheblichem Umfang
Wertpapiergeschäfte, die teilweise durch Darlehen, teilweise durch Eigenmittel
finanziert wurden. Mit Schreiben vom 21.12.1998 teilten die Kläger dem Beklagten mit,
dass sie beabsichtigten, einen Betrag von mehr als 30.000 DM, voraussichtlich
zwischen 290.000 DM und 320.000 DM ins Ausland zu transferieren.
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Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde bekannt, dass die Kläger am 22.12.1998 einen
Barbetrag von 293.000 DM und nachfolgend in der Zeit vom 15.01. bis 12.02.1999
weitere Barbeträge von jeweils 20.000 DM bis 29.000 DM abgehoben hatten, insgesamt
vom 22.01.1998 bis 12.02.1999 die Summe von 732.000 DM. Die Kläger trugen vor, die
Abhebungen seien erfolgt, da sie in Spanien eine Immobilie kaufen wollten und der
Erwerber einen Teil des Kaufpreises in bar gefordert habe. Das Geschäft sei dann
jedoch nicht zustande gekommen. Daraufhin sei der Gesamtbetrag von 732.000 DM im
eigenen Haus aufbewahrt und anschließend im Zeitraum 1999 bis 2001 für besondere
Zwecke ausgegeben. Die Kläger legten eine handschriftliche Auflistung ihrer Ausgaben
vor, auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Danach
seien allein für Wochenendausflüge nach Brüssel und Brügge pro Streitjahr ca. 185.000
DM ausgegeben worden. Belege seien mit Ausnahme desjenigen über einen PKW-
Ankauf für 25.000 DM nicht aufbewahrt worden.
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Nach Tz. 2.3. des Berichtes vom 19.3.2004 sah der Betriebsprüfer den Vortrag, die
732.000 DM seien zu Hause aufbewahrt und nicht wieder angelegt worden, als nicht
glaubhaft an, da die Lebensführung der Kläger im Widerspruch zur behaupteten
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Verwendung des Geldes stehe. So seien trotz des angeblich vorhandenen
Bargeldbestandes unverändert die Geschäfte der privaten Lebensführung im
Wesentlichen über die Girokonten abgewickelt worden, ebenso wie die Kosten für
Urlaubsreisen, Ankauf von Travellerschecks und hohe Kreditkartenumsätze; außerdem
hätten monatliche Barabhebungen von ca. 2.000 DM für Haushaltseinkäufe
stattgefunden. Zusammenfassend seien unbare Vorgänge für den 2-Personenhaushalt
im Jahr 1999 von 76.000 DM, 2000 von 110.000 DM und 2001 von 87.000 DM
festgestellt worden. Auch die Behauptung, die Belege über die Verwendung der
732.000 DM seien nicht aufbewahrt worden, erscheine nicht glaubhaft, da bei den
Klägern sonstige Belege über Kosten der privaten Lebensführung der letzten 10 Jahre
aufgefunden worden seien. Zudem habe der Kläger gegenüber dem Prüfer den
genauen Aufbewahrungsort der 732.000 DM nicht benennen können. Der Betriebsprüfer
zog daraus den Schluss, dass die Geldmittel in eine nicht benannte Kapitalanlage
investiert worden seien und schätzte jährliche Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. 5 %
von 732.000 DM (1999 für 10 Monate: 30.500 DM, 2000 und 2001 jeweils 36.600 DM).
Der Beklagte erließ aufgrund der Prüfungsfeststellungen geänderte
Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2001 vom 03.05.2004, sowie Bescheide über die
gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.2000 und
den 31.12.2001; gegen diese Bescheide erhoben die Kläger am 12.05.2004 Einspruch.
Der Senat gab in dem Verfahren 9 V 3375/04 A(E) den Anträgen auf Aussetzung der
Vollziehung hinsichtlich der Einkommensteuer 1999 bis 2001 teilweise statt. Er vertrat
die Ansicht, dem Grunde nach sei eine Zuschätzung nicht zu beanstanden, da den
Angaben des Klägers zum Verbleib des Bargeldes nicht gefolgt werden könne.
Allerdings sei die Schätzung der Höhe nach wohl nicht berechtigt. Ausgehend von
durchschnittlichen Zinssätzen für Spareinlagen und Festgeldanlagen zwischen 1,2 und
3,6 % in den Streitjahren ging der Senat im Wege einer eigenen Schätzung von einem
Durchschnittszinsertrag von 3 %, mithin Einnahmen in Höhe von 18.000 DM für 1999
(für 10 Monate) und jeweils 22.000 DM für die Jahre 2000 und 2001 aus.
Dementsprechend erließ der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26.7.2005
Teilabhilfebescheide und wies die Einsprüche im Übrigen zurück. Eine Änderung der
Verlustfeststellungsbescheide erfolgte nicht.
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Die Kläger haben am 25.8.2005 Klage erhoben und tragen im Wesentlichen unter
Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Verfahren 9 V 3375/04 A(E) vor, die
Zuschätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen sei unberechtigt. Das Finanzamt sei
bereits dem Grunde nach nicht zu einer Schätzung befugt gewesen. Sie – die Kläger –
hätten Steuererklärungen abgegeben, die sich auch auf Einkünfte aus Kapitalvermögen
bezogen. Im Übrigen hätten sie den Verbrauch des Bargeldes glaubhaft gemacht. Die
abgehobenen 732.000 DM seien in den Jahren 1999 bis 2001 restlos für die private
Lebenshaltung verbraucht worden. Nachdem zunächst beabsichtigt gewesen sei, eine
Immobilie in Spanien teilweise in bar zu erwerben, habe man sich im Frühjahr 1999 vor
dem Hintergrund der fortschreitenden Erkrankung der Klägerin durch Multiple Sklerose
dazu entschlossen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln großzügig umzugehen. An
der sonstigen privaten Lebensführung habe sich durch den Besitz der hohen
Bargeldbestände nichts geändert. Die Barbeträge seien vielmehr ausschließlich für
außergewöhnliche Wünsche und Ausgaben verwendet worden. Belege seien dazu
nicht aufbewahrt worden und im Nachhinein auch nicht mehr zu erhalten. Eine
Verletzung der Mitwirkungspflicht liege hierin nicht, weil die Kläger zu Aufzeichnungen
dieser Ausgaben und deren Aufbewahrung nicht verpflichtet seien. Die Zuschätzungen
beruhte auf reinen Vermutungen, seien unverhältnismäßig und führten zu absurden
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Ergebnissen. Es könne nicht sein, dass die Finanzverwaltung bis an das Lebensende
der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen hinzuschätzen könne, obwohl keinerlei
Anhaltspunkte für Konten, aus denen sich solche Einkünfte herleiten ließen, vorhanden
seien.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
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die Bescheide über die Einkommensteuer 1999, 2000 und 2001
sowie die Bescheide über die Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zum 31.12.2000 und zum 31.12.2001 jeweils vom
3.5.2004 bzw. 7.6.2004 und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und wiederholt zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen.
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Die Beteiligten haben sich in dem Erörterungstermin vom 30.3.2007 damit
einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter anstelle des Senats entscheidet und
haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten – auch in 9 V 3375/04 A(E) – und der vom Beklagten vorgelegten
Steuerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht Einkünfte aus
Kapitalvermögen in Höhe von ca. 3 v.H. Guthabenszinsen jährlich hinzugeschätzt. Das
Finanzamt ist im Schätzungswege zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger sein
Bargeldvermögen verzinslich angelegt und damit dem Grunde nach Einkünfte aus
Kapitalvermögen erzielt hat. Diese Schlussfolgerung durfte das Finanzamt ziehen,
obwohl die (verzinsliche) Anlage der Gelder unaufgeklärt geblieben ist, weil diese
Ungewissheit im Sachverhalt allein darauf beruht, dass der Kläger die ihm obliegenden
außergerichtlichen und gerichtlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat.
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Nach § 162 Abs. 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige
über seine Angaben keine ausreichenden Erklärungen zu geben vermag oder weitere
Auskunft verweigert. Eine Schätzung setzt voraus, dass die Besteuerungsgrundlagen
nicht ermittelt oder nicht berechnet werden können (§ 96 Abs.1 Satz 1 2.Halbsatz FGO
i.V.m. § 162 Abs.1 AO). Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liegt insbesondere dann
vor, wenn ein Steuerpflichtiger Tatsachen, die ausschließlich oder überwiegend seiner
Wissenssphäre zugehören, nicht offen legt. In diesem Fall ist keine Entscheidung nach
Beweislastregeln zu treffen. Vielmehr reduziert sich die Ermittlungspflicht der Behörde
und des Gerichtes entsprechend. Besondere Bedeutung kommt in diesem
Zusammenhang dem Gedanken der Beweisnähe zu. In diesen Fällen kann das
Finanzamt von der Existenz bestimmter Tatsachen auch unter Zugrundelegung eines
geringeren als des sonst üblichen Grades an Überzeugung ausgehen (vgl. grundlegend
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BFH-Urteil vom 15.02.1989 X R 16/86, BStBl. II 1989, 462). Die Beweisnähe eines
Steuerpflichtigen für die in seiner Sphäre liegenden steuererheblichen Tatsachen (hier:
Aufbewahrung eines ungewöhnlich hohen Geldbetrages in bar oder Anlage des Geldes
bei einer Bank mit entsprechenden Einkünften) verschiebt die Grenze der zumutbaren
Mitwirkung zu dessen Lasten um so mehr, je persönlicher (personenbezogener),
ungewöhnlicher, verwickelter, schwerer zugänglich, atypischer, undurchsichtiger usw.
die behaupteten Verhältnisse sind (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 3.6.2003, VI 99/1999,
EFG 2003, 1356 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des
Bundesfinanzhofs (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 3.6.2003, VI 99/1999, BFH Beschluss
vom 21.1.2005, VIII B 163/03, BFH/NV 2005, 835 m.w.N.), von der abzuweichen keine
Veranlassung besteht, spricht bereits eine allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass
hohe Geldbeträge, wie hier von mehr als 700.000 DM, wenn sie nicht alsbald benötigt
werden, zinsbringend angelegt werden. Dies allein begründet aber im Allgemeinen
noch keine Schätzungsbefugnis des Finanzamts für den Ansatz von Kapitaleinkünften.
Hinzukommen müssen vielmehr weitere Umstände, die es nahe legen davon
auszugehen, dass derartige Beträge tatsächlich zinsbringend angelegt worden sind.
Gemessen an diesen Anforderungen hat der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt.
Zudem liegen besondere Umstände vor, die es rechtfertigen anzunehmen, dass der
Geldbetrag tatsächlich zur Erzielung von Kapitaleinkünften verwendet wurde. Die Frage,
ob oder inwieweit der Betrag von 732.000 DM zinsbringend angelegt wurde, kann
letztlich nur der Kläger beantworten. Der Kläger hat zur Sachverhaltsaufklärung über
den Verbleib des Geldes wenig beigetragen. Er hat nicht angegeben, wo die Gelder in
seinem Haus aufbewahrt gewesen sein sollen. Auch die Behauptung, das
Geldvermögen im Umfang von 732.000 DM sei zunächst zum Zwecke des Erwerbs
einer Immobilie vorgesehen gewesen und sei dann für Auslandsaufenthalte
ausgegeben worden, genügt nicht zur hinreichenden Erfüllung der Mitwirkungspflicht.
Der Kläger hat keine konkreten und gegebenenfalls nachprüfbaren Tatsachen benannt,
an Hand derer sich seine Behauptungen nachvollziehen lassen. Im konkreten Fall
kommen jedoch noch weitere Umstände hinzu, welche eine entsprechende
Schätzungsbefugnis rechtfertigen. So ist die Verwendung der Geldbeträge nicht
feststellbar. Die Behauptung des Klägers, er habe zunächst beabsichtigt gehabt, mit
einem Teilbetrag des Geldes eine Immobilie im Ausland zu erwerben und er habe
dieses Geld gerade in Bar benötigt, weil der Veräußerer auf einer entsprechenden
Teilleitung bestanden habe, ist durch nichts belegt. Weder hat der Kläger ein
entsprechendes Vertragsangebot noch irgendwelchen Schriftverkehr vorgelegt, aus
dem sich dieser von ihm behauptete Sachverhalt ergibt. Dies erscheint
außergewöhnlich. Auch seine Behauptung, aufgrund der schwerwiegenden Erkrankung
der Klägerin habe man von diesem Geschäft abgesehen und das Bargeld über die
Jahre bei Auslandsaufenthalten ausgegeben, hat der Kläger nicht durch Belege
glaubhaft gemacht. Zwar ist dem Kläger durchaus zuzugeben, dass er nicht verpflichtet
war, entsprechende Unterlagen über Jahre hinweg aufzubewahren. Andererseits spricht
es gegen die Glaubhaftigkeit seiner Behauptung, wenn während der Betriebsprüfung
einerseits alte Unterlagen über gewöhnliche Lebenshaltungskosten gefunden werden,
andererseits aber gerade Belege über solche außergewöhnlichen Auslagen nicht
vorgelegt werden können. Der Kläger macht einen atypischen Geschehensablauf
geltend, der es bei den Umständen des Lebenssachverhalts rechtfertigt, die
Anforderungen an seine Mitwirkungspflicht dahin zu konkretisieren, dass er
nachvollziehbare Angaben über den Verbleib der hohen angeblichen Barmittel macht.
Hinzukommt, dass der Kläger – wie sich aus den umfangreichen Wertpapiergeschäften
in den Streitjahren ergibt – in derartigen Angelegenheiten nicht unerfahren ist. Es
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erscheint zudem widersprüchlich, einerseits für Wertpapiergeschäfte Kredite
aufzunehmen, andererseits aber vorhandenes Barvermögen für eine großzügige
Haushaltsführung zu verwenden.
Der Höhe nach sind die entsprechend der Entscheidung des Senats im Verfahren über
die Aussetzung der Vollziehung 9 V 3375/04 A(E) auf 3 % aus 732.000 DM, mithin
18.000 DM in 1999 (für 10 Monate) sowie in Höhe von jeweils 22.000 DM für 2000 und
2001 nicht zu beanstanden. Ein derartiger Zinssatz entspricht in etwa dem, der in den
Streitjahren im Durchschnitt erzielt worden ist.
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Auch die gegen die Bescheide zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf
den 31.12.2000 und den 31.12.2001 gerichtete Klage hat keinen Erfolg. In diesen
Bescheiden wurden lediglich die negativen und in dem Jahr ihrer Entstehung jeweils
nicht ausgleichsfähigen Verluste aus Spekulationsgeschäften nach § 23 EStG zum
Zwecke der Verrechnung in anderen Zeiträumen nach § 10d Abs. 4 EStG festgestellt.
Die Zuschätzungen der Kapitaleinkünfte haben hierauf keine Auswirkungen.
Einwendungen gegen die Höhe der festgestellten Beträge werden vom Kläger nicht
erhoben und sind auch nach Aktenlage nicht erkennbar.
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