Urteil des FG Düsseldorf vom 29.12.2009

FG Düsseldorf (gerichtshof der europäischen gemeinschaften, einreihung, zollrechtliche tarifierung, pos, richtlinie, gerichtshof, verbindung, verordnung, kommission, bezeichnung)

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 2025/09 Z,EU
Datum:
29.12.2009
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 K 2025/09 Z,EU
Tenor:
Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung nach Art.
234 EG vorgelegt:
Fallen die im Beschluss näher beschriebenen Elektromobile unter die
Position 8713 oder die Position 8703 der Kombinierten Nomenklatur in
der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission vom
7. September 2004 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG)
Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische
Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. EU Nr. L 327/1)?
Gründe:
1
I.
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Die Beteiligten streiten sich über die Einreihung von Elektromobilen.
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Die Klägerin ließ vom 11.07.2005 bis zum 10.10.2005 mit sieben Zollanmeldungen
Elektromobile verschiedener, unten dargestellter Modelle aus Taiwan und China nach
Anmeldung der Waren unter der Unterposition 8713 9000 der Kombinierten
Nomenklatur (KN) in den zollrechtlich freien Verkehr überführen. Die Zollstelle fertigte
die Waren antragsgemäß ohne Zollerhebung und unter Erhebung des ermäßigten
Umsatzsteuersatzes ab.
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In den Handelsrechnungen wurden die Waren als "Mobility Scooter" bezeichnet. In den
Zollanmeldungen beschrieb die Antragstellerin die Waren als "Rollstühle und andere
Fahrzeuge für Behinderte, Elektromobile".
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Bei den Elektromobilen der Modelle ....., ....., ....., ..... ,....., ...., ....., ....., ....., .... und .....
handelte es sich um drei- oder vierrädrige Fahrzeuge zur Beförderung einer Person, die
von einem batteriebetriebenen Elektromotor angetrieben werden. Sie erreichten meist
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Höchstgeschwindigkeiten von 6 km/h, seltener von 8 bis 15 km/h und Reichweiten
zwischen 12 und 65 km mit einer Batterieladung. Die Fahrzeuge waren zwischen 100,6
und 152 cm lang und zwischen 47 und 67 cm breit und hatten ein Leergewicht von 36
bis 76 kg. Sie hatten Räder mit einem Durchmesser von 170 bis 320 mm und eine
waagerechte Plattform, auf der die Füße des Fahrers abgestellt werden konnten. Die
Lenksäule war mit Steuerelementen für das Fahren und Bremsen ausgestattet. An ihr
befand sich ein Drahtkorb. Die Fahrzeuge waren für den Transport zerlegbar und
verfügten im äußerst hinten gelegenen Fahrzeugbereich - teilweise mit der Hinterachse
verbunden - über zwei weitere kleine Räder, die ein Umkippen verhindern sollten.
Bei den Modellen ...., .... und .... handelt es sich ebenfalls um vierrädrige Elektromobile,
die trotz höheren Gewichts in Leistungen und Größen dem Modell ..... vergleichbar
waren, aber nicht über den dargestellten Kippschutz verfügten.
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Aufgrund einer erst mit Bericht vom 08.12.2008 abgeschlossenen Außenprüfung durch
das Hauptzollamt wurde dem Beklagten die Abwicklung der o.a. Einfuhren bekannt. Der
Beklagte war der Auffassung, die Elektromobile mit Ausnahme der Modelle ..... und .....
seien in die Position 8703 einzureihen und erhob mit Bescheid vom 02.07.2008
34.206,42 EUR Zoll und 36.014,20 EUR Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) nach.
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Dabei blieb die Einreihung der zugleich eingeführten Modelle .... und ..... unstreitig in der
Position 8713. Hierbei handelte es sich um mit Elektromotoren betriebene Rollstühle,
die eine in einer der Armlehnen montierte Steuerung hatten. Beide Rollstühle wiesen
individuell einstellbare Fußstützen auf und erreichten Höchstgeschwindigkeiten bis 6
km/h. Mit einer Batterieladung waren Reichweiten bis zu 20 oder 35 km zu erzielen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und verwies zur
Begründung auf Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam vom 8. April 2008,
Aktenzeichen DK 06/77-79, die die Einreihung in ihren Zollanträgen bestätigten.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 14.05.2009 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück, da es sich bei den Elektromobilen um Fahrzeuge handele, die in
die Unterposition 8703 1018 KN einzureihen seien. Sie dienten nämlich dem Transport
einer Person und könnten auf Gehwegen, Radwegen, in Parkgeländen, in
Fußgängerzonen oder an öffentlichen Orten beispielsweise beim Einkaufen, Angeln,
Golfspielen verwendet werden. Insoweit werde auf die Erläuterungen zum
Harmonisierten System zu Position 87.03 (Erl. HS Pos. 87.03) Rzn. 01.0 bis 05.0
verwiesen. Auch seien derartige Fahrzeuge nach den Erl. HS Pos. 87.13 Rz. 07.0 nicht
in die Position 8713 einzureihen. Das wäre nach dem Wortlaut der Position 8713, in der
es "für Behinderte" heiße, nur möglich, wenn die Fahrzeuge speziell zum Befördern von
Behinderten gebaut worden seien. Daran fehle es aber. Allein die überwiegende
Benutzung von Behinderten sei kein geeignetes Kriterium.
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Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und
beantragt,
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den Einfuhrabgabenbescheid des Beklagten vom 02.07.2009 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 14.05.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.
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Auf Nachfrage des Gerichts in einem vorangegangenen Verfahren hat der Gerichtshof
Amsterdam mitgeteilt, dass die Rechtsmittel gegen seine o.a. Urteile, die die Klägerin zu
den Akten gereicht hatte, zwischenzeitlich zurückgenommen worden sind.
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II.
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Für die von der Klägerin in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Fahrzeuge ist die
Zollschuld nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 S. 1 ZK entstanden. Der dabei
anzuwendende Abgabensatz ergibt sich nach Art. 20 Abs. 1 ZK aus dem Zolltarif, im
Streitfall aus der KN, Art. 20 Abs. 3 Buchst. a ZK. Diese ist für Einfuhren des Jahres
2005 in der Fassung der VO (EG) Nr. VO 1810/2004 vom 7. September 2004 (ABl. EU
Nr. L 327/1) anzuwenden.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Zollsatz für die streitbefangenen Waren, die
Elektromobile der Modelle ....., ....., ....., ....., ....., ....., ......, ....., ....., ..... und ...... sowie der
Modelle ....., .... und ..... der Position 8703 als "Personenkraftwagen und andere
Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit hauptsächlich für die Personenbeförderung
bestimmt", oder der Position 8713 als "andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit
Motor" zu entnehmen ist.
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Von dieser Einreihung in die KN hängt auch der Umsatzsteuersatz ab, denn nach § 12
Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in Verbindung mit der laufenden Nummer 51 der
Anlage 2 zu diesem Gesetz unterliegen "Rollstühle und andere Fahrzeuge für
Behinderte, auch mit Motor" dem ermäßigten Steuersatz.
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Diese umsatzsteuerliche Regelung beruht auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3
Satz 2 der 6. Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. EG
Nr. L 145/1, insoweit zuletzt geändert durch die Richtlinie 1999/49/EG des Rates vom
25. Mai 1999, ABL. EU Nr. L 139/27) in Verbindung mit Anhang H Abs. 2 Nr. 4 dieser
Richtlinie. Die seinerzeit noch nicht geltende Richtlinie 2006/112/EG des Rates über
das gemeinsame Mehrwertsteuersystem enthält in ihrem Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 in
Verbindung mit ihrem Anhang III Nr. 4 die gleichen Regelungen.
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Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten
Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von
Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie
im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder
Kapiteln festgelegt sind (s. EuGH Urteil v. 19. Februar 2009, C-376/07, Rz. 31).
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Danach sprechen erhebliche Umstände für eine Einreihung in die Position 8703, denn
bei den Elektromobilen handelt es sich, wenn nicht um Personenkraftwagen, dann aber
um andere Kraftfahrzeuge, die nach ihrer Beschaffenheit hauptsächlich für die
Personenbeförderung bestimmt sind.
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Eine Einreihung als "andere Fahrzeuge für Behinderte, auch mit Motor" der Position
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8713 ist eher fern liegend, weil diese Fahrzeuge nicht über Einrichtungen verfügen, die
sie gerade für die Benutzung durch Behinderte bestimmen. Der Kippschutz durch die
beiden zusätzlichen kleinen Räder im Bereich der Hinterachse stellt nur eine
Sicherungseinrichtung dar, die jedem Benutzer und nicht nur einem behinderten
Benutzer dient. Gleiches gilt auch für den jeweils an der Lenksäule angebrachten Korb.
Allenfalls bei den streitbefangenen Fahrzeugen, die nur eine Höchstgeschwindigkeit
von 6 km/h, die Geschwindigkeit eines etwas schnelleren Gehens erreichen können,
kann eine Verwendung überwiegend für Personen mit Gehbehinderungen nahe liegen.
Insoweit nämlich erlauben diese Fahrzeuge dem Benutzer eine Fortbewegung, auf die
er ohne Gehbehinderung nicht angewiesen wäre und die ihm ohne Gehbehinderung
regelmäßig keine Vorteile bietet.
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Gleichwohl orientiert sich die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung, die auch von
der EU-Kommission geteilt wird (s. Verordnung (EG) Nr. 718/2009 der Kommission vom
4. August 2009 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur,
ABl. EU Nr. L 205/7), an den Erläuterungen zum HS, dem Harmonisierten System zur
Bezeichnung und Codierung der Waren. Im Einreihungsavis zum HS (s. Erl KN (HS)
Pos. 8703 Avise zu Unterposition 8703 10 Rz. 01.0 ff.) wird ein mit den von der Klägerin
eingeführten Fahrzeugen vergleichbares Fahrzeug beschrieben und der Position 8703
zugewiesen. Zudem wird in den Erl KN (HS) zu Pos. 8713 unter Rz. 01.1 für die
Einreihung in die Position 8713 verlangt, dass die Fahrzeuge ihrer Beschaffenheit nach
speziell für das Befördern von Behinderten bestimmt sind. Diese Auslegung legt das
Vorhandensein einer besonderen, für Behinderte bestimmten Einrichtung nahe, die den
eingeführten Fahrzeugen fehlt.
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Zudem dürfte, wenn besondere Einrichtungen gegeben sein müssen, der von Position
8713 vorausgesetzte Begriff der Behinderten eine über Mobilitätsprobleme
hinausgehende Behinderung voraussetzen.
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Für die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung sprechen insbesondere die zu
den Akten gereichten Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam, in denen es zwar
nicht um baugleiche, aber mit den eingeführten Fahrzeugen vergleichbare Modelle ging.
Hierzu hat der Gerichtshof Amsterdam zwar nicht festgestellt, welche besondere
Gestaltung der Fahrzeuge auf ihre Zweckbestimmung für Behinderte schließen lässt,
sondern sich nur mit der Schlussfolgerung begnügt, derartige Fahrzeuge würden
allgemein nur von Personen mit Mobilitätsproblemen genutzt und derartige Personen
würden im allgemeinen Sprachgebrauch als Behinderte bezeichnet.
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Allerdings begegnet diese Schlussfolgerung Bedenken: Der Gerichtshof Amsterdam
geht nämlich von einer als allgemein unterstellten Verwendung aus, um zwischen zwei
Positionen der Kombinierten Nomenklatur, die völlig den Bestimmungen des
Internationalen Übereinkommens über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und
Codierung der Waren vom 14. Juni 1983 (s. Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7.
April 1987, ABl. EG Nr. L 198/1) entsprechen, unterscheiden zu können. Eine derartige
Differenzierung darf aber bei einem weltweit geltenden Regelungswerk mit dem
Anspruch weltweit gleicher Anwendung (s. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, Art. 7 Abs. 1
Buchst. b und c, Art. 8 und 10 des o.a. Übereinkommens) nur dann herangezogen
werden, wenn es weltweit feststellbar ist. Das dürfte regelmäßig nur selten der Fall sein.
Im Streitfall ist eine Feststellung, dass die streitbefangenen Waren weltweit
üblicherweise nur oder doch ganz überwiegend durch Behinderte benutzt werden, nicht
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möglich. Die weiteren Angebote von beim Golfsport eingesetzten Fahrzeugen (Blatt 33
und 34 der Gerichtsakte) des chinesischen Herstellers der streitbefangenen Modelle .....,
..... und ..... zeigen beispielhaft, dass mit den streitbefangenen Elektromobilen
vergleichbare Fahrzeuge auch für eine Nutzung bestimmt sein können, die mit einer
Gehbehinderung nichts zu tun hat.
Neben den genannten Gründen erscheint die Aussetzung des Verfahrens und die
Vorlage zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG auch deshalb angebracht, um eine
einheitliche Rechtsanwendung in der Gemeinschaft sicherzustellen. Da Rechtsmittel
der Zollverwaltung gegen die Entscheidungen des Gerichtshofs Amsterdam
zurückgenommen worden sind, dürfte sich die Zollverwaltung in den Niederlanden
dieser Rechtsprechung zumindest zeitweise angeschlossen haben.
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