Urteil des FG Düsseldorf vom 12.06.2003

FG Düsseldorf (Einkünfte, Unbeschränkte Steuerpflicht, Japan, Grundsatz der Gleichbehandlung, Vorbehalt des Gesetzes, Innerstaatliches Recht, Doppelbesteuerungsabkommen, Neues Recht, Steuersatz, Oecd)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 14 K 7130/02 E
12.06.2003
Finanzgericht Düsseldorf
14. Senat
Urteil
14 K 7130/02 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Kläger sind japanische Staatsangehörige. Sie lebten im Streitjahr 1997 vom 01. Januar
1997 bis zum 14. Dezember 1997 mit einem Kind in der Bundesrepublik Deutschland.
Während seines Aufenthalts im Inland war der Kläger bei einem inländischen
Unternehmen nichtselbständig tätig und erhielt für diesen Zeitraum einen Arbeitslohn in
Höhe von 385.265 DM.
Danach kehrte die Familie nach Japan zurück. Nach dem Wegzug erzielte der Kläger in
Japan Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, die umgerechnet 5.460 DM betrugen.
Im Einkommensteuerbescheid 1997 vom 26. August 1998 legte der Beklagte als
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit den in Deutschland erzielten Betrag von
385.265,- DM zugrunde; den Steuersatz ermittelte er jedoch unter Einbeziehung der in
Japan erzielten Einkünfte nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG und setzte die Einkommensteuer
auf 151.606 DM fest.
Mit ihrem Einspruch vom 7. September 1998 wandten sich die Kläger u.a. gegen die
Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG und machten geltend, nach dem Wortlaut des §
32b Abs. 1 Nr. 2 EStG seien in Fällen der zeitweisen unbeschränkten Steuerpflicht
ausländische Einkünfte, die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen
Einkommensteuer unterlegen haben, im Wege des Progressionsvorbehaltes bei der
Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Diese Handhabung solle nach der
Gesetzesbegründung wegen des Gleichheitssatzes erforderlich sein. Die Anwendung des
Progressionsvorbehaltes auf die ausländischen Einkünfte, die während der Ansässigkeit
des Klägers in Japan erzielt worden seien und die im betreffenden Veranlagungszeitraum
nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen hätten, führe jedoch im Vergleich zu den
unter gleichen Umständen ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen zu einer nicht
gerechtfertigten Schlechterstellung und stelle damit einen Verstoß gegen den
Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz -GG- dar.
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Außerdem verstoße die Anwendung des Progressionsvorbehaltes im Falle des Klägers
gegen das Doppelbesteuerungsabkommen Japan (DBA-Japan). Sowohl nach den OECD-
Muster-DBA zum Progressionsvorbehalt (Art. 23 A Abs. 3) als auch nach Art. 23 Abs. 1
Buchst. a DBA Japan sei der Progressionsvorbehalt ausschließlich dem Wohnsitzstaat im
Sinne des Abkommens zugewiesen. Nur für eine Person, die nach dem Abkommen als im
Wohnsitzstaat ansässig gelte, dürfe der Progressionsvorbehalt angewendet werden. Dies
ergebe sich bereits aus dem Einleitungssatz zu Art. 23 Abs. 1 a) DBA Japan. Erst wenn
festgestellt worden sei, dass eine Person nach dem Abkommen als in Deutschland
ansässig gelte, könnten die aus dem anderen Vertragsstaat stammenden und in
Deutschland freigestellten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterworfen werden. Nach
herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung sei der in den
Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarte Progressionsvorbehalt abschließend so zu
verstehen, dass der Quellenstaat, dem der Progressionsvorbehalt abkommensrechtlich
nicht zustehen solle, dieses Recht nicht auf Grund eigener Gesetzgebung begründen
könne. Die Einbeziehung der Einkünfte verstoße gegen Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA
Japan und sei daher abkommensrechtlich unzulässig.
Darüber hinaus verlange der auch im Steuerrecht zu beachtende Gleichheitssatz, dass die
Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet
würden. Unterschiedliche Belastungsfolge und damit eine Schlechterstellung einzelner
Steuerpflichtiger bedürften somit zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit einer an Art. 3
GG zu messenden sachlichen Begründung. Diese sachliche Begründung sei im
vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Durch die Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG
sollten seit dem Veranlagungszeitraum 1996 nunmehr auch solche ausländischen
Einkünfte in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden, für die in einem DBA gerade
kein Progressionsvorbehalt vorgesehen sei. Diese Rechtsfolge sei unsystematisch und
führe zu einer gleichheitswidrigen Schlechterbehandlung des Klägers gegenüber den
Fallgestaltungen, in denen die unbeschränkte Steuerpflicht während des gesamten
Veranlagungszeitraumes, etwa durch Innehabung einer Zweitwohnung im Inland,
bestanden habe, ohne dass die unbeschränkte Steuerpflicht insoweit etwas an der DBA-
rechtlichen Ansässigkeit in Japan geändert habe. Soweit eine Person auf Grund eines
Wohnsitzes im Inland während des gesamten Veranlagungszeitraumes unbeschränkt
steuerpflichtig sei, nach dem DBA Japan aber auf Grund des in Japan bestehenden
Mittelpunktes der Lebensinteressen für DBA-Zwecke lediglich dort als ansässig gelte, habe
Deutschland nach dem DBA Japan für die hier freizustellenden ausländischen Einkünfte
keinen Progressionsvorbehalt und nehme ihn auch nicht nach einer innerstaatlichen Norm
in Anspruch. Es sei durch keine sachlichen Gründe zu rechtfertigen und damit willkürlich
und gleichheitswidrig, wenn er - der Kläger -, der nur für einen Teil des Jahres tatsächlich
unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei, hinsichtlich der in Deutschland nicht zu
besteuernden ausländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterliege. Über den
gesamten Veranlagungszeitraum gesehen, sei seine Bindung an das Inland eher geringer
als diejenige einer Vergleichsperson mit durchgängig unbeschränkter Steuerpflicht. Die
Ungleichbehandlung und die daraus resultierende Schlechterstellung der nur zeitweise
unbeschränkt Steuerpflichtigen werde besonders deutlich in Fällen des Zuzuges oder
Wegzuges in der Nähe des Jahreswechsels. Hier entschieden bereits wenige Tage der
nicht bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht darüber, ob sämtliche ausländischen
Einkünfte in die Ermittlung des Steuersatzes einzubeziehen seien. Bei ganzjähriger
unbeschränkter Steuerpflicht könnten - soweit Deutschland Ansässigkeitsstaat sei - nur die
nach dem einschlägigen DBA unter Progressionsvorbehalt freigestellten ausländischen
Einkünfte berücksichtigt werden.
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Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung mit ganzjährig unbeschränkt
Steuerpflichtigen werde gerade nicht erreicht, weil der Gesetzgeber fälschlicherweise
außer Acht gelassen habe, dass nicht die ganzjährige unbeschränkte Steuerpflicht,
sondern erst die DBA-Ansässigkeit in Deutschland die Anwendung des
Progressionsvorbehaltes erlaube.
Mit Bescheiden vom 29. Oktober 1998 und 20. November 1998 änderte der Beklagte die
Einkommensteuerfestsetzung 1997 aus hier nicht mehr streitigen Gründen.
Mit Schriftsatz vom 22. Juni 1999 beantragten die Kläger die Gewährung eines
Abzugsbetrages in Analogie zu § 32 c EStG auf das 200.566,- DM übersteigende zu
versteuernde Einkommen.
Nachdem der Bundesfinanzhof - BFH - mit Urteilen vom 19. Dezember 2001 (I R 63/00,
Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV-
2002, 584) und vom 15. Mai 2002 (I R 40/01, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 660) die
wortlautgetreue Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG für rechtens erklärt hatte, machten
die Kläger mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2002 geltend, die Entscheidung des BFH (I R
63/00 vom 19. Dezember 2001) beruhe auf einer Änderung der Rechtsprechung zu einer
anderen Vorschrift, nämlich zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG. Danach habe entgegen der
bisherigen Auffassung der Progressionsvorbehalt auf DBA-befreite Einkünfte nicht
konstitutiven sondern nur deklaratorischen Charakter. Er sei insbesondere nicht davon
abhängig, dass Deutschland Ansässigkeitsstaat sei.
Erst unter Zugrundelegung dieser geänderten Rechtsauffassung zu einer anderen
Vorschrift komme der BFH zu dem Ergebnis, das dann auch § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht
mehr gegen DBA-Recht verstoße, weil es den Progressionsvorbehalt für nicht Ansässige
nicht verbiete. Wenn aber alle DBA-befreiten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt
unterlägen, unabhängig von der Ansässigkeit in Deutschland, seien unter Nr. 2 der
Vorschrift fallende Steuerpflichtige zukünftig auch nicht mehr schlechter gestellt als unter
Nr. 3 der Vorschrift fallende Steuerpflichtige.
Der BFH übersehe jedoch, dass es erst der Änderung seiner eigenen Rechtsprechung zu §
32b Abs. 1 Nr. 3 EStG bedurfte, um Nr. 2 der Vorschrift in Einklang zu bringen mit DBA-
Recht und dem Gleichheitsgrundsatz. Die Änderung der Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1
Nr. 3 EStG beseitige jedoch den Verstoß der Nr. 2 der Vorschrift gegen den
Gleichheitsgrundsatz und DBA-Recht nicht rückwirkend. Durch Änderung der
Rechtsprechung stelle der BFH somit incidenter für die Zeit bis zum Bekanntwerden seines
Urteils in der Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG einen Verstoß gegen DBA-Recht und
den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG fest. Es sei auch kein
Präzedenzfall ersichtlich, wonach es zulässig wäre, die Rechtsprechung zu einer anderen
Vorschrift (hier: § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG) zu ändern, um auf diesem Wege eine bestimmte
Vorschrift (hier: § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) rückwirkend verfassungskonform und in
Übereinstimmung mit höherrangigem DBA-Recht auszulegen.
Insoweit, als nach der alten DBA-Rechtsauffassung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 verfahren worden
sei, ergebe sich ein Verstoß der Nr. 2 der Vorschrift gegen den Gleichheitsgrundsatz des
Art. 3 Abs. 1 GG, es sei denn, rückwirkend könnten auch DBA-befreite Einkünfte
nichtansässiger unbeschränkt Steuerpflichtiger nunmehr zum Progressionsvorbehalt nach
§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG herangezogen werden. Soweit nicht ansässige unbeschränkt
Steuerpflichtige für die Zeit vor dem Ergehen der BFH-Entscheidung nicht mehr zum
Progressionsvorbehalt herangezogen werden könnten, werde der Verstoß gegen den
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Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG durch die neue Rechtsprechung zu
§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht rückwirkend beseitigt.
Wenn die gefestigte Rechtsprechung und Literaturmeinung bisher der Auffassung gewesen
sei, dass der DBA-Progressionsvorbehalt konstitutiv in dem Sinne sei, dass er nur bei
Ansässigkeit im Inland erlaubt sei, verstoße § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG insoweit auch gegen
gültiges und angewandtes DBA-Recht. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG stelle daher für die Zeit vor
dem BFH-Spruch eine gegen Art. 23 Abs. 2 a) Satz 2 DBA verstoßende Regelung, ein sog.
"treaty overriding" dar. Eine abkommenswidrige, innerstaatliche Gesetzgebung sei jedoch
nicht "rechtmäßig". Denn nach § 2 Abgabenordnung -AO- gingen Verträge mit anderen
Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, soweit sie unmittelbar anwendbares,
innerstaatliches Recht geworden seien, den Steuergesetzen vor. Mit dieser Vorschrift sei
klargestellt worden, "...dass völkerrechtliche Vereinbarungen... Vorrang vor den
innerstaatlichen Steuergesetzen haben und deshalb allein durch spätere, innerstaatliche
Gesetze nicht abgeändert werden können". Der durch § 2 AO begründete Vorrang des
DBA-Rechts vor innerstaatlichem Recht gelte nur dann nicht, wenn das Gesetz - wie z.B. in
§ 50 d Abs. 1 Satz 1 EStG geschehen - ausdrücklich eine vom Zustimmungsgesetz
abweichende Regelung treffe. Andernfalls würde § 2 AO sinnentleert. § 32b Abs. 1 Nr. 2
EStG enthalte jedoch keine dem § 50 d Abs. 1 Satz 1 EStG vergleichbare Einschränkung
des DBA-Progressionsvorbehalts alter Rechtsauffassung, die zumindest für die
Vergangenheit aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht dadurch entbehrlich werde,
dass der BFH seine Rechtsprechung ändere.
Eine rückwirkende Erfassung DBA-befreiter Einkünfte bei nicht in Deutschland Ansässigen
verbiete sich jedoch nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO, wonach Steuerbescheide nicht
zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden dürften, wenn sich die
Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert habe, die bei der
bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden sei. Insoweit
verbleibe es für die Vergangenheit dabei, dass Nr. 2 der Vorschrift bei wörtlicher Auslegung
gegen DBA-Recht und Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil sie nach der alten Rechtsauffassung
willkürlich gleichheitswidrig und damit verfassungswidrig sei. Denn wenn es für ganzjährig
unbeschränkt, aber nicht ansässige Steuerpflichtige für die Vergangenheit wegen § 176
Abs. 1 Nr. 3 AO nicht mehr zum Progressionsvorbehalt komme, seien die Steuerpflichtigen
benachteiligt, die wegen Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht dennoch dem
Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG unterlägen.
Für die Vergangenheit verbleibe es somit dabei, dass es zu nicht gerechtfertigten
Ungleichbehandlungen nach Nr. 2 der Vorschrift komme, weil bei wörtlicher Auslegung der
Vorschrift der Progressionsvorbehalt selbst in solchen Fällen anzuwenden wäre, in denen
überhaupt keine Steuerpflicht mehr (bei Wegzug) oder noch nicht (bei Zuzug) bestehe, also
noch nicht einmal eine beschränkte Steuerpflicht. Demgegenüber entgingen diejenigen
Steuerpflichtigen, die unbeschränkt steuerpflichtig, aber nicht ansässig seien, dem
Progressionsvorbehalt für die Zeit vor dem Urteilsspruch, was einem Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. gegen die innere Sachgesetzlichkeit der
Regelung gleichkomme.
Die Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich Nr. 3 der Vorschrift könne somit wegen der
Sperrwirkung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO die Verfassungswidrigkeit des § 32b Abs. 1 Nr. 2
EStG nicht mit rückwirkender Kraft beseitigen. Die Entscheidung könne daher nicht mit
rückwirkender Kraft auf andere Fälle angewendet werden.
Die vom BFH in seinem Urteil vom 19. Dezember 2001 (I R 63/00) vertretene Auffassung,
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es sei Deutschland nicht verwehrt, den Progressionsvorbehalt auf DBA-befreite Einkünfte
zu erheben, solange das DBA dies nicht verbiete, sei zwar grundsätzlich richtig. Eine
solche rein rechtstheoretische Aussage werde damit aber noch nicht zu einer
Rechtsgrundlage an sich. Entscheidend sei vielmehr, ob dieses Verständnis des DBA-
Progressionsvorbehalts auch durch § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in das Gesetz Eingang
gefunden habe. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergebe sich jedoch, dass
diese weite Auslegung durch den BFH gar nicht in das Gesetz aufgenommen worden sei
und somit nicht der gegenwärtigen Rechtslage entspreche.
§ 32b EStG sei durch das Einkommensteuer-Reformgesetz 1974 erstmals ab 1975 in das
Einkommensteuergesetz aufgenommen worden. Dies sei "aus Gründen der
Rechtssicherheit" geschehen, um der bisher schon geübten Praxis der Finanzverwaltung,
nach DBA freigestellte Einkünfte dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen, eine
gesetzliche Grundlage zu geben. Habe die bisher geübte Praxis der Finanzverwaltung
allein auf DBA-Recht basiert, so habe dieses Recht lediglich formell in das
Einkommensteuergesetz übernommen werden sollen, ohne dass damit eine Erweiterung
des im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalts beabsichtigt gewesen sei.
Mit der Änderung der Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG gehe der BFH jedoch
über die Absicht des Gesetzgebers, einen im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalt in
das Einkommensteuergesetz zu übernehmen, weit hinaus. Indem er die in der Vorschrift
enthaltene Einschränkung für überflüssig erkläre, dass das DBA den
Progressionsvorbehalt "erlauben" müsse, komme dies einer Gesetzesänderung gleich und
beschränke sich nicht mehr auf bloße Rechtsprechung. Der BFH setze sich damit über die
Absicht des Gesetzgebers, den Progressionsvorbehalt nur insoweit in das
Einkommensteuergesetz zu übernehmen, als dies im DBA selbst vorgesehen ist, hinweg,
gegen den insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut.
Es sei auch nicht erkennbar, dass die Einschränkung in Nr. 3 der Vorschrift "... unter dem
Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer ..." etwa
misslungen wäre und nach Ansicht des BFH so zu verstehen sei, dass der
Progressionsvorbehalt immer dann anzuwenden sei, wenn das DBA dies nicht verbiete.
Zutreffend sei vielmehr, dass der Gesetzgeber in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG durch die
Einschränkung, dass die Einkünfte "... unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der
Berechnung der Einkommensteuer ..." nach einem DBA steuerfrei seien, auf die
Vereinbarungen in den DBA habe Bezug nehmen wollen, die einen Progressionsvorbehalt
vorsähen und nicht auf solche, die einen Progressionsvorbehalt verbieten würden. Denn
eine Bezugnahme auf ein Verbot des Progressionsvorbehalts durch ein DBA führe sich
selbst ad absurdum, weil es, wie der BFH selbst feststelle, kein DBA gebe, das ein Verbot
des Progressionsvorbehalts ausspreche. Der BFH sei eine Erklärung für seine Auslegung
schuldig geblieben, warum sich der Gesetzgeber auf ein Verbot des
Progressionsvorbehalts durch ein DBA habe beziehen können, wenn es kein solches
Verbot gebe.
Nach dem klaren Wortlaut und dem aus der Historie erkennbaren Willen des Gesetzgebers
solle der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nur insoweit greifen, als dies
im einschlägigen DBA vorgesehen sei. Die Einschränkung "... unter dem Vorbehalt der
Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer ..." bedeute jedoch keinesfalls,
dass sie immer greife, solange das DBA den Progressionsvorbehalt nicht verbiete. Damit
würde der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG auf den Kopf gestellt und der Wille des
Gesetzgebers missachtet.
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Die Bezugnahme auf den im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalt bewirke mithin,
dass er nur insoweit greifen könne, wie im DBA selbst geregelt. Die DBA räumten jedoch
den Progressionsvorbehalt nach ihrem Wortlaut nur "...bei einer in der Bundesrepublik
ansässige Person ..." ein. Da die DBA den Progressionsvorbehalt jedoch nur dem
Ansässigkeitsstaat im Gegenzug für die Freistellung von Einkünften einräumten, sei durch
die Bezugnahme darauf diese Beschränkung ("... bei einer in der Bundesrepublik
ansässigen Person...") in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG übernommen worden.
Angesichts dieser Rechtslage genüge eine vermeintliche Änderung der Rechtsprechung
des BFH nicht, sondern es bedürfe einer gesetzlichen Änderung des Wortlauts von § 32b
Abs. 1 Nr. 3 EStG, wenn der Progressionsvorbehalt tatsächlich unabhängig von der
Ansässigkeitsregelung im DBA angewendet werden solle. Wegen der Trennung von
Legislative und Judikative stehe dieses Recht jedoch nicht dem BFH zu und könne auch
nicht durch eine vermeintliche "Änderung der Rechtsprechung" im Urteil I R 63/00 bewirkt
werden. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf nicht in Deutschland Ansässige
aufgrund der neuen BFH-Rechtsprechung würde daher gegen das Rechtsstaatsprinzip, Art.
20 Abs. 3 GG, verstoßen, solange der Gesetzgeber selbst § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht
entsprechend ändere.
Mit Einspruchsentscheidung vom 27. November 2002 änderte der Beklagte den Bescheid
insoweit, als er ihn hinsichtlich der Tarifbegrenzung gemäß § 32 c EStG für vorläufig
gemäß § 165 Abs. 1 AO erklärte und wies den Einspruch im übrigen als unbegründet
zurück. Er berief sich dabei im Wesentlichen auf die beiden vorgenannten BFH-Urteile.
Mit der am 20. Dezember 2002 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren unter
Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringens weiter. Darüber hinaus beantragen sie das
Ruhen des Verfahrens im Hinblick darauf, dass noch Entscheidungen des BVerfG und des
EuGH ausstünden.
Was die Erheblichkeit einer Entscheidung des EuGH betreffe, so sei auf Art. 24 Nr. 1 des
Deutsch-Japanischen Doppelbesteuerungsabkommens hinzuweisen. Diese Vorschrift
enthalte eine Meistbegünstigungsklausel. Sollte der Progressionsvorbehalt für EU-Bürger
nicht anwendbar sein, so wäre aufgrund dieser Klausel auch einem japanischen
Staatsbürger gegenüber der Progressionsvorbehalt nicht anzuwenden. Es sei zu erwarten,
dass sich das Bundesverfassungsgericht und der EuGH in Kürze mit der Frage der
Rechtmäßigkeit der neuen BFH-Rechtsprechung befassen werde. Nach ihren
Informationen werde vom FG Köln gegenwärtig geprüft, welches der zahlreichen beim FG
Köln anhängigen Verfahren für einen Normenkontrollantrag am geeignesten wären.
Ergänzend nehmen sie auf ein Gutachten von Professor Dr. jur. Dr. h.c. Klaus Vogel mit
dem Titel " Die neue Rechtsprechung des BFH zum Progressionsvorbehalt" Bezug, das im
zweiten Rechtszug im Verfahren 8 K 1213/02 des Finanzgerichts Köln vorgelegt wurde.
Die Kläger beantragen,
das Verfahren ruhen zu lassen,
hilfsweise,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1997 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27. November 2002 die Einkommensteuer ohne
Berücksichtigung der ausländischen Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersatzes
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festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dem Antrag der Kläger auf das Ruhen des Verfahrens könne nicht gefolgt
werden. Zur Begründung verweist er ergänzend darauf, dass seine Auffassung durch die
Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 10. Februar 2002 (7 K 1169/99), mit der das FG
in einem gleich gelagerten Sachverhalt die Klage abgewiesen habe, bestätigt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat ist an einer Entscheidung des Verfahrens nicht durch den Ruhensantrag der
Kläger gehindert. Es fehlt insoweit bereits am notwendigen Einverständnis seitens des
Beklagten (§ 155 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO- i. V. m. § 251 der
Zivilprozessordnung -ZPO-). Dabei kann offen bleiben, ob bei einer rechtmissbräuchlichen
Verweigerung der Zustimmung durch die Finanzbehörde deren Zustimmung durch das
Gericht ersetzt werden kann, denn die Verweigerung ist im Streitfall jedenfalls nicht
missbräuchlich. Es steht dem Beklagten frei, auf einer streitigen Entscheidung zu bestehen,
wenn - wie geschehen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001 I R 63/00, BFH/NV 2002,
584 und Urteil vom 15. Mai 2001 I R 40/01, BStBl II 2002, 660) - der BFH bereits die
Rechtsfrage mehrfach materiell entschieden hat.
Hieran ändert auch die Anhängigkeit einer erneuten Revision (Az.: I R 19/03) nichts. Das
Zwangsruhen bei Anhängigkeit eines Verfahrens zu einer Rechtsfrage vor einem obersten
Gerichtshof gilt nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nur für das Einspruchsverfahren.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid vom 27. November 2002 ist rechtmäßig und verletzt die
Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht die
ausländischen Einkünfte des Klägers, die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen
Einkommensteuer unterlegen haben, im Wege des Progressionsvorbehalts bei der
Ermittlung des Steuersatzes berücksichtigt.
Die Kläger waren in der Zeit vor dem 13. Dezember 1997 in der Bundesrepublik
unbeschränkt (§ 1 Abs. 1 EStG) und nach dem 14. Dezember 1997 nur noch beschränkt
einkommensteuerpflichtig. Denn durch ihren Umzug nach Japan gaben sie sowohl ihren
inländischen Wohnsitz als auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf.
Die in der Zeit vom 14. Dezember 1997 bis zum 31. Dezember 1997 erzielten
ausländischen Einkünfte des Klägers dürfen, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit
herrscht, nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einbezogen
werden. Sie sind jedoch gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG im Wege des
Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
Nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist bei der Festsetzung der Einkommensteuer u.a. dann ein
besonderer Steuersatz (§ 32b Abs. 2 EStG) anzuwenden, wenn ein zeitweise unbeschränkt
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Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte bezogen hat, die im Veranlagungszeitraum nicht
der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben. Diese Regelung gilt kraft
ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung "nur für Fälle der zeitweisen unbeschränkten
Steuerpflicht einschließlich der in § 2 Abs. 7 Satz 3 geregelten Fälle". Wie sich aus dem
Wort "einschließlich" ableiten lässt, erfasst sie nicht nur die in § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG
geregelte Situation, in der ein Steuerpflichtiger in einem Teil des Kalenderjahres
unbeschränkt steuerpflichtig ist und in einem anderen beschränkt steuerpflichtige Einkünfte
i.S. des § 49 EStG erzielt. Sie greift vielmehr ihrem Wortlaut nach auch dann ein, wenn in
einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil
keine in der Bundesrepublik zu besteuernden Einkünfte anfallen (vgl. BFH-Urteil vom 19.
Dezember 2001, I R 63/00, BFH/NV 2002, 584 m.w.N.; FG Hamburg, Urteil vom 12.
Februar 2003, V 194/98, n.v.; FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99,
Internationales Steuerrecht -IStR- 2003, 272). Folglich wird der Streitfall von ihr erfasst.
§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist im Streitfall unabhängig davon anzuwenden, ob das Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kaiserreich Japan zur Vermeidung
der Doppelbesteuerungen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und anderer
Steuern -DBA-Japan- vom 22. April 1966 (Bundesgesetzblatt -BGBl- 1967 II, 872)
ausdrücklich der Bundesrepublik als Ansässigkeits- oder Quellenstaat ein
Besteuerungsrecht mit Progressionsvorbehalt einräumt. Entscheidend ist allein, dass Art.
15 DBA-Japan der Bundesrepublik die Besteuerung der streitigen Einkünfte des Klägers
aus nichtselbständiger Arbeit uneingeschränkt gestattet und dass Art. 23 Abs. 1 Buchst. a
Satz 2 DBA-Japan keine anderweitige Regelung enthält. Angesichts dieser Rechtslage
entscheidet sich allein nach dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht, ob ein
Progressionsvorbehalt anzuwenden ist. Auch eine dem Art. 23 A Abs. 3 des OECD-
Musterabkommens aus 1977 (OECDMustAbk) entsprechende Vorschrift hat nur
deklaratorische Bedeutung. Bei dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob § 32b Abs.
1 Nr. 2 EStG ausdrücklich ein "treaty overriding" enthält (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember
2001 I R 63/00, a.a.O. zu den vergleichbaren Regelungen im DBA-USA).
Der Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist auch nicht aus historischen,
verfassungsrechtlichen und/ oder völkerrechtlichen Gründen teleologisch zu reduzieren.
Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem BFH (Urteil vom 19. Dezember 2001 I R
63/00, a.a.O.) im Grundsatz davon aus, dass die Berücksichtigung des
Progressionsvorbehalts dem Prinzip der Besteuerung eines jeden nach seiner
Leistungsfähigkeit entspricht. Dies gilt jedenfalls für unbeschränkt steuerpflichtige
Personen. Deren im Inland steuerpflichtige Einkünfte sollen nach dem Steuersatz besteuert
werden, der für das Welteinkommen anzuwenden wäre.
Eine Ausnahme vom Grundsatz kann für beschränkt steuerpflichtige Personen mit
Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt werden, weil es häufig unmöglich ist, deren
Welteinkommen zu ermitteln. Systemwidrig ist die in § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG enthaltene
Einschränkung des Progressionsvorbehalts auf ausländische Einkünfte. Richtigerweise
müssen auch alle inländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Aus dem
Systemfehler ergeben sich jedoch keine weiter gehenden Konsequenzen, weil von ihm alle
Personen gleichermaßen begünstigt bzw. benachteiligt werden. Überflüssig ist ferner die in
§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG enthaltene Einschränkung, dass das jeweils einschlägige DBA
einen Progressionsvorbehalt "erlauben" muss. Der Senat versteht die Regelung wie der
BFH in einem materiell-rechtlichen Sinne dahin, dass das jeweils einschlägige DBA die
Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht verbieten darf. Bei diesem Verständnis ist
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eine ausdrückliche Erlaubnisnorm innerhalb des DBA nicht erforderlich.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht davon auszugehen, dass der Wortlaut des § 32b
Abs. 1 Nr. 2 EStG über das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel hinausschießt. Ob der
Gesetzgeber bei Schaffung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nur den Fall vor Augen hatte, in
dem ein zunächst unbeschränkt Steuerpflichtiger unter Hinterlassung einer inländischen
Einkunftsquelle ins Ausland verzieht, kann dahinstehen. Jedenfalls entspricht die
Besteuerung der inländischen Einkünfte mit einem dem Welteinkommen entsprechenden
Steuersatz dem Grundgedanken des Progressionsvorbehalts (vgl. BFH-Urteil vom 19.
Dezember 2001 I R 63/00, a.a.O.). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG bestehen ebenfalls
nicht.
Die Kläger verweisen hierzu darauf, dass es ein Unterschied sei, ob jemand ganzjährig
unbeschränkt steuerpflichtig sei und während dieser Zeit auch ausländische Einkünfte
erziele oder ob die unbeschränkte Steuerpflicht nur während eines u.U. kurzen Zeitraums
bestehe; die Wesensverschiedenheit beider Sachverhalte gebiete eher eine
unterschiedliche Regelung als eine Gleichstellung.
Dieser Einwand greift jedoch nicht durch:
Die denkbaren Vergleichsfälle werden genauso oder entsprechend ihrer Verschiedenheit
unterschiedlich behandelt. Dabei kann offen bleiben, ob die Unterschiede zwischen den
schon nicht steuerbaren, aber nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG in den Progressionsvorbehalt
einbezogenen Einkünften und den als Teil des Welteinkommens steuerbaren, aber
womöglich durch ein Doppelbesteuerungsabkommen befreiten, jedoch nach § 32b Abs. 1
Nr. 3 1. Alternative EStG in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Einkünften nicht
schon von vornherein eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würden. Selbst wenn
man darauf abstellt, dass die nicht steuerbaren Einkünfte wegen ihrer weniger intensiven
Inlandsverknüpfung nicht in weitergehendem Umfang in den Progressionsvorbehalt
einbezogen werden dürften als steuerbare, aber abkommensrechtlich steuerbefreite
Einkünfte liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vor. Nach
neuerem Rechtsverständnis werden die vergleichbaren Sachverhalte nämlich gleich
behandelt.
Soweit ein Vergleich mit ganzjährig unbeschränkt steuerpflichtigen und auch ganzjährig
abkommensrechtlich in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen gezogen
wird, ist darauf hinzuweisen, dass entsprechend den unterschiedlichen Voraussetzungen
beide Sachverhalte von Gesetzes wegen nicht gleich behandelt werden: Bei dem
ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Ansässigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland werden die ausländischen Einkünfte (auch) in die Bemessungsgrundlage der
deutschen Steuer einbezogen, während sie im Fall des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nur im
Rahmen des Steuersatzes von Bedeutung sind. Soweit nach einem
Doppelbesteuerungsabkommen eine Befreiung eingreift, ist der Progressionsvorbehalt
auch nach der von der Klägerseite vertretenen Auffassung aufgrund seines Vorbehalts im
Abkommen von der Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat anzuwenden. Für die Annahme
einer willkürlichen Gleichbehandlung ungleich gelagerter Sachverhalte, aus der sich
gegebenenfalls ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs.
1 GG) ergeben könnte, besteht folglich kein Ansatzpunkt (vgl. BFH-Urteil vom 19.
Dezember 2001 I R 63/00, a.a.O.).
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Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen Artikel 3 GG deshalb vor, weil § 32b Abs. 1 Nr. 2
EStG ein "Gebot der inneren Sachgesetzlichkeit" verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 19.
Dezember 2001 I R 63/00, a.a.O.). Zum einen ist ein nur zeitweise unbeschränkt
Steuerpflichtiger nach der gesetzlichen Regelung nicht schlechter gestellt als derjenige,
der ganzjährig sowohl in der Bundesrepublik als auch in einem anderen Staat
unbeschränkt steuerpflichtig ist und nach einem DBA mit jenem Staat als (nur) dort
ansässig gilt. Zum anderen erfolgt auch keine Schlechterstellung gegenüber Personen, die
während eines Kalenderjahres ausschließlich beschränkt steuerpflichtige Einkünfte i.S.
des § 49 EStG erzielen.
Die Behandlung des (nur) beschränkt Steuerpflichtigen ist als Vergleichsmaßstab schon
deshalb untauglich, weil zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht ein
grundlegender Unterschied besteht: Bei der beschränkten Steuerpflicht geht es um eine
isolierte Besteuerung einzelner inländischer Einkünfte, bei der die im Ausland gegebenen
Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitgehend außer Betracht bleiben. Speziell der
Gedanke einer Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit spielt hier keine
hervorgehobene Rolle. Gerade dieser Gedanke prägt aber die Besteuerung unbeschränkt
Steuerpflichtiger und trägt namentlich die Regelung in § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG. Angesichts
dessen kann jene Regelung nicht an denjenigen zur beschränkten Steuerpflicht gemessen
werden (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001 I R 63/00, a.a.O.).
Ebenso ginge ein Hinweis auf die Behandlung des unbeschränkt Steuerpflichtigen, der
nach einem DBA als in einem anderen Vertragsstaat ansässig gilt, im Ergebnis fehl. § 32b
Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst diese Situation ebenfalls. Die Vorschrift knüpft nicht an das
Bestehen oder Nichtbestehen eines DBA oder an dessen Ausgestaltung an, sondern
ergreift alle Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht. Die DBA lassen die Besteuerung der
inländischen Einkünfte einer doppelt ansässigen Person mit einem aus dem
Welteinkommen abgeleiteten Steuersatz in der Bundesrepublik zu. Ein
Besteuerungsunterschied könnte sich allenfalls daraus ergeben, dass die Anwendung des
Progressionsvorbehalts durch ein DBA ausnahmsweise ausgeschlossen wird. Über einen
solchen Fall ist indes hier nicht zu entscheiden.
In der Einbeziehung von nicht im Inland steuerbaren Einkünften in die
Steuersatzbemessung für im Inland steuerbare und nicht steuerbefreite Einkünfte liegt
schließlich auch kein Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts,
insbesondere kein Verstoß gegen das Prinzip der eingeschränkten Territorialität. Hiernach
bedarf es eines inländischen Anknüpfungspunktes für die steuerliche Erfassung eines
Auslandssachverhalts. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst aber in der hier vertretenen
Auslegung keinen Auslandssachverhalt. Der deutschen Besteuerung werden nämlich nur
die im Inland erzielten Einkünfte unterworfen. Nur auf dieses Steuergut, nicht aber auf
andere Steuergüter - wie z.B. in Japan erzielte Einkünfte - wird in diesem Zusammenhang
zugegriffen. Lediglich für die Höhe des Steuersatzes des inländischen Steuergutes sind die
im Ausland erzielten Einkünfte im Sinne eines Berechnungsfaktors relevant. Sie werden
aber nicht selber besteuert.
Die Einbeziehung derjenigen ausländischen Einkünfte, die in Zeiträumen erzielt werden, in
denen weder eine unbeschränkte noch eine beschränkte Steuerpflicht innerhalb der
Bundesrepublik Deutschland besteht, in den Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 Nr. 2
EStG verstößt aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips, in der
Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes, gegen verfassungsrechtliche Grundprinzipien.
Soweit die Kläger hierzu gestützt auf entsprechende Stellungnahmen im Fachschrifttum
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(vgl. Achter, IStR 2002, 73; Sabatschus, IStR 2002, 623) geltend gemacht haben, die vom
Bundesfinanzhof vorgenommene Interpretation der Vorschriften des § 32b Abs. 1 Nr. 3
EStG werde vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt, vielmehr sei eine Gesetzesänderung
durch den Gesetzgeber angezeigt gewesen, folgt der Senat dieser Ansicht nicht.
Die oben wieder gegebene Interpretation der Vorschrift durch den BFH unterliegt insoweit
keinen Bedenken. Weder nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch nach ihrem
Wortlaut lässt sich eine solche Auslegung der Vorschrift ausschließen. Die vom
Bundesfinanzhof praktizierte Auslegung stellt insoweit einfachgesetzliche
Rechtsanwendung dar und berührt keine verfassungsrechtlichen Grundprinzipien (ebenso:
FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a.a.O.).
Gleiches gilt für die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Auslegung der Vorschrift des §
32b Abs. 1 Nr. 3 EStG. Soweit der Bundesfinanzhof diesbezüglich nunmehr, in geänderter
Rechtsprechung, die Auffassung vertritt, dass auch in Fällen der Doppelansässigkeit die
betreffenden Einkünfte mit in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen sind und nur eine
ausdrückliche Verbotsregelung in einem Doppelbesteuerungsabkommen dem
entgegenstehen könne, handelt es sich dabei ebenfalls um eine einfachgesetzliche
Rechtsanwendung, die nach Auffassung der Kläger zwar sachlich unzutreffend sein mag.
Für einen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes fehlt es insoweit aber an jeglichem
Anhaltspunkt (ebenso: FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a.a.O.).
Selbst wenn vom Wortlaut her eine andere Auslegung nahe liegen würde: Der Wortsinn
lässt eine Auslegung der Worte " nach einem Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung ... unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der
Einkommensteuer steuerfrei sind " noch in dem Sinne zu, dass hierfür eine Befreiung unter
auch nicht ausdrücklicher Zulassung durch das Abkommen ausreicht. Auch wenn § 32b
Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG insoweit wörtlich den § 32b EStG aus dem
Steuerreformgesetz 1974 übernimmt, zwingen die damaligen Ausführungen in der
Begründung zum Gesetzentwurf nicht dazu, den heutigen Text im Sinne einer Anknüpfung
an einen ausdrücklichen Progressionsvorbehalt im Doppelbesteuerungsabkommen
auszulegen. Dabei würde nämlich die geläuterte Rechtsauffassung über die Rechtsnatur
der abkommensrechtlichen Progressionsvorbehalte nicht genügend gewürdigt. Zudem
sieht § 32b Abs. 1 Nr. 3 2. Alternative EStG für die fiktive unbeschränkte
Einkommensteuerpflicht oder die Antragsveranlagung nach § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG
ebenfalls einen Progressionsvorbehalt vor, bei dessen Anwendung genauso
Doppelbesteuerungsabkommen einschlägig sein können, aber gerade nicht an einen
abkommensrechtlichen Vorbehalt angeknüpft wird, sondern es nur auf die Zulässigkeit
nach dem oder den Abkommen ankommt. Vor diesem Hintergrund erscheint eine
verfassungskonforme weite Auslegung von § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG geradezu
geboten.
Auch soweit die eingeleitete Änderung der Rechtsprechung des BFH in den vorgenannten
Entscheidungen auf vor dem Entscheidungszeitpunkt verwirklichte Sachverhalte
angewandt wird, greifen hiergegen gerichtete verfassungsrechtliche Bedenken letztlich
nicht durch (vgl. auch FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a.a.O.).
Eine solche verschärfende Rechtsprechungsänderung ist zulässig. Sie wird seitens des
BFH in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis darauf praktiziert, dass der BFH im
Rahmen seiner Urteile kein neues Recht schaffe, sondern vielmehr die bestehende
Rechtslage nunmehr zutreffend auslege, eine andere Ansicht zu einer Erstarrung der
Rechtsprechung führe sowie die notwendige Rechtsfortbildung partiell unterbinde und
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schließlich die - von den Klägern angeführte - Norm (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 AO) die
Zulässigkeit einer rückwirkenden steuerverschärfenden Rechtsprechung voraussetze (vgl.
nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984,
751).
Die Frage, ob § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG
verstößt hängt nur von dem Inhalt des § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG, nicht aber von
einer womöglich unzutreffenden früheren Auslegung der Vergleichsnorm ab. Die
abweichende Rechtsauffassung der Kläger mit ihrem Ansatz einer Pflicht zur Erstreckung
einer Fehlinterpretation auf verfassungsrechtlich unbedenkliche vergleichbare Gesetze
würde auf eine dem Grundgesetz widersprechende Verfügungsgewalt von Exekutive und
Legislative über den gesetzlichen Normbestand auch für Vergleichsfälle hinauslaufen, die
eben gerade nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte gerechtfertigt wäre.
Ebenso wenig verbietet in diesem Zusammenhang § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO selbst die
Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die streitigen Einkünfte der Kläger. Gemäß §
176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides
nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die
Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der
bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Durch diese
Vorschrift soll nur das Vertrauen in eine formell bestandskräftige Steuerfestsetzung
geschützt werden.
Dementsprechend ist sie vorliegend schon deshalb nicht anwendbar, weil bereits in dem
ursprünglichen, das Streitjahr 1997 betreffenden Einkommensteuerbescheid vom 26.
August 1998 die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die nach dem Wegzug in
Japan erzielten Einkünfte des Klägers vorgesehen war.
Insbesondere im Hinblick auf das im Gerichtsverfahren vorgelegte Gutachten von Prof.
Vogel bleibt ergänzend noch Folgendes festzuhalten:
In Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommene Progressionsvorbehalte sind nur
deklaratorisch und können innerstaatliche gesetzliche Regelungen über den
Progressionsvorbehalt weder ersetzen noch einschränken. Solche Abkommen begründen
nämlich keine innerstaatlichen Besteuerungsansprüche, sondern wollen solche
bestehenden Ansprüche in Form von Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen nur
einschränken. Sie begründen und verteilen auch keine Besteuerungsrechte der
Vertragsstaaten, sondern setzen deren originäre Besteuerungsrechte voraus und
koordinieren nur deren Ausübung, um eine Überbelastung der Abkommensberechtigten
durch eine juristische Doppelbesteuerung tunlichst zu vermeiden. Es liegt von daher auf
der Hand, dass sie auch nicht den nationalen Steuersatz für die Besteuerung von
Steuergütern regeln wollen, deren Besteuerung nach dem Abkommen nur in einem
Vertragsstaat vorgesehen ist.
Auch der Auffassung, eine Auslegung des jeweiligen Progressionsvorbehalts in dem
speziellen Abkommen habe im Sinne des Verbots eines Progressionsvorbehalts ohne
besondere abkommensrechtliche Grundlage zu erfolgen, schließt sich der Senat nicht an.
Für die Auslegung des Artikels 23 Abs. 1 a DBA-Japan ist neben dem Wortlaut als
besonderes Hilfsmittel der Kommentar zum Artikel 23 A des OECD-MustAbk 1963
heranzuziehen. Denn einmal entspricht der Progressionsvorbehalt im DBA-Japan dem
Artikel 23 A OECD-MustAbk, weil er nur einen Progressionsvorbehalt für nach dem
Methodenartikel freigestellte Einkünfte vorsieht und zum anderen ist diese Regelung des
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DBA-Japan nach Erscheinen des Kommentars zum OECD-MustAbk 1963 und vor
Verabschiedung des OECD-MustAbk 1977 völkerrechtlich vereinbart und durch die
Parlamente mit dem innerstaatlichen Anwendungsbefehl versehen worden. Dies legt es
nahe, die Auffassung des Kommentars zum OECD-MustAbk 1963 in diesem Punkte
angesichts der übereinstimmenden Regelung im DBA als besondere Wortbedeutung zu
verstehen. In dem Kommentar wird aber entgegen der Auffassung im vorgelegten
Gutachten nicht die Vereinbarung eines Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat
gefordert, wenn dieser eine entsprechende nationale Regelung anwenden will. In Ziffer 36
wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Fassung des Artikels - also einschließlich des
Progressionsvorbehalts für den Wohnsitzstaat - der Anwendung der Vorschriften des
innerstaatlichen Rechts über die Progression nicht vorgreift (".. does not prejudice"). Zur
Klarstellung der Zulässigkeit und Reichweite eines solchen Rechts des Quellenstaats kann
es hierüber zweiseitige Verhandlungen geben ("If two Contracting States wish to clarify, ...
they are left free to do so in bilateral negotiations."). Vor diesem Hintergrund überzeugt
auch der von Vogel gezogene Gegenschluss zum ausdrücklichen Progressionsvorbehalt
nur für den Wohnsitzstaat im Abkommen nicht. Es liegt vielmehr ein Gegenschluss zu den
Steuersatzbegrenzungen für den Quellenstaat bei Dividenden, Zinsen und Lizenzen mit
dem Ergebnis nahe, dass abkommensrechtlich ohne solche Begrenzungen der
Quellenstaat keinerlei Einschränkungen beim Steuersatz für die ihm ausschließlich zur
Besteuerung überlassenen Steuergüter unterliegt.
Die Behörden und Gerichte sind auch nicht im Hinblick auf § 31 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht -BVerfGG- zu einer abweichenden Handhabung verpflichtet.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 10. März 1971 (2 BvL
3/68, BStBl II 1973, 431) ergibt sich keine solche Bindung. Zwar führt das BVerfG in dem
Beschluss aus, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens befreiten Einkünfte
seien der inländischen Einkommensbesteuerung schlechthin entzogen; sie würden als
nicht vorhanden gelten. Ohne einen Progressionsvorbehalt im Abkommen dürften die
befreiten Einkünfte auch nicht für die Ermittlung des Steuersatzes herangezogen werden.
Aus dem ausdrücklichen Hinweis auf das Fehlen einer mit § 8 Abs. 4 des
Erbschaftssteuergesetzes -ErbStG- vergleichbaren Vorschrift im EStG ist jedoch
abzuleiten, dass damit nur die damalige Rechtsprechung und Lehre zum
Progressionsvorbehalt im Einkommensteuerrecht wieder gegeben wurde. Mit der
Aufnahme einer innerstaatlichen Gesetzesvorschrift über den Progressionsvorbehalt in das
EStG ist aber gerade eine mit § 8 Abs. 4 des damaligen ErbStG vergleichbare Vorschrift
geschaffen worden. Eine Bindung an die damalige Auslegung des einfachen Rechts zum
Progressionsvorbehalt durch das BVerfG kann folglich nicht mehr bestehen, wenn man
nicht sogar angesichts der heutigen Existenz einer innerstaatlichen Norm zum
Progressionsvorbehalt im EStG und angesichts des Verweises auf § 8 Abs. 4 ErbStG in der
Entscheidung den Rückschluss ziehen will, dass das BVerfG bei der heutigen
Gesetzeslage eine abweichende Auffassung vertreten würde.
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das in Artikel 24 des DBA-Japan verankerte
Gebot der Gleichbehandlung vor.
Gemäß Art. 24 Abs. 1 DBA-Japan dürfen die Staatsangehörigen eines Vertragsstaates in
dem anderen Vertragsstaat weder einer Besteuerung noch einer damit
zusammenhängenden Verpflichtung unterworfen werden, die anders oder belastender sind
als die Besteuerung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, denen die
Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates unter gleichen Verhältnissen unterworfen
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sind oder unterworfen werden können. Art. 24 Abs. 1 DBA-Japan betrifft jedoch nur solche
Besteuerungsfolgen des innerstaatlichen Steuerrechts, die auf der Staatsangehörigkeit als
Tatbestandsvoraussetzung aufbauen.
In diesem Zusammenhang haben die Kläger geltend gemacht, soweit die
Verfassungswidrigkeit und ein Verstoß gegen die EU-Grundrechte die Anwendbarkeit des
§ 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG für Deutsche verbiete, dürfe § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG auch nicht
für japanische Staatsangehörige gelten; dies verbiete Art. 24 DBA Japan, da japanische
Staatsangehörige nicht schlechter gestellt werden dürften als Deutsche. Dass sich ein
Deutscher im Falle einer Schlechterstellung durch die Bundesrepublik Deutschland
gegenüber einem durch die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit geschützten EU-
Bürger anderer Staatsangehörigkeit auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG berufen könnte,
ist aber keine Besteuerungsfolge des innerstaatlichen (deutschen) Steuerrechts, die auf der
Staatsangehörigkeit als Tatbestandsvoraussetzung aufbaut. Diese Tatsache ist vielmehr
bedingt durch die EU-Zugehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Sie führt zugleich zu
der Feststellung, dass es insoweit an den "gleichen Verhältnissen" i.S.d. Art. 24 DBA-
Japan fehlt und schon deshalb dieses Diskriminierungsverbot nicht greift.
Aber selbst wenn die Kläger grundsätzlich befugt wären, sich auf diese
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten zu berufen, könnte dies der vorliegenden Klage
nicht zum Erfolg verhelfen. Die Grundfreiheiten sind zwar grundsätzlich in der Lage, im
Einzelfall verdrängend auf nationale Ertragssteuervorschriften einzuwirken. Ein Zuzug oder
Wegzug im Kalenderjahr führt jedoch nicht zu einer Mehrfachbelastung von Einkünften und
auch nicht von einem höhren Steuersatz. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des BFH
im Urteil vom 15. Mai 2002 (I R 40/01, BStBl II 2002, 660).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.