Urteil des FG Düsseldorf vom 25.01.2007

FG Düsseldorf: stadt, verbindlichkeit, anzahlung, dauerschuld, auflösende bedingung, kaufpreis, anlagevermögen, grundstückserwerb, verfügung, hinzurechnung

Finanzgericht Düsseldorf, 15 K 421/05 G
Datum:
25.01.2007
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 421/05 G
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d:
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Die Beteiligten streiten über die Vornahme einer Hinzurechnung in Höhe von
2.845.417,00 DM zum Gewerbekapital der Jahre 1995 und 1996 nach § 12 Abs. 2 Nr. 1
Gewerbesteuergesetz - GewStG -.
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Die Klägerin ist eine GmbH und zu 100% im Besitz der Stadt "S-Stadt". Die Klägerin
erwarb im Jahr 1990 das Eigentum an dem Grundstück "B-Str. 1 und 2" in "S-Stadt". Der
Kaufpreis betrug 4.414.950,80 DM. Das Grundstück wurde in der Bilanz der Klägerin im
Anlagevermögen erfasst. Im Rahmen der Bewertung des Einheitswerts des
Betriebsvermögens wurde es als Betriebsgrundstück eingeordnet. Der Erwerb erfolgte
allein im Interesse des Alleingesellschafters der GmbH (der Stadt "S-Stadt"), die zu
diesem Zeitpunkt für die dort befindlichen Grundstücke eine neue Bebauungsplanung
durchführte und ein Umlegungsverfahren beabsichtigte. Am 05.02.1991 schloss die
Klägerin mit der Stadt eine Vereinbarung. Nach dieser verpflichtete sich die Klägerin,
das Grundstück zu einem von der Stadt vorgegebenen Zeitpunkt an einen von der Stadt
zu benennenden Bewerber zu veräußern. Die Klägerin war aber auch berechtigt, das
Grundstück in Abstimmung mit der Stadt selbst zu nutzen oder das Grundstück mit
Zustimmung der Stadt in eigener Regie zu veräußern. Sollte für das Grundstück von der
Stadt kein Erwerber benannt werden, verpflichtete sich die Stadt zur Übernahme des
Grundstücks und zur Freistellung der Klägerin von den Kosten und
Vermögenseinbußen, die der Klägerin in Zusammenhang mit dem Grundstücksgeschäft
entstanden waren. Die Klägerin sollte so gestellt werden, wie sie gestanden hätte, wenn
sie das Grundstück nie erworben hätte. Dies sollte auch für den Fall gelten, dass die
Klägerin das Grundstück nicht zum Einstandspreis veräußern konnte, sofern die
Klägerin es nicht selbst nutzte. Die Verpflichtung der Stadt zur Übernahme des
Grundstücks bzw. zur Freistellung der Klägerin von allen Verlusten und
Vermögenseinbußen sollte spätestens zwei Jahre nach Durchführung des
Umlegungsverfahrens zu erfüllen sein. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die in der
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FG-Akte (Bl. 29 u. 30 d. FG-Akte) enthaltene Urkunde verwiesen.
In der Folgezeit leistete die Stadt "S-Stadt" folgende Zahlungen an die Klägerin:
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14.05.1993
432.220,00 DM
17.10.1994
3.250.000,00 DM
29.12.1994
2.008.613,00 DM
Gesamt
5.690.833,00 DM
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Die Klägerin erfasste die erhaltenen Zahlungen in ihrer Handelsbilanz unter dem
Passivposten "erhaltene Anzahlungen" mit 5.690.833,37 DM. In den Erläuterungen zur
Bilanz führte sie jeweils aus: "Die Anzahlungen enthalten unverändert Zahlungen der
Stadt "S-Stadt" über 5.690.833,37 DM für die Grundstücke "B-Str. 1 und 2". Die Beträge
umfassen die Kaufpreise für die Grundstücke zuzüglich Nebenkosten,
Grunderwerbsteuer sowie Zinsen bis einschließlich Juni 1993. Die Grundstücke sollen
im Zusammenhang mit der "Stadthofbebauung" an Investoren veräußert werden, wobei
die dann erzielten Veräußerungserlöse gegen die Zahlungen der Stadt aufgerechnet
werden. Inzwischen sind diese Grundstücke in einem rechtskräftigen Umlageverfahren
neu geordnet worden. Zum 31.12.1995 waren die Stadtwerke sowohl rechtlich als auch
wirtschaftlicher Eigentümer der Grundstücke." Auch im Rahmen der Feststellung der
Einheitswerte für das Betriebsvermögen berücksichtigte die Klägerin die erhaltenen
Zahlungen als Schuldposten und wurde entsprechend veranlagt.
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Im Jahr 1996 veräußerte die Klägerin das Grundstück zu einem Kaufpreis von
3.124.000,00 DM. In diesem Zusammenhang wurden die Anzahlungen der Stadt mit der
Kaufpreisforderung von 3.124.000,00 DM, dem Veräußerungsverlust von 1.290.950,00
DM und dem Zinsaufwand der Klägerin i.H.v. 1.275.883,00 DM verrechnet.
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In ihren für die Jahre 1995 und 1996 eingereichten Gewerbesteuererklärungen erklärte
die Klägerin Hinzurechnungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG i.H.v. 40.416.628,00 DM
(1995) (Zeile 57, Kz. 24.23, fälschlich in Zeile 58 Kz. 24.25 eingetragen) und
121.326.356,00 DM (1996) (Zeile 57, Kz. 24.25). Die Veranlagung erfolgte hinsichtlich
des Gewerbekapitals mit Bescheiden vom 15.10.1996 und 14.10.1997
erklärungsgemäß. Bei der Klägerin fand anschließend für die Streitjahre eine
Betriebsprüfung durch das (damalige) Finanzamt für Großbetriebsprüfung "T-Stadt" statt.
Hinsichtlich der einzelnen Prüfungsfeststellungen wird auf die Handakte sowie den
Bericht des Betriebsprüfers vom 07.07.1998 (PrÜbNr. "001", Tz. 26 "Dauerschulden")
verwiesen. Der Beklagte erließ in der Folge der Betriebsprüfung am 10.11.1999 und
16.11.1999 für die Jahre 1995 und 1996 geänderte Bescheide über den einheitlichen
Gewerbesteuermessbetrag. Er rechnete für die beiden Jahre Dauerschulden i.H.v.
2.845.417,00 DM (1/2 von 5.690.833,00 DM) nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG hinzu.
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Die von der Klägerin gegen die geänderten Gewerbesteuermessbescheide eingelegten
Einsprüche blieben erfolglos. In den Gründen der Einspruchsentscheidung führte der
Beklagte aus, dass die Vorauszahlungen der Stadt eine Darlehensgewährung an die
Klägerin darstellten. Überdies sei in der Überlassung von Grundstück und
Vorauszahlungen eine dauerhafte Stärkung des Betriebsvermögens zu erblicken, da ein
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Zeitraum von 12 Monaten überschritten werde. Eine Zurechnung als Dauerschuld sei
gerechtfertigt, zumal durch die Zahlungen der Stadt kein bereits im Zeitpunkt der
Zahlung entstandener und fälliger Anspruch befriedigt worden sei. Im Zeitpunkt der
Vorauszahlungen habe noch nicht festgestanden, ob das Grundstück mit Gewinn oder
Verlust veräußert oder mangels Käufer auf die Stadt übertragen werden würde. Daher
könnten darin keine Anzahlungen auf einen Grundstückserwerb oder eine
Forderungsabtretung gesehen werden. Die Zahlungen beträfen allein einen Anspruch
gegen die Stadt "S-Stadt", der erst in 1996 mit der Veräußerung fällig geworden sei. Die
Zahlungen stellten daher eher eine Zwischenfinanzierung für einen möglichen
zukünftigen Veräußerungserlös von dritter Seite als eine Anzahlung dar. Hinsichtlich der
weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.01.2005 verwiesen.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage ist die Klägerin der Auffassung, die von der Stadt
"S-Stadt" in 1993 und 1994 an die Klägerin geleisteten Zahlungen i.H.v. insgesamt
5.690.833,37 DM unterfielen nicht der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Es fehle
bereits an einer Verbindlichkeit der Klägerin. Bei den Zahlungen der Stadt handele es
sich um Anzahlungen auf den Kaufpreis für das rückzuerwerbende Grundstück bzw. den
Förderungskaufpreis. Dementsprechend seien sie auch in den Jahresabschlüssen als
erhaltene Anzahlung ausgewiesen worden. Überdies liege auch keine Verbindlichkeit
vor, die der Verstärkung des dauernd dem Betrieb gewidmeten Kapitals diene. Die
Langfristigkeit einer Schuld mache aus einer laufenden Verbindlichkeit noch keine
Dauerschuld, solange ihre Laufzeit für diesen Geschäftsvorgang typisch sei. So habe
der Bundesfinanzhof für eine Vorauszahlung, die ein Energieversorgungsunternehmen
für Stromlieferungen aus einem noch zu errichtenden Kraftwerk erhalten habe,
entschieden, dass keine Dauerschuld vorliege, wenn sich die Vorauszahlung nach den
Investitionskosten des Kraftwerks bemesse, sie zu deren Finanzierung diene und
mehrere Jahre vor der Stromlieferung geleistet werde. Ob ein Zeitraum von vorliegend
rund drei Jahren der Verbindlichkeit den Charakter einer Dauerschuld verleihe, richte
sich nach der Qualität der zu Grunde liegenden Vereinbarung. Aus der Vereinbarung
vom 05.02.1991 gehe hervor, dass das Grundstück im Rahmen des städtischen
Umlegungsverfahrens - gewissermaßen als Vorbereitungsphase für die geplante
Veräußerung an einen Dritten - bei der Klägerin geparkt werden sollte. Dies sei allein im
städtischen Interesse geschehen. Die Veräußerung sei zeitlich beschränkt auf 2 Jahre
nach rechtskräftiger Zuteilung des Grundstückes aus dem Umlegungsverfahren
gewesen. Der enge Zusammenhang zwischen Verbindlichkeit und Grundstücksgeschäft
sei bis zur Tilgung der Verbindlichkeit gewahrt geblieben. Der zwischen der Stadt und
der Klägerin abgeschlossene Vertrag sei vereinbarungsgemäß erfüllt worden. Des
Weiteren knüpfe die Vereinbarung in zeitlicher Hinsicht zunächst an den Abschluss des
öffentlichen Umlageverfahrens an. Auch die anschließende Umsetzungsfrist von 2
Jahren erscheine im Hinblick auf das Veräußerungsvorhaben angemessen. Daher sei
im Rahmen der typisierenden Betrachtungsweise die Üblichkeit gewahrt. Eine
Behandlung als Dauerschuld scheide damit aus. Zudem vermögen auch die vom
Beklagten in der Einspruchsentscheidung vorgetragenen Argumente nicht zu
überzeugen. Der 12-Monatszeitraum als Kriterium für eine Dauerschuld werde aus BFH-
Urteilen abgeleitet, bei denen die Verbindlichkeiten der Finanzierung des Erwerbs von
Anlagevermögen dienten. Vorliegend dienten die Zahlungen der Stadt aber nicht der
Finanzierung des Grundstückserwerbs, sondern stellten Gegenleistungen für den
Grundstücks- bzw. Forderungserwerb der Stadt dar. Ob auch für diesen Fall ein
Überschreiten des 12-Monatszeitraums die Verbindlichkeit zur Dauerschuld qualifiziere,
dürfe ernsthaft bezweifelt werden. Dass im Zeitpunkt der Vorauszahlungen noch nicht
festgestanden habe, ob es sich um eine Anzahlung auf einen Grundstücks- oder
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Forderungserwerb gehandelt habe, sei unmaßgeblich. Es handele sich in beiden Fällen
um eine auf Geld gerichtete Forderung der Klägerin gegenüber der Stadt, deren
ungefähre Größenordnung bekannt gewesen sei. Überdies verkenne der Beklagte, dass
das Gewerbekapital der Klägerin durch das Grundstück und die Geldzahlungen nicht
doppelt gestärkt worden sei. Zum einen schieden Betriebsgrundstücke aus dem
Gewerbekapital gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG per se aus. Zum anderen habe das
betreffende Grundstück auch in tatsächlicher Hinsicht das Gewerbekapital mangels
Nutzung durch die Klägerin zu keinem Zeitpunkt gestärkt. Schließlich bestünden Zweifel
an der Rechtsauffassung des Beklagten, wenn behauptet werde, dass der
Zahlungsanspruch erst in 1996 entstanden und fällig geworden sei. Aus Punkt 5 der
Vereinbarung vom 05.02.1991 lasse sich entnehmen, dass die Zahlungsverpflichtung
spätestens zwei Jahre nach rechtskräftiger Zuteilung zu erfüllen sei. Daraus könne der
Schluss gezogen werden, dass der Zahlungsanspruch vorher zwar noch nicht fällig,
gleichwohl aber entstanden sei. Vor diesem Hintergrund ließe sich auch die Auffassung
vertreten, dass es sich nicht um Vorauszahlungen auf einen künftigen, sondern um
Teilzahlungen auf einen dem Grunde nach bestehenden Anspruch handele. Die
Rechtsauffassung des Beklagten, ein Rechtsgrund für die Zahlungen der Stadt "S-
Stadt" in 1993 und 1994 i.H.v. insgesamt 5.690.833,00 DM sei im Zeitpunkt der
Zahlungen nicht erkennbar gewesen, gehe zudem fehl. Gemäß Punkt 5 der
Vereinbarung vom 05.02.1991 sei die Stadt angehalten gewesen, den Verpflichtungen
nach Punkt 4 "spätestens" zwei Jahre nach rechtskräftiger Zuteilung der Grundstücke
aus dem Umlegungsverfahren nachzukommen. Unter Punkt 4 sei die Verpflichtung zur
Schadloshaltung sowohl für den Fall eines Rückerwerbs durch die Stadt "S-Stadt" als
auch für den Fall einer unterpreisigen Veräußerung geregelt. Eine Ausnahme habe
lediglich bei Selbstnutzung des Grundstücks gegolten. Da die erste Zahlung der Stadt
"S-Stadt" in 1993 und damit drei Jahre nach dem Erwerb des Grundstücks erfolgt sei,
könne auf Grund des Umstandes, dass die Klägerin bis dato von einer
Grundstücksnutzung keinen Gebrauch gemacht habe, der Schluss gezogen werden,
dass sich dies auch in Zukunft nicht ändern werde. Die Formulierung "spätestens" stelle
klar, dass die Zahlungsverpflichtung dem Grunde nach bereits mit Abschluss der
Vereinbarung vom 05.02.1991 entstanden sei, so dass ein Rechtsgrund für die 1993
und 1994 geleisteten Zahlungen gegeben gewesen sei. Eine nachfolgende
Grundstücknutzung durch die Klägerin könne daher nur als eine auflösende Bedingung
für die Verpflichtung zur Schadloshaltung ausgelegt werden. Gleiches gelte für den
angesichts eines Zinsaufwandes der Klägerin von 1.275.883,00 DM sehr theoretischen
Fall einer Weiterveräußerung des Grundstücks mit Gewinn. Eine Wertung der
Zahlungen als Anzahlung für den Grundstückserwerb scheide auch nicht deshalb aus,
weil der Erwerb durch die Klägerin im Zeitpunkt der Zahlungen bereits abgeschlossen
gewesen sei. Offenbar würden hier Grundstückserwerb und Grundstücksrückerwerb
miteinander verwechselt. Es gehe vorliegend um Anzahlungen auf einen aus ex-ante-
Sicht möglichen Rückerwerb des Grundstücks durch die Stadt "S-Stadt". Die von der
Stadt "S-Stadt" getätigten Zahlungen orientierten sich zudem gerade an den
Anschaffungskosten hinsichtlich des möglichen Grundstückserwerbs von der Klägerin
zzgl. Ausgleich des Zinsaufwandes und hinsichtlich des andererseits realisierten
Kaufpreises zzgl. Nachteilsausgleich. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen den
in 1993 und 1994 geleisteten Zahlungen und der nachfolgenden
Grundstücksveräußerung in 1996 sei gewahrt. Es sei unerheblich, ob es sich bei dem
erwarteten Erlös um einen Grundstückskaufpreis, einen Forderungskaufpreis, einen
Schadenersatz oder gar um eine Kombination dieser Ansprüche handele. Sämtliche
Ansprüche seien auf Geldzahlung gerichtet gewesen. Sämtliche Ansprüche seien im
Zeitpunkt der Zahlung erfüllbar gewesen. Die Alternativität des Rechtsgrundes sei
dagegen eine Frage der Gegenleistung. Hätte die Klägerin von ihrem Optionsrecht
Gebrauch gemacht und das Grundstück selbst behalten, wären damit die Wirkungen
einer auflösenden Bedingung hinsichtlich der Zahlungsansprüche der Stadt eingetreten
mit der Folge eines Rückgewähranspruchs der Stadt gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2
BGB. Demzufolge handele es sich bei den geleisteten Zahlungen weder um Einlagen
noch um Zahlungen, die eine Rückzahlungs- oder Verrechnungsschuld gegenüber der
Stadt begründen könnten. Vielmehr handele es sich um Anzahlungen auf einen
erfüllbaren Anspruch, dessen Gegenleistung sich nachträglich konkretisiere.
Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 1995 vom
10.11.1999 und 1996 vom 16.11.1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 03.01.2005 dahingehend abzuändern, dass ein jeweils um 2.845.417,00
DM geringeres Gewerbekapital zu Grunde gelegt wird (Bl. 5 der FG-Akte).
12
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, eine Dauerschuld sei unter anderem dann anzunehmen, wenn dem
Unternehmen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden und die sich daraus ergebende
Verbindlichkeit nicht nur vorübergehend der Verstärkung des Betriebskapitals diene.
Eine Verstärkung des Betriebskapitals liege immer vor, wenn dem Betrieb neue Mittel
zugeführt würden, über die er sonst nicht verfügen könnte. Ein Rechtsgrund für die
Zahlungen der Stadt "S-Stadt" im Jahr 1993 und 1994 sei nicht erkennbar. Für die
Klägerin habe im Zeitpunkt der Zahlungen sowohl die Option bestanden das
Grundstück selbst zu behalten als auch die Möglichkeit, das Grundstück an einen
Dritten mit Gewinn zu verkaufen. In beiden Fällen hätte sie von der Stadt "S-Stadt" keine
Zahlungen zu erwarten gehabt. Auch bei den beiden weiteren Möglichkeiten der
Übernahme der Grundstücke durch die Stadt "S-Stadt" oder der Veräußerung an einen
Dritten unter Einstandspreis mit Schadensausgleich durch die Stadt "S-Stadt" habe eine
konkrete Verpflichtung im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht bestanden. Eine Wertung
der Zahlung als Anzahlung für den Grundstückserwerb scheide aus. Der Erwerb durch
die Stadtwerke sei zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits abgeschlossen gewesen und
das Grundstück sei in das Anlagevermögen der Stadtwerke gelangt. Im Zeitpunkt der
Zahlungen sei weder ein Kaufvertrag über eine Weiterveräußerung an die Stadt oder
einen Dritten geschlossen worden noch habe festgestanden, ob es zu einem solchen
kommen würde. Ebenso wenig habe zu diesem Zeitpunkt bereits festgestanden, dass
und in welcher Höhe eine Zahlungspflicht der Stadt "S-Stadt" entstehen werde. Die
Zahlungen seien vielmehr als eine Art Zwischenfinanzierung auf einen möglichen
Veräußerungserlös von dritter Seite durch den Gesellschafter Stadt "S-Stadt" erfolgt. Die
Klägerin habe die Grundstücke schließlich in eigenem Namen an einen fremden Dritten
veräußert und den Kaufpreis mit der von der Stadt "S-Stadt" erhaltenen
Zwischenfinanzierung verrechnet. Auch die Art der Zahlung in drei unterschiedlich
hohen Raten spreche gegen die Annahme einer Anzahlung. Die Raten seien weder
zeitlich noch in ihrer Höhe mit einem Kaufpreis oder Nachteilsausgleich in Verbindung
zu bringen. Angesichts der Zahlungszeitpunkte, der Zahlungsweise und der
Zahlungshöhe sowie des bereits erfolgten Erwerbs scheide die Vereinbarung vom
05.02.1991 als Rechtsgrund für die Zahlungen aus. Soweit Zahlungen durch den
Gesellschafter Stadt "S-Stadt" erfolgt seien, könne es sich dabei mangels rechtlicher
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Verpflichtung nur um Einlagen oder um Zahlungen, die eine Rückzahlungs- oder
Verrechnungsschuld gegenüber der Gesellschaft begründen könnten, handeln. Da die
Klägerin die Zahlung nicht als Einlage angesehen und verbucht habe, was zu einer
Erhöhung des Gewerbekapitals in vollem Umfang geführt hätte, bleibe nur die Annahme
einer rückzahlbaren Verbindlichkeit (Darlehen). Die Klägerin verkenne zudem, dass es
sich nicht um eine laufende Verbindlichkeit handele, die im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr des Unternehmens entstanden sei. Laufende Geschäftsvorfälle seien
solche Geschäftsvorfälle, die nach ihrem abstrakten Charakter für einen gleichartigen
Betrieb typisch sind. Grundstücksgeschäfte, insbesondere im Interesse des
Gesellschafters abgewickelte Umlegungsverfahren, gehörten jedoch nicht zu den
typischen laufenden Geschäftsvorfällen eines Versorgungs- und Verkehrsbetriebes. Die
in Rede stehende Verbindlichkeit diene auch nicht der Finanzierung der Anschaffungs-
und Herstellungskosten eines bestimmten Wirtschaftsguts des Umlaufvermögens, um
dann aus dem Verkaufserlös getilgt zu werden. Die Anschaffung des Grundstücks sei
vielmehr aus eigenen betrieblichen Mittel der Klägerin bereits in 1990 erfolgt und damit
lange vor der ersten Zahlung der Stadt "S-Stadt". Ein Kausalzusammenhang mit dem
Anschaffungsgeschäft könne deshalb nicht hergestellt werden. Das von der Klägerin
herangezogene BFH-Urteil vom 31.10.1990 I R 77/86, BStBl II 1991, 471 sei nicht
einschlägig. In der Entscheidung des BFH seien Vorauszahlungen auf zukünftige
Energielieferungsentgelte zur Finanzierung der Investitionskosten eines Kraftwerks
nicht als Dauerschulden beurteilt worden. Im Gegensatz zum Urteilsfall orientierten sich
die Zahlungen der Stadt nicht an den Anschaffungskosten des Grundstücks, finanzierten
diese auch nicht und erfolgten auch nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der
Anschaffung. Solange nicht festgestanden habe, ob es sich bei dem zu erwarteten Erlös
um einen Grundstückskaufpreis, einen Schadensersatz oder um einen Erlös von dritter
Seite handeln werde oder ob ggf. ein solcher Anspruch überhaupt nicht entstünde, weil
die Klägerin von ihrem Optionsrecht Gebrauch machen werde und das Grundstück
selbst behalten werde, könne nicht von einer Anzahlung oder von Teilzahlungen
gesprochen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist nicht begründet.
18
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Gewerbesteuerfestsetzungen für die Jahre
1995 und 1996 nicht in ihren Rechten verletzt. Die Voraussetzungen für eine
Hinzurechnung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG liegen in Höhe von 2.845.417,00 DM in
beiden Streitjahren vor.
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1. Als Gewerbekapital gilt der Einheitswert des gewerblichen Betriebs im Sinne des
Bewertungsgesetzes, vermehrt um die Hinzurechnungen nach § 12 Abs 2 GewStG und
vermindert um die Kürzungen nach § 12 Abs. 3 GewStG. Gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1
GewStG werden dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs u.a. die
Verbindlichkeiten, die den Entgelten i.S.d. § 8 Nr. 1 GewStG entsprechen, also die so
genannten Dauerschulden, wieder zur Hälfte hinzugerechnet.
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2. Die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der wegen der erhaltenen Zahlungen
in der Bilanz der Klägerin gebildete Passivposten ("Anzahlungen") bewertungsrechtlich
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eine Verbindlichkeit ist oder nicht, kann im Entscheidungsfall offen bleiben. Die
Entscheidung der Frage, ob zu Dauerschulden geeignete Verbindlichkeiten vorliegen,
beurteilt sich nach den Feststellungen im Einheitswertbescheid. Die Klägerin hatte die
Zahlungen in der Steuerbilanz als Anzahlungen passiviert und damit beim Einheitswert
als Verbindlichkeiten abgezogen. Dementsprechend erging der Einheitswertbescheid
und berücksichtigte die Anzahlungen als Verbindlichkeiten. An diese Beurteilung ist das
Finanzamt im Gewerbesteuermessbescheid nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 BewG, § 182 Abs. 1
AO, § 12 Abs . 1 GewStG gebunden (Urteile des BFH vom 20.09.1995 I R 55/94, BFHE
179, 136, BStBl II 1996, 73; vom 09.06.1993 I R 8/92, BFHE 172, 101, BStBl II 1994, 44;
vom 26.08.1992 I R 11/92, juris und vom 29.10.1974 I R 103/73, BFHE 114, 105, BStBl
II 1975, 114 m.w.N.). Zu entscheiden ist daher nur noch, ob die Verbindlichkeit eine
Dauerschuld ist.
3. Die danach zu beurteilende Verbindlichkeit ist eine Dauerschuld.
22
a. Nach § 8 Nr. 1 GewStG in der für die Streitjahre 1995 und 1996 geltenden Fassung
werden zur Berechnung des Gewerbeertrages dem Gewinn aus Gewerbebetrieb die
Hälfte der bei seiner Ermittlung abgezogenen Entgelte für Schulden wieder
hinzugerechnet, die entweder mit der Gründung, dem Erwerb, der Erweiterung oder der
Verbesserung des Betriebes zusammenhängen oder die der nicht nur vorübergehenden
Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Im Streitfall kommt lediglich die letzte
Alternative in Betracht.
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b. Der Hinzurechnung unterliegen betriebliche Schulden, die den Charakter von
Betriebskapital haben oder ihm ähnlich sind. Der Begriff des Betriebskapitals ist unter
Berücksichtigung des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer nicht gleichzusetzen
mit dem Begriff des Kapitals im bilanztechnischen Sinne, sondern bezeichnet die
Gesamtheit der im Betrieb enthaltenen, arbeitenden Mittel und umfasst Anlagevermögen
und Umlaufvermögen (vgl. Glanegger-Güroff, GewStG § 8 Nr. 1 Rz. 16). Nach der
Rechtsprechung ist die Schaffung bzw. Verstärkung des "eigentlichen" Dauerkapitals
erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 18.04.1991 IV R 6/90, BStBl II 1991, 584 ). Eine
Verstärkung des Betriebskapitals ist gegeben, wenn dem Betrieb Mittel zugeführt
werden, die er nach ihrer Eigenart und besonderen Anlage von einiger Dauer zur
Verfügung hat, über die er bisher nicht verfügen konnte und die er ohne die zu
beurteilende Maßnahme aus eigenen Beständen hätte erbringen müssen. Das ist der
Fall beim Zufluss zusätzlicher Mittel, aber auch dann, wenn lediglich eine Verringerung
des Betriebskapitals verhindert oder rückgängig gemacht wird oder Verluste vermieden
werden sollen. Unerheblich ist, ob konkret ein Bedarf für die Aufnahme der Schuld
bestand, also die Mittelzuführung notwendig oder zweckmäßig war (Glanegger-Güroff,
GewStG § 8 Nr. 1 Rz. 17 m.w.N.). Eine Verstärkung liegt auch dann vor, wenn der
Betrieb über genügend liquide Mittel zur Tilgung der Schuld verfügt.
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c. Eine nicht nur vorübergehende Verstärkung bedeutet, dass der Schuld ein gewisses
Dauerelement innewohnt. Abzustellen ist darauf, ob es sich bei dem oder den der
Schuld zugrunde liegenden Vorgängen um einen laufenden, im gewöhnlichen
Geschäftsgang stets anfallenden Geschäftsvorfall oder um einen sonstigen
Geschäftsvorfall handelt. Die Unterscheidung von Schulden, die der nicht nur
vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (Dauerschulden), einerseits
und laufenden Verbindlichkeiten andererseits ist in erster Linie nach dem Charakter der
Schuld bzw. dem Finanzierungsanlass zu treffen. Dauerschulden sind danach z.B. beim
Erwerb und bei der Veräußerung von Anlagevermögen sowie bei der Refinanzierung
25
eines mehrjährigen Nutzungsüberlassungsvertrages gegeben. Zudem dienen Schulden
grundsätzlich der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals, wenn
der Gegenwert der Schulden aufgrund ihrer tatsächlichen Laufzeit das Betriebskapital
für längere Zeit, d.h. bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen länger als 12
Monate, verstärkt. Sie sind dann regelmäßig Dauerschulden schon aufgrund ihrer
Laufzeit. Den Gegensatz dazu bilden die laufenden Verbindlichkeiten, die im
gewöhnlichen Geschäftsverkehr eines Unternehmens entstehen. In der Regel zählen
hierzu u.a. die Anschaffung und Veräußerung von Umlaufvermögen sowie die
Finanzierung von Betriebskosten oder die Lohnzahlungen. Die hiermit in
Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten sind keine Dauerschulden, soweit sie in
der nach Art des Geschäftsvorfalls üblichen Frist getilgt werden (ständige
Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 11.11.1997 VIII R 49/95, BStBl II 1998, 272 und
vom 19.09.2002 X R 68/00, BFH/NV 2003, 891).
d. Empfangene Anzahlungen sind dann keine Dauerschulden, wenn sie mit einem
bestimmten Geschäftsvorfall laufender Art zusammenhängen. Denn sie stehen dem
Betrieb nur vorübergehend - bis zur Abwicklung des Auftrags - zur Verfügung (vgl. dazu
Glanegger-Güroff, § 8 Nr. 1 GewStG, Rz. 40; Lenski/Steinberg, § 8 Nr. 1 Rz. 137;
Blümich-Hofmeister, § 8 GewStG, Tz. 90 Stichwort "Anzahlungen"). Voraussetzung ist
aber, dass die Anzahlung in der nach Art des Geschäftsvorfalls üblichen Frist getilgt
wird (vgl. dazu allgemein BFH-Urteil vom 18.04.1991 IV R 6/90, BFHE 164, 381, BStBl II
1991, 584). Eine Anzahlung kann daher zur Dauerschuld werden, wenn wegen der
tatsächlichen Gestaltung der Geschäftsverhältnisse die Verknüpfung zwischen
Geschäftsvorfall und Anzahlung unterbrochen wird. Anzahlungen auf laufende
Geschäftsvorfälle werden u.a. zu Dauerschulden, wenn die Erfüllung des Geschäfts sich
verzögert und dem Empfänger Fremdkapital für mehr als zwölf Monate zur Verfügung
gestellt wird. In solchen Fällen wird aus der Anzahlung durch stillschweigende
Übereinkunft ein für längere Zeit gegebenes Darlehen. Dies gilt umso mehr, wenn der
Empfänger frei ist, die Anzahlung verzinslich anzulegen.
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e. Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze führt im Streitfall zur Annahme einer
Dauerschuld. Die Anzahlungen dienten der nicht nur vorübergehenden Stärkung des
Betriebskapitals der Klägerin. Die Anzahlungen hatten den Zweck, der Klägerin bereits
vor Abschluss des Umlegungsverfahrens Teile des Verkaufspreises zukommen zu
lassen und ihre Zinsaufwendungen für den Ankaufspreis auszugleichen. Denn die
Klägerin sollte durch diese Zahlungen so gestellt werden, als hätte sie einen Verlust aus
der Grundstücksveräußerung nie erzielt. Die Zahlungen hatten damit den Charakter
einer verdeckten Einlage, mit der das Eigenkapital der Klägerin gestärkt werden sollte.
Eine Freistellung der Klägerin von den im Zusammenhang mit der
Grundstücksveräußerung entstandenen Aufwendungen oder Verlusten war nach den
vertraglichen Vereinbarungen frühestens im Zeitpunkt der Veräußerung bzw. dem
Abschluss des Umlegungsverfahrens erforderlich. Ein Nichtgesellschafter hätte daher
bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns den Vermögensvorteil der
Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht eingeräumt. Mit Verbindlichkeiten, die aufgrund der
laufenden Geschäftstätigkeit entstehen, sind die Anzahlungen für den
Grundstücksverkauf nicht vergleichbar. Die Anzahlung steht nicht mit einer laufenden
Lieferung eines regelmäßig wiederkehrenden Warengeschäfts in Zusammenhang.
Grund für ihre Leistung ist vielmehr, dass - für den Fall einer Veräußerung des
Grundstücks mit Verlust - ein bei der Klägerin entstehender Verlust bereits im Vorfeld
ausgeglichen und damit das Betriebskapital der Klägerin bereits vor der Veräußerung
verstärkt wird. Der Gegenwert der Anzahlungen verstärkte das Betriebskapital der
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Klägerin zudem für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten. Im Zeitpunkt der
Zahlungen war für die Klägerin und die Stadt klar, dass mit einem baldigen Abschluss
des Umlegungsverfahrens und einer Verrechnung der Anzahlungen nicht zu rechnen
war, zumal in diesem Zeitpunkt noch nicht einmal feststand, dass es überhaupt zu einer
Veräußerung kommen werde. Es war ersichtlich Ziel der Zahlungen, einen der Klägerin
zukünftige entstehenden Verlust bereits einige Zeit vor Abschluss des
Umlegungsverfahrens und Durchführung des Verkaufs auszugleichen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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