Urteil des FG Düsseldorf vom 10.03.2004

FG Düsseldorf (Unternehmen, Erwerb, Abhängigkeitsverhältnis, Tochtergesellschaft, Einspruch, Holding, Wechsel, Rechtsgeschäft, Begriff, Erfüllung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 7 K 6316/02 GE
10.03.2004
Finanzgericht Düsseldorf
7. Senat
Urteil
7 K 6316/02 GE
Der Bescheid über die gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 21.12.2000 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.10.2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
An der "L-AG" - "L"- waren die "L-Holding AG" - "H" zu 87,5 % und die "A-Bank" -"A"- zu
12,5 % beteiligt. Die "L" hielt 100 % der Anteile Grundstücke besitzender GmbHs, sie war
finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in die "H" eingegliedert. Mit Vertrag vom
13.6.1996 wurde die "H" auf die Klägerin verschmolzen unter Fortbestand des
Organschaftsverhältnisses zur "L", die Klägerin wurde Organträgerin und beherrschendes
Unternehmen.
Der Beklagte ( das Finanzamt - FA- ) sah in der Verschmelzung einen Organträgerwechsel
und damit eine grunderwerbsteuerpflichtige Anteilsübertragung und Vereinigung nach § 1
Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 4 Nr. 2 b GrEStG bezüglich der die Grundstücke haltenden
Enkelgesellschaften und erließ am 21.12.2000 einen Bescheid über die gesonderte
Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer. Wegen der
Einzelheiten wird auf den bei den Akten befindlichen Bescheid verwiesen.
Ihren Einspruch begründete die Klägerin damit, ein grunderwerbsteuerlicher Tatbestand sei
nicht verwirklicht worden, sie könne auch nicht Steuerschuldnerin sein. Das FA wies den
Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14.10.2002 unter Hinweis auf die
vorgenannten Vorschriften als unbegründet zurück. Die Schuldnerschaft der Klägerin
begründete sie mit § 13 Nr. 5 b GrEStG, die Inanspruchnahme der Klägerin als
Organträgerin und beherrschendes Unternehmen sei ermessensgerecht.
Die Klägerin hat am 15.11.2002 Klage erhoben.
Sie trägt vor, durch die Verschmelzung der "H" auf die Klägerin sei keine
Anteilsvereinigung verwirklicht worden. Da sich alle Anteile der Grundstücksgesellschaften
sowohl vor wie auch nach der Verschmelzung in der Hand der "L" befunden hätten, sei die
Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 GrEStG ausgeschlossen. Die
Vorschrift setze nämlich voraus, dass sich alle Anteile, die sich vorher in der Hand von
mindestens zwei Rechtsträgern befanden, in der Hand eines Erwerbers oder in der Hand
von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder von abhängigen Unternehmen
vereinigten.
Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG sei nicht verwirklicht.
Ein unmittelbarer Übergang aller Anteile auf den anderen liege nicht vor. Der Grundbesitz
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der Grundstücksgesellschaften sei der "L" zuzurechnen, da diese alle Anteile an diesen
Gesellschaften gehalten habe. Infolge der Verschmelzung seien aber nicht alle Anteile an
der "L" auf die Klägerin übergegangen, sondern nur 87,5 %, so dass kein unmittelbarer
Übergang aller Anteile einer Gesellschaft mit Grundbesitz i.S. von § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG
stattgefunden habe.
Ebenfalls sei ein unmittelbarer Übergang aller Anteile wegen Bestehens eines
Organschaftsverhältnisses zu verneinen ( § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG).
Ob die zwischengeschaltete Gesellschaft abhängiges Unternehmen i.S.v. § 1 Abs. 4 Nr. 2 b
GrEStG sei, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Sie könne auch nicht Steuerschuldnerin sein. Steuerschuldner seien nur diejenigen
Unternehmen des Organkreises, die zusammen - als gemeinsame Hand - alle Anteile an
der Gesellschaft mit Grundbesitz erworben hätten, damit nicht die Klägerin, die keine
Anteile an den Grundstücksgesellschaften erworben habe.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid über die gesonderte Feststellung
der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 21.12.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 14.10.2002 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Es trägt vor, bei einer Anteilsvereinigung in einer Kette sei stets auf das oberste Glied der
Beteiligungskette abzustellen. Die nach wie vor auch noch auf der Ebene der "L-AG"
vorhandene 100 % -ige Beteiligung schließe nicht die nachfolgende Zuordnung der Anteile
an den Enkelgesellschaften auf die Klägerin aus.
Nicht erforderlich sei, dass alle Anteile an der Tochtergesellschaft übergegangen seien,
sondern nur Anteile in Höhe von 87,5 %. Es komme allein auf die Anteile der Grundstücke
haltenden Enkelgesellschaften an, die hier zu 100 % einem neuen Organkreis zugerechnet
würden. Die Fremdanteile ständen dem nicht entgegen, da das Abhängigkeitsverhältnis
nach § 1 Abs. 4 Nr. 2b GrEStG hier den Erwerb aller Anteile ersetze. Es werde kein
Unterscheid gemacht zwischen einer mittelbaren oder durch eine Beherrschung
vermittelten Beteiligung. Für die Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG sei unerheblich, ob
alle Anteile unmittelbar in einer Hand vereinigt würden oder die Vereinigung nur mittelbar
oder mittelbar/unmittelbar erfolge. Für das Vorliegen einer mittelbaren Anteilsvereinigung
im Organkreis sei nur erforderlich, dass die zwischengeschaltete Gesellschaft, hier die "L-
AG", an den die Grundstücke haltenden Gesellschaften zu 100 % beteiligt seien. Der
Organkreis müsse als " eine Hand " im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG gesehen werden. Da
der alte Organkreis nur aus der "H" und der "L" bestanden habe, könne in der
Verschmelzung auf die "N-AG" auch keine nichtsteuerbare Verschiebung von Anteilen im
Organkreis gesehen werden, es handele sich vielmehr um die Übertragung auf einen
neuen Organkreis und somit auf eine andere Hand.
Darüber hinaus werde nach der neuesten BFH-Rechtsprechung eine mittelbare
Anteilsvereinigung auch dann bejaht, wenn eine herrschende Hand zusammen mit einer
abhängigen Gesellschaft eine Gesellschaft beherrsche, die wiederum die Anteile an einer
grundbesitzhaltenden Gesellschaft halte. Trotz der Existenz von Fremdanteilen und der
fehlenden Organschaft seien dem herrschenden Unternehmen die Anteile der Grundbesitz
haltenden Gesellschaft als Unterfall einer mittelbaren Anteilsvereinigung zuzurechnen.
Steuerschuldner seien nach § 13 Nr. 5b GrEStG die Beteiligten an der Anteilsvereinigung.
Dies seien hier die Mitglieder des Organkreises, bestehend aus der Klägerin als
Organträgerin und deren abhängigem Unternehmen, die "L-AG". Soweit nach dieser
Vorschrift mehrere Beteiligte nebeneinander dieselbe Leistung schuldeten, seien sie
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Gesamtschuldner, jeder schulde gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 AO die gesamte Leistung. Das FA
könne dann gegen jeden Gesamtschuldner einen Einzelsteuerbescheid erlassen. Es
entspreche dabei pflichtgemäßem Ermessensgebrauch, hier zunächst die Klägerin als
Beteiligte zur Besteuerung heranzuziehen, da sie als herrschendes Unternehmen die
grundstückshaltende Tochtergesellschaft beherrsche.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO-.
Die Verschmelzung der "H" auf die Klägerin ließ keine Grunderwerbsteuer entstehen.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG (in der seinerzeit geltenden
Fassung) sind nicht erfüllt. Die Vorschrift setzt sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2
tatbestandlich voraus, dass alle Anteile einer Gesellschaft, zu deren Vermögen inländische
Grundstücke gehören, vereinigt werden.
Der Begriff Vereinigung von Anteilen ist im Grunderwerbsteuergesetz nicht definiert. Nach
dem Wortsinn bedeutet "Vereinigung", dass die zu vereinenden Teile vor der Vereinigung
unterschiedlichen Sphären zuzurechnen waren und nunmehr erstmalig zusammengeführt
werden. Waren sie vor dem zu beurteilenden Vorgang bereits vereint, können sie nicht zu
einer Einheit zusammenwachsen.
Im Streitfall wurden die Anteile an den Enkelgesellschaften durch die Verschmelzung
weder mittelbar noch unmittelbar im Organkreis erstmalig vereint. Sowohl vor als auch nach
der Verschmelzung wurden die Anteile an den Grundstücksgesellschaften zu 100 % von
der "L" gehalten. Die Anteile konnten insoweit nicht durch die Verschmelzung
zusammenwachsen, da sie bereits in der "L" vereint waren. Auch die Anteile an der "L"
wurden nicht in der Hand der Klägerin vereint, da diese nach der Verschmelzung nur 87,5
% der Anteile an der "L" hielt.
Eine Auslegung der Norm, die auf das Merkmal der Vereinigung verzichtet, ist mit dem
eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Es ist auch nicht zu ersehen, dass
sie durch den Zweck der Vorschrift geboten ist.
Durch die Verschmelzung der "H" auf die Klägerin wurde auch nicht der Tatbestand des §
1 Abs. § Nr. 3 und 4 GrEStG erfüllt. Nach dieser Vorschriften in der für den Streitfall
maßgebenden Fassung unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den
Übergang aller Anteile der Gesellschaft begründet ( Nr. 3) oder der Übergang aller Anteile
der Gesellschaft auf einen anderen ( Nr. 4 ). Gemeinsames Merkmal beider Alternativen ist
die Übertragung oder der Übergang aller Anteile, also von 100 % der Gesellschaftsanteile.
Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Da die "H" an der "L" nur zu 87,5 % beteiligt war,
führte die Verschmelzung nicht zu einem Übergang aller Anteile, sondern nur zu einem
Übergang in Höhe von 87,5 %. Dies genügt nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht.
Ein Übergang aller Anteile kann auch nicht durch das Bestehen des organschaftlichen
Abhängigkeitsverhältnisses ersetzt werden. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 Nr. 2 b
GrEStG führt ein organschaftliches Verhältnis zur Abhängigkeit der Organtochter. Ob ein
Unternehmen abhängig ist, ist bedeutsam für die Tatbestandsalternativen Nr. 1 und Nr. 2.
Die Vorschrift stellt den Erwerb in Abhängigkeitsverhältnissen dem Erwerb in der Hand -
eines- Erwerbers gleich und knüpft damit an die Abhängigkeit von Unternehmen
Rechtsfolgen. Für die hier zu beurteilenden Tatbestände Nr. 3 und Nr. 4 stellt der
Gesetzgeber nicht, wie bei den beiden anderen Alternativen, auf den Erwerb in einer Hand
ab, sondern auf den Übergang aller Anteile. Der Tatbestand knüpft nicht an die
Vereinigung in einem Organkreis, sondern an eine Übertragung aller bereits in einer Hand
befindlichen Anteile. Steht somit die Übertragung aller Anteile im Vordergrund, besteht
keine Notwendigkeit, eine nicht ausreichende Beteiligung der übertragenen Gesellschaft
an der Grundstücksgesellschaft durch ein Abhängigkeitsverhältnis zu ersetzen.
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Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO. Der Senat hält eine
höchstrichterliche Klärung der Frage für erforderlich, ob der Wechsel des Organträgers
Grunderwerbsteuer auslöst, wenn die Organtochter zu 100 % an grundbesitzhaltenden
Gesellschaften beteiligt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.