Urteil des FG Düsseldorf vom 20.07.2004

FG Düsseldorf: vollziehung, buchführung, aussetzung, registrierkasse, anteil, prüfer, mangel, bekanntgabe, gastwirtschaft, abgabenordnung

Finanzgericht Düsseldorf, 18 V 2853/04 A (E,U)
Datum:
20.07.2004
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 V 2853/04 A (E,U)
Tenor:
1. Auf den Antrag der Antragsteller wird die Vollziehung der
Einkommensteueränderungsbescheide 1999 bis 2001 vom 8. März 2004
insoweit bis einen Monat nach Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung ausgesetzt, als die Änderung auf den
Hinzuschätzungen aufgrund der Nachkalkulation nach Textziffer 2.3 des
Betriebsprüfungsberichts vom 17. Februar 2004 beruht. Die Berechnung
der auszusetzenden Steuer wird dem Antragsgegner übertragen.
2. Auf den Antrag des Antragstellers wird die Vollziehung der
Umsatzsteueränderungsbescheide 1999 bis 2001 vom 8. März 2004
insoweit bis einen Monat nach Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung ausgesetzt, als die Änderung auf den
Hinzuschätzungen aufgrund der Nachkalkulation nach Textziffer 2.3 des
Betriebsprüfungsberichts vom 17. Februar 2004 beruht. Die Berechnung
der auszusetzenden Steuer wird dem Antragsgegner übertragen.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der
Umsatzsteueränderungsbescheide 1999 bis 2001 vom 8. März 2004
wird abgelehnt.
4. Die Gerichtskosten tragen die Antragstellerin zu 22% und der
Antragsgegner zu 78%. Die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers trägt der Antragsgegner. Die außergerichtlichen Kosten
der Antragstellerin trägt der Antragsgegner zu 56%. Die übrigen Kosten
werden nicht erstattet.
G r ü n d e:
1
I.
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Die Antragsteller (Ast.) wenden sich gegen Hinzuschätzungen aufgrund einer
Nachkalkulation. Sie werden in den Streitjahren 1999 bis 2001 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Ast. betreibt eine griechische Gastwirtschaft mit zwei
Kegelbahnen. Er ermittelt den Jahresüberschuss durch Betriebsvermögensvergleich
und verfügt nach den Feststellungen der Betriebsprüfung über eine Registrierkasse der
Marke Serd vom Typ ECR 900. Der Ast. bewahrte Belege über Barausgaben und die
Tagesendsummenbons der Registrierkasse, nicht aber die Registrierkassenstreifen auf.
Er listete die Tageseinnahmen anhand der Tagesendsummenbons einmal monatlich
auf. Die Einnahmen wurden vom Steuerberater des Ast. für die Jahre 1999 und 2000 in
einer Monatssumme und im Jahre 2001 täglich erfasst.
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Im Rahmen einer Außenprüfung für Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1999 bis
2001 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Kassenbuchführung nicht
ordnungsgemäß sei, weil die Tagesendsummenbons nicht fortlaufend nummeriert
gewesen seien, und nahm eine Nachkalkulation wie folgt vor: Zunächst ermittelte er
exemplarisch anhand von Warengruppenberichten der Registrierkasse den Anteil der
Getränkeumsätze am Gesamtumsatz. Es ergab sich ein Anteil von 40%, der auf
Getränke entfiel, und von 60% für Speisen. Der Anteil der Getränke lag nach den
Feststellungen des Prüfers insoweit zwar über dem bei Speisegaststätten üblichen
Anteil von 30%, diese Abweichung war aber nach Ansicht des Prüfers damit zu erklären,
dass der Ast. zwei Kegelbahnen betreibt.
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Der Prüfer ermittelte dann durch eine Aufschlags- und Ausbeutekalkulation den
Rohgewinnaufschlagsatz bei den verschiedenen Getränkesorten und den
(kalkulatorischen) Getränkeumsatz. Den Speisenumsatz errechnete er sodann auf der
Grundlage des Verhältnis von Getränke- und Speisenumsatz (40/60). Der sich danach
ergebende Aufschlagsatz für die Speisen lag nach den Feststellungen des Prüfers
erheblich über dem üblichen Satz, so dass der Prüfer annahm, dass der Ast. den
Wareneinkauf bzw. Wareneinsatz nicht vollständig erfasst haben könne. Er errechnete
den kalkulatorischen Wareneinsatz für die Speisen deshalb unter Ansatz eines
Aufschlagsatzes von 230%. Bei dieser Berechnung ergaben sich folgende
Mehrergebnisse (in DM):
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Jahr Gewinn vor BP
Mehrgewinn
Mehrergebnis Umsatzsteuer
1999 55.626,00
61.462,52
9.078,21
2000 40.005,00
55.536,00
10.161,14
2001 49.086,00
17.167,70
3.616,74
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Wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 2.3 sowie die Anlagen 1 bis 7 des
Betriebsprüfungsberichts vom 17. Februar 2004 Bezug genommen. Bei der
Schlussbesprechung wurde keine Einigung hinsichtlich der Hinzuschätzungen aufgrund
der Nachkalkulation erzielt; die übrigen Punkte sind – soweit ersichtlich – unstreitig.
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Das Finanzamt veranlagte die Ast. zunächst erklärungsgemäß zur Einkommensteuer
1999 bis 2001; die Bescheide für 2000 und 2001 standen unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung. Entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung änderte der
Antragsgegner – das Finanzamt – die alleine an beide Eheleute adressierten
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Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2001 und die an den Ast. adressierten
Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001. Die Änderung wurde hinsichtlich des
Einkommensteuerbescheides 1999 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO),
hinsichtlich der übrigen Bescheide auf § 164 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) gestützt.
Gegen die Änderungsbescheide erhoben beide Ast. Einspruch, über den bislang nicht
entschieden ist. Das Finanzamt lehnte die Aussetzung der Vollziehung der
Änderungsbescheide ab. Die Ast. haben unter dem Aktenzeichen 18 K 2794/04 E,U
Klage erhoben und beantragen bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung der
Änderungsbescheide. Sie wenden sich gegen die Zuschätzungen aufgrund der
Nachkalkulation. Der Ast. betreibe die Gastwirtschaft als Kleinstbetrieb. Die
Antragstellerin koche, der Ast. erledige alle anderen Aufgaben. Gelegentlich würden
Tochter und Sohn aushelfen. Es gebe zwar keine Barkasse im klassischen Sinne, die
Einnahmen würden aber zeitnah auf das Bankkonto eingezahlt und nur ein
Wechselgeldbestand zurückbehalten. In der Buchhaltung werde ein Kassenkonto
geführt. Sämtliche Geschäftsvorfälle, einschließlich Barausgaben, Barentnahmen und
Einlagen seien aufgezeichnet worden. Barauslagen würden im Übrigen aus "eigener
Tasche" bestritten. Daraus folge nicht, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei.
Der Ast. habe die Umsätze mit der Kellnertaste 1 erfasst, die Bons seien daher mit den
"Z-Bons" identisch. Die Behauptung, die vorgelegten Belege seien unvollständig, sei
frei erfunden und durch nichts bewiesen. Es könne nicht sein, dass einzelne
Beanstandungen hochgespielt würden, die lediglich Petitessen darstellten.
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Die Ast. wenden sich auch gegen die Methode der Nachkalkulation. Die Unterstellung,
dass sich aufgrund der Kalkulation ergebenden Differenzen auf Schwarzgeschäfte
zurückzuführen seien, sei durch nichts belegt.
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Die Ast. beantragen sinngemäß,
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die Vollziehung der angefochtenen Änderungsbescheide zur Einkommensteuer
und Umsatzsteuer 1999 bis 2001 insoweit auszusetzen, als sie auf den
Hinzuschätzungen aufgrund der Nachkalkulation beruhen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Das Finanzamt hält die Buchführung für nicht ordnungsgemäß, weil der Ast. weder
Kassenbücher noch Kassenkonten geführt, Inventuren nicht durchgeführt, keine
Barausgaben und keine Barentnahmen aus den Entnahmen und Einlagen
aufgezeichnet und die Tagesendsummenbons der Registrierkasse nicht fortlaufend
nummeriert habe, so dass die Vollständigkeit der Endsummen und damit der
Tageseinnahmen nicht gewährleistet sei.
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II.
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1. Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der an ihren Ehemann
adressierten Umsatzsteueränderungsbescheide ist unzulässig, da sie durch sie nicht
beschwert ist (entsprechend § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
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2. Der Antrag der Ast. ist im Übrigen zulässig und begründet. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m.
Abs. 2 S. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen.
Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden
Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten,
die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder
Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Erfolg braucht dabei nicht
wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung –
Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rn. 89).
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Im Rahmen der summarischen Prüfung kann der Senat nicht abschließend entscheiden,
ob das Finanzamt zu Recht Umsätze in dem streitigen Umfang hinzugeschätzt hat.
Gem. § 162 Abs. 2 S. 2 AO sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn die
Buchführung und Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen nicht der Besteuerung
zugrunde gelegt werden können. Gem. § 158 AO sind die Buchführung und die
Aufzeichnungen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der
Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein
Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Entscheidend ist insofern
insb., dass sämtliche Geschäftsvorfälle laufend, vollständig und richtig erfasst werden (§
146 Abs. 1 AO).
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a) Das Finanzamt stützt die Hinzuschätzung im Wesentlichen auf den Gesichtspunkt,
dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist, weil der Ast. nur die
Kassenendsummenbons ohne Aufdruck des Nullstellenzählers ("Z-Zählers"), nicht aber
die Registrierkassenstreifen aufbewahrt habe. Auch wenn der Ast. vorträgt, er habe die
Bons mit dem "Kellnerschlüssel 1" gefertigt, so geht der Senat davon aus, dass die
Kassenendsummenbons tatsächlich nicht den Stand des Nullstellenzählers aufweisen,
wie von der Betriebsprüfung festgestellt worden ist. Gem. § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO müssen
buchführungspflichtige Steuerpflichtige die Buchungsbelege aufbewahren. Der Senat
hat insofern keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Finanzamtes, dass dazu
grundsätzlich auch die Registrierkassenstreifen gehören, wenn ein Steuerpflichtiger
eine solche Registrierkasse verwendet. Zutreffend dürfte auch sein, dass auf die
Aufbewahrung der Registrierkassenstreifen nur dann verzichtet werden kann, wenn die
Tagesendsummenbons den Nullsummenzähler ("Z-Zähler") ausweisen (BMF-
Schreiben vom 9. Januar 1996, BStBl. I 1996, 34 Tz. 3), damit kontrolliert werden kann,
ob die Aufzeichnungen vollständig sind.
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Nicht jeder formelle Mangel der Aufzeichnungen führt dazu, dass die Buchführung
insgesamt als formell ordnungswidrig im Sinne des § 162 Abs. 2 S. 2 AO zu bewerten
wäre (Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rn. 13; Thesling, StBP 1996, 141 145). Im
Rahmen der summarischen Prüfung geht der Senat jedoch davon aus, dass das Fehlen
von Kassenstreifen bzw. Endsummenbons mit Aufdruck des Z-Zählers jedenfalls dann
ein wesentlicher Mangel der Aufzeichnungen ist, wenn die Bargeschäfte – wie im
Streitfall – einen erheblichen Teil der Geschäftsvorfälle ausmachen und sich die
Vollständigkeit der Aufzeichnungen nicht anderweitig überprüfen oder belegen lässt.
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b) Ernstliche Zweifel an der Zuschätzung bestehen aber insoweit, als das Finanzamt
unter Anwendung der sogenannten "30/70"-Methode ganz erhebliche Zuschätzungen
vorgenommen hat, die sich nur damit erklären lassen, dass der Ast. in großem Umfang
Schwarzgeschäfte getätigt haben müsste. Abgesehen von dem Fehlen des Z-Zählers
auf den Kassenendsummenbons fehlen weitere Indizien für Schwarzgeschäfte in
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diesem Umfang. Da es sich zudem um eine vergleichsweise neue Schätzungsmethode
handelt, fehlt es bislang an Erfahrungswerten und Rechtsprechung im Hinblick auf ihre
Zuverlässigkeit. Dies gilt insb. auch hinsichtlich der zentralen Annahme dieser Methode,
dass sich bei Gaststätten die Umsätze mit Speisen ohne Weiteres anhand eines
bestimmten Verhältnisses aus den kalkulierten Getränkeumsätzen "hochrechnen"
ließen. Im summarischen Verfahren kann der Senat deshalb nicht abschließend darüber
entscheiden, ob die Zuschätzung der Höhe nach gerechtfertigt ist oder nicht. Da auch
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, in welchem Umfang eine Zuschätzung auf
jeden Fall gerechtfertigt erscheint, hält der Senat die Aussetzung der gesamten Beträge,
die sich aus der Nachkalkulation ergeben, für geboten; darin darf jedoch keine
Vorprägung der Entscheidung im Hauptsacheverfahren gesehen werden.
3. Nach Aktenlage ist eine Gefährdung der Steueransprüche nicht ersichtlich. Die
Aussetzung erfolgt daher ohne Sicherheitsleistung.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1 und 5, 136 Abs. 1 S. 1 FGO.
Gründe für die Zulassung der Beschwerde (§§ 128 Abs. 3 S. 2, 115 Abs. 2 FGO) sind
nicht ersichtlich.
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