Urteil des FG Düsseldorf vom 14.01.2010

FG Düsseldorf (apotheke, gefährdung der steuerforderung, sicherheitsleistung, vollziehung, lieferung, deutschland, treu und glauben, aussetzung, stadt, käufer)

Finanzgericht Düsseldorf, 1 V 3778/09 A(U)
Datum:
14.01.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 V 3778/09 A(U)
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
1
I.
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Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 7/2009 ohne Sicherheitsleistung.
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Alleinige Gesellschafterin der in A-Stadt – Niederlande – ansässigen Antragstellerin ist
die A.-Dienstleistungen GmbH, A-Straße 1 in B-Stadt.
4
Die Antragstellerin verkauft seit April 2008 an private Kunden in Deutschland
Medikamente in Zusammenarbeit mit folgenden Apotheken:
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in C-Stadt die B.-Apotheke sowie die A.-Apotheke
in D-Stadt die A.-Apotheke
in E-Stadt die A.-Apotheke und die C.-Apotheke
in F-Stadt die A.-Apotheke.
6
7
Die verkauften Medikamente bezieht sie von einem inländischen Großhändler. In den
o. g. Apotheken werden die inländischen Kunden über das – gegenüber den
inländischen Preisen günstigere – Angebot der Antragstellerin informiert und beraten.
Die Kunden geben in diesen Apotheken ihre an die Antragstellerin gerichteten
Bestellungen ab, die die Apotheken anschließend an die Antragstellerin weiterleiten.
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Die bei der Antragstellerin bestellten Medikamente können entweder bei der
Antragstellerin oder in der inländischen Apotheke, bei der sie bestellt worden sind,
abgeholt werden.
Zur Bestellung der Medikamente füllen die Kunden einen an die Antragstellerin
gerichteten Bestellschein aus. Auf diesem Bestellschein hat der Kunde anzukreuzen:
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"Mir ist bekannt, dass ein Kaufvertrag erst zustande kommt, wenn die A.-Apotheke B.V.
die Annahme der Bestellung binnen 2 Werktagen ab Abgabe der Bestellung bestätigt
oder die bestellte Ware innerhalb der vorgenannten Frist zur Abholung bereitstellt.
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Ich hole die Medikamente nach der Bereitstellung durch die A.-Apotheke B.V. selbst in
den Geschäftsräumen der A.-Apotheke B.V. ab.
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oder
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Hiermit bevollmächtige ich die A.-Apotheke B.V. unwiderruflich, in meinem Namen und
auf meine Rechnung einen Kurierdienst mit dem Transport der oben bestellten
Medikamente von der A.-Apotheke B.V. zur Z.-Apotheke zum Preis von 0,50 EUR pro
Bestellung zu beauftragen."
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Auf der Rückseite des Bestellscheins sind allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
abgedruckt, u. a.:
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"§ 5 Zahlungsbedingungen und Zahlungsverzug
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Abs. 2 Sollte der Käufer in seinem Namen und auf seine Rechnung den Versand der
bestellten Medikamente an die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche Apotheke
beauftragt haben, so ist der Kaufpreis ohne Abzug bei Abholung der Ware Zug um Zug
gegen Übergabe der Ware an die vermittelnde Apotheke mit schuldbefreiender Wirkung
zu zahlen. Die vermittelnde Apotheke ist zur Entgegennahme von Zahlungen an die A.-
Apotheke B.V. ausdrücklich bevollmächtigt.
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§ 7 Erfüllungsort und Gefahrübergang
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Erfüllungsort ist der Geschäftssitz der Verkäufers (Holschuld). Die Gefahr eines
zufälligen Untergangs oder einer zufälligen Verschlechterung der Ware geht auf den
Käufer über, sobald die A.-Apotheke B.V. dem Käufer mitgeteilt hat, dass die Ware
ausgesondert und zur Abholung bereit steht.
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§ 9 Lieferung und Verzug
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Abs. 1 Gegenstand des Vertrags ist ausdrücklich nicht auch die Lieferung der vom
Käufer bestellten Medikamente. Der Verkäufer stellt diese Medikamente vielmehr in
seinen Geschäftsräumen zur Abholung für den Käufer bereit und informiert den Käufer
darüber. Der Käufer hat aber die Möglichkeit, der A.-Apotheke B.V. eine Vollmacht zu
erteilen, dass diese im Namen und auf Rechnung des Käufers einen Kurierdienst mit
dem Versand der Medikamente beauftragt. In dem Fall erfolgt die Lieferung nicht
unmittelbar an den Kunden, sondern an die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche
Apotheke.
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§ 11 Vermittlung eines Transportunternehmers
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In den Fällen des § 5 Abs. 2 dieser Bedingungen wird die A.-Apotheke B. V. die
bestellte Ware im Namen und für Rechnung des Käufers an einen
Transportunternehmer übergeben, der die Ware zu der den Kaufvertrag vermittelnden
deutschen Apotheke befördert. Der Käufer entrichtet nach Maßgabe des § 5 Abs. 2, 3
dieser Bedingungen für den Warentransport einen Gesamtbetrag von 0,50 EUR. Für die
Vermittlung der Transportleistung erhält die A.-Apotheke B.V. eine Bruttoprovision in
Höhe des positiven Unterschiedsbetrages zwischen dem vom Käufer zu zahlenden
Betrag von 0,50 EUR und den tatsächlichen Bruttotransportkosten. Die tatsächlichen
Bruttotransportkosten wird die A.-Apotheke B.V. nach Weiterleitung des Betrags durch
die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche Apotheke im Namen und für Rechnung des
Käufers an den Transportunternehmer weiterleiten."
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Zudem wurden folgende Verträge abgeschlossen:
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Die Antragstellerin schloss mit den o. g. deutschen Apotheken jeweils einen
Vermittlungsvertrag ab: Für die Vermittlung der Kunden an die Antragstellerin
durch die deutsche Apotheke und die Abwicklung der Zahlungsströme erhält die
deutsche Apotheke 5 v. H. des vermittelten und tatsächlich erzielten
Nettoumsatzes.
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Mit der A.-Dienstleistungen GmbH legte die Antragstellerin vertraglich fest, dass
die A.-Dienstleistungen GmbH den Transport der Medikamente von der
Antragstellerin zu den deutschen Apotheken für brutto 0,45 EUR anbietet. Ein
Auftragsverhältnis komme zwischen der Antragstellerin und der A.-
Dienstleistungen GmbH im Falle einer Beauftragung der A. Dienstleistungen
GmbH im Auftrage der Kunden nicht zustande. Die Antragstellerin wird von der A.-
Dienstleistungen GmbH beauftragt und bevollmächtigt, die von den Apotheken
entgegengenommene Vergütung für den Transport entgegen zu nehmen.
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Die A.-Dienstleistungen GmbH beauftragte und bevollmächtigte die o. g.
Apotheken vertraglich, die von den Kunden zu leistende Vergütung für den
Transport der Medikamente entgegenzunehmen. Die deutsche Apotheke hat die
Transportvergütung weiterzuleiten.
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Die Bestellung durch einen deutschen Kunden läuft im Regelfall wie folgt ab:
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1. Der Kunde gibt in der Apotheke in Deutschland das Rezept ab.
2. Der Kunde wählt den Transport durch den Kurierdienst und unterschreibt den
Bestellschein.
3. Das Rezept und der Bestellschein werden eingescannt und per Internet an die
Antragstellerin übermittelt.
4. Nach deren Zugang bestellt die Antragstellerin ihrerseits die bestellten
Medikamente bei einem deutschen Medikamentengroßhändler, der diese nach A-
Stadt ausliefert.
5. Nach Eingang der Medikamente werden diese durch einen Mitarbeiter der
Antragstellerin kontrolliert, für den einzelnen Kunden verpackt und entsprechend
adressiert.
6. Einmal täglich holt ein Mitarbeiter der A.-Dienstleistungen GmbH die adressierten
und verpackten Medikamente in den Geschäftsräumen der Antragstellerin ab und
transportiert diese nach G-Stadt, Deutschland.
7. In G-Stadt werden die zu befördernden Medikamente an die D-AG übergeben und
durch diese an den Bestimmungsort (jeweilige Apotheke) weiterbefördert.
8. In der deutschen Apotheke erfolgt die Ausgabe der Medikamente an den
jeweiligen Kunden.
9. Bezahlung der Medikamente durch den Kunden.
10. Überweisung des Kaufpreises und der Transportkosten (abzgl. 0,05 EUR
Vermittlungsgebühr) durch die deutsche Apotheke an die Antragstellerin.
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Die von der Antragstellerin erzielten Umsätze erklärte diese als gem. § 3 Abs. 6 UStG
nicht steuerbar, da der Ort der Lieferungen in den Niederlanden liege. Der
Antragsgegner beurteilte die Umsätze als gem. § 3c UStG steuerbar und steuerpflichtig
und erließ am 24.03.2009, 08.05.2009, 22.05.2009, 24.06.2009, 26.08.2009 und
23.09.2009 entsprechende Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 7/2009
mit denen er die Umsatzsteuervorauszahlungen wie folgt festsetzte:
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Umsatzsteuer
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Januar 2009 14.724,24EUR
35
Februar 2009 32.431,29 EUR
36
März 2009 19.625,48 EUR
37
April 2009 17.744,86 EUR
38
Mai 2009 22.786,70 EUR
39
Juni 2009 18.614,11 EUR
40
Juli 2009 13.716,29 EUR.
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Gegen diese Bescheide hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt, über die der
Antragsgegner noch nicht entschieden hat. Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen
vor, sie betreibe in den Niederlanden eine Apotheke mit Publikumsverkehr und das
Geschäft sei nicht auf den Handel mit deutschen Kunden beschränkt. Die
Warenbeförderung nach Deutschland erfolge im Auftrag des Kunden und damit auf
Veranlassung des Kunden. Im Rahmen der Bestellung erteile der Kunde der
Antragstellerin die Vollmacht, in seinem Namen und auf seine Rechnung einen
Kurierdienst mit der Beförderung der bestellten Medikamente zu beauftragen. Dadurch
komme ein Beförderungsvertrag zwischen dem Kunden und dem Kurierdienst zustande.
Nach den Lieferkonditionen erfolge die Lieferung am Geschäftssitz der Antragstellerin,
so dass Gefahr und Kosten des Transportes und/oder des Untergangs der Ware nicht
von der Antragstellerin, sondern vom Kunden übernommen würden. Durch diese
Risikoübernahme durch den Kunden sei ersichtlich, dass ein wirtschaftlich deutlich von
der Versendung durch den Lieferanten abweichendes Ergebnis eintrete. Dabei handele
es sich weder um Scheingeschäfte noch liege Rechtsmissbrauch vor.
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Auf ihren Antrag gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Verfügung vom
07.04.2009, 27.05.2009, 17.06.2009, 06.07.2009 und 08.09.2009 für die
Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 6/2009 zunächst Aussetzung der
Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe
der Entscheidung über den Einspruch.
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Um beurteilen zu können, ob aufgrund der Vermögensverhältnisse der Antragstellerin
eine Gefährdung der Steuerforderungen anzunehmen sei, forderte der Antragsgegner
die Antragstellerin mit Schreiben vom 31.07.2009 auf, Bilanzen, Prüfungsberichte oder
anderweitige Unterlagen einzureichen, aus denen das Vorhandensein von
Vermögenswerten bei der Antragstellerin erkennbar sei.
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Mit Schreiben vom 11.09.2009 erwiderte die Antragstellerin, dass eine Prüfung der
Vermögensverhältnisse nicht angebracht sei, weil eine Gefährdung der Steuerforderung
nicht erkennbar sei. Es liege kein in Deutschland steuerbarer Umsatz vor. Die
angeforderten Unterlagen reichte die Antragstellerin nicht ein.
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Mit Verfügung vom 06.10.2009 änderte der Antragsgegner die Aussetzung der
Vollziehung bezüglich der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 6/2009
und gewährte bezüglich des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids 7/2009 erstmalig
Aussetzung der Vollziehung unter der aufschiebenden Bedingung, dass Sicherheit in
Höhe von 100.000 EUR geleistet wird.
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Mit Schriftsatz vom 26.10.2009 beantragt die Antragstellerin Aussetzung der
Vollziehung ohne Sicherheitsleistung durch das Gericht.
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Die Antragstellerin hält unter Bezugnahme auf ihre Begründung in dem frühere
Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume betreffenden Klageverfahren (1 K 1808/09 U) an
ihrer Auffassung fest, der Leistungsort richte sich vorliegend nach § 3 Abs. 6 UStG und
liege demzufolge in den Niederlanden. Sie trägt ergänzend vor, dass bei deutlich
überwiegenden Erfolgsaussichten der Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung
ohne Sicherheitsleistung zu gewähren sei. Die überwiegenden Erfolgsaussichten
ergäben sich u.a. aus einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
23.01.2004, wonach Medikamentenverkäufe durch das niederländische Unternehmen X
an deutsche Abnehmer durch Beauftragung eines Paketdienstes in Deutschland nicht
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steuerbar seien.
Die Antragstellerin beantragt,
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die Vollziehung der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis 7/2009
vom 24.03.2009, 08.05.2009, 22.05.2009, 24.06.2009, 26.08.2009 und 23.09.2009
bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren
abschließenden Entscheidung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
52
Der Antragsgegner macht geltend, durch die Aussetzung der Vollziehung gegen
Sicherheitsleistung sollten Steuerausfälle nach einem für die Antragstellerin
ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Allein der Geschäftssitz der
Antragstellerin im Ausland begründe zwar keine Gefährdung der Steuerforderung.
Steuerforderungen seien aber nur dann nicht gefährdet, wenn der Steuerpflichtige über
ausreichende Mittel/ausreichendes Vermögen verfüge, das ggfs. zur Begleichung der
streitigen Steuern eingesetzt werden könne. Ob und inwieweit die Antragstellerin über
vollstreckbares Vermögen verfüge, sei dem Antragsgegner nicht bekannt. Er habe
vergeblich versucht, Kenntnisse über die Vermögenslage der Antragstellerin zu
erhalten. Da die Antragstellerin nicht nachgewiesen habe, dass bzw. in welcher Form
und Höhe sie über ausreichende Mittel/ausreichendes Vermögen zur Begleichung der
streitigen Steuern verfüge, seien die Steueransprüche als gefährdet anzusehen, so dass
auf eine Sicherheitsleistung nicht verzichtet werden könne. Es bestünden auch keine
überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Die Umsätze seien gemäß § 3c
UStG in Deutschland zu versteuern. Die auf dem Bestellschein abgedruckten
Bestimmungen, dass die Antragstellerin bevollmächtigt werde, einen Kurierdienst mit
dem Transport der Medikamente im Namen und für Rechnung der Kunden zu
beauftragen, seien als ungewöhnlich im Sinne des § 305c BGB anzusehen, sodass sie
nicht Vertragsbestandteil geworden seien. Hinsichtlich der Beförderung der
Medikamente könne nicht von einer bewussten Auftragserteilung und damit einer
Abholung durch die Kunden ausgegangen werden. Die Beförderung sei durch die
Antragstellerin veranlasst worden.
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Im November 2009 erhielt der Antragsgegner von den niederländischen
Finanzbehörden die Antwort auf ein im September 2009 nach Art. 5 der
Zusammenarbeits-Verordnung (Verordnung EG Nr. 1798/2003 über die
Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer)
gestelltes Auskunftsersuchen. Die niederländischen Finanzbehörden führten darin aus,
unter der Anschrift der Antragstellerin in A-Stadt befinde sich ein Lager, in dem an
einigen Abenden in der Woche von einem niederländischen Apotheker jeweils von
19:00 bis 21:00 Uhr Medikamente verpackt würden. Es handele sich nicht um eine
Apotheke mit normalen Öffnungszeiten. Niederländische Kunden könnten dort keine
Medikamente kaufen. Nach Auffassung der niederländischen Finanzbehörden sei die
Versandhandelsregelung anzuwenden und die Umsätze in Deutschland zu versteuern.
54
II.
55
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ist unbegründet.
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Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache, wenn die Voraussetzungen
des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO erfüllt sind, ganz oder teilweise die Aussetzung der
Vollziehung anordnen, und zwar auch gegen Sicherheitsleistung. Da der Antragsgegner
die Aussetzung der Vollziehung bereits angeordnet hat, ist im vorliegenden Verfahren
nur darüber zu entscheiden, ob er sie zu Recht von einer Sicherheitsleistung abhängig
gemacht hat (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 04.02.1998, VIII S 6/97, BFH/NV
1998, 987, sowie vom 18.12.2000, VI S 15/98, BFH/NV 2001, 637). Die Entscheidung
hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung
aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage
ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 20.03.2002, IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809, m.w.N.); es
ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und
glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht. Für die Anordnung einer
Sicherheitsleistung ergibt sich hieraus, dass die Finanzbehörde die für eine Gefährdung
des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen muss und der
Steuerpflichtige ggf. Umstände, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde
entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 20.03.2002, IX S
27/00, BFH/NV 2002, 809, m.w.N.).
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Im Streitfall ist die Anordnung der Sicherheitsleistung geboten, weil zur Überzeugung
des Senats ohne Sicherheitsleistung der Steueranspruch gefährdet ist. Nach Aktenlage
ist die erfolgreiche Realisierung des Steueranspruchs bei einem für die Antragstellerin
ungünstigen Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens nicht gewährleistet.
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Der Antragsgegner ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass allein der
Geschäftssitz der Antragstellerin in den Niederlanden nicht die Gefährdung des
Steueranspruchs begründen kann, weil in den Niederlanden aufgrund der sog. EG-
Beitreibungsrichtlinie 76/308/EWG vom 15.03.1976 (ABlEG Nr. L 73/18), zuletzt
geändert durch die Richtlinie 2001/44/EG vom 15.06.2001 (ABlEG Nr. L 175/17), die
Vollstreckbarkeit von Umsatzsteuerforderungen (vgl. Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie)
wie im Inland gewährleistet ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01,
BFH/NV 2003, 12).
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Der Antragsgegner hat sich aber erfolglos bemüht, Erkenntnisse über die wirtschaftliche
Situation der Antragstellerin zu gewinnen. Die vom Antragsgegner mit Schreiben vom
31.07.2008 angeforderten Unterlagen hinsichtlich ihrer Vermögensverhältnisse hat die
Antragstellerin nicht eingereicht. Auch ansonsten hat die Antragstellerin keine Angaben
gemacht, ob und in welcher Höhe sie über Vermögenswerte verfügt. Auch aus der
Auskunft der niederländischen Finanzbehörden kann nicht auf eine fehlende
Gefährdung des Steueranspruchs geschlossen werden. Allein die Tatsache, dass die
Antragstellerin in den Niederlanden ein Medikamentenlager hat, rechtfertigt diese
Annahme nicht. Aus der Auskunft der niederländischen Finanzbehörden ergibt sich
nicht, welchen Wert das Medikamentenlager hat. Insbesondere handelt es sich bei dem
Medikamentenlager nur um Umlaufvermögen, dessen Wert sich durch die mehrmals pro
Woche durchgeführten An- und Auslieferungen von und nach Deutschland regelmäßig
verändern dürfte. Damit hat die Antragstellerin weder dargelegt noch glaubhaft gemacht
noch ist sonst ersichtlich, dass sie über ausreichende Mittel / ausreichendes Vermögen
verfügt, um die Umsatzsteuervorauszahlungen 1/2009 bis 7/2009 bei einem für sie
ungünstigen Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens begleichen zu können, so dass hier
ein Sicherungsbedürfnis zu bejahen ist.
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Das Sicherungsbedürfnis ist auch nicht aufgrund besonders großer Erfolgsaussichten in
der Hauptsache gemindert. Aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt
sich nicht, dass die angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide 1/2009 bis
7/2009 mit Sicherheit oder so großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sind, dass eine
Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung geboten wäre.
61
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, der sich der Senat
anschließt, dass eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung
gerechtfertigt sein kann, wenn der angefochtene Steuerbescheid zumindest mit großer
Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist (BFH-Beschlüsse vom 24.10.2000, V B 144/00,
BFH/NV 2001, 493, vom 31.01.1997, X S 11/96, BFH/NV 1997, 512 und vom
17.01.1996, V B 100/95, BFH/NV 1996, 491). Zur Beurteilung dieser Frage kommt es
dabei allein auf den im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen oder sonst erkennbaren
Sach- und Streitstand an, der sich aus den bei Gericht eingereichten Unterlagen ergibt.
Die Möglichkeiten der Beteiligten, durch ergänzenden Sachvortrag und/oder
Beweismittel im Hauptverfahren die Aussichten zur Durchsetzung ihres Standpunktes
entscheidend zu erhöhen, müssen dabei außer Betracht bleiben (BFH-Beschluss vom
14.02.1984, VIII B 112/83, BStBl. II 1984, 443, 445).
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Es ist derzeit nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin in der
Hauptsache obsiegen wird. Bei der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung
bestehen nach Lage der Akten durchaus gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die
Medikamentenlieferungen der Antragstellerin im Inland steuerbar und steuerpflichtig
sein könnten.
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Wird der Gegenstand einer Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom
Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die
Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer
oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Die sog.
Versandhandelsregelung (§ 3c UStG) enthält jedoch eine von diesem Grundsatz
abweichende Sonderregelung, die Vorrang vor der allgemeinen Regelung hat (§ 3 Abs.
5a UStG). Wird bei einer Lieferung der Gegenstand durch den Lieferer oder einen von
ihm beauftragten Dritten aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines
anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet, so gilt die Lieferung nach Maßgabe
der Absätze 2 bis 5 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet
(§ 3c Abs. 1 Satz 1 UStG).
64
Im vorliegenden Fall finden unstreitig Warenbewegungen von den Niederlanden nach
Deutschland statt. Bei rein formaler Betrachtung erteilt der jeweilige Kunde den
Transportauftrag, indem er die Antragstellerin im Bestellschein unwiderruflich
bevollmächtigt, in seinem Namen und auf seine Rechnung einen Kurierdienst mit dem
Transport der Medikamente von den Niederlanden nach Deutschland zu beauftragen.
Auch der zwischen der Antragstellerin und der A. Dienstleistungen GmbH geschlossene
Vertrag bestimmt, dass Letztere die Transportleistung im Auftrag des Kunden erbringt.
Dementsprechend könnte die Warenbewegungen möglicherweise den Kunden
zugerechnet werden, so dass der Ort der Lieferung gem. § 3 Abs. 6 UStG in den
Niederlanden läge.
65
Bei summarischer Prüfung nach Lage der Akten bestehen jedoch gewichtige
Anhaltspunkte dafür, dass gleichwohl die Voraussetzungen des § 3c UStG erfüllt sein
könnten, so dass der Ort der Medikamentenlieferungen im Inland läge. Die
66
Warenbewegung könnte – trotz der abweichenden Regelungen in den AGB und in den
Verträgen – als durch die Antragstellerin veranlasst angesehen werden.
Zwar bestimmen die von der Antragstellerin verwandten AGB, dass der Erfüllungsort der
Geschäftssitz der Antragstellerin ist (Holschuld) und die Gefahr des zufälligen
Untergangs auf die Kunden übergeht, sobald die Antragstellerin den Kunden mitgeteilt
hat, dass die Waren ausgesondert sind und zur Abholung bereits stehen (§ 7 der AGB).
Gegenstand der Lieferung soll ausdrücklich nicht auch die Lieferung der Medikamente
sein (§ 9 Abs. 1 der AGB). Diese Klauseln dürften jedoch aufgrund eines Verstoßes
gegen § 307 i.V.m. § 310 Abs. 3 BGB unwirksam und aufgrund dessen nicht
Vertragsbestandteil geworden sein. Auf die zwischen der Antragstellerin und den
Kunden geschlossenen Verträge sind die Regelungen des BGB anwendbar (Art. 29
EGBGB). Bei den geschlossenen Verträgen handelt es sich um Verbrauchsgüterkäufe
gem. § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB. Auf diese Verträge findet § 447 BGB (Versendungskauf)
keine Anwendung (§ 474 Abs. 2 BGB). Vielmehr verbleibt es seit Inkrafttreten der
Schuldrechtsreform bei einem Verbrauchsgüterkauf bei der Regelung des § 446 BGB.
Danach geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der Verschlechterung erst mit
der Übergabe auf den Käufer über. Mit den Klauseln § 7 und § 9 Abs. 1 der AGB wird
die Übergabe – der Leistungsort – an den Sitz der Antragstellerin verlegt. Damit wird die
Regelung des § 447 BGB, die gerade beim Verbrauchsgüterkauf ausgeschlossen sein
soll, doch wieder angewandt. Aufgrund dessen dürften die Klauseln § 7 und § 9 Abs. 1
der AGB die Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen und gegen § 307 BGB verstoßen (vgl. Urteil des LG Bad Kreuznach vom
13.11.2002 3 O 202/02, VUR 2003, 80; Urteil des LG Landau vom 17.02.2006 HK O
97/05, WRP 2006, 779; Putzo, in: Palandt § 474 BGB Rn. 10; Lorenz, in: Münchener
Kommentar § 474 Rn. 5; allgemein zu § 447 BGB beim Verbrauchsgüterkauf BGH-Urteil
vom 16.07.2003 VIII ZR 302/02, NJW 2003, 3341). Der Inhalt der zwischen der
Antragstellerin und den Kunden geschlossenen Verträge dürfte sich gem. § 306 Abs. 2
BGB nach den gesetzlichen Vorschriften richten, so dass die Regelung des § 446 BGB
weiterhin anwendbar sein und im Streitfall der Gefahrübergang erst mit der Übergabe
der Medikamente in der deutschen Apotheke stattfinden dürfte. Das Risiko des
Transports von den Niederlanden bis zu der jeweiligen Apotheke müsste deshalb die
Antragstellerin tragen. Die Kunden selbst dürften kein Transportrisiko tragen und hätten
insoweit auch kein Interesse, einen Kurierdienst mit der Beförderung der Medikamente
zu beauftragen. Insofern ist fraglich, ob die formularmäßige Bevollmächtigung der
Antragstellerin im Namen und auf Rechnung der Kunden einen Kurierdienst mit dem
Transport der Medikamente zu beauftragen – die der Verlagerung des Leistungsorts an
den Sitz der Antragstellerin dient – ebenfalls mit den wesentlichen Grundgedanken des
§ 474 Abs. 2 BGB, von dem abgewichen werden soll, nicht vereinbar ist (§ 307 Abs. 2
Nr. 1 BGB) und damit der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht standhält oder
ob die formularmäßige Bevollmächtigung zivilrechtlich wirksam ist. Zumindest im Falle
eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB dürfte die Beförderung durch die A.
Dienstleistungen GmbH und die D-AG der Antragstellerin und nicht den Kunden
zuzurechnen sein, so dass sich der Lieferort nach § 3c Abs. 1 UStG bestimmen würde
und im Inland läge.
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Insbesondere ergibt sich auch aus dem Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 23.01.2004 nicht, dass der Ort der Medikamentenlieferungen im Streitfall
in Inland liegt. In diesem Schreiben führt das Bundesministerium der Finanzen aus, der
Ort der Lieferung bestimme sich in den Fällen nicht nach § 3c UStG, in denen die
Medikamentenverkäufe durch das niederländische Unternehmen an den deutschen
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Abnehmer durch Selbstabholung oder Beauftragung eines Paketdienstes durch den
Besteller in Deutschland erfolgen. Im vorliegenden Fall ist aber gerade streitig, ob eine
zivilrechtlich wirksame und steuerlich berücksichtigungsfähige Beauftragung eines
Paketdienstes durch die Kunden vorliegt.
Gegen eine einseitige Festlegung des Lieferorts durch Klauseln in den AGB eines
Unternehmers dürfte auch der Sinn und Zweck des § 3c UStG sprechen. § 3c UStG
wurde ins Gesetz eingefügt, um Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche
Umsatzsteuersätze zu vermeiden. Waren aus verschiedenen Ursprungsländern der EU
sollen in Höhe des gleichen Steuersatzes belastet werden. Dadurch soll die
Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer garantiert werden (Grünwald, in:
Hartmann/Metzenmacher § 3c UStG Rn. 3). Dementsprechend steht der Lieferort
grundsätzlich nicht zur Disposition des Unternehmers (Umkehrschluss aus § 3c Abs. 4
UStG). Eine Verlagerung des Lieferorts allein durch Klauseln in AGB und eine
formularmäßige Bevollmächtigung dürfte daher nicht möglich sein.
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Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Streitfall ein Missbrauch
von Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt (§ 42 AO). Die beabsichtigte Verlagerung des
Leistungsorts in die Niederlande könnte eine unangemessene rechtliche Gestaltung
darstellen, die bei der Antragstellerin zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen
Steuervorteil führen könnte. Die Verlagerung des Leistungsorts könnte allein dazu
dienen, die Medikamentenlieferungen dem niederländischen ermäßigten
Umsatzsteuersatz von 6% statt dem inländischen Umsatzsteuersatz von 19% zu
unterwerfen. Beachtliche außersteuerliche Gründe sind derzeit nicht ersichtlich.
70
Somit sind gewichtige Argumente gegeben, die dafür sprechen, dass der Lieferort der
Medikamentenlieferungen gem. § 3c UStG im Inland liegen könnte. Infolgedessen ist
das Sicherungsbedürfnis des Antragsgegners auch nicht aufgrund besonders großer
Erfolgsaussichten der Antragstellerin in der Hauptsache gemindert.
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Die Antragstellerin hat auch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass sie
außerstande ist, die angeordnete Sicherheit zu leisten, und dass sie deshalb
unangemessen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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