Urteil des FG Düsseldorf vom 29.01.2004

FG Düsseldorf: treu und glauben, wiedereinsetzung in den vorigen stand, erlass, einspruch, echte rückwirkung, steuerfestsetzung, gesetzliche frist, wirtschaftliche einheit, abgabenordnung, stadt

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 7126/02 BG
29.01.2004
Finanzgericht Düsseldorf
11. Senat
Urteil
11 K 7126/02 BG
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Erlass des Bescheides über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes auf den 12.05.1996 für das Grundstück in L-Stadt vom 22.05.2002 die
Festsetzungsverjährung entgegengestanden hat.
Die Eheleute "N" waren Eigentümer zu je 1/2 des bebauten Grundstücks in L-Stadt. Am
12.05.1996 verstarb Frau "N" und wurde von ihrem Ehemann "N" beerbt. Herr "N" verstarb
am 23.12.2000 und wurde von dem Kläger beerbt.
Herr "N" gab am 19.06.1997 eine Erbschaftsteuererklärung ab. Mit Bescheid vom
22.09.1999 setzte die Erbschaftsteuerstelle des Beklagten die Erbschaftsteuer fest. Bei der
Ermittlung des Nachlasswertes berücksichtigte der Beklagte das Grundstück mit einem
Wert von DM. Der Erbschaftsteuerbescheid enthielt den Hinweis, dass sich eine
abweichende Steuerfestsetzung nach Vorliegen des Bescheides über die gesonderte
Feststellung des Grundbesitzwertes ergeben könne (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung -
AO -).
Gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 22.09.1999 legte der Bevollmächtigte des Herrn
"N" fristgerecht Einspruch ein. Den Einspruch begründete er damit, dass die Neuregelung
des Erbschaftsteuergesetzes für Erbfälle in der Zeit vom 01.01. bis 06.11.1996 eine
verfassungswidrige, echte Rückwirkung darstelle.
Der Beklagte setzte mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes
auf den 12.05.1996 vom 25.04.2000 den Grundbesitzwert des Grundstücks in L-Stadt für
Zwecke der Erbschaftsteuer auf DM fest. Herrn "N" wurde der hälftige Anteil in Höhe von
DM zugerechnet. Bei der Berechnung des Grundbesitzwertes berücksichtigte der Beklagte
- wie von Herrn "N" erklärt - die im Zeitraum vom 01.01.1993 bis 31.12.1995 gezahlten
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Jahresmieten (ohne Betriebskosten). Diese Jahresmieten überprüfte der Beklagte an Hand
der Einkommensteuererklärungen der Eheleute "N" für die Jahre 1993 bis 1995. Der
Bescheid war an Herrn "N" adressiert, er ist aber weder ihm noch seinem Steuerberater
bekannt gegeben worden.
Nachdem die Erbschaftsteuerstelle des Beklagten eine Durchschrift des Bescheides über
die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom 25.04.2000 erhalten hatte, änderte
die Erbschaftsteuerstelle den Erbschaftsteuerbescheid vom 22.09.1999 nach § 175 Abs. 1
Nr. 1 AO.
Gegen den geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 30.10.2000 legte der Kläger
fristgerecht Einspruch ein. Eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheides vom 22.09.1999
nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO sei nicht möglich, da der Bescheid über die gesonderte
Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 12.05.1996 (Grundlagenbescheid) nicht
bekannt gegeben worden sei.
Der Beklagte wies den Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 22.09.1999 in
der Form des Änderungsbescheides vom 30.10.2000 mit Einspruchsentscheidung vom
30.11.2000 als unbegründet zurück.
Daraufhin erhob der Prozessbevollmächtigte des Herrn "N" am 28.12.2000 Klage. Der
Kläger führte das Klageverfahren fort, es ist unter dem Az: 4 K 7967/00 Erb beim
Finanzgericht Düsseldorf anhängig.
Mit Schreiben vom 22.01.2001 teilte die Steuerberatungsgesellschaft dem Beklagten die
fehlende Bekanntgabe des Bescheides über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes vom 25.04.2000 mit und bat um Zusendung dieses Bescheides. Der
Bescheid wurde der Steuerberatungsgesellschaft am 25.01.2001 in Kopie zugesendet.
Am 22.05.2002 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes für das Grundstück auf den 12.05.1996, der hinsichtlich der
Besteuerungsgrundlagen inhaltsgleich mit dem Bescheid vom 25.04.2000 ist. Diesen
Bescheid sendete der Beklagte an die Steuerberatergesellschaft als
Empfangsbevollmächtigte für den Kläger, dieser als Erbe nach Herrn "N". Einen Hinweis,
dass die gesonderte Feststellung nur für Steuerfestsetzungen von Bedeutung ist, für die
Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses der gesonderten Feststellung noch nicht
abgelaufen ist, enthielt der Bescheid nicht.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 07.06.2002 Einspruch ein, den er wie folgt
begründete: Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom
22.05.2002 könne keine Bindungswirkung für die Erbschaftsteuer entfalten, da er nach
Ablauf der Festsetzungsfrist (§§ 181, 169 AO) ergangen sei.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.11.2002 als unbegründet
zurückgewiesen. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes
vom 22.05.2002 wurde außerdem durch die Einspruchsentscheidung insoweit ergänzt, als
der Beklagte darauf hinwies, dass die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes
nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist erfolgt sei und für die Steuerfestsetzung
(Erbschaftsteuer) nur insoweit von Bedeutung sei, als für sie die Festsetzungsfrist im
Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen sei.
Der Beklagte begründete die Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet damit, dass
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für den Erbschaftsteuerbescheid als Folgebescheid die Festsetzungsverjährung unstreitig
noch nicht eingetreten sei, da der Erbschaftsteuerbescheid angefochten worden sei und
das Rechtsbehelfsverfahren noch nicht beendet sei. Aus diesem Grund sei der Erlass des
Bescheides über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes als
Grundlagenbescheid gemäß § 181 Abs. 5 AO noch möglich, auch wenn die eigentliche
Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid bereits abgelaufen wäre. Eine Prüfung der
Voraussetzungen des § 169 AO brauche nicht zu erfolgen, da die gesetzliche Regelung
des § 181 Abs. 5 AO gerade diese Funktion des Feststellungsverfahrens für das
Festsetzungsverfahren zum Ausdruck bringe.
Der Kläger hat am 20.12.2002 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, die Vorschrift des § 181 Abs. 5 AO sei im
vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte
Erbschaftsteuerbescheid vom 30.10.2000 sei angefochten worden, da die Änderung
unzulässigerweise, auf Grund eines nicht bekannt gegebenen Grundlagenbescheides, des
Bescheides über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom 25.04.2000,
erfolgt sei. Die fehlende Existenz des Grundlagenbescheides habe zur Folge gehabt, dass
die rechtliche Unwirksamkeit des Grundlagenbescheides im Verfahren gegen den
Folgebescheid geltend gemacht werden musste. Die durch das Rechtsbehelfsverfahren
gegen den Erbschaftsteuerbescheid eingetretene Ablaufhemmung sei also nur deshalb
entstanden, weil ein anfechtbarer Grundlagenbescheid nicht existiert habe. Würde
nunmehr der § 181 Abs. 5 AO zur Anwendung kommen, entstünde ein für den Kläger nicht
hinnehmbarer Zirkelschluss: Der geänderte Folgebescheid habe angefochten werden
müssen, da für dessen Änderung eine Rechtsgrundlage gefehlt habe. Gerade durch die
Anfechtung des Folgebescheides und der dadurch für den Folgebescheid eingetretenen
Ablaufhemmung werde es aber dann dem Beklagten ermöglicht, eine entsprechende
Rechtsgrundlage, nämlich einen Grundlagenbescheid, für die Änderung des
Folgebescheides zu erlassen. Im Ergebnis bedeute dies, dass sich die Feststellungsfrist in
derartigen Fällen ohne sachlichen Grund beliebig verlängern ließe und damit die
Verjährungsfristen die der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienten, unterlaufen
würden. Durch die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO entstünde dem Kläger demnach ein
Nachteil, da ohne die zwingend notwendige Anfechtung des Folgebescheides (wegen dem
Nichtvorhandensein des Grundlagenbescheides) die Festsetzungsverjährung für den
Grundlagenbescheid eingetreten wäre.
Zudem sei bereits mit Einspruch vom 02.11.2000 gegen den geänderten
Erbschaftsteuerbescheid und in der Klagebegründung vom 24.09.2001 gegen die
Einspruchsentscheidung zur Erbschaftsteuer auf die fehlende Bekanntgabe des
Grundlagenbescheides hingewiesen worden. Der Beklagte habe somit hinreichend
Gelegenheit gehabt, innerhalb der Festsetzungsfrist, die erst am 31.12.2001 für den
Grundlagenbescheid geendet habe, einen Grundlagenbescheid zu erlassen. Der fehlende
Erlass des Bescheides trotz hinreichender Gelegenheit sei als Verstoß gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben zu werten. Die gesetzlichen Fristen seien auch vom
Beklagten zu beachten. Aus der Regelung des § 110 AO, nach der eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand nur zu gewähren sei, wenn jemand ohne Verschulden gehindert sei,
eine verfahrensrechtliche oder materiellrechtliche Frist einzuhalten, müsse im
Gegenschluss gefordert werden, dass auch der Beklagte die gesetzlichen Fristen nicht
ohne Verschulden verstreichen lassen dürfe. Ein solches Verschulden sei dem Beklagten
hier jedoch anzulasten.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den
12.05.1996 für die wirtschaftliche Einheit L-Stadt, vom 22.05.2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19.11.2002 aufzuheben,
die Hinzuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären
und
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt der Beklagte vor, weder den gängigen Kommentaren zur
Abgabenordnung noch der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung könne
entnommen werden, dass sich die Anwendbarkeit des § 181 Abs. 5 AO nach dem Grund
für das Hinausschieben der Festsetzungsfrist beim Folgebescheid richte. Dem Einwand
des Klägers, dass sich die Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid beliebig
verlängern ließe, sei entgegen zu halten, dass nicht der Beklagte das Ende der
Festsetzungsfrist für den Folgebescheid hinausgeschoben habe, sondern letztendlich der
Kläger selbst durch die Einlegung des Rechtsbehelfs gegen den Folgebescheid. Ebenso
sei der Zeitpunkt des Erlasses des Grundlagenbescheides unbeachtlich. Das Finanzamt
sei - soweit die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid noch laufe - nicht an gesetzliche
Pflichten für den Erlass des Grundlagenbescheides gebunden. Die Ableitung eines
Verschuldens des Beklagten aus einer analogen Anwendung des § 110 AO könne aus den
Vorschriften der Abgabenordnung nicht entnommen werden.
Das Gericht wies die Prozessbevollmächtigen des Klägers mit Schreiben vom 23.01.2004
darauf hin, dass bei der Ermittlung des Grundbesitzwertes nach § 146 Abs. 2 BewG
unzutreffenderweise als Mietermittlungszeitraum die Zeitspanne vom 01.01.1993 bis
31.12.1995 berücksichtigt worden sei. Nach dem Gesetzeswortlaut sei die im Durchschnitt
der letzten drei Jahre vor dem Besteuerungszeitraum (im vorliegenden Fall: 12.05.1996)
erzielte Jahresmiete bei der Wertberechnung zu berücksichtigen. Der
Mietermittlungszeitraum beginne somit am 12.05.1993 und ende am 11.05.1996. Die
Prozessbevollmächtigten des Klägers wurden deshalb gebeten, mitzuteilen, wie hoch die
erzielten Mieten vom 12.05.1993 bis zum 31.12.1993 sowie vom 01.01.1996 bis
11.06.1996 waren, und dies durch geeignete Unterlagen nachzuweisen. Die Berechnung
und die Unterlagen sollten sie zum Termin mitzubringen oder rechtzeitig vorher dem
Gericht zusenden. Die Prozessbevollmächtigten teilten mit Schreiben vom 28.01.2004 mit,
dass sie gegen den berücksichtigten Mietermittlungszeitraum und die ermittelten
Jahresmieten keine Einwendungen erheben.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat fristgerecht gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes auf den 12.05.1996 Einspruch eingelegt (§§ 347 Abs. 1 Nr. 1, § 355
Abs. 1 Abgabenordnung (AO)). Die gesonderte Feststellung wurde erstmalig mit Bescheid
vom 22.05.2002 bekannt gegeben und innerhalb der Einspruchsfrist von einem Monat (§
355 Abs. 1 AO) angefochten. Eine wirksame Bekanntgabe der gesonderten Feststellung
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des Grundbesitzwertes ist nicht bereits durch die am 25.01.2001 durchgeführte Zusendung
der Kopie des Bescheides vom 25.04.2000 an die Prozessbevollmächtigten erfolgt. Denn
dieser Bescheid ist an den am 23.12.2000 verstorbenen "N" adressiert. Es fehlt somit der
für eine wirksame Bekanntgabe nach dem Tode des "N" erforderliche Zusatz, dass der
Bescheid an den Kläger als Rechtsnachfolger des "N" ergeht.
Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes auf den 12.05.1996 (Grundlagenbescheid) konnte trotz Ablauf der
regelmäßigen Festsetzungsfrist für den Erlass dieses Grundlagenbescheides am
22.05.2002 gem. § 181 Abs. 5 AO rechtmäßig erlassen werden, da die Festsetzungsfrist für
die Erbschaftssteuerfestsetzung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war.
Die Festsetzungsfrist für den Erlass des Grundlagenbescheides war am 22.05.2002 bereits
abgelaufen. Sie begann gem. § 138 Abs. 5 Satz 3 Bewertungsgesetz (BewG) in
Verbindung mit § 181 Abs. 3 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres in dessen Lauf der
Besteuerungszeitpunkt (im vorliegenden Fall: 12.05.1996) fiel und somit am 31.12.1996.
Die Frist betrug gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und endete somit am
31.12.2000.
Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie
geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für die
Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der
gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO außer
Betracht.
§ 181 Abs. 5 AO ist im vorliegenden Fall anwendbar. Gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG
gelten für die Feststellung von Grundbesitzwerten die Vorschriften der Abgabenordnung
über die Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes sinngemäß. Die in § 181 Abs.
5 AO normierte Ablaufhemmung, die für die gesonderte Feststellung von Einheitswerten (§
180 Abs. 1 Nr. 1 AO) gilt, ist somit sinngemäß auch bei der gesonderten Feststellung von
Grundbesitzwerten anwendbar.
Die Festsetzungsfirst für die Erbschaftsteuer, für die die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes von Bedeutung ist, ist noch nicht abgelaufen. Die Festsetzungsfrist
begann nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung im Jahre 1997 am 31.12.1997 (§ 170
Abs. 2 Nr. 1 AO). Die regelmäßige Festsetzungsfrist endete vier Jahre später am
31.12.2001 (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Da gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom
22.09.1999 Einspruch eingelegt worden war und gegen die Einspruchsentscheidung vom
30.11.2000 am 28.12.2000 Klage beim Finanzgericht Düsseldorf (4 K 7967/00 Erb)
erhoben wurde, trat die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO ein. Die Klage ist zur Zeit
noch anhängig, so dass die Festsetzungsfrist bei Erlass des Bescheides über die
gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom 22.05.2002 noch nicht abgelaufen
war. Aus dem Anwendungsbereich des § 181 Abs. 5 AO wird die Ablaufhemmung des §
171 Abs. 3a AO, anders als die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO auch nicht
ausgeschlossen. Der Erlass des Bescheides über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes war somit nach dem eindeutigen Wortlaut des § 181 Abs. 5 AO
zulässig.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 181 Abs. 5 AO.
Die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist niemals Selbstzweck
sondern erfüllt immer eine nur dienende Funktion gegenüber der Steuerfestsetzung. In dem
gesonderten Feststellungsverfahren sollen die Besteuerungsgrundlagen für die
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Steuerfestsetzung ermittelt werden. Zweck der Aufspaltung des Besteuerungsverfahrens in
das Feststellungs- und Festsetzungsverfahren ist sowohl die Verwaltungsvereinfachung
als auch die Vereinheitlichung des Besteuerungsverfahrens. Durch die Einschaltung des
Lagefinanzamtes, das mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist, soll insbesondere eine
einheitliche, die lokalen Verhältnisse gleichmäßig berücksichtigende Bewertungspraxis
ermöglicht und divergierende Ermittlungsergebnisse ausgeschlossen werden (siehe
Tipke/Kruse, AO/FGO Kommentar, Vor § 179 Rd.Nr. 2). Aus dieser dienenden Funktion des
Feststellungsverfahrens folgt, dass die gesetzlich angeordnete eigenständige Feststellung
von Besteuerungsgrundlagen für den Steuerpflichtigen im Verhältnis zu einer
unselbstständigen Feststellung von Besteuerungsverfahren im zu erlassenden
Steuerbescheid weder vorteilhaft noch nachteilig sein darf.
Im vorliegenden Fall würde dem Kläger aus der eigenständigen Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen ein Vorteil entstehen, wenn die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes (Grundlagenbescheid) nach dem 31.12.2000 (Ablauf der regelmäßigen
Festsetzungsfrist) nicht mehr erlassen werden könnte. Denn die materiell richtig ermittelten
Besteuerungsgrundlagen könnten bei der Erbschaftsteuerfestsetzung auf Grund der
Aufspaltung des Besteuerungsverfahrens in ein Feststellungsverfahren und
Festsetzungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Die rechtliche
Verselbstständigung der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen würde zu materiell
unrichtigen Steuerfestsetzungen führen, obwohl die Festsetzungsfrist für die
Erbschaftsteuerfestsetzung noch nicht abgelaufen war. Gerade dies soll § 181 Abs. 5 AO
verhindern. Nach § 181 Abs. 5 AO hat die verfahrensmäßige Verselbstständigung des
Feststellungsverfahrens hinter der materiellen Richtigkeit des Folgebescheides
zurückzutreten, für die noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. BFH-Urteil
vom 12.06.2002 XI R 26/01, BStBl II 2002, 681; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar
zur AO und FGO, § 181 Rd.Nr. 39; Tipke/Kruse, AO/FGO Kommentar, § 181 Rd.Nr. 19).
Dem Kläger entsteht kein Nachteil durch die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO. Zwar
musste er den nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid anfechten,
weil ein Grundlagenbescheid, der eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gerechtfertigt
hätte, nicht wirksam bekannt gegeben worden war. Außerdem ist durch die Anfechtung des
geänderten Erbschaftsteuerbescheides die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO
eingetreten, die einen Erlass des Grundlagenbescheides nach dem 31.12.2001 ermöglicht
hat. Ohne die gesetzlich angeordnete Aufteilung des Verfahrens wären die
Besteuerungsgrundlagen (Grundbesitzwerte) aber bereits beim Erlass des
Erbschaftsteuerbescheides vom 22.09.1999 endgültig ermittelt worden oder vorläufig nach
§ 164 AO festgesetzt worden, mit der Möglichkeit einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO
zum 30.10.2000 (Datum des geänderten Erbschaftsteuerbescheides).
Dem Erlass des Grundlagenbescheides steht auch nicht der Grundsatz von Treu und
Glauben (Verwirkung) entgegen. Denn der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, dass der
Beklagte keinen wirksamen Grundlagenbescheid mehr erlassen würde (vgl. zu den
Voraussetzungen einer Verwirkung BFH-Urteil vom 14.09.1978 IV 89/74, BStBl. II 1979,
121). Der Beklagte ist rechtlich durch § 181 Abs. 5 AO befugt Grundlagenbescheide nach
Ablauf der Festsetzungsfrist zu erlassen, soweit sie für eine Steuerfestsetzung von
Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Aus diesem Grund scheidet auch eine entsprechende Anwendung des § 110 AO aus. Der
Beklagte hat keine gesetzliche Frist (Festsetzungsfrist) zum Erlass des
Grundlagenbescheides versäumt. Der Beklagte war nach § 181 Abs. 5 AO gesetzlich
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berechtigt, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes
unabhängig vom Ablauf der Festsetzungsfrist für den Grundlagenbescheid zu erlassen, da
die Festsetzungsfrist für die Festsetzung der Erbschaftsteuer noch nicht abgelaufen war.
Die Nachholung des nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO erforderlichen Hinweises in der
Einspruchsentscheidung führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides über die
gesonderte Feststellung in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.11.2002 (vgl.
Tipke/Kruse, AO/FGO Kommentar, § 181 Rd.Nr. 22; a.A. Kunz in Beermann, Steuerliches
Verfahrensrecht AO, FGO, Nebengesetze, § 181 AO Rd.Nr. 31). Zwar hat der Hinweis im
Sinne des § 181 Abs. 5 Satz 2 AO nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
keine bloße Begründungsfunktion, sondern ihm kommt Regelungscharakter zu, weil mit
ihm der zeitliche Geltungsbereich der getroffenen Feststellung abweichend von § 182 Abs.
1 AO beschränkt wird und damit rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis eingewirkt
wird (vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1998 II R 45/96, BStBl II 1998, 426). Dies hat zur Folge,
dass der fehlende Hinweis nicht nach erfolgter Nachholung als unbeachtlich im Sinne des
§ 126 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen ist ( vgl. Kunz in Beermann, a. a. O., § 181 AO
Rd.Nr. 31). Gleichwohl ist der Beklagte nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO befugt, im
Einspruchsverfahren die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen und rechtsgestaltende
Schlussfolgerungen aus der Prüfung zu ziehen (z.B. geringere oder höhere
Steuerfestsetzung, erstmalige Hinzufügung eines Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164
Abs. 1 AO). Diese Befugnis des Beklagten wird nur durch § 367 Abs. 2 Satz 2 AO, der
verbösernde Entscheidung erst nach der Gewährung rechtlichen Gehörs erlaubt, begrenzt.
Eine verbösernde Entscheidung liegt im Falle der Nachholung eines Hinweises nach § 181
Abs. 5 Satz 2 AO nicht vor. Denn der Bescheid wird zugunsten des Steuerpflichtigen in
seinem zeitlichen Anwendungsbereich begrenzt. Gegen die Zulässigkeit der Nachholung
des Hinweises in der Einspruchsentscheidung spricht auch nicht die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs, nach der die Nachholung des Hinweises in einem Ergänzungsbescheid
gem. § 179 Abs. 3 AO nicht möglich ist. Denn ein Ergänzungsbescheid kann nur
rechtmäßig erlassen werden, wenn eine notwendige Feststellung im
Feststellungsbescheid unterblieben ist. Der Hinweis nach § 181 Abs. 5 AO ist trotz seines
anerkannten Regelungsgehalts keine notwendige Feststellung im Sinne des § 138 Abs. 5
BewG (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 18.03.1998 II R 45/96, a.a.O.).
Der Hinweis in der Einspruchsentscheidung vom 19.11.2002 enthielt außerdem den nach
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für einen solchen Hinweis erforderlichen Inhalt
(vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1998 II R 45/96, BStBl II 1998, 426). Insbesondere ist der Kläger
ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass der Bescheid nach Ablauf der
Festsetzungsfrist ergangen ist. Zwar hat der Beklagte diese Aussage durch die Gründe der
Einspruchsentscheidung in Frage gestellt, in denen er ausführte: Für den
Erbschaftsteuerbescheid sei die Festsetzungsfrist eindeutig noch nicht abgelaufen, der
Erlass des Grundlagenbescheides sei somit nach § 181 Abs. 5 AO noch möglich gewesen,
auch wenn die eigentliche Festsetzungsfrist für den Grundlagenbescheid abgelaufen wäre.
Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 169 AO brauche daher nicht zu erfolgen. Diese
Ausführungen in der Einspruchsentscheidung stellen aber nur die Begründung des
Verwaltungsaktes dar und haben im Gegensatz zu dem Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2
AO keinen Regelungsgehalt. Eine fehlerhafte Begründung führt nicht zur Rechtswidrigkeit
des gebundenen Verwaltungsaktes. Der Erlass des Bescheides über die gesonderte
Feststellung des Grundbesitzwertes ist - trotz des Wortlauts des § 181 Abs. 5 Satz 1 AO
"kann" - eine Verwaltungsentscheidung, die nicht im Ermessen des Beklagten steht,
sondern vom Beklagten getroffen werden muss (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO Kommentar, §
181 Rd.Nr. 19). Der Beklagte ist gem. § 85 AO verpflichtet die Steuern nach Maßgabe der
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Gesetze gleichmäßig festzusetzen. Das Feststellungsverfahren dient, wie oben bereits
ausgeführt, der Steuerfestsetzung.
Der Grundbesitzwert des bebauten Grundstückes wurde bezüglich des zu Grunde gelegten
Mietermittlungszeitraumes nicht in Übereinstimmung mit den §§ 138 Abs. 3, 146 Abs. 2
Bewertungsgesetz ermittelt. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass
die bisher berücksichtigten Mieten der Wertberechnung zu Grunde gelegt werden. Im
Übrigen bestehen laut Aktenlage keine Bedenken gegen die Wertberechnung. Es wurden
auch keine Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der Wertberechnung sprechen, von den
Beteiligten vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Für den Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für
notwendig zu erklären, war vorliegend kein Raum, da eine Kostenerstattung zu Gunsten
des Klägers nach der Kostengrundentscheidung nicht in Betracht kommt.
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf die vom Bundesfinanzhof
bisher nicht entschiedene Rechtsfrage, ob eine Nachholung des Hinweises nach § 181
Abs. 5 Satz 2 AO in der Einspruchsentscheidung zulässig ist, zuzulassen. Die
Rechtssache hat insoweit grundsätzliche Bedeutung.