Urteil des FG Düsseldorf vom 23.07.2004

FG Düsseldorf (unechte rückwirkung, evangelische kirche, kirche, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, einkommen, rückwirkung, einkünfte, kirchensteuer, verhältnis zu, ehegatte)

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 4952/02 Ki
Datum:
23.07.2004
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 4952/02 Ki
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
1
Streitig ist die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes in glaubensverschiedener Ehe.
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Die Klägerin ist Mitglied der Evangelischen Kirche; ihr Ehemann gehört keiner Kirche
an.
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Die Klägerin und ihr Ehemann werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die
Klägerin hatte im Streitjahr keine eigenen Einkünfte; ihr Ehemann erzielte Einkünfte von
355.575 DM.
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Mit Bescheid vom 23.05.2002 setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin ein
evangelisches Kirchgeld von 3.120 DM fest.
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Hiergegen legte zunächst der Ehemann der Klägerin, nach Hinweis des Beklagten auf
dessen fehlende rechtliche Betroffenheit auch die Klägerin selbst Einspruch ein mit der
Begründung, dass es mangels eigener Einkünfte der Klägerin an einer
Steuerbemessungsgrundlage fehle. Über die weitere Frage, ob die erst im Oktober 2001
veröffentlichten Kirchgeldregelungen gegen das Rückwirkungsverbot verstießen, müsse
wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
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Mit Entscheidung vom 20.08.2002 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als
unbegründet zurück. Der Anspruch auf das besondere Kirchgeld sei wegen seiner
Anknüpfung an das Jahreseinkommen erstmalig mit Ablauf des 31.12.2001 entstanden
und damit nach Inkrafttreten der Kirchgeldregelungen; somit handele es sich um eine
zulässige sog. unechte Rückwirkung. Bemessungsgrundlage sei der
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zulässige sog. unechte Rückwirkung. Bemessungsgrundlage sei der
Lebensführungsaufwand des Kirchenmitglieds, der sich grob an einem Anteil am
gemeinsam zu versteuernden Einkommen definieren lasse.
Mit der Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, die Kirchgeldregelungen verstießen
gegen das Verbot der Rückwirkung. Der Kirchensteuerbeschluss sei erst im November
2001 in den Tageszeitungen öffentlich bekannt gemacht worden. Zu diesem späten
Zeitpunkt habe der Bürger keine Möglichkeit mehr gehabt, seine steuerlichen
Verhältnisse im Hinblick auf die Kirchensteuer zu gestalten. Weil ein Kirchenaustritt erst
mit Ablauf des Folgemonats wirksam werde, ein Austritt als Reaktion auf den
Kirchensteuerbeschluss also frühestens zum 31.12.2001 möglich gewesen wäre, sei
auch sie - die Klägerin - ihrer Dispositionsbefugnis beraubt worden.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid über die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes 2001 vom
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23.05.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.08.2002 ersatz-
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los aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und weist
ergänzend darauf hin, dass sich die Evangelische Kirche bereits im Jahr 1999 für die
Einführung eines besonderen Kirchgeldes entschieden habe und die Medien seit dem
Jahr 2000 darüber berichtet hätten; schon geraume Zeit vor der amtlichen
Bekanntmachung habe die Kirche zudem Informationsmaterial verteilt und eine Hotline
eingerichtet.
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Die Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig; die Festsetzung des besonderen
Kirchgeldes ist zutreffend erfolgt.
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Mit der Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 5 KiStG hat der Landesgesetzgeber die Kirchen
ermächtigt, im Rahmen ihres Rechts zur Erhebung von Kirchensteuern aufgrund
eigener, staatlich anzuerkennender Steuerordnungen (vgl. §§ 1, 16 Abs. 1 KiStG) von
Steuerpflichtigen, deren Ehegatte nicht kirchensteuerpflichtig ist, ein besonderes
Kirchgeld zu erheben. Von dieser Ermächtigung haben die Evangelische Kirche im
Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen und die Lippische Landeskirche mit
der von ihnen erlassenen Kirchensteuerordnung zum 01.01.2001 Gebrauch gemacht.
Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 KiStO ist Bemessungsgrundlage für das besondere Kirchgeld
das zu versteuernde Einkommen der Ehegatten, das sich bei entsprechender
Anwendung des § 51 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergibt. Das besondere
Kirchgeld wird gemäß § 11 Abs. 2 KiStO nach Maßgabe einer Steuertabelle erhoben.
Staffelung und Bemessungsgrundlage des Kirchgeldes sind für den Beklagten in dem
Kirchensteuerbeschluss vom 17.10.2000 bestimmt. Nach dem dort festgelegten
Staffeltarif beträgt bei einem zu versteuernden Einkommen zwischen 300.000 DM und
349.999 DM das besondere Kirchgeld 3.120 DM. Diesen Betrag hat das Finanzamt ,
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dem gemäß § 9 Abs. 1 KiStG i.V.m. § 18 Abs. 1 KiStO die Erhebung des besonderen
Kirchgeldes übertragen ist, auf der Grundlage des zu versteuernden Einkommens der
Klägerin und ihres Ehemannes, das lt. Einkommensteuerbescheid vom 23.05.2002
326.097 DM beträgt, festgesetzt.
Die Bestimmungen über das besondere Kirchgeld verletzen nicht das sich aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes -GG-) ergebende
Rückwirkungsverbot.
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Das BVerfG wie die übrige Rechtsprechung unterscheiden zwei Arten der Rückwirkung.
Bei der sog. echten Rückwirkung, auch als Rückwirkung von Rechtsfolgen bezeichnet,
greift eine Rechtsnorm in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände
ein und ändert eine bereits eingetretene Rechtsfolge nachträglich ab; eine derartige
Rückanknüpfung ist in der Regel verfassungsrechtlich unzulässig. Demgegenüber liegt
eine sog. unechte (tatbestandliche) Rückwirkung vor, wenn die Rechtsnorm auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
Zukunft einwirkt; diese Art der Rückwirkung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip regelmäßig
zu vereinbaren (Beschluss des BVerfG vom 03.11.1982 I R 3/79, Bundessteuerblatt -
BStBl- II 1986, 628).
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Nach diesen Grundsätzen kommt den Regelungen über das besondere Kirchgeld eine
lediglich unechte Rückwirkung zu. Sie haben mit der Veröffentlichung der
staatsaufsichtlich genehmigten Kirchensteuerbeschlüsse im Kirchlichen Amtsblatt
(KABl) am 22.10.2001 die Qualität von für den staatlichen Bereich verbindlichen Sätzen
öffentlichen Rechts erhalten (vgl. Suhrbier-Hahn, Kirchensteuerrecht, S. 10). Zu diesem
Zeitpunkt war das von der Klägerin geschuldete besondere Kirchgeld noch nicht
entstanden. Die Steuerschuld entstand gemäß § 8 Abs. 3 KStG und § 9 KiStO zeitgleich
mit der Einkommensteuer, d.h. nach § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -EStG-
erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes, somit mit Ablauf des 31.12.2001.
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Diese unechte Rückwirkung ist auch im vorliegenden Fall verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Zwar wird in der neueren Literatur (etwa Tipke/Kruse, AO und FGO, § 4
AO Tz. 16; Spindler, Deutsches Steuerecht -DStR- 2001, 727) teilweise ein
dispositionsbezogener Rückwirkungsbegriff vertreten. Nach dieser Ansicht ist dem
Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnorm nicht derjenige des Eintritts der
Rechtsfolge gegenüber zu stellen, sondern derjenige der tatsächlichen Verwirklichung
des Lebenssachverhaltes, so dass hier möglicherweise die bereits vor dem 22.10.2001
erzielten Einkünfte für die Erhebung des besonderen Kirchgeldes nicht herangezogen
werden könnten. Die Vertreter dieser Rechtsansicht meinen, auch das BVerfG deute mit
seiner Entscheidung vom 03.12.1997 2 BvR 882/97, Bundesgesetzblatt -BGBl- I 1998,
725, den Weg zu einem solchen Rückwirkungsbegriff. Das BVerfG hat in den dortigen
Entscheidungsgründen ausgeführt, dass in Fällen, in denen ein Steuergesetz dem
Steuerpflichtigen eine Verschonungssubvention anbiete, die er nur während des
Veranlagungszeitraums annehmen könne (dort: Sonderabschreibung für innerhalb
eines bestimmten Zeitraums angeschaffte oder hergestellte Handelsschiffe), eine
Vertrauensgrundlage geschaffen werde, auf die der Steuerpflichtige seine Entscheidung
über das subventionsbegünstigte Verhalten stütze. Er entscheide sich um des
steuerlichen Vorteils willen für ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten, das er ohne
den steuerlichen Anreiz so nicht gewählt hätte. Mit dieser Entscheidung sei die
Lenkungs- und Gestaltungswirkung des Subventionsangebotes abschließend erreicht;
die Dispositionsbedingungen würden damit vom Tag der Entscheidung an zu einer
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schutzwürdigen Vertrauensgrundlage.
Ob diese Grundsätze generell einen dispositionsbestimmten Rückwirkungsbegriff
eröffnen, obwohl das Bundesverfassungsgericht in den Gründen zugleich ausdrücklich
an der Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung festgehalten hat
(ebenso wie etwa der BFH mit Vorlagebeschluss vom 16.12.2003 IX R 46/02, BFH/NV
2004, 412), kann hier dahin stehen, weil die Klägerin keine schutzwürdige Disposition
getroffen hat. Die Klägerin hat nicht wirtschaftlich disponiert, sondern lediglich ihre
Kirchenmitgliedschaft wie in der Vergangenheit auch unverändert aufrecht erhalten. Der
Nicht-Austritt vor Inkrafttreten der neuen kirchenrechtlichen Bestimmungen stellt weder
eine Disposition im genannten Sinne dar, noch wäre das Vertrauen in einen
kirchgeldlosen Verbleib in der Kirche schützenswert. Die Annahme, dass ein in
glaubensverschiedener Ehe lebendes Kirchenmitglied ohne eigene Einkünfte oder mit
lediglich geringen Einkünften in dem Bewusstsein und gerade im Hinblick darauf in der
Kirche verbleibt, dass es keine oder allenfalls eine geringe Kirchensteuer in der Form
der Zuschlagsteuer zu entrichten habe, erscheint angesichts der Möglichkeit, kirchliche
Leistungen entgegen zu nehmen, bereits lebensfremd und lässt sich im vorliegenden
Fall nach den Gesamtumständen auch nicht feststellen. Eine Kirchenmitgliedschaft ist
regelmäßig religiös begründet oder zumindest auf ein Bestreben gestützt, bestimmte
Vorteile (für die Kinder etwa Möglichkeit des Besuchs kirchlicher Kindergärten oder
Schulen, der Teilnahme an der Konfirmation; kirchliches Begräbnis) in Anspruch zu
nehmen. Zudem wäre ein derartiges Motiv für den Nicht-Austritt aus der Kirche auch
nicht schutzwürdig, weil es nicht durch eine Norm mit Lenkungs- und
Gestaltungswirkung ausgelöst worden wäre. Das allgemeine Vertrauen, der
Steuergesetzgeber werde steuerrechtliche Freiräume für die Zukunft aufrecht erhalten,
ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Ein solcher Schutz zugunsten des
Fortbestehens der bisherigen Gesetzeslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten
Gesetzgeber in wichtigen Bereichen gegenüber den Interessen einzelner lähmen und
das Gemeinwohl gefährden (etwa Beschlüsse des BFH vom 05.03.2001 IX B 90/00,
BStBl II 2001, 405; vom 16.12.2003 IX R 46/02, BFH/NV 2004, 412; zur Einführung des
besonderen Kirchgeldes i.E. ebenso -Urteile des FG Baden-Württemberg vom
26.05.2000 9 K 131/00 und 20.12.2000 9 K 258/00, n.v. Urteil des VG Braunschweig
vom 17.07.2001 6 A 40/01 n.v.).
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Die angefochtene Kirchgeldfestsetzung ist auch nicht insoweit rechtswidrig, als mangels
eigener Einkünfte der Klägerin das Einkommen ihres allein verdienenden Ehemannes,
der keiner Kirche angehört, zur Besteuerung herangezogen wird; eine derartige
Heranziehung des Ehegatten zum besonderen Kirchgeld der Klägerin liegt hier nicht
vor.
24
Das BVerfG hat mit Urteil vom 14.12.1965 1 BvR 606/60, BStBl I 1966, 196,
entschieden, dass die Kirche nur den ihr angehörigen Ehegatten besteuern darf. Das
Gericht hat weiter ausgeführt, dass es unbillig erscheinen könne, wenn der
kirchenangehörige Ehegatte mangels eigenen Einkommens im Sinne des
Einkommensteuerrechts kirchensteuerfrei bliebe, obwohl sich - angesichts eines hohen
Einkommens seines nicht der Kirche angehörenden Ehepartners - seine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit durch die Ehe erhöht hat. Als zulässiges Besteuerungsmerkmal, das
nur in der Person des kirchenangehörigen Ehegatten gegeben sei, komme dessen
Lebensführungsaufwand in Betracht. Die Kirchensteuer müsse dann ihrer Höhe nach in
angemessenem Verhältnis zu dem tatsächlichen Lebenszuschnitt des steuerpflichtigen
Ehegatten stehen und dürfe nicht schematisch jeder Veränderung des Einkommens des
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anderen Ehegatten unbegrenzt folgen, weil der normale Lebensaufwand bestimmte
Grenzen nicht überschreite.
Angesichts der Schwierigkeiten, den Lebensführungsaufwand des kirchenangehörigen
Ehegatten i.S. der Rechtsprechung des BVerfG zu ermitteln, ist es im Rahmen einer
Typisierung als verfassungsrechtlich zulässig anzusehen, in Fällen der
Zusammenveranlagung die Erhebung des Kirchgeldes nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten auf der Grundlage des
Einkommens beider Ehegatten zu regeln. Voraussetzung ist, dass bei Aufstellung des
Tarifes ausreichend berücksichtigt wird, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
kirchenangehörigen Ehegatten bei geringerem Einkommen beider Ehegatten stark
eingeschränkt ist, ein Teil des gemeinsamen Einkommens nicht zur Erhöhung des
Lebensführungsaufwandes führt und von einer gewissen Einkommenshöhe an der
Lebensführungsaufwand nicht mehr steigt (Vorlagebeschlüsse des BFH vom
14.12.1983 II R 170/81, BStBl II 1984, 332, und II R 198/81, n.v.; Urteil des FG Bremen
vom 14.01.2004 2 K 223/03 (1), EFG 2004, 587). Das gemeinsame Einkommen wird
insoweit nur als Hilfsmaßstab für den als solchen nicht oder nur mit erheblichen
Schwierigkeiten messbaren Lebensführungsaufwand verwendet (Urteil des BVerwG
vom 18.02.1977 VII C 48.73, BB 1978, 439). Da zwischen der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und dem Lebensführungsaufwand eines Ehegatten und dem
Einkommen beider Ehegatten Abhängigkeiten bestehen, stellt das gemeinsame
Einkommen für die Erhebung des Kirchgeldes eine system- und sachgerechte
Ausgangsgröße dar (Beschluss des BFH vom 22.01.2002 I B 18/01, BFH/NV 2002, 674;
Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 05.08.2002 2 BvR 685/02 nicht zur
Entscheidung angenommen). Der bei der Zusammenveranlagung anzuwendende
Splittingtarif beruht auf der Vorstellung, dass zusammen lebende Ehegatten eine
Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs bilden, in der jeder Ehegatte an dem
Einkommen des anderen zur Hälfte teil hat, auch wenn die Einkünfte als solche von
dem anderen Ehegatten im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG erzielt werden. Da die
Leistungsfähigkeit jedes der zusammen lebenden Ehegatten durch das gemeinsam
erzielte Einkommen gesteigert wird, darf sich die Steuererhebung an dieser Größe
orientieren (vgl. Urteil des BFH vom 15.03.1995 I R 85/94, BStBl II 1995, 547; dort zur
konfessionsverschiedenen Ehe). Diesen gefestigten Grundsätzen höchstrichterlicher
Rechtsprechung entspricht der Kirchensteuerbeschluss der Verbandsvertretung des
Beklagten. Die Ausgestaltung des Staffeltarifes zeigt, dass die Erhebung des
besonderen Kirchgeldes in der Sache nicht das Ehegatteneinkommen und auch nicht
dessen Hälfte, sondern den Lebensführungsaufwand des der Kirche angehörenden
Ehegatten zum Gegenstand hat.
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Eine unzulässige Besteuerung des Einkommens des nicht der Kirche angehörenden
Ehemannes der Klägerin liegt auch deshalb nicht vor, weil das besondere Kirchgeld mit
3.120 DM nur rund 1 % der Bemessungsgrundlage des gemeinsamen zu versteuernden
Einkommens ausmacht und damit deutlich unter der Höhe des rund 5 % betragenden
Taschengeldanspruchs liegt, den die einkommenslose Ehefrau gegen ihren Ehemann
allein zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse - also keineswegs ihres
gesamten Lebensführungsaufwandes - gemäß § 1360 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) hat (vgl. Urteil des BVerwG vom 18.02.1977 VII C 48.73, BB 1978, 439; Urteil des
FG Bremen vom 14.01.2004 2 K 223/03 (1), EFG 2004, 587; Palandt, BGB, 63. A., §
1360 a Rdn. 4). Zudem hat der allein verdienende Ehegatte seinem einkommenslosen,
der Kirche angehörenden Ehepartner die Mittel zur Erfüllung der Kirchgeldschuld bereits
im Rahmen des Ehegattenunterhalts zur Verfügung zu stellen; der zivilrechtliche
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Kirchgeld-Unterhaltsanspruch ist durch die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) des
Kirchenmitgliedes geschützt, die der kirchenfremde Ehegatte infolge der Heirat zu
beachten hat (o.a. Urteil des FG Bremen) und kann nicht wirksam abbedungen werden.
Die Erhebung des besonderen Kirchgeldes in glaubensverschiedener Ehe von dem
kirchenangehörigen Ehegatten nach dem gemeinsam zu versteuernden Einkommen
verstößt auch nicht gegen den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.
Dieses Grundrecht wird nicht dadurch verletzt, dass ein einkommensschwacher
Ehegatte in glaubensverschiedener Ehe aufgrund der Regelung des besonderen
Kirchgeldes höher besteuert wird als ein einkommensschwacher Lediger, der keiner
Kirchensteuer oder nur einer geringeren Kirchensteuer in Form der Zuschlagsteuer
unterliegt. Die Ehe darf durchaus Anknüpfungspunkt für wirtschaftlich in gewissem
Umfang belastende Rechtsfolgen sein, solange dies nicht zu einer ungerechtfertigten
Schlechterbehandlung von Eheleuten führt. Das ist indes bei der Erhebung des
besonderen Kirchgeldes nicht der Fall, weil das Kirchgeld gerade und nur die durch die
Ehe gesteigerte wirtschaftliche Leistungskraft des einkommenslosen oder
einkommensschwachen Ehegatten erfasst, der an dem (höheren) Einkommen seines
Ehegatten teil hat (Urteil des BVerwG vom 18.02.1977 VII C 48.73, BB 1978, 439).
Zudem kann ein einkommensloser oder -schwacher Ehegatte einer Besteuerung des
Lebensführungsaufwands entgehen, indem er das Wahlrecht zwischen
Zusammenveranlagung und getrennter Veranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG)
zugunsten einer getrennten Veranlagung ausübt; angesichts der Anknüpfung an das
gemeinsam zu versteuernde Einkommen wird das besondere Kirchgeld nur bei einer
Zusammenveranlagung der Ehegatten erhoben. Bei ihrer freien Entscheidung, ob sie
die Zusammenveranlagung wählen, haben die Ehegatten die Möglichkeit abzuwägen,
ob für sie der Vorteil des Splittingtarifs, mit dem ggf. eine höhere Kirchensteuer in Form
des besonderen Kirchgeldes einhergeht, günstiger ist als der Vorteil einer getrennten
Veranlagung mit einer geringeren oder entfallenden Kirchensteuer.
Glaubensverschiedene Eheleute können jedoch nicht, auch nicht aus dem Grundrecht
des Art. 6 Abs. 1 GG, beide Vorteile beanspruchen; der Gesetzgeber ist ebenfalls unter
keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, den Ehegatten eine solche
Vorgehensweise zu ermöglichen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 20.04.1966 1 BvR
16/66, BB 1966, 571; Urteil des FG Bremen vom 14.01.2004 2 K 223/03 (1), EFG 2004,
587).
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Die Erhebung des besonderen Kirchgeldes von in glaubensverschiedener Ehe
lebenden Mitgliedern der Evangelischen Kirche verstößt ebenso wenig gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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Der Gleichheitsgrundsatz ist auch nicht im Hinblick darauf verletzt, dass das Kirchgeld
nur von Eheleuten erhoben wird, die die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer
i.S.v. § 26 b EStG wählen, nicht aber in Fällen der getrennten Veranlagung gemäß § 26
a EStG. Im Hinblick auf die wenigen atypischen Fälle, in denen Ehegatten die getrennte
Veranlagung fehlen, ist dies unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG jedenfalls nicht
willkürlich und daher unschädlich (Urteil des Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- vom
18.02.1977 VII C 48.73, Betriebsberater -BB- 1977, 1304). Der kirchliche Gesetzgeber
konnte zudem berücksichtigen, dass die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer
in diesen Fällen wegen der daraus folgenden Nichtanwendung des günstigen
Splittingtarifs regelmäßig nur dann gewählt wird, wenn beide Ehegatten etwa gleich
hohe Einkünfte erzielen und der kirchenangehörige Ehegatte deshalb eine
angemessene Kirchensteuer vom Einkommen zu zahlen hat; einer ergänzenden
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Kirchgeldregelung bedurfte es für diese Fälle nicht (Beschluss des BFH vom
14.12.1983 II R 170/81, BStBl II 1984, 332).
Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt auch nicht
wegen der Art und Weise der Erhebung des besonderen Kirchgeldes vor. Insbesondere
vermag der Senat insoweit kein strukturelles Vollzugshindernis zu erkennen.
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Wird eine materielle Steuerpflicht durch die rechtliche Gestaltung des
Erhebungsverfahrens nur mangelhaft durchgesetzt und damit die Gleichheit im
Belastungserfolg prinzipiell verfehlt, liegt darin ein Verstoß gegen das
verfassungsrechtliche Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen
Gesetzesvollzug und führt zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Eine
im Gesetz strukturell angelegte Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung, die einem
gleichheitsgerechten Vollzug entgegen steht, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Materielle Steuergesetze müssen in ein normatives Umfeld eingebettet sein, welches
die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell
gewährleistet (Beschluss des BVerfG vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BGBl I 2004, 591;
Beschluss des BFH vom 16. Juli 2002 IX R 62/99, BStBl II 2003, 74). Andererseits führt
eine Belastungsungleichheit, die durch Vollzugsmängel bei der Steuererhebung
hervorgerufen wird, wie sie immer wieder vorkommen können und sich auch tatsächlich
ereignen, noch nicht zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung einzelner
Steuerpflichtiger. Erst wenn sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem
Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig auswirkt, dass der
Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und dieses
Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, führt die dadurch bewirkte
Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Norm (Urteil des BVerfG
vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BStBl II 1991, 654).
32
Das besondere Kirchgeld wird zwar nur dann gegenüber dem in glaubensverschiedener
Ehe lebenden Kirchenangehörigen festgesetzt, wenn er zur Einkommensteuer
(zusammen)veranlagt wird. Die materielle Kirchgeldpflicht wird folglich nicht
durchgesetzt, wenn keine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung
besteht und der Steuerpflichtige eine solche Steuererklärung auch nicht freiwillig abgibt.
Nicht vom Gesetzesvollzug erfasst werden damit insbesondere Arbeitnehmer, die nicht
die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung i.S. von § 46 EStG erfüllen und mangels
den Arbeitnehmerpauschbetrag übersteigender Werbungskosten keine Aussicht auf
eine Erstattung eines Teils der im Wege des Lohnsteuerabzugs einbehaltenen Steuer
haben.
33
Dass die nicht der Pflichtveranlagung unterliegenden und keine Steuererklärung
abgebenden Arbeitnehmer vom Gesetzesvollzug nicht erfasst werden, beruht nicht auf
einer in den Kirchgeldregelungen strukturell angelegten Ungleichheit. Dieser Umstand
ist vielmehr eine Folgeerscheinung des Steuerabzugs im Lohnsteuerverfahren: Wenn
die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung nicht vorliegen, gilt die auf den
Arbeitslohn entfallende Einkommensteuer durch die Lohnsteuer als abgegolten, § 46
Abs. 4 Satz 1 EStG. Das Lohnsteuerabzugsverfahren als ein Massenverfahren
bezweckt eine vereinfachte Einkommensbesteuerung bei einem großen Teil der
Steuerpflichtigen ohne erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand (vgl.
Heuermann/Wagner, Lohnsteuer, N 37). Der damit bewirkte Rationalisierungseffekt (vgl.
Beschluss des BVerfG
die gesetzlich bestimmte Abgeltungswirkung der Lohnsteuer verstärkt. Die
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Abgeltungswirkung ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, gewisse
Unvollkommenheiten im Interesse der Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen
(Kirchhof/Söhn, EStG, § 46 E 2); sie ist Ausdruck des systematischen Grundprinzps des
Lohnsteuerabzugs (Blümich, EStG, § 46 Rdn. 167). Die Erhebung des besonderen
Kirchgeldes unterbleibt damit in den Fällen, in denen es wegen der Abgeltungswirkung
der Lohnsteuer nicht zu einer Prüfung der im Einzelfall geschuldeten Einkommensteuer
kommt, sondern es bei dem die Besteuerung vereinfachenden Steuerabzug verbleibt.
Der Nichtvollzug des Kirchgeldes hat seine Ursache somit in der Struktur der
Lohnsteuerabgeltung, ohne dass die Kirchgeldbestimmungen selbst ein
Erhebungsdefizit begründen. Etwaige Fälle der Ungleichbehandlung einzelner
Kirchenmitglieder - hier dürfte es sich ohnehin um bloße Einzelfälle handeln - führen
damit nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernormen.
Abgesehen davon, dass es an einer im materiellen Steuergesetz strukturell angelegten
Ungleichheit in der Erhebung des besonderen Kirchgeldes fehlt, kann der Kirche auch
nicht entgegen gehalten werden, sie habe die Steuergesetze nicht in ein normatives
Umfeld eingebettet, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des
tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleiste. Denn wenn nur zwecks Feststellung, ob
ein Steuerpflichtiger in glaubensverschiedener Ehe lebt, und anschließender
Berechnung und Erhebung des besonderen Kirchgeldes Jahr für Jahr eine sich auf alle
diese Eheleute erstreckende Ermittlung durchgeführt würde, wäre damit ein erheblicher
Aufwand verbunden, der - gemessen an der Höhe des besonderen Kirchgeldes - als
unverhältnismäßig hoch einzustufen ist (vgl. im Ergebnis auch Urteil des FG Bremen
vom 14.0.2004 2 K 223/03 (1), EFG 2004, 587). Außerdem könnte die Kirche die hierfür
erforderlichen Maßnahmen angesichts ihrer angespannten Haushaltslage nicht mit
eigenen Mitteln und eigenem Personal durchführen, sondern wäre darauf angewiesen,
dass die Landesfinanzbehörden ein derartiges Ermittlungs- und Erhebungsverfahren
einführen würden. Einer solchen Aufgabe, die weit über die bisher in § 9 KiStG
bestimmte Pflicht zur Verwaltung der Kirchensteuern durch die Finanzämter
hinausginge, würde sich aber auch die Finanzverwaltung widersetzen, die schon für
den Bereich der staatlichen Steuern nach Wegen suchen muss, um die ihr nach
bestehender Gesetzeslage obliegenden Aufgaben personell und sachlich hinreichend
erfüllen zu können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Hinsichtlich der Frage des strukturellen Vollzugshindernisses hat der Senat bereits in
früheren Verfahren wegen besonderen Kirchgeldes in glaubensverschiedener Ehe die
Revision zugelassen und macht auch hier davon Gebrauch, weil die Rechtssache
insoweit gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO grundsätzliche Bedeutung hat. Die für eine
Vielzahl gleich gelagerter Fälle wesentliche Frage, ob die Erhebung des besonderen
Kirchgeldes im Hinblick darauf gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, dass es in
Fällen, in denen die glaubensverschiedenen Eheleute dem Lohnsteuerabzug
unterliegende Einkünfte erzielen und keine Veranlagung zur Einkommensteuer
durchgeführt wird, nicht erhoben wird, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.
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