Urteil des FG Düsseldorf vom 23.04.2007

FG Düsseldorf: kirchensteuer, steuerfestsetzung, veranlagung, verrechnung, belastung, einspruch, ausgabe, aufwendung, behandlung, rechtsprechungsänderung

Finanzgericht Düsseldorf, 10 K 2439/05 E
Datum:
23.04.2007
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2439/05 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
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I.
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Strittig ist, ob der Beklagte die Steuerfestsetzung für das Streitjahr (2000) nach § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ändern durfte, um eine Erstattung
von Kirchensteuer, die sich aufgrund der erstmaligen Veranlagung zur
Einkommensteuer für das Streitjahr ergeben hatte, sonderausgabenmindernd zu
berücksichtigen.
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Der Kläger erklärte am 30. Dezember 1999 seinen Austritt aus der katholischen Kirche.
Der Beklagte erfasste diese für die sog. Grunddaten relevante Änderung am 1. April
2000. Die Arbeitgeberin des Klägers behielt mangels Änderung der Lohnsteuerkarte zu
den für den Kirchensteuerabzug maßgebenden Merkmalen für das gesamte Streitjahr
Lohnkirchensteuer in Höhe von 11.753 DM ein.
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Der Beklagte setzte u. a. diesen Betrag im erstmaligen Einkommensteuerbescheid für
2000 vom 4. April 2001 als gezahlte Kirchensteuer an. Nach Verrechnung mit im
Streitjahr erstatteter Kirchensteuer für andere Veranlagungszeiträume, nicht jedoch der
für 2000 einbehaltenen Lohnkirchensteuer, gelangten Sonderausgaben i. S. von § 10
Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 11.833 DM zum Abzug.
Der Bescheid wurde - wie ein am 8. November 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 ergangener Änderungsbescheid - bestandskräftig.
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Auf Veranlassung der ehemaligen Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf überprüften
die zu ihrem Bezirk gehörenden Finanzämter - darunter der Beklagte - im Dezember
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die zu ihrem Bezirk gehörenden Finanzämter - darunter der Beklagte - im Dezember
2004, bei welchen Steuerpflichtigen es zur Erstattung von Kirchensteuern gekommen
war, die im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer dieses Jahres hatten
verrechnet werden können. Aufgrund des Ergebnisses dieser Prüfung änderte der
Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für den Kläger und seine Ehefrau für das
Streitjahr durch Bescheid vom 5. Januar 2005 dahin ab, dass er nur noch Kirchensteuer
in Höhe von 80 DM als Sonderausgaben berücksichtigte.
Der Kläger legte dagegen Einspruch ein, mit dem er die Auffassung vertrat, dass eine
Erstattung von Kirchensteuer dann kein rückwirkendes Ereignis für das Zahlungsjahr
darstelle, wenn in diesem Jahr zu keinem Zeitpunkt eine Kirchensteuerpflicht bestanden
habe.
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Der Beklagte wies mit Schreiben vom 29. März 2005 darauf hin, dass es seiner Ansicht
nach für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses nicht auf den Grund für die
Erstattung ankomme. Der Bundesfinanzhof (BFH) differenziere in seinem Urteil vom 7.
Juli 2004 XI R 10/04 (Bundessteuerblatt - BStBl - II 2004, 1058) insoweit nicht. Der
Kläger hielt dem entgegen, dass eine Kirchensteuererstattung nur dann ein
rückwirkendes Ereignis darstellen könne, wenn eine Kirchensteuerpflicht bestanden
habe. Ohne Kirchenmitgliedschaft werde Kirchensteuer zu Unrecht gezahlt. Werde sie
gleichwohl im Einkommensteuerbescheid als Sonderausgabe abgezogen, so sei der
Bescheid insoweit fehlerhaft. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei indes nur
anwendbar, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Steuerfestsetzung durch den Eintritt
des rückwirkenden Ereignisses nachträglich fehlerhaft und damit rechtswidrig werde.
Der Beklagte könne sich für seine Ansicht auch nicht auf das BFH-Urteil vom 26. Juni
1996 X R 73/94 (BStBl II 1996, 646) stützen, weil diese Entscheidung zu einem Fall
ergangen sei, in dem die Kirchenmitgliedschaft zweifelhaft und deshalb
klärungsbedürftig gewesen sei. Bei Erlass des Bescheides vom 5. Januar 2005 sei
zudem nicht beachtet worden, dass eine Änderung der Rechtsprechung des BFH nicht
zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden dürfe (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr.
3 AO 1977).
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Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 als
unbegründet zurück. Er hielt daran fest, dass die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aufgrund der Erstattung der Kirchensteuer im Jahr 2001 gegeben
seien. Dadurch habe sich gezeigt, dass der Kläger durch die im Streitjahr gezahlte
Kirchensteuer nicht endgültig wirtschaftlich belastet sei. Der erstmalige
Einkommensteuerbescheid sei auch nicht fehlerhaft gewesen, weil er, der Beklagte,
durch den Abzug der Lohnkirchensteuer lediglich dem Begehren des Klägers
entsprochen habe. Ihr Ansatz habe weder für den Fall der Rechtsgrundlosigkeit des
Einbehalts noch aufgrund der zu erwartenden Erstattung unterbleiben dürfen. Der
Rechtsgrund sei keine Tatbestandsvoraussetzung für den Abzug. Er sei im Übrigen in
der Eintragung der Kirchenmitgliedschaft auf der Lohnsteuerkarte zu sehen. Die
Erstattung habe erst abgewartet werden müssen. Bis dahin habe in Höhe des strittigen
Betrags von 11.753 DM eine Zahlung vorgelegen.
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Mit seiner Klage hält der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens
im Vorverfahren an seinem Begehren fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Klageschrift und den Schriftsatz vom 25. August 2005 verwiesen.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 5. Januar 2005 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 aufzuheben,
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2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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1. die Klage abzuweisen,
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2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Wegen seines Vorbringens im Klageverfahren wird auf den Schriftsatz vom 1. Juli 2005
Bezug genommen.
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II.
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1. Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid vom 5. Januar 2005
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat in der Kirchensteuererstattung, zu
der es aufgrund der erstmaligen Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau zur
Einkommensteuer für 2000 gekommen ist, zu Recht ein rückwirkendes Ereignis i. S. von
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gesehen.
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Der Beklagte durfte die im Einkommensteuerbescheid vom 8. November 2001
abgezogene Kirchensteuer gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 um die aufgrund
des Einkommensteuerbescheides vom 4. April 2001 erstattete Kirchensteuer in Höhe
von 11.753 DM vermindern.
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Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen,
aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Erstattung von Sonderausgaben i. S.
von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung
des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt, dass nur solche
Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der
Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteil in
BStBl II 1996, 646). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben
erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums
geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden.
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Erstattungen von Sonderausgaben werden zwar aus Praktikabilitätsgründen
üblicherweise im Jahr der Erstattung mit Sonderausgaben der gleichen Art verrechnet,
d. h. bereits im Jahr der Erstattung ausgabenmindernd berücksichtigt. Eine derartige
Verrechnung ist im Streitfall jedoch nicht möglich. Bei einer solchen
Sachverhaltsgestaltung bleibt es dabei, dass es sich bei der Erstattung in vollem
Umfang um ein rückwirkendes Ereignis handelt, das eine Änderung der
Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums gebietet, in dem der erstattete Betrag
gezahlt wurde.
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Für die Beurteilung, ob "Aufwendungen" i. S. von § 10 EStG vorliegen, ist der
Rechtsgrund der Erstattung unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung
nicht endgültig wirtschaftlich belastet, und zwar unabhängig davon, ob Kirchensteuer
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mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer
erstattet wird (BFH-Entscheidungen in BStBl II 1996, 646; vom 5. Mai 2004 XI B 27/04,
BFH/NV 2004, 1365, und in BStBl II 2004, 1058). Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1
Nr. 4 EStG liegen vor, wenn der Steuerpflichtige - sei es auch im Wege des
Lohnkirchensteuerabzugs - Zahlungen an eine steuererhebungsberechtigte
Religionsgemeinschaft leistet. Ob für diese Leistungen ein Rechtsgrund besteht, ist
unbeachtlich. Ob bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 4 EStG) anzusetzende
Besteuerungsgrundlagen vorliegen, hängt - wie bei den für die Ermittlung der Einkünfte
(§ 2 Abs. 2 EStG) maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen - nicht davon ab, ob dafür ein
Rechtsgrund vorhanden ist. Dies ist in § 19 Abs. 1 Satz 2 EStG für Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit ausdrücklich geregelt und ergibt sich allgemein aus § 41 Abs.
1 Satz 1 AO 1977 (vgl. Wüllenkemper, Rückfluss von Aufwendungen im
Einkommensteuerrecht, S. 11 f.). Erst die Erstattung der Sonderausgaben nimmt der
vorangegangenen Zahlung den Charakter der Aufwendung. Bis dahin liegt eine
Ausgabe vor, die die Voraussetzungen des jeweiligen Abzugstatbestands erfüllt. In
diesem Sinne hat der BFH im Urteil in BStBl II 2004, 1058 (a. E.) ausgeführt, dass erst
die "gezahlte" Erstattung von Kirchensteuer die "gezahlte" Kirchensteuer mindert. Der
Senat kann sich deshalb der Auffassung der Kläger nicht anschließen, der erstmalige
Einkommensteuerbescheid vom 4. April 2001 sei insoweit rechtswidrig gewesen, als die
in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesene Kirchensteuer zum Abzug gelangt sei,
und dürfe deshalb nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden.
Die Änderung war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil bereits bei der erstmaligen
Veranlagung Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es zu einer Erstattung der
Lohnkirchensteuer kommen werde (so auch BFH-Urteil in BStBl II 2004, 1058). Erst der
Eintritt des rückwirkenden Ereignisses schafft die Voraussetzungen für eine Änderung
nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, wie die Formulierung "Eintritt" deutlich zeigt.
Hinzu kommt, dass eine Änderung insoweit zu unterbleiben hat, als eine Verrechnung
mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung möglich ist. Dass dies im
Streitfall nicht möglich war, stand im Rechtssinne erst mit Ablauf des Jahres 2001 fest.
Bis dahin hätte der Kläger - z. B. durch erneuten Eintritt in die Kirche - erneut eine
Kirchensteuerpflicht begründen können (vgl. auch Finanzgericht - FG - Münster, Urteil
vom 30. September 2005 4 K 4598/03, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG -
2006, 10).
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a) § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 stand der Änderung nicht entgegen. Nach dieser
Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht
zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die
Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der
bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
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Es kann dahinstehen, ob der BFH seine Rechtsprechung zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 durch das Urteil in BStBl II 2004, 1058 i. S. von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
1977 geändert hat oder ob die steuerliche Behandlung erstatteter, aber im
Erstattungsjahr nicht anrechenbarer Kirchensteuer bis dahin lediglich noch nicht
abschließend geklärt war (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 2006 XI B 168/05,
BFH/NV 2006, 2033), weil er im Urteil in BStBl II 1996, 646 die Frage, ob in Fällen wie
dem Streitfall § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 anzuwenden ist, offengelassen hat
(gegen Rechtsprechungsänderung FG Münster in EFG 2006, 10). Jedenfalls hat der
Beklagte im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 8. November 2001 keine anders
lautende Rechtsprechung des BFH angewandt. Er hat in diesem Bescheid nicht zum
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Ausdruck gebracht, dass er von einer weitergehenden Änderung als nach § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO 1977 deshalb abgesehen habe, weil eine Änderung hinsichtlich des
Kirchensteuerabzugs als Sonderausgabe gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977
nach damaliger Rechtsprechung nicht zulässig gewesen wäre. Der Bescheid vom 4.
April 2001 kann insoweit schon deshalb keinen Vertrauensschutz entfalten, weil es sich
dabei um einen Erst- und nicht um einen Änderungsbescheid handelt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Die OFD Frankfurt am
Main vertritt in ihrer Verfügung vom 6. Juli 2005 - S 2221 - A - 8 St 111.08 (Deutsche
Steuer-Zeitung 2005, 684) die Auffassung, dass eine Änderung des
Sonderausgabenabzugs nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 insoweit
ausgeschlossen ist, als es um Sonderausgaben geht, deren Erstattung absehbar war,
weil es insoweit von vornherein an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung gefehlt
habe, diese mithin nicht erst durch ein rückwirkendes Ereignis, nämlich die Erstattung,
entfallen konnte. Heger (juris PR-Steuer 32/2004 Anm. 3) hat sich dieser Beurteilung
angeschlossen. Der Senat hält es deshalb für geboten, dem Kläger Gelegenheit zu
geben, eine Klärung dieser Frage durch den BFH herbeizuführen.
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