Urteil des FG Düsseldorf vom 12.07.2010
FG Düsseldorf (wohnung, amtliches kennzeichen, kläger, stadt, monat, geldwerter vorteil, vorteil, entfernung, dienstwagen, anzahl)
Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 2479/09 E
Datum:
12.07.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 2479/09 E
Tenor:
Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 vom 25.
März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009
werden dahingehend abgeändert, dass die Einnahmen des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit um 15.840,60 EUR (2005) bzw. 14.915,80
EUR (2006) gemindert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuerbeträge wird dem Beklagten
übertragen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 1/4 und der Beklagte zu
3/4.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war
notwendig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob die Nutzung eines betrieblichen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG – mit 0,03 %
des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer pro Monat oder mit 0,002 % des
Listenpreises für jeden Entfernungskilometer pro Einzelfahrt anzusetzen ist.
2
Die Kläger wurden in den Streitjahren 2004 bis 2006 als Eheleute zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit als Vorstand der A AG mit Sitz in A-Stadt . Die Arbeitgeberin stellte dem Kläger
ein Dienstfahrzeug zur Verfügung, das auch für private Zwecke genutzt werden konnte
(§ 4 Ziffer 2 des Anstellungsvertrags vom 8. Oktober 2004).
3
Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung bei der A AG stellte das Finanzamt B-Stadt
fest, dass der Kläger von November 2004 bis September 2005 einen Mercedes-Benz
S400 CDIL (amtliches Kennzeichen: XX-YY 11) sowie von Oktober 2005 bis Dezember
2006 einen Mercedes Benz S500 (amtliches Kennzeichen: XX-YY 22) für Privatfahrten
genutzt und die Arbeitgeberin den geldwerten Vorteil nach der sog. 1 %-Regelung
ermittelt sowie der Lohnsteuer unterworfen hatte. Ein Nutzungswert für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (0,03 %-Regelung) sei hingegen nicht erfasst
worden. Demnach seien noch Beträge i. H. v. 5.385 EUR (2004), 32.462 EUR (2005)
bzw. 32.910 EUR (2006) zu erfassen. Dabei ging die Lohnsteueraußenprüfung von
Listenpreisen der PKW i. H. v. 105.600 EUR (XX-YY 11) bzw. 107.000 EUR (XX-YY 22)
sowie einer Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und seiner Arbeitsstätte
von 85 km aus. Auf die Prüfungsmitteilung des Finanzamts B-Stadt vom 11. Dezember
2007 samt Anlagen wird Bezug genommen.
4
Auf der Grundlage der Prüfungsmitteilung erließ das beklagte Finanzamt am 25. März
2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO – geänderte
Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006 und erhöhte die Einnahmen
des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wie folgt:
5
2004
2005
2006
Private PKW-Nutzung (1 %-Regelung)
2.112,00
EUR
12.714,00
EUR
12.840,00
EUR
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
(0,03 %-Regelung)
5.385,60
EUR
32.420,70
EUR
32.742,00
EUR
Insgesamt zu versteuern
7.497,60
EUR
45.134,70
EUR
45.582,00
EUR
Bisher versteuert
2.112,00
EUR
12.672,00
EUR
12.672,00
EUR
Zu versteuernde Differenz
5.385,60
EUR
32.462,70
EUR
32.910,00
EUR
6
Gegen die Änderungsbescheide legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein. Zur
Begründung überreichten sie ein Fahrtenbuch für den Zeitraum November 2004 bis
März 2007 und beantragten, den Sachbezug auf der Grundlage des Fahrtenbuchs zu
ermitteln. Hilfsweise trugen sie unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs –
BFH – vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) vor, dass es für
die Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG in gleicher Weise wie für den
Werbungskostenabzug darauf ankomme, ob und in welchem Umfang das
Dienstfahrzeug tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt
werde. Da dem in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG als Zuschlag vorgesehenen Ansatz von
0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte die typisierende Annahme zugrunde liege, dass der Dienstwagen
monatlich an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde,
im Streitfall aber eine geringere Nutzung (2005: 92 Tage, 2006: 98 Tage) vorliege, sei
die Nutzung des Dienstwagens für die einzelnen Fahrten nach dieser Grundannahme
mit 0,002 % des Listenpreises je Entfernungskilometer zu bewerten.
7
Durch Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 setzte der Beklagte die
Einkommensteuer 2004 unter Berücksichtigung zusätzlicher Werbungskosten des
Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (für 38 Fahrten) auf 113.991
EUR herab, wies den Einspruch wegen Einkommensteuer 2004 im Übrigen aber als
unbegründet zurück. Die Einsprüche wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 wurden
vollumfänglich als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte
aus, das vorgelegte Fahrtenbuch sei nicht ordnungsgemäß. Es biete keine hinreichende
Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der im Fahrtenbuch enthaltenen
Angaben. Es enthalte Eintragungen, die im Widerspruch zu Unterlagen der
Arbeitgeberin des Klägers stünden. Die Eintragungen seien mit den Daten der
Tankkartenfirmen verglichen worden. Letztere wiesen Betankungen an Orten auf, an
denen sich das Fahrzeug nach den Angaben im Fahrtenbuch zum jeweiligen Zeitpunkt
nicht habe befinden können. Auf die entsprechende Aufstellung auf Seite 5 der
Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen. Zusätzlich ziehe sich seit dem 5.
Dezember 2004 ein Rechenfehler durch das Fahrtenbuch, der beim Ablesen der
folgenden Kilometerstände habe auffallen müssen. Weiterhin habe der Kläger nach den
Angaben im Fahrtenbuch im Jahr 2004 22 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
durchgeführt, obgleich im Einspruchsverfahren vorgetragen worden sei, der Kläger habe
entsprechende Fahrten an 38 Tagen vorgenommen.
8
Mangels eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs sei die Privatnutzung und die Nutzung
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG mit
pauschalen Nutzungswerten anzusetzen. Dabei sei unerheblich, ob und wie oft das Kfz
im Kalendermonat tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt
werde. Der Ansatz des pauschalen Nutzungswerts hänge allein davon ab, dass der
Arbeitnehmer das Kfz für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen könne.
Der Monatswert sei deshalb auch dann anzusetzen, wenn das Kfz nicht durchgängig für
solche Fahrten genutzt werde. Denn nach dem Gesetzeswortlaut und -zweck komme es
allein darauf an, ob der Arbeitnehmer die objektive Möglichkeit habe, das betriebliche
Kfz auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu nutzen. Bereits die
Verfügbarkeit des Kfz führe zu dem geldwerten Vorteil. Es entspreche nicht dem
gesetzgeberischen Willen, entgegen dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG eine
Einzelbewertung der Fahrten entsprechend § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG vorzunehmen. § 8
Abs. 2 Satz 3 EStG sei eine Typisierung, die der Vereinfachung des
Besteuerungsverfahrens diene. Mit einer über die Fahrtenbuchmethode
hinausgehenden Einzelbewertung der Fahrten würde der typisierende und
vereinfachende Charakter der Regelung zunichte gemacht und der Gesetzesvollzug
erschwert. Das von den Klägern angeführte BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 85/04,
BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) sei gemäß dem Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen – BMF – vom 23. Oktober 2008 (BStBl I 2008, 961) über den
entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Im Übrigen komme eine
Einzelbewertung nach der Argumentation der Kläger für das Jahr 2004 bereits deshalb
nicht in Betracht, weil das Fahrzeug an mehr als 15 Tagen im Monat für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt worden sei.
9
Die Kläger haben am 8. Juli 2009 Klage erhoben, mit der sie sich zunächst gegen die
pauschale Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten PKW-Nutzung sowie die
Höhe des Sachbezugs für die Nutzung des PKW für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG gewendet haben. Nachdem sie ihr auf
Anerkennung des Fahrtenbuchs gerichtetes Begehren in der mündlichen Verhandlung
10
am 12. Juli 2010 nicht mehr weiter verfolgt haben, tragen sie nunmehr wie folgt vor:
Der vom Beklagten angesetzte geldwerte Vorteil für die Nutzung des PKW für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei überhöht. Der Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3
EStG (0,03 %-Regelung) komme nur zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer den
Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutze. Die
gesetzliche Typisierung gehe dabei davon aus, dass das Fahrzeug an 15 Tagen im
Monat (0,002 % pro Tag) für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt
werde. Werde dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen auch für diese Fahrten überlassen,
bestehe ein Anscheinsbeweis für eine entsprechende Nutzung. Die Entkräftung des
Anscheinsbeweises sei nicht auf die Fälle beschränkt, in denen dem Arbeitnehmer die
Nutzung des Dienstwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
arbeitsrechtlich untersagt sei. Werde der zur Nutzung überlassene PKW nur selten für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verwendet, sei der geldwerte Vorteil nicht
monatlich mit der 0,03 %-Regelung zu erfassen, vielmehr sei jede Fahrt auf der
Grundlage der 0,002 %-Regelung zu bewerten (BFH-Urteil vom 4. April 2008 VI R
85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887).
11
Der Kläger sei in den Streitjahren vorwiegend auswärts tätig gewesen und habe die
Zentrale in A-Stadt an nicht mehr als zwei Tagen pro Woche aufgesucht. Er sei für das
Beteiligungsmanagement der A AG im In- und Ausland zuständig gewesen und habe
ein Franchise-System in NRW aufgebaut und ein solches in einem anderen Bundesland
ausgebaut. Dabei habe er vor Ort geeignete Standorte gesucht, Standortanalysen
erstellt und Einstellungsgespräche mit Franchise-Partnern geführt. Daneben sei er für
den Aufbau neuer Eigenmarken zuständig gewesen. Er habe insbesondere Brauereien
in C-Stadt, D-Stadt und E-Stadt betreut. Weiterhin sei er "Verbindungsoffizier" zur zu
einer großen Einkaufsgenossenschaft gewesen, was es erforderlich gemacht habe,
deren Zentrale in F-Stadt wöchentlich aufzusuchen. Zudem habe seine Tätigkeit im
Bereich der Personalbeschaffung monatliche Abstimmungen mit der Firma B in G-Stadt
erfordert. Schließlich habe ihm die Filialverantwortung im Großraum H-
Stadt/Niederrhein oblegen, die monatliche Abstimmungsprozesse mit den Bezirksleitern
vor Ort erforderlich gemacht habe. Dementsprechend könne ein geldwerter Vorteil für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte allenfalls für zwei Tage pro Woche
angesetzt werden.
12
Die Kläger beantragen,
13
die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006 vom 25. März 2008 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 dahingehend abzuändern,
dass für die Nutzung des Firmenwagens für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nur die tatsächlich durchgeführten Fahrten mit 0,002 % des
Listenpreises je Entfernungskilometer angesetzt werden sowie
14
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu
erklären,
15
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
16
Der Beklagte beantragt,
17
das Verfahren zum Ruhen zu bringen,
18
hilfsweise, die Klage abzuweisen,
19
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
20
Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung vom 5.
Juni 2009 Bezug.
21
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschriften vom 24. Februar und 12. Juli
2010, sowie der beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
22
Entscheidungsgründe:
23
I. Die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe (§ 155 der Finanzgerichtsordnung –
FGO – in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –) liegen nicht vor, da
die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt bzw. dem Antrag des Beklagten nicht
zugestimmt haben. Auch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 74 FGO kommt im
Hinblick auf beim BFH anhängige Musterverfahren zu einfachgesetzlichen
Rechtsfragen grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, §
74 FGO Rn. 14).
24
II. Die Klage ist weitgehend begründet.
25
Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 vom 25. März 2008 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 sind rechtswidrig und verletzen
die Kläger in ihren Rechten, soweit der geldwerte Vorteil des Klägers aus der Nutzung
des dienstlichen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für jeden
Kalendermonat mit 0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung
bemessen worden ist und nicht für jede Einzelfahrt mit 0,002 % des Listenpreises für
jeden Kilometer der Entfernung (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Hingegen ist der
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in
ihren Rechten.
26
1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 1
EStG alle geldwerten Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten
Dienst gewährt werden. Auch die unentgeltliche bzw. verbilligte Überlassung eines
Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung
führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum Lohnzufluss (BFH-Urteile
vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370; vom 7.
November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, und VI R 95/04, BFHE
215, 252, BStBl II 2007, 269). Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt für die private Nutzung
eines betrieblichen Kfz zu privaten Zwecken § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entsprechend.
Danach ist die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird,
für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der
Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer
anzusetzen. Kann das Kfz auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
genutzt werden, erhöht sich der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden
Kalendermonat um 0,03 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG
für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 8 Abs. 2
Satz 3 EStG). Der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG kann hingegen mit dem auf
27
die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
entfallenden Teil der gesamten Kfz-Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das
Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der
privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den übrigen
Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden (§ 8 Abs. 2
Satz 4 EStG).
2. Das Fahrtenbuch des Klägers erfüllt die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes
Fahrtenbuch im Hinblick auf die von der Lohnsteueraußenprüfung festgestellten – vom
Kläger zumindest nicht vollständig beseitigten – Widersprüche zwischen den
Abrechnungen der Tankkartenfirmen und den Fahrtenbucheintragungen nicht. Dies ist
zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig. Daher kann der Sachbezug nicht nach
§ 8 Abs. 2 Satz 4 EStG mit dem auf die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfallenden Teil der gesamten PKW-
Aufwendungen angesetzt werden, vielmehr gelten die Regelungen des § 8 Abs. 2 Satz
2 und 3 EStG.
28
3. Der Beklagte hat den geldwerten Vorteil aus der Nutzung des PKW für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG im Hinblick auf die
Streitjahre 2005 und 2006 allerdings zu Unrecht für jeden Kalendermonat mit 0,03 %
des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung bemessen. Anzusetzen sind für
jede Einzelfahrt 0,002 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer. Hingegen
bleibt es für das Streitjahr 2004 bei der Anwendung der 0,03 %-Regelung.
29
a) Nach dem BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008,
887) liegt dem in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG als Zuschlag vorgesehenen Ansatz von 0,03 %
des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der
Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die typisierende Annahme zugrunde,
dass der Dienstwagen monatlich an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte genutzt wird. Die Nutzung des Dienstwagens für die einzelnen Fahrten sei
nach dieser Grundannahme je Entfernungskilometer mit 0,002 % des Listenpreises im
Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zu bewerten. Dies entspreche der Regelung des
§ 8 Abs. 2 Satz 5 EStG zur Bewertung der Nutzung des Dienstwagens zu
Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung. Im Gegensatz zur
Regelung für Familienheimfahrten in § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG führe § 8 Abs. 2 Satz 3
EStG aber dazu, dass der Zuschlag für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte unabhängig von der Anzahl der tatsächlich mit dem Dienstwagen
durchgeführten Fahrten zu ermitteln sei. Die auf der Einnahmenseite vorgenommene
Typisierung stehe damit im Widerspruch zur Grundannahme der für die Ausgabenseite
geltenden Pauschalierung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F., die eine fahrtbezogene
Ermittlung des Werbungskostenabzugs vorsehe. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG werde seinem
Zweck als Korrekturposten zum pauschalen Werbungskostenabzug jedoch nur dann
gerecht, wenn die dem Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F.
zugrundeliegende Typisierung auch bei der Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2
Satz 3 EStG folgerichtig umgesetzt werde. Dies gelte jedenfalls in den Fällen, in denen
die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig nur einmal in der Woche
durchgeführt werden und die tatsächliche Nutzung des Dienstwagens damit zu Lasten
des Arbeitnehmers von der Grundannahme des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG abweiche, dass
der Dienstwagen monatlich an 15 Tagen für derartige Fahrten genutzt werde. Die in § 8
Abs. 2 Satz 3 EStG vorgesehene Erhöhung des geldwerten Vorteils aus § 8 Abs. 2
Satz 2 EStG sei daher in diesem Fall – in teleologischer Reduktion der Vorschrift –
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dergestalt vorzunehmen, dass eine Einzelbewertung der mit dem Dienstwagen
durchgeführten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in entsprechender
Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG erfolge.
b) Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung, an deren Beachtung sich der
Beklagte durch den Nichtanwendungserlass vom 23. Oktober 2008 (BStBl I 2008, 961)
gehindert sieht. Dies hat zur Konsequenz, dass der geldwerte Vorteil des Klägers aus
der Nutzung des Dienstfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in
den Streitjahren 2005 und 2006 je Einzelfahrt mit 0,002 % des Listenpreises für jeden
Kilometer der Entfernung angesetzt werden kann. Denn der Kläger hat nach den
Eintragungen in seinem Fahrtenbuch im Jahr 2005 nur 92 Fahrten und im Jahr 2006 nur
98 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführt. Dies ist vom Beklagten
nicht bestritten worden. Wenngleich die Anzahl der Fahrten – im Schnitt ca. acht pro
Monat bzw. zwei pro Woche – die der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Anzahl
von einer Fahrt pro Woche überschreitet, erscheint es gerechtfertigt, die zuvor zitierte
Rechtsprechung auch im Streitfall anzuwenden. Denn auch insofern liegt eine
erhebliche Abweichung von der gesetzlichen Typisierung – 15 Fahrten pro Monat – vor.
Nach Ansicht des erkennenden Senats ist davon jedenfalls in den Fällen auszugehen,
in denen die tatsächlich durchgeführten monatlichen Fahrten die Hälfte der der
gesetzlichen Typisierung entsprechenden Anzahl von Fahrten, d.h. sieben bis acht
Fahrten pro Monat, nicht überschreiten. Dementsprechend wird in der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine Einzelbewertung der Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte bei einer Anzahl von 25 bis 37 Fahrten p.a. (Urteil des
Hessischen FG vom 16. März 2009 11 K 3700/05, DStRE 2009, 1490, Rev. unter VI R
54/09), 61 bis 68 Fahrten p.a. (Urteil des Niedersächsischen FG vom 11. Mai 2009 4 K
355/08, juris, Rev. unter VI R 55/09) sowie 100 Fahrten p.a. (Urteil des FG Köln vom 22.
Oktober 2009 10 K 1476/09, EFG 2010, 408, Rev. unter VI R 57/09) befürwortet.
31
c) In Anwendung dieser Grundsätze ist allerdings eine Einzelbewertung der im Jahr
2004 vom Kläger durchgeführten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht
angezeigt. Nach den Eintragungen im Fahrtenbuch hat der Kläger im November 2004
zwölf und im Dezember 2004 zehn Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
unternommen. Im Einspruchsverfahren wurden die im Jahr 2004 durchgeführten Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 38 beziffert. Diese Werte übersteigen den
Rahmen, innerhalb dessen der Senat eine Abweichung von der gesetzlichen
Typisierung für gerechtfertigt hält (bzw. liegen über der gesetzlichen Annahme von 15
Fahrten pro Monat). Zwar ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass sich selbst
unter Einbeziehung der im Jahr 2004 durchgeführten Fahrten in die im Streitzeitraum
angefallenen Gesamtfahrten der Durchschnittswert von ca. 8 Fahrten pro Monat nicht
(wesentlich) erhöht. Zudem kann die in den Monaten November und Dezember 2004
gesteigerte Zahl an Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte damit erklärt werden,
dass der Kläger seine Dienststelle erst zum 1. November 2004 angetreten hatte und
daher in diesem Monaten eine erhöhte Präsenz in der regelmäßigen Arbeitsstelle in A-
Stadt erforderlich gewesen sein dürfte. Der Senat hält im Streitfall jedoch zumindest
eine jahresweise Differenzierung für erforderlich. Dies entspricht dem der BFH-
Entscheidung vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887)
zugrunde liegenden Gedanken, wonach im Fall der Abweichung von der gesetzlichen
Typisierung eine Einzelbewertung und gerade keine Durchschnittsbetrachtung zu
erfolgen hat. Ob darüber hinaus auch innerhalb eines Jahres auf die in den einzelnen
Monaten durchgeführten Fahrten abzustellen ist, kann im Streitfall offen bleiben, da die
Anzahl der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte innerhalb der einzelnen
32
Streitjahre keinen erheblichen monatsweisen Schwankungen unterworfen ist.
d) Im Ergebnis sind die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wie folgt mit 0,002
% des Listenpreises je Entfernungskilometer einzeln zu bewerten:
33
2005
September Oktober bis
Dezember
65 Tage x 85 km x 0,002 % x 105.600
EUR 27 Tage x 85 km x 0,002 % x
107.000 EUR
11.668,80 EUR
4.911,30 EUR
16.580,10 EUR
2006
98 Tage x 85 km x 0,002 % x 107.000
EUR
17.826,20 EUR
34
Dabei legt der Senat die Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung zugrunde,
wonach der Kläger von November 2004 bis September 2005 den Mercedes-Benz S400
CDIL (amtliches Kennzeichen: XX-YY 11) sowie von Oktober 2005 bis Dezember 2006
den Mercedes Benz S500 (amtliches Kennzeichen: XX-YY 22) genutzt hat. Dies steht
zwar im Widerspruch zu den Eintragungen im Fahrtenbuch des Klägers, wonach der
Fahrzeugwechsel am 16. März 2006 stattgefunden haben soll. Die Kläger haben jedoch
auf eine weitergehende Substantiierung und Glaubhaftmachung ihres dahingehenden
Vortrags verzichtet. Im Übrigen decken sich die Feststellungen der
Lohnsteueraußenprüfung mit einer entsprechenden Auftragsbestätigung der Firma
Mercedes-Benz für die Limousine S500 vom 6. Juli 2005 (Einkommensteuerakte des
Beklagten ab 2006).
35
Dementsprechend sind die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wie
folgt zu vermindern:
36
2005
2006
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach der
0,03%-Regelung
32.420,70
EUR
32.742,00
EUR
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach der
0,002%-Regelung
16.580,10
EUR
17.826,20
EUR
Differenz
15.840,60
EUR
14.915,80
EUR
37
III. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuerbeträge auf den
Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kläger sind im Hinblick
auf ihr Klagebegehren, die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzeln zu
bewerten, nur geringfügig unterlegen (Streitjahr 2004). Im Hinblick darauf, dass die
Kläger ihr – nicht beziffertes – Begehren, die private PKW-Nutzung sowie die Nutzung
des PKW zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit den anteiligen
tatsächlichen Aufwendungen laut Fahrtenbuch anzusetzen, in der mündlichen
39
Verhandlung fallen gelassen haben (und der Beklagte insoweit obsiegt hat), verschiebt
sich die Quote jedoch zu ihren Lasten. Der Senat hält daher eine Kostentragungsquote
von 1/4 (Kläger) zu 3/4 (Beklagter) für gerechtfertigt.
Der Ausspruch über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das
Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
40
Die Revision war im Hinblick auf die Rechtsfragen, ob bei jährlich 98 Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte eine erhebliche Abweichung von der Typisierung des § 8
Abs. 2 Satz 3 EStG gegeben ist (vgl. auch die zuvor zitierten Revisionsverfahren) sowie
welcher Zeitraum (Monat, Jahr, mehrere Jahre) der Beurteilung dieser Abweichung
zugrunde zu legen ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) bzw.
zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zuzulassen.
41