Urteil des FG Düsseldorf vom 15.07.2002

FG Düsseldorf (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Einkünfte, Eugh, Mitgliedstaat, Niederlande, Diskriminierung, Belgien, Veranlagung, Steuersatz, Erwerbstätigkeit)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 17 K 4715/99 E
15.07.2002
Finanzgericht Düsseldorf
17. Senat
Urteil
17 K 4715/99 E
Der Einkommensteuerbescheid für 1997 vom 09.04.1999 wird unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 05.07.1999 insoweit
geändert, als die Einkommensteuer auf 0 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Streitig ist, ob der Mindeststeuersatz gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 Einkommensteuergesetz -
EStG - auf die Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen aus selbstständiger Arbeit
wegen Verstoßes gegen Artikel 52 des EG-Vertrages unanwendbar ist.
Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in den
Niederlanden. Er erzielte in der Bundesrepublik Deutschland im Streitjahr 1997 Einkünfte
aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 4.972 DM. Der Beklagte legte diese Einkünfte bei
der Veranlagung zu Grunde und berechnete die Einkommensteuer nach § 50 Abs. 3 Satz 2
EStG auf 1.240 DM.
In den Niederlanden wurde der Besteuerung des Klägers ein Unternehmensgewinn aus
einem niederländischen Unternehmen und der - nach niederländischen Steuerrecht
ermittelte - in Deutschland erzielte Gewinnanteil zu Grunde gelegt. Die sich ergebende
Einkommensteuer wurde zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung entsprechend dem
Anteil der einbezogenen ausländischen Einkünfte vermindert.
Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit insgesamt
28.970 hfl
Einkünfte aus Arbeitsverhältnis Deutschland
14.940 hfl
Summe
42.810 hfl
Fahrten Wohnung Arbeitsstätte
1.538 hfl
Versicherungsaufwendungen
2.005 hfl
Summe
39.267 hfl
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Berufskostenpauschale
1.294 hfl
Summe
37.943 hfl
Rente
42 hfl
38.015 hfl
Zinsen Eigentumswohnung
658 hfl
37.357 hfl
Schuldzinsen
./. 3.849 hfl
Selbstständigenfreibetrag
./. 9.825 hfl
belastbares Einkommen
23.683 hfl
Steuerfreibetrag
7.102 hfl
belastbare Summe
16.581 hfl
Steuer
837 hfl
Abzug zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
487 hfl
Steuerschuld
350 hfl
Wegen näherer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des niederländischen Steuerberaters
vom 03.05.2002 sowie des Prozessbevollmächtigten vom 27.06.2002 Bezug genommen.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer entsprechend seiner Berechnung auf 1.240 DM
für 1997 fest. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein, den der Beklagte
durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückwies.
Der Kläger hat hierauf Klage erhoben. Er begehrt die Veranlagung unter Zugrundelegung
des Einkommensteuertarifs nach § 32 a EStG und verweist auf die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 27.06.1996 in der Rechtssache Asscher.
Der Kläger erklärt, er habe keinen Antrag auf Veranlagung nach § 50 Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. §
46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im Hinblick auf das Zusammentreffen seiner Einkünfte aus
selbstständiger Tätigkeit mit seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit in
Deutschland gestellt, da auf die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit keine Lohnsteuer
angefallen sei und die Antragsveranlagung zu einer höheren, als der in dem
angefochtenen Steuerbescheid festgesetzten Steuer geführt hätte.
Der Kläger weist darauf hin, dass sich selbst dann, wenn man im Rahmen einer
unbeschränkten Steuerpflicht sein Gesamteinkommen der deutschen Besteuerung zu
Grund legte, ein Steuersatz von nur 14,09 % ergäbe.
Kläger
Ehefrau
Gesamt
Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit
24.763 DM 0 DM
Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit
13.274 DM 23.913 DM
Arbeitnehmer-Pauschbetrag
2.000 DM
2.000 DM
36.037 DM 21.913 DM 57.950 DM
Vorsorgepauschale
./. 7.398 DM
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Sonderausgaben-Pauschbetrag
./. 216 DM
zu versteuerndes Einkommen
50.336 DM
Steuer lt. Splittingtabelle
7.094 DM
Bei dieser Berechnung seien Spenden, außergewöhnliche Belastungen und die
Steuerbegünstigung nach § 10 e EStG für das Einfamilienhaus unberücksichtigt gelassen
worden.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1997 dahin abzuändern, dass die
Einkommensteuer auf 0 EUR herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass die Festsetzung der Einkommensteuer unter Anwendung von § 50
Abs. 3 Satz 2 EStG der Rechtslage entspreche.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei nicht mit einem in Deutschland ansässigen
Steuerpflichtigen vergleichbar. Nach dem Urteil des EuGH in Sachen Schumacker sei die
Situation eines Gebietsansässigen grundsätzlich eine andere als die eines
Gebietsfremden. Ein Mitgliedstaat könne deshalb einem Gebietsfremden bestimmte
Steuervergünstigungen versagen, die er Gebietsansässigen gewähre. Würde der Kläger in
der Bundesrepublik nach der Grundtabelle besteuert, würde für diesen das steuerfreie
Existenzminimum, das bereits in den Niederlanden von der Steuer freigestellt werde,
doppelt berücksichtigt.
Im Fall Asscher habe der EuGH zwar eine Vergleichbarkeit zwischen einerseits einem in
Belgien ansässigen und in den Niederlanden tätigen Steuerpflichtigen und andererseits
einem in den Niederlanden ansässigen Steuerpflichtigen angenommen. Der dem Asscher-
Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt sei jedoch mit dem Sachverhalt im Streitfall nicht zu
vergleichen. Artikel 25 Abs. 3 des bilateralen Abkommens zwischen den Niederlanden und
Belgien enthalte folgende Regelung: "Die in einem Staat wohnenden natürlichen Personen
kommen im anderen Staat in den Genuss der persönlichen Abzüge, Abschläge und
Nachlässe, die dieser andere Staat seinen eigenen Gebietsansässigen wegen ihrer
Situation oder ihrer Familienlasten gewährt." Eine derartige Regelung gebe es in dem DBA
Deutschland-Niederlande jedoch nicht. Dementsprechend könne sich ein beschränkt
Steuerpflichtiger, der in den Niederlanden wohne, auch nicht in einer Situation befinden,
die der eines Gebietsansässigen vergleichbar sei. Denn bei diesem Steuerpflichtigen seien
die persönlichen Freibeträge ausschließlich in den Niederlanden zu berücksichtigen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist begründet.
Die Einkommensteuer des gemäß §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt
steuerpflichtigen Klägers beträgt nicht gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 25 % des
Einkommens, denn § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG verstößt gegen Art. 52 des EG-Vertrages
(EGV; Art. 43 EGV i. d. F. des Vertrages von Amsterdam). Die Einkommensteuer des
Klägers bemisst sich nach dem Einkommensteuertarif des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG
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einschließlich des so genannten Grundfreibetrages gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG.
Sie beträgt daher 0 EUR.
§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG ist wegen Verstoßes gegen Art. 52 des EG-Vertrages
unanwendbar (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 25.04.2002 - 11 K 5753/99 E -, JStR
2002, 462; Dautzenberg, DB 1996, 2248; Herzig/Dautzenberg, DB 1997, 8,13; Kramer, RIW
1996, 951, 954; Saß, DB 1996, 1607, 1608; de Weerth RIW 1997, 482, 484; Warterkamp-
Faupel, FR 1996, 669, 670; Strunk in Korn, Einkommensteuergesetz, § 50 Rz. 41; Froesch,
IStR 2001, 51; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Tz. 5.277; Fehrenbach,
BB 2001, 1774; Lüdicke, IStR 2001, 286). Dem EG-Recht kommt ein Vorrang vor dem
nationalen Einkommensteuerrecht zu (vgl. EuGH-Urteil vom 15. Juli 1964 6/64, EuGHE 10,
1251, NJW 1964, 2371-Costa/ENEL; BVerfG-Urteil vom 8. April 1987, 2 BvR 687/85,
BVerfGE 75, 223, 244). Wie der EuGH in seinem Urteil vom 27. Juni 1996 (Rs. C-107/94
"Asscher", EuGHE I 1996, 3089, DB 1996, 1604) entschieden hat, ist § 52 des EG-
Vertrages dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, auf einen
Angehörigen eines Mitgliedstaates, der eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Gebiet
dieses Staates und daneben eine andere selbstständige Erwerbstätigkeit in einem anderen
Mitgliedstaat, in dem er auch wohnt, ausübt, einen Einkommensteuersatz anzuwenden, der
höher ist als derjenige, der für Gebietsansässige gilt, die die gleiche Tätigkeit ausüben,
wenn kein objektiver Unterschied in der Situation dieses Steuerpflichtigen und derjenigen
der gebietsansässigen Steuerpflichtigen und der diesen gleichgestellten Personen besteht,
der geeignet wäre, eine solche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
Die Ausgangssituation des vom EuGH entschiedenen Falles stimmt mit der überein, die
sich im Streitfall für den Kläger stellt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 5. Februar 2001 I B
140/00, BFHE 195, 156, BStBl II 2001, 598). Auch der Kläger ist in einem Mitgliedstaat - der
Bundesrepublik Deutschland - beruflich tätig und wohnt in einem anderen Mitgliedstaat -
den Niederlanden -. Er erwirtschaftet dort Einkünfte, mit denen er der Besteuerung
unterliegt. Abweichend von in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt
steuerpflichtigen Personen wird er mit seinen hier ermittelten Einkünften einem besonderen
Mindeststeuersatz von 25 v. H. unterworfen, während unbeschränkt Steuerpflichtige bei
einem Einkommen von 4.972 DM keine Steuer zahlen. Der Senat vermag der vom
Beklagten aufgezeigten Besonderheit des DBA Belgien-Niederlande keine Bedeutung
derart beizumessen, dass der vorliegende Fall dem vom EuGH entschiedenen Fall nicht
vergleichbar wäre. Die vom EuGH als gemeinschaftswidrig angesehene mittelbare
Diskriminierung durch Anwendung unterschiedlicher belastender Steuersätze ist damit
gegeben.
Diese Diskriminierung kann nicht mit einer ansonsten bestehenden höheren
Steuerprogression für einen Inländer mit entsprechend höherem Welteinkommen
gerechtfertigt werden. Denn nach der Entscheidung des EuGH ist eine zwischen dem
Progressionsvorbehalt und dem Mindeststeuersatz im deutschen Einkommensteuerrecht
bestehende Kohärenz gemeinschaftsrechtlich kein eine Ungleichbehandlung beim Tarif
rechtfertigender Grund. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es nämlich ausreichend,
wenn der Wohnsitzstaat nach dem jeweils einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen
berechtigt ist, in dem anderen Staat erzielte Einkünfte bei der Berechnung der Höhe der
Steuer von den übrigen Einkünften des betreffenden Steuerpflichtigen im Wege des
Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen. Dies ist vorliegend der Fall. Nach Artikel 20
Abs. 3 Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Niederlande, steht den Niederlanden
ein Progressionsvorbehalt in der Form eines Bemessungsgrundlagenvorbehaltes zu. Die
Niederlande sind berechtigt, nach dem Welteinkommensprinzip zu besteuern und auch die
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Einkünfte in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, für welche die Bundesrepublik
Deutschland ein Besteuerungsrecht hat; jedoch wird von den Niederlanden von der
errechneten Steuer der Teil der Steuer in Abzug gebracht, der auf die Einkünfte entfällt, für
die die Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht besitzt. Die in Abzug zu
bringende Steuer errechnet sich nach dem Verhältnis der vorgenannten Einkünfte zum
Gesamteinkommen. Im Übrigen scheidet eine Rechtfertigung der vorliegenden
Diskriminierung im Fall des Klägers auch deshalb aus, weil bei seinem Einkommen auch
ein Inländer mit entsprechend hohem in Deutschland erzieltem Gesamteinkommen nur
einem Steuersatz von 14,09 % unterläge.
Aus dem Vorrang des EG-Rechts vor dem nationalen Einkommensteuerrecht und der
Rechtsprechung des EuGH folgt, dass der Senat uneingeschränkt berechtigt ist, das EG-
Recht in der Auslegung anzuwenden, die der EuGH in einem Verfahren zwischen anderen
Beteiligten vorgenommen hat, auch mit der Folge, dass entgegenstehende Vorschriften des
deutschen Einkommensteuerrechts nicht anzuwenden sind (vgl. Dauses, Das
Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag, S. 14 m. w. N.; Wohlfahrt in
Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 177 Tz. 71; Everling, Das
Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S.
65 f; Borchardt in Lenz, EG-Vertrag Kommentar, 2. Aufl., Art. 234 Tz. 55).
Bei der Berechnung der Einkommensteuer des Klägers ist der so genannte Grundfreibetrag
gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Zwar ist es
gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich zulässig, bestimmte Steuervergünstigungen nur
Gebietsansässigen zu gewähren (vgl. EuGH-Urteil vom 14. September 1999 C-391/97,
EuGHE I 1999, 5451, BStBl II 1999, 841). Es ist jedoch nicht möglich, § 32 a Abs. 1 Satz 2
EStG so auszulegen, dass der sog. Grundfreibetrag gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG
auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist. Denn der so genannte Grundfreibetrag
gemäß § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ist lediglich ein unselbstständiger Teil des
Einkommensteuertarifs (vgl. Schöberle in Kirchhof / Söhn / Mellinghoff,
Einkommensteuergesetz, § 32 a Rdnr. B 14 ff). Eine über diesen klaren, eindeutigen
Gesetzeswortlaut hinausgehende Auslegung des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG in der Form,
dass der so genannte Grundfreibetrag auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar ist,
ist nicht möglich (a.A. Lüdicke, IStR 2001, 286; Wied in Blümich, EStG, § 50 Tz. 12).
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.