Urteil des FG Düsseldorf vom 22.10.2007

FG Düsseldorf: stationäre behandlung, anstellungsvertrag, klinikum, chefarzt, finanzielle beteiligung, vollziehung, arbeitslohn, patient, einkünfte, aussetzung

Finanzgericht Düsseldorf, 3 V 1703/07 A(L)
Datum:
22.10.2007
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 V 1703/07 A(L)
Tenor:
Die Vollziehung des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 wird bis
einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den dagegen
eingelegten Einspruch ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
1
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Einnahmen des Antragstellers aus dem ihm
eingeräumten Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen Arbeitslohn (§ 2
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung –LStDV-) oder Einnahmen aus selbständiger
Arbeit (§ 18 Einkommensteuergesetz –EStG-) sind.
2
Der Antragsteller ist im Anstellungsverhältnis Chefarzt einer Klinik, die zur N GmbH
(Klinikum) gehört. Nach dem mit dem Klinikum am 05.11.1987 abgeschlossenen
Anstellungsvertrag "obliegt" dem Antragsteller "die stationäre Behandlung aller Kranken
seiner Abteilung" und "die Untersuchung und Mitbehandlung der Kranken ... in anderen
Abteilungen" (§ 3 Nr. 1 a und b). "Wahlärztliche Leistungen ... erbringt der Chefarzt
persönlich oder ein von ihm beauftragter nachgeordneter Arzt" (§ 3 Nr. 8). Nach § 5 Nr. 1
erhält der Antragsteller eine Vergütung nach dem Bundesangestelltentarifvertrag.
Gemäß § 5 Nr. 2 steht ihm "das Liquidationsrecht für die rein ärztlichen Leistungen zu ...
bei der stationären Behandlung von Patienten ..., die eine persönliche Behandlung
durch den Chefarzt ausdrücklich wünschen", was "bei der Aufnahme mit der
Krankenhausverwaltung schriftlich zu vereinbaren" ist (§ 5 Nr. 2 a). Der Antragsteller hat
20 v. H. "seiner Bruttoeinnahmen aus dem stationären Bereich" auf Grund einer
Abrechnung an das Klinikum "abzuführen" (§ 6 Nrn. 1 und 4). Gemäß § 7 ist der
Antragsteller berechtigt, im Krankenhaus Selbstzahlerpatienten ambulant zu behandeln
und für diese Tätigkeit unmittelbar mit den Patienten abzurechnen, wobei er 20 v. H.
seiner Bruttoeinnahmen an das Klinikum zu erstatten hat. Der Antragsteller ist
verpflichtet, die Mitarbeiter an seinen Liquidationserlösen angemessen zu beteiligen,
3
wobei die Verteilung "über den Chefarzt erfolgt" (§ 8).
Wegen der weiteren Regelungen wird auf den vom Antragsteller vorgelegten
Anstellungsvertrag Bezug genommen.
4
Bei der Aufnahme in die Klinik schließen die Patienten, die eine Behandlung durch den
Antragsteller wünschen, mit dem Klinikum einen "Wahlleistungsvertrag" über
"Zusätzliche Krankenhausleistungen" und "Zusätzliche wahlärztliche Leistungen"
(Vertrag 1) und mit dem Antragsteller einen "Vertrag über die Inanspruchnahme
wahlärztlicher Leistungen" (Vertrag 2) ab, wobei der Vertrag 1 auf das "Liquidationsrecht
des Wahlarztes" verweist und im Vertrag 2 darauf hingewiesen wird, dass das Honorar
an den Antragsteller persönlich zu zahlen ist.
5
Das Klinikum teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 28.02.2007 mit, dass es für
den Antragsteller für den Monat Januar 2007 keine Lohnsteuer für die
Liquidationseinnahmen des Antragstellers aus dessen wahlärztlichen Leistungen im
stationären Bereich einbehalten hat und dass es von der Berechtigung zur
nachträglichen Einbehaltung von Lohnsteuer gemäß § 41 c Abs. 4 EStG keinen
Gebrauch machen wird.
6
Der Antragsgegner erließ daraufhin am 22.03.2007 für Januar 2007 einen
Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag von
insgesamt 29.771,91 Euro. Über den Einspruch gegen diesen Bescheid hat der
Antragsgegner noch nicht entschieden. Nachdem der Antragsgegner einen Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, hat der Antragsteller bei Gericht mit im
Wesentlichen folgender Begründung Aussetzung der Vollziehung des
Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 beantragt:
7
Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, da die streitigen
Honorareinnahmen Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit seien. Das Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 05.10.2005 VI R 152/01, Bundessteuerblatt II 2006, 94, auf das
sich der Antragsgegner berufe, betreffe einen anderen Sachverhalt. Während es im
Urteilsfall des Bundesfinanzhofs um einen "Totalen Krankenhausaufnahmevertrag ohne
Arztzusatzvertrag" bzw. einen "Einheitlichen Wahlbehandlungsvertrag ohne
Arztzusatzvertrag" gehe, bei dem die Klinik den Chefarzt in der Weise beteilige, dass sie
die maßgebenden Behandlungsverträge abschließe, die Privatliquidation durchführe,
die Rechnungen für die Chefarztbehandlung ausstelle und vereinnahme sowie dem
Chefarzt den Honorarbetrag nach Abzug von Abgaben und Kosten auszahle, handele
es sich im Streitfall um einen "Totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit
Arztzusatzvertrag" bzw. einen "Einheitlichen Wahlbehandlungsvertrag mit
Arztzusatzvertrag", bei dem der Vertrag 1 mit dem Klinikum nur aus
pflegesatzrechtlichen Gründen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1
Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) abgeschlossen werden müsse; der Antragsteller
und das Klinikum seien durch den Abschluss beider Verträge gemeinschaftlich
Schuldner der wahlärztlichen Leistungen, wobei der Antragsteller – anders als im
Urteilsfall des Bundesfinanzhofs – den Patienten gegenüber direkt verpflichtet sei, also
nicht lediglich Erfüllungsgehilfe des Klinikums sei. Folgende Merkmale sprächen für
eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers: Durch Abschluss des Vertrags 2
bestünden direkte Vertragsbeziehungen zwischen dem Antragsteller und den Patienten;
Gläubiger des Honorars sei allein der Antragsteller. Nur bei Abschluss beider Verträge
komme es zur wahlärztlichen Behandlung, bei deren Durchführung der Antragsteller
8
selbständig und nicht weisungsgebunden sei. Anders als im Urteilsfall des
Bundesfinanzhofs rechne der Antragsteller selbst bzw. durch eine von ihm beauftragte
Abrechnungsstelle seine wahlärztlichen Leistungen ab und trage deshalb ein
wirtschaftliches Risiko hinsichtlich des Ausfalls von Honorarforderungen; der Einwand
des Antragsgegners, die Patienten seien krankenversichert, seien kein relevantes
Argument gegen das Unternehmerrisiko des Antragstellers, da dies dann auch für
niedergelassene Ärzte gelten müsse. Der Antragsteller, nicht das Klinikum, regele die
finanzielle Beteiligung der Mitarbeiter. Aus der Möglichkeit des Antragstellers, auf
eigene Liquidation zu verzichten (§ 6 Abs. 2 Anstellungsvertrag) lasse sich herleiten,
dass es dem Antragsteller freistehe, eine wahlärztliche Behandlung abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
9
die Vollziehung des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 auszusetzen.
10
Der Antragsgegner beantragt,
11
den Antrag abzuweisen.
12
Ernstliche Zweifel an dem angefochtenen Lohnsteuernachforderungsbescheid
bestünden nicht. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 152/01 ergebe sich, dass
folgende Merkmale für ein Vorliegen von Arbeitslohn sprächen: Die Erbringung der
wahlärztlichen Leistungen gehöre zu den vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben des
Arztes. Die Verträge über die wahlärztlichen Leistungen würden unmittelbar zwischen
dem Patienten und dem Krankenhaus geschlossen. Der Arzt unterliege – mit Ausnahme
seiner rein ärztlichen Tätigkeit – den Weisungen des leitenden Arztes des
Krankenhauses. Der Arzt erbringe die wahlärztlichen Leistungen mit den Einrichtungen
und Geräten des Krankenhauses. Der Dienstvertrag sehe ausdrücklich vor, dass die
wahlärztlichen Leistungen im Verhinderungsfall vom Stellvertreter übernommen würden.
Der Arzt habe nur begrenzte Möglichkeit den Umfang der wahlärztlichen Leistungen zu
bestimmen. Vereinbarte wahlärztliche Leistungen bezögen sich nicht speziell auf die
Leistungen des liquidationsberechtigten Arztes, sondern auf die Leistungen aller an der
Behandlung beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte des Krankenhauses. Der Arzt
könne es nicht ablehnen, die mit dem Krankenhaus vereinbarten wahlärztlichen
Leistungen zu erbringen. Das Risiko eines Forderungsausfalls sei zu vernachlässigen,
weil die Patienten regelmäßig krankenversichert seien. Das Krankenhaus rechne über
die wahlärztlichen Leistungen direkt mit dem Patienten ab und vereinnahme die
geschuldeten Beträge. Dienstvertragliche Regelungen über die Abführung eines
Nutzungsentgeltes an das Krankenhaus sowie die Beteiligung des nachgeordneten
Arztes an den Honorareinnahmen bedeuteten lediglich eine Einschränkung des
Liquidationsrechtes. Der Arzt trage kein Verlustrisiko, denn die Einbehalte seien nur aus
den tatsächlich realisierten Honorareinnahmen aufzubringen.
13
Folgende Kriterien sprächen demgegenüber für eine selbständige Tätigkeit: Die
Erbringung der wahlärztlichen Leistungen werde nicht gegenüber dem Krankenhaus
geschuldet. Der Arzt vereinbare die zu erbringende wahlärztliche Leistung direkt mit
dem Patienten und werde hierdurch unmittelbar verpflichtet. Nur der
liquidationsberechtigte Arzt hafte für die von ihm vorgenommenen wahlärztlichen
Behandlungen. Der liquidationsberechtigte Arzt rechne direkt mit dem Patienten ab und
vereinnahme auch die geschuldeten Beträge.
14
Im Streitfall sei von einer lohnsteuerabzugspflichtigen Tätigkeit des Antragstellers
auszugehen. Entscheidend sei dabei, ob die wahlärztliche Behandlung im Rahmen
eines Dienstvertrags vorgenommen werde, was bei dem Antragsteller zu bejahen sei.
Denn nach dem Anstellungsvertrag gehöre zu seinen Dienstaufgaben die Behandlung
aller Patienten des Krankenhauses. Mit dem Abschluss des Vertrags 1 erwerbe der
Patient einen Anspruch auf wahlärztliche Behandlung gegenüber dem Krankenhaus,
den der Antragsteller auf Grund seines Anstellungsvertrags zu erfüllen habe. Dass dem
Antragsteller für diese Leistungen Honorareinnahmen zustünden, stehe der Annahme
von Arbeitslohn nicht entgegen; denn das Liquidationsrecht sei nicht ausschlaggebend
für die Einordnung der Honorareinnahmen, da es nur eine Folge der hier
entscheidenden Verpflichtung zur Behandlung von Privatpatienten ist. Dass der Patient
mit Abschluss des Vertrags 2 zusätzlich auch gegenüber dem Chefarzt einen Anspruch
auf wahlärztliche Leistungen erwerbe, vermöge an der rechtlichen Beurteilung nichts zu
ändern; anders zu entscheiden wäre nur, wenn der Vertrag mit dem Krankenhaus
ausschließlich nichtärztliche Wahlleistungen beträfe. Bei der Erbringung seiner
wahlärztlichen Leistungen sei der Antragsteller wegen der Benutzung von Geräten und
Einrichtungen des Krankenhauses in den geschäftlichen Organismus des
Krankenhauses eingebunden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers habe dieser
keine Entscheidungsfreiheit, die Behandlung eines Privatpatienten abzulehnen, da er
im Regelfall auf Grund seiner dienstvertraglichen Verpflichtung Privatpatienten zu
behandeln habe; dem Antragsteller fehle deshalb jegliche unternehmerische
Entscheidungsfreiheit zum Vertragsabschluss. Dass der Antragsteller direkt mit den
Patienten abrechne und selbst die Honorare vereinnahme könne angesichts des
Umstandes, dass alle übrigen Kennzeichen für eine nichtselbständige Tätigkeit erfüllt
seien, vernachlässigt werden. Die Einnahmen des Antragstellers aus wahlärztlichen
Leistungen stellten daher Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit dar und unterlägen
dem Lohnsteuerabzug.
15
Der Antrag ist begründet, da bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung
gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nach dem gegenwärtigen
Sachstand ernstlich zweifelhaft ist, ob die Honorareinnahmen des Antragstellers für die
wahlärztlichen Leistungen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) und
damit lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn (§ 2 LStDV) sind, und deshalb ernstliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids vom 22.03.2007 bestehen (§ 69
Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satze 2 Finanzgerichtsordnung –FGO-).
16
Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn eine überschlägige Prüfung ergibt, dass neben
für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken
(Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 14.09.1994 IX B 142/93, Bundessteuerblatt II
1995, 778). Dabei brauchen die Tat- und Rechtsfragen nicht abschließend geprüft zu
werden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 04.05.1977 I R 172-173/76,
Bundessteuerblatt II 1977, 765), denn das summarische Verfahren ist abgekürzt und
vereinfacht. Wegen der Eilbedürftigkeit des Aussetzungsverfahrens findet eine
Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die
Akten der Finanzbehörde und auf präsente Beweismittel statt; weitergehende
Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht geboten (Beschluss des
Bundesfinanzhofs vom 21.07.1994 IV B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFH/NV- 1995, 116).
17
Behält ein Arbeitgeber bisher nicht erhobene Lohnsteuer nicht ein und teilt dies dem
Betriebsstättenfinanzamt mit (§ 41 c Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 EStG), dann kann das
Finanzamt die nicht erhobene Lohnsteuer nachfordern (§ 41 c Abs. 4 Satz 2 EStG).
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
(Arbeitslohn) handelt (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG), was im Streitfall hinsichtlich der
Honorareinnahmen des Antragstellers für die wahlärztlichen Leistungen aus folgenden
Gründen ernstlich zweifelhaft ist:
18
Ob ein Chefarzt einer Klinik wahlärztliche Leistungen selbständig oder unselbständig
erbringt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse (Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 23.07.1964 V 8/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung
HFR 1965, 347; Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 152/01), wobei die für und gegen eine
selbständige bzw. nichtselbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander
abzuwägen sind. Die maßgebenden Verhältnisse werden durch die
Vertragsverhältnisse zwischen dem Krankenhaus, dem Chefarzt und dem Patienten und
deren tatsächliche Durchführung bestimmt.
19
Das Verhältnis des Antragstellers zum Klinikum wird durch den Anstellungsvertrag vom
05.11.1987 geregelt, das Verhältnis des Patienten zum Klinikum und zum Antragsteller
als behandelndem Chefarzt durch die Aufnahmeverträge. Bei den
Krankenhausaufnahmeverträgen haben sich in der Praxis drei typische
Gestaltungsformen herausgebildet, und zwar erstens der totale
Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag, bei dem der Patient nur mit dem
Krankenhaus einen Aufnahmevertrag über alle für die stationäre Behandlung
erforderlichen Leistungen einschließlich der wahlärztlichen Leistungen abschließt,
zweitens der totale Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag, bei dem der
Patient neben dem Aufnahmevertrag mit dem Krankenhaus über alle Leistungen für die
stationäre Behandlung einschließlich der wahlärztlichen Leistungen einen weiteren
Vertrag mit dem Arzt über die wahlärztlichen Leistungen abschließt, und drittens der
gespaltene Krankenhausaufnahmevertrag, bei dem mit dem Krankenhaus ein Vertrag
allein über die nichtärztlichen Leistungen und mit dem Arzt ein Vertrag über die
ärztlichen Leistungen abgeschlossen wird (Urteil des Bundesgerichtshofs vom
19.02.1998 III ZR 169/97, Neue Juristische Wochenschrift –NJW- 1998, 1778; Genzel in
Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, § 93 Randnummern 2 – 8). Wie
sich aus den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen ergibt, werden in der Klinik des
Antragstellers totale Krankenhausaufnahmeverträge mit Arztzusatzvertrag
abgeschlossen, während nach der Sachverhaltsschilderung im Urteil des
Bundesfinanzhofs VI R 152/01 offensichtlich ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag
ohne Arztzusatzvertrag abgeschlossen worden ist.
20
Nach dem gegenwärtigen Sachstand überwiegen bei Gewichtung und Abwägung aller
Umstände des Sachverhalts die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit des
Antragstellers bei der Erbringung wahlärztlicher Leistungen sprechen. Der Abschluss
des Vertrags mit dem Antragsteller führt – neben dem Behandlungsanspruch gegen das
Krankenhaus auf Grund des Vertrags mit dem Krankenhaus – auch zu einem
unmittelbaren Anspruch des Patienten gegen den Antragsteller auf Erbringung der
vereinbarten wahlärztlichen Leistungen, den der Antragsteller nach dem Vertrag
"persönlich" zu erfüllen hat; nur bei "unvorhersehbarer Verhinderung" des Antragstellers
sieht der Vertrag mit dem Antragsteller "bei nicht verschiebbarer Behandlung" eine
Behandlung durch Stellvertreter des Antragstellers vor. Wie sich weiter aus dem Vertrag
mit dem Antragsteller ergibt, ist das vom Antragsteller berechnete Honorar an diesen
21
persönlich zu zahlen, d. h. der Antragsteller erwirbt unmittelbar einen Honoraranspruch
gegen den Patienten, dessen Höhe er – wenn auch unter Berücksichtigung der
Interessen des Patienten und des Krankenhauses, § 5 Nr. 3 Anstellungsvertrag – selbst
festsetzen kann. Für eine selbständige Tätigkeit spricht auch, dass der Antragsteller die
Honorare selbst einzieht bzw. durch eine Abrechnungsstelle einziehen lässt und damit
ein gewisses Ausfallrisiko trägt; diese Einschätzung wird durch die mit Schriftsatz des
Antragstellers vom 16.10.2007 vorgelegten Unterlagen bestätigt; dass die Patienten in
der Regel krankenversichert sind, schwächt diese Indizwirkung nicht ab, da die
Patienten eines niedergelassenen Arztes, der unstreitig Einkünfte aus selbständiger
Arbeit erzielt, ebenfalls krankenversichert sind. Die Regelung in § 5 Nr. 2
Anstellungsvertrag, wonach dem Antragsteller ein Liquidationsrecht für wahlärztliche
Leistungen zusteht und der daraus folgende Abschluss des Arztzusatzvertrags weisen
darauf hin, dass das Liquidationsrecht des Antragstellers nicht abgeleitet, sondern
originär ist (Richardi in Münchener Handbuch des Arbeitsrechts – MünchArbR -, 2.
Auflage, Band 2, § 204 Randziffer 47), was ebenso ein weiteres Anzeichen für eine
selbständige Tätigkeit des Antragstellers ist wie der Umstand, dass der Antragsteller mit
Abschluss des Arztzusatzvertrags – neben dem Krankenhaus – dem Patienten
gegenüber vertraglich haftet (Genzel und Laufs in Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 93
Randnummer 7 und § 98 Randnummer 18). Das Gleiche gilt für die Regelung in § 8
Anstellungsvertrag, wonach der Antragsteller selbst die Verteilung eines Teils seiner
Liquidationserlöse an nachgeordnete Mitarbeiter vorzunehmen hat. Wegen der großen
Krankenhausdichte im näheren Umkreis steht der Antragsteller durchaus in einem
Konkurrenzverhältnis zu Chefärzten anderer Kliniken und entfaltet mit seinen ärztlichen
Leistungen deshalb eine nicht unerhebliche Unternehmerinitiative; das Finanzgericht
München hat in seinem Urteil vom 27.04.2001 8 K 3699/98, Entscheidungen der
Finanzgerichte –EFG- 2002, 623, das der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI R
152/01 zu Grunde liegt, eine Unternehmerinitiative des dortigen Chefarztes mit der
Begründung verneint, im Einzugsbereich des Kreiskrankenhauses habe der Chefarzt
keine Konkurrenten gehabt.
Der Antragsgegner verkennt nach Ansicht des Gerichts die dargestellten Auswirkungen
der Arztzusatzverträge des Antragstellers mit den Patienten für die Gewichtung und die
Abwägung der Merkmale für oder gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit,
indem er zu sehr auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI R 152/01 abstellt, dem jedoch
– wie dargestellt – ein anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde liegt.
22
Dass der Antragsteller bei der Erfüllung seiner wahlärztlichen Leistungen durch die
Benutzung von Geräten und Einrichtungen des Krankenhauses in die betriebliche
Organisation des Krankenhauses eingebunden ist, spricht zwar für die Stellung eines
Arbeitnehmers, erscheint dem Gericht angesichts des Umstandes, dass dies für die
nicht stationäre ambulante ärztliche Tätigkeit des Antragstellers (§ 7
Anstellungsvertrag), die eine selbständige Tätigkeit ist, ebenso gilt, aber als nicht
entscheidend; das gleiche gilt für die Kostenerstattung von jeweils 20 v. H. an das
Krankenhaus für die Benutzung von Einrichtung und Geräten, die sowohl für den
stationären Bereich als auch für die ambulante Tätigkeit des Antragstellers gleich hoch
ist (§ 6 Nr. 1, § 7 Nr. 4 Anstellungsvertrag). Vergleichsweise neutral ist die Regelung in §
2 Nr. 1 des Anstellungsvertrags, wonach der Antragsteller an die "Weisungen des
ärztlichen Direktors gebunden ist", da dem Ärztlichen Direktor vorwiegend
organisatorische Führungs- und Leitungsfunktionen obliegen (Genzel in
Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., § 89 Randnummer 21), während der Antragsteller bei seiner
gesamten eigentlichen ärztlichen Tätigkeit "unabhängig und nur dem Gesetz
23
unterworfen ist" (§ 2 Nr. 2 Anstellungsvertrag).
Der Bundesfinanzhof stellt in seinem Urteil VI R 152/01 bei der Abwägung der
Merkmale zu Recht maßgeblich darauf ab, ob die Erbringung der wahlärztlichen
Leistungen zu den dem Krankenhaus vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben des
Chefarztes gehört. Der Antragsteller leitet u. a. aus der Regelung des § 6 Nr. 2
Anstellungsvertrag, der von der Möglichkeit des Verzichts des Antragstellers auf sein
Liquidationsrecht ausgeht, her, dass dem Antragsteller die Ablehnung einer
wahlärztlichen Behandlung freistehe. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, braucht
abschließend für das vorliegende Aussetzungsverfahren nicht entschieden zu werden,
weil für das Gericht selbst dann, wenn davon auszugehen ist, dass die Regelung der
allgemeinen Dienstpflicht des Antragstellers in § 3 Nr. 1 Anstellungsvertrag auch die
Erbringung der wahlärztlichen Leistungen mitumfasst, bei Abwägung aller konkreten
Umstände des Streitfalls aus den genannten Gründen ernstlich zweifelhaft bleibt, ob die
Honorareinnahmen des Antragstellers aus seinen wahlärztlichen Leistungen
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit darstellen; allerdings sprechen die generelle,
nicht in allgemeinärztliche und wahlärztliche Leistungen unterscheidende Formulierung
"stationäre Behandlung aller Kranken" in § 3 Nr. 1 Anstellungsvertrag sowie die
Regelung des Liquidationsrechts des Antragstellers in § 5 Anstellungsvertrag mit der
Überschrift "Vergütung für Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich" eher dafür, dass
die wahlärztlichen Leistungen in die allgemeinen Dienstaufgaben des Antragstellers
eingeordnet sein sollten. Käme es für die Frage, ob selbständig oder unselbständig
erbrachte Leistungen vorliegen, allein und ausschließlich darauf an, ob die
wahlärztlichen Leistungen zu den vertraglichen Dienstaufgaben des Chefarztes
gehören oder nicht, wäre die Abwägung der Umstände des Einzelfalls mit der
Feststellung, wahlärztliche Leistungen gehörten zu den vertraglichen Dienstpflichten,
beendet. Das hat aber auch der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung VI R 152/01,
die – wie ausgeführt – einen anders gelagerten Sachverhalt mit überwiegenden
Merkmalen für eine nichtselbständige Tätigkeit betraf, zu Recht nicht getan; das Gericht
versteht den Bundesfinanzhof dahin, dass in jedem Fall, d. h. auch wenn die Erbringung
der wahlärztlichen Leistungen zu den vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört,
eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist.
24
Dem Aussetzungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO
stattzugeben.
25
Gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO war die Beschwerde
zuzulassen, da die im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die
Honorareinnahmen eines angestellten Chefarztes eines Krankenhauses auf Grund
eines ihm in seinem Anstellungsvertrag für stationäre wahlärztliche Leistungen
eingeräumten Liquidationsrechts stets Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sind,
wenn die Erbringung dieser wahlärztlichen Leistungen zu den dem Krankenhaus
vertraglich geschuldeten Dienstaufgaben gehört, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
26